Vor Gericht in Rottweil

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Über zwei rassistisch motivierte Brandstiftungen in Baden-Württemberg in den Jahren 2011 und 2012 und zwei sehr unterschiedliche Reaktionen darauf…

Von Lucius Teidelbaum

Am 30. April 2013 wurde im zweiten Stock am Landgericht von Rottweil um halb drei Uhr nachmittags der Angeklagte Tobias M. von zwei Beamten hereingeführt. Seine Fußfesseln blieben während des ganzes Prozesses angelegt. Immerhin lautete die Anklage in diesem Prozess am Anfang noch auf neunfachen Mordversuch. Der 21-Jährige setzt sich an seinen Platz, wo er in wenigen Minuten das Urteil anhören würde. Er trägt kurzes Haar, eine Brille und hat einen Ansatz zum Doppelkinn. Auf der Straße würde der Angeklagte vermutlich niemanden auffallen. Hier vor Gericht sitzt er auf seinem Stuhl und knetet die Hände. Ins Publikum schaut er nicht, obwohl in einer der Reihen seine Mutter mit verheulten Augen, seine Freundin und sein Opa sitzen, der so einen typischen Alte-Männer-Hut trägt, nur der Gamsbart fehlt.

Brandstifter und Feuerwehrmann Tobias M.
Brandstifter und Feuerwehrmann Tobias M., (c) L. Teidelbaum

Mit einigen Minuten Verspätung fängt es an. Das Publikum erhebt sich und der Richter verkündet das Urteil. Wegen versuchter schwerer Brandstiftung wird der Angeklagten zu drei Jahren Haft verurteilt. Er verbleibt in U-Haft und trägt die Kosten des Prozesses.

In der Nacht vom 6. auf den 7. Oktober 2012 hatte der nunmehr frisch Verurteilte in Dürbheim (Kreis Tuttlingen) versucht die Wohnung einer neunköpfigen, türkischen Familie in Brand zu setzen. Bei ihm zu Hause fand die Polizei eine Hakenkreuzfahne und indizierte, rechte Musik. Zudem hat sich der Angeklagte laut Richter „schwärmerisch über Aspekte des Nationalsozialismus“ geäußert.

In der Tatnacht kam der Angeklagte von einem Bauwagen bei Wurmlingen, in dem öfters auch Rechtsrock gespielt wurde. Betrunken hatte der Täter sich dem Haus der Familie von der Rückseite her genähert und dann vor einem Holzschuppen einen Stapel aus Sperrmüll aufgestapelt. Durch eine alte Matratze hatte er eine Verbindung zu dem Holzschuppen hergestellt, in dem ein 800-Liter-Heizöl-Tank lagerte, von dem der Angeklagte nach Überzeugung des Gerichts aber nichts wusste. Vor die Holztreppe am Wohnhaus hatte er dann noch zusätzlich vier Kunststofftonnen und eine Papiertonne gezerrt.

Der Täter wurde an seinem weiteren Tun nur dadurch gehindert, dass sich eine Frau der Familie nachts um zwei zum Rauchen ans Fenster stellte. Der Angeklagte sah sich ertappt und rannte weg. Der Brandherd am Holzschuppen, aus dem bereits Flammen loderten, wurde gelöscht. Laut Experten wäre ein Brandüberschlag von dem Haufen auf den Schuppen und von da auf das Haus wahrscheinlich gewesen. Der Angeklagte jedenfalls flüchtete nach Hause, verbrannte seine Fleecejacke und wurde gegen 2.45 Uhr von der Polizei abgeholt. Denn die Zeugin hatte ihn wiedererkannt. Täter und Opfer kannten sich bereits.

Vom Flammentod bedroht waren drei Erwachsene und sechs Kinder im Alter von 16, 13, 12, 11, 5 und 3 Jahren.

Bereits am 16. Juli 2012 war die alte Wohnung der Familie von einem Unbekanntem angezündet worden. Zwar war es nicht nachweisbar, aber das Gericht äußerte den starken Verdacht, dass der Angeklagte auch hierfür verantwortlich gewesen sei.

Obwohl die Familie glücklicherweise beide Male nicht verletzt wurde, hatten die zwei Brandstiftungen gegen sie massive Auswirkungen. Materiell verlor sie einmal ihr Eigentum und ihr Heim und außerdem blieben psychische Folgen zurück. Sie überlegt sich derzeit umzuziehen, weil sie sich an ihrem Wohnort nicht mehr sicher fühlt.

Obwohl der Verurteilte vor Gericht so wirkte, ist er im Ort kein Außenseiter. Der Richter betonte, dass der Verurteilte in die Dorfgemeinschaft integriert gewesen sei. Er sei Ministrant gewesen und hätte lange Jahre in der Jugendfeuerwehr gedient. Damit hatte dieser Fall geradezu die Dimension eines Dramas von Max Frisch. Diese Version der Geschichte vom „Biedermann und die Brandstifter“ wurde vom Gericht sehr zugunsten des Angeklagten ausgelegt.

Da der Angeklagte früher bei der Freiwilligen Feuerwehr war und beim ersten Brand beim Löschen geholfen hatte, ging das Gericht davon aus, dass er auch beim zweiten Mal keine Tötungsabsicht verfolgt habe. Das Gericht nahm auch an, dass die Brandlegung selbst darauf hinweise, dass der Angeklagte die Familie nicht umbringen hätte wollen: „Verletzung oder Tod nahm er nicht billigend in Kauf.“ Es interpretierte das Herbeiziehen und Aufstellen der Tonnen vor der Holztreppe zugunsten des Angeklagten nicht etwa als Sperre des Fluchtwegs aus dem brennenden Haus, sondern als reine „Drohkulisse“. Dass der rassistisch motivierte Feuerteufel sich diesmal gegenüber dem letzten Mal steigern hätte können, erwog das Gericht indes nicht. Damit spekulierte das Gericht zugunsten des Angeklagten, ohne das dieser sich selber in diese Richtung geäußert hatte. Aus versuchter Tötung wurde somit gefährliche Brandstiftung.

Immerhin erkannte das Gericht die rassistische Motivation des Angeklagten und benannte sie. Der Richter sprach von einem Motivbündel, dem die Tat zugrunde liege: „Latente Fremdenfeindlichkeit“, die „Ablehnung der Lebensweise der Nebenkläger“ und „Sozialneid“. Wobei letzterer auch rassistisch grundiert war. Der Verurteilte „habe etwas allgemein gegen Ausländer, die sich vom Staat alimentieren lassen“.

Rechtsanwalt Köroglu, der Vertreter der Nebenkläger bezeichnete das Urteil als „zu mild“ und hat inzwischen Revision eingelegt, ebenso der Verteidiger des Angeklagten.

Vor Gericht in Stuttgart: Die Hetzjagdgesellschaft

Es ist bereits der zweite Prozess am Stuttgarter Landgericht, in dem sich Personen wegen der rassistisch motivierten Hetzjagd vom April 2011 verantworten müssen. Im ersten „Urteil wegen der Hetzjagd auf junge Migranten in Winterbach“ vom 26. März 2012, also im ersten Winterbach-Prozess, erklärte der Kammervorsitzende Holzhausen: „Die in der Tat zum Ausdruck kommende gruppenspezifische Menschenfeindlichkeit, die dazu geführt hat, dass die in der brennenden Hütte befindlichen Personen mehr Angst vor den Rechten als vor dem Feuer hatten, erfordert diese Strafhöhe.“

Hagalil hatte über den ersten Prozess ebenso berichtet, wie über den Zwischenstand im zweiten Prozess.

Im zweiten Prozess, der am 29. August 2012 begann, standen zwölf Gäste einer Nazi-Party vor Gericht. Die Gründe dafür liegen in den Ereignissen der Nacht vom 9. auf den 10. April 2011. In dieser Nacht fanden auf dem Engelberg bei Winterbach, einem kleinen Ort im Rems-Murr-Kreis bei Stuttgart, zwei sehr verschiedene Feiern statt.

Zum einen trafen sich hier elf junge Männer zu einem Grillabend. Alle Beteiligten an dieser Feier hatten Eltern, die aus der Türkei oder Italien stammen. Ihr Treffpunkt war ein Gartengrundstück mit einem Holzschuppen, das einem der Väter der hier Versammelten gehört. Ein „Stückle“ wie es im Schwäbischen genannt wird.

Nicht weit entfernt, 150 Meter den Berg hinauf, fand eine Geburtstagsparty statt. Sie war gleichzeitig eine Feier von Neonazis aus ganz Baden-Württemberg und darüber hinaus, u.a. auch aus dem Saarland. Hier kam es zu einer starken Überschneidung von politischer Gesinnung und private Freundschaften.
Die Feier wurde von Katharina B., genannt „Rina“, ausgerichte. Katharina B. organisierte alljährlich ihre Geburtstagsfeier als Nazi-Party und war auch schon an der Organisation von Konzerten beteiligt.

Vor Ort in Winterbach wurde den angereisten Neonazis einiges geboten. Bis zu 70 Gleichgesinnte versammelten sich auf der Feier. Die Männer waren äußerlich vor allem als Angehörige der Skinhead-Subkultur erkennbar. Davon zeugten die vor Gericht gezeigten Partybilder von beschlagnahmten Kameras.

Es gab ein Festzelt, eine Musikanlage, Klos, eine Verkaufstheke und auf dem Grundstück war offenbar auch eine schwarzweißrote Fahne gehisst. Ähnlich wie bei Nazi-Konzerten wurden die BesucherInnen über einen Schleusungspunkt gelotst, mussten Eintritt bezahlen und wurden per SMS eingeladen, die mit „88“ unterzeichnet war, dem Szene-Code für „Heil Hitler“.
Die musikalische Beschallung war entsprechend rechtsrockig. Dazu flossen Bier und andere Arten von Alkohol in Strömen. Irgendwann wurde bekannt, dass in der Nähe „Kanaken“ seien, so die durchgehend rassistische Bezeichnung der Naziparty-Besucherschaft für die Feiernden von nebenan.

Unklar ist wie genau die folgenden Ereignisse ihren Anfang nahmen. Hierzu gibt es widersprüchliche Aussagen. Es gab jedenfalls an diesem Abend mehrere Angriffe von den Neonazis auf die migrantischen Jugendlichen. So gab es u.a. bereits am Anfang den Versuch von Neonazis, mit einem Auto Migranten anzufahren bzw. zu „erschrecken“, wie es vor Gericht von den Tätern bezeichnet wurde.

Die Angriffe nahmen nach Mitternacht pogromartige Züge an, als sich von der Neonazi-Party größere Gruppen auf die Suche nach „Kanaken“ machten. Die Täter riefen bei ihrer Jagd Parolen wie „Scheiß Kanaken“ oder „Bleib stehen Du Kanake, ich bringe Dich um.“

Ihren Höhepunkt erreichte die Hetzjagd als eine Holzhütte angezündet wurde, in die sich mehrere der Verfolgten geflüchtet hatten. Wer genau während dieser Jagd die Hütte angezündet hat, ist bis heute unklar. Entgegen der Versuche eines Teils der AnwältInnen der TäterInnen, vor Gericht den Mordversuch als Brandunfall darzustellen, sprechen mehrere ZeugInnen von einer gezielten Brandstiftung. Demnach hat ein Mann, einen Scheit aus dem nahen Grillfeuer genommen und die Hütte in Brand gesteckt. Davor, so berichten mehrere ZeugInnen, hätten mehrere Neonazis an der Tür der Hütte gerüttelt und verlangt: „Scheiß Kanaken, kommt raus, wenn ihr echte Männer seid.“

Die Holzhütte fing Feuer, evtl. auch weil noch zusätzlich eine brennbare Flüssigkeit als Brandbeschleuniger verwendet wurde. Die drei ursprünglich in die Hütte Geflüchteten wurden durch zwei weitere „verstärkt“, die so verängstigt waren, dass sie in die bereits brennende Hütte flüchteten. Einer der beiden war zuvor von einem der Angeklagten zusammengeschlagen worden.

Aus dieser heraus setzten die Verängstigten mehrere Notrufe ab. In den, auch in den beiden Prozessen vor Gericht abgespielten, Notruf-Mitschnitten ist die Todesangst, der in der brennenden Hütte Eingeschlossenen greifbar. Allerdings betraf diese Angst nicht so sehr das Feuer, sondern vielmehr die draußen wartenden Nazi-Schläger. Auch die vorsitzende Richterin im zweiten Winterbach-Prozess betonte in ihrer Urteilsbegründung, dass die in der Hütte Eingeschlossenen nicht vor dem Brand Todesangst gehabt hätten, sondern vor denen, die draußen warteten. Erst das Drängen des Notruf-Sachbearbeiters, die Hütte lieber zu verlassen und Prügel in Kauf zu nehmen, als lebendig zu verbrennen, bewegte die Opfer zum Verlassen der Hütte.

An Leib und Psyche nahmen in dieser Nacht neun Menschen Schaden. Schwerer als die wieder verheilten physischen Schäden wiegen die psychischen Verletzungen. Ein Teil der Opfer ist stark traumatisiert und hat leider teilweise auch keine adäquate Hilfe und Unterstützung erfahren. Sämtliche Opfer leiden bis heute unter den Folgen der Angriffe. Das Leben von neun Menschen, die sich als Hiesige fühlten, aber als „Fremde“ angegriffen worden sind, wurde durch diese Nacht nachhaltig verändert.

Bis zuletzt weigerten sich neun von zwölf Angeklagten, Aussagen zu machen oder Reue zu bekunden. Dafür erhielten sie dann auch die Quittung als am 18. April 2013 nach sieben Monaten Hauptverhandlung das Urteil verkündet wurde. Alle Angeklagten wurden zu Haftstrafen in Höhe von 18 bis 32 Monaten verurteilt, nur bei den drei Aussagewilligen wurden sie zur Bewährung ausgesetzt. Verurteilt wurden die elf Angeklagten wegen gemeinschaftlich begangener schwerer Körperverletzung. Die Tat sei „kein organisiertes Verbrechen“ gewesen, so die Richterin. Sie wurzelte in den „Auswirkungen dieser explosiven Mischung aus Alkohol und rechter Gesinnung“. Schlussendlich kam es zum „Sturmlauf von Teilnehmern der Party“, wobei jedem klar war, worum es ging. Die Richterin machte damit in ihrer Urteilsbegründung eindeutig klar, dass die Party keine normale Feier und dass die Tat rassistisch motiviert war.

Fazit: Zwei sehr unterschiedliche Reaktionen

Zwei unterschiedliche Fälle, mit einer Gemeinsamkeit. Sie zeigt das mörderische Potenzial rechter Gewalt auch jenseits langfristig geplanter Gewalt wie im Fall des Netzwerks des „Nationalsozialistischen Untergrunds“. In beiden Fällen entschieden sich die Täter offenbar spontan für die Gewalt, vermutlich befeuert von Alkohol und rechter Hass-Musik.
Trotz gewisser Ähnlichkeiten, gab es auch einige Unterschiede. So war in Dürbheim offenbar ein Einzeltäter am Werk, während in Winterbach eine größere Gruppe tatverantwortlich war.

Prozess in Rottweil

Unterschiedlich hingegen war die Medienöffentlichkeit. Der Fall Dürbheim wurde öffentlich so gut wie nicht wahrgenommen. Rühmenswerte Ausnahme in den überregionalen Medien stellte der Artikel „Wo fängt rechts an?“ von Lena Müssigmann in der „taz“ dar. ((http://www.taz.de/Ein-Prozess-in-der-Provinz/!115658/)) Der Fall Winterbach hingegen erfuhr zumindest zeitweise eine größere Aufmerksamkeit in den Medien und der kritischen Zivilgesellschaft. Warum war das so war, ist nicht genau klar. Es könnte daran liegen, dass es im Fall Winterbach gleich am Anfang eine starke Reaktion der Zivilgesellschaft in Form einer empörten Demonstration mit über 1.000 Beteiligten gab.