Gesetzesvorlagen zur Regierungsreform

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Mit einer Mehrheit von 66 Stimmen gegen 45 hat die Knesset, das israelische Parlament, in erster Lesung eine Gesetzesvorlage der Regierung mit einer Regierungsreform angenommen. Ziel ist eine Stärkung der innenpolitische Stabilität Israels…

Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 1. August 2013

Weniger dramatisch ist der Vorschlag, das in Deutschland übliche „konstruktive Misstrauensvotum“ einzuführen. Heute kann an „jedem Montag und Dienstag“ – wie man in Israel sagt – wegen Nichtigkeiten der Regierung das Misstrauen ausgesprochen werden, ohne eine Alternative vorzuschlagen. Das wird das als enervierende Zwangsjacke für die parlamentarische Arbeit gesehen. Damit die Regierung nicht „zufällig“ stürzt, sind die Abgeordneten, Minister und der Ministerpräsident gezwungen, ständig im Plenarsaal präsent zu sein. Beim konstruktiven Misstrauensvotum und der Notwendigkeit, einen alternativen Regierungschef vorzuzeigen, könnte nicht mehr jeder beliebige Oppositionspolitiker zum ultimativen parlamentarischen Mittel greifen, die Regierung zu stürzen.

Sehr viel dramatischer ist die Absicht, die Sperrklausel von 2 Prozent auf 4 Prozent zu erhöhen. Die Zersplitterung der Knesset in 16 und mehr Parteien bei insgesamt nur 120 Abgeordneten ist ein Produkt der niedrigen Sperrklausel. Die ehemals größte Partei im Parlament, Kadima, wäre bei den Wahlen im Januar verschwunden, wenn sie nicht mit ein paar hundert Stimmen nur knapp den Sprung über die 2 Prozent Hürde geschafft hätte. Und obgleich kleinste und deshalb nicht sehr bedeutsame Partei, ist heute die ehemalige Kadima-Vorsitzende Zipi Livni Justizministerin und Beauftragte für die Friedensverhandlungen mit den Palästinensern. Miniparteien konnten in der Vergangenheit überproportionale finanzielle Zuwendungen oder politische Rücksichtnahmen bei Koalitionsverhandlungen herausschlagen, weil sie die „Königsmacher“ waren. Ein typisches Beispiel lieferten die drei frommen Parteien. Seit Jahrzehnten waren sie in den Regierungskoalitionen vertreten, obgleich sie  weniger als 10 Prozent der Bevölkerung ausmachten.

Den Befürwortern der Reform schwebt ein Zwei-Parteien-System vor, wie in den USA oder wenigstens ein Parlament wie dem deutschen Bundestag mit drei oder vier Parteien.

Doch ausgerechnet der angesehene ehemalige Parlamentsvorsitzende Reuven (Rubi) Rivlin (Likud) ist der lautstärkste Gegner einer Anhebung der Sperrklausel. Israels Gesellschaft sei so zersplittert, dass möglichst jede Gruppe im Parlament vertreten sein müsse, um ihre Stimme hörbar machen zu können. So ist etwa ein Fünftel der Bevölkerung mit ausgeprägter Identität, die Araber, mit drei sektorialen Parteien vertreten. „Es geht nicht an“, so Rivlin „dass die Araber aus der politischen Landschaft verschwinden, weil sie nur noch präsent sein könnten, wenn die rechtsnationalen Islamisten sich mit den christlichen Kommunisten zusammentun, um gemeinsam die 4-Prozent-Hürde zu überwinden.“ Ein ähnliches Schicksal würde die orthodoxen Juden treffen. Genau so wie die Araber sind sie untereinander ideologisch tief gespalten.

Ob die israelische Demokratie tatsächlich vier verschiedene Linksparteien, ebenso viele Rechtsparteien und zusätzlich noch fromme, arabische und sonstige Parteien benötigt, wird jetzt in Israel kontrovers diskutiert. Die zweite und endgültige dritte Lesung der Gesetzesvorlage ist auf den Herbst verschoben worden, sodass vorläufig offen ist, in welcher Formulierung sie am Ende verabschiedet oder aber zu Fall gebracht wird.

Ein früherer Versuch, durch eine Regierungsreform mehr Stabilität zu schaffen, ist jämmerlich gescheitert und wurde schnell wieder abgeschafft. Während früher und heute wieder der potentielle Regierungschef unter den zahlreichen Parteien im Parlament eine tragende Mehrheit von mindestens einer Stimme zusammensuchen muss, wählten die Israelis zeitweilig mit zwei Zetteln, die gewünschte Partei und den Premierminister. So ist 2001 Ariel Scharon mit riesiger Mehrheit zum Regierungschef gewählt worden, konnte aber kaum regieren und wichtige Entscheidungen durch das Parlament verabschieden lassen, weil er keine Mehrheit unter den Abgeordneten hatte. Um den von ihm beschlossenen Rückzug aus Gaza 2005 durchführen zu können, hatte Scharon seine eigene Likud-Partei verstoßen und ein neues Sammelbecken mit linken und rechten Abgeordneten aus allen Parteien gegründet, die Kadima-Partei. Das war das Zeichen, die Direktwahl des Ministerpräsidenten schnell wieder abzuschaffen.

(C) Ulrich W. Sahm / haGalil.com

2 Kommentare

  1. In Zahlen ausgedrückt, würde sich das von Yesh Atid und Yisrael Beytenu (Lapid und Bennet) eingebrachte Gesetzgebungspaket dahin auswirken, dass die Schwelle zum Einzug in die Knesset für Parteien von 2 auf 4 % angehoben würde, was bedeutet, dass statt wie bisher rund 80.000 Stimmen rund 160.000 Stimmen benötigt würden.

    Damit würde bei gleichbleibend niedriger Wahlbeteiligung keine der drei arabischen Parteien mehr in die Knesset einziehen, denn bei den Wahlen im Januar erreichte R’am-Ta’al 138.000 Stimmen, Balad 97.000 und die arabisch-jüdische Hadasch 113.000 Stimmen.

    Tsipi Livnis Tnua wäre ebenso gescheitert.

    Allerdings erlaubt es das israelische Wahlgesetz Parteien, Wahlbündnisse einzugehen und so „im Pool“ die Prozenthürde zunächst zu meistern. Anschließend können die gewählten Abgeordneten, so sie genügend Gleichgesinnte finden, in der Knesset neue Fraktionen bilden.

    http://www.timesofisrael.com/a-boon-in-disguise-for-arab-voters/

    Während abzuwarten bleibt, ob die Gesetzesvorlage die 2. und 3. Lesung übersteht, handelt es sich um eine Initiative.

    • …. Initiative, die die israelische Parteienlandschaft gründlich erneuern dürfte. Aber ob dabei im Ergebnis mehr herauskommt als neue Schläuche für den alten Wein ?

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