Einfach Esther

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Zwei Jugendliche haben über die in Hamburg-Eppendorf aufgewachsene Shoah-Überlebende Esther Bauer einen Dok-Film gedreht. Sie haben die Gelegenheit genutzt, dass Esther Bauer häufig in ihre Geburtsstadt kommt um über die Nazizeit aufzuklären…

Von Gaston Kirsche

„Wir sterben aus – umso wichtiger ist es mir, solange davon zu berichten, wie es geht“, antwortet Esther Bauer auf die Frage, warum sie, die auf die 90 zugeht, noch in Schulen, auf Veranstaltungen geht, um über ihr Überleben unter den Nazis zu berichten: 1924 geboren, als Tochter des Direktors der jüdischen Mädchenschule, Alberto Jonas, und der Ärztin und Lehrerin Marie Jonas. Die Familie wurde von den Deutschen zunächst in das KZ Theresienstadt in Tschechien deportiert. Alberto Jonas starb dort bereits nach sechs Wochen an Meningitis. Esther Bauer überlebte knapp eine Lungenentzündung, weil ihr eine Ärztin von außerhalb half. Ihre Mutter, die Lagerärztin war, konnte ihr nicht helfen: „Sie konnte Kranken nur warme Worte oder ein Stück Watte geben“, so Esther Bauer.

Bereitwillig und offen schildert sie dies in dem Film „Esther – eine Eppendorfer Lebensgeschichte“ über die Nazizeit. Nur über eine Phase spricht sie kaum: 10 Tage war sie im KZ Auschwitz. Den Geruch, der über dem Vernichtungslager hing wird sie nie vergessen, sagt sie nur. Und die Todesschreie. Zusammen mit 1.000 anderen Jüdinnen wurde sie aber selektiert für einen Zwangsarbeiteinsatz in Freiberg: Die Deutschen brauchten sie für den Flugzeugbau. Ihre Mutter Marie Jonas wurde vergast.

Esther Bauer wurde von der Roten Armee aus dem KZ Mauthausen befreit und lebt heute in New York. Aber nach vielen Jahren des Schweigens spricht sie heute viel über die Nazizeit, berichtet über ihr leben. Bei vielen Besuchen in Hamburg. So lernte sie auch der Abiturient Richard Haufe-Ahmels kennen, der gemeinsam mit einem Freund, der die Kamera übernahm, einen Dokumentarfilm mit ihr drehte: Ein einstündiges Portrait, in dem sie die meiste Zeit erzählt. Auch Begegnungen sind zu sehen, etwa mit einer Theaterregisseurin vom Thalia, die ein Stück über Esthers Leben für Aufführungen in Schulklassen geschrieben hat. Die beiden Abiturienten haben sie in ihrer New Yorker Wohnung besucht, sie in Hamburg begleitet.

Richard Haufe-Ahmels bekam für „Einfach Esther“ am Gedenktag für die Shoahopfer am 27. Januar 2012 einen der Bertini-Preise für Zivilcourage von Ralph Giordano verliehen. Dass Jugendliche einen antinazistischen ZeitzeugInnenfilm drehen, könnte viel öfter passieren. Da ist es dann auch verzeihlich, wenn Kameraschwenks etwas verrissen werden, am Schluß unmotiviert Straßenbilder von New York zum PartisanInnenlied Bella Ciao geschnitten sind oder kritische Nachfragen fehlen. Und obwohl Esther Bejerano, die das KZ Auschwitz überlebt hat, im Film einmal kurz auftaucht, wird nicht erwähnt, dass die gesamte Filmmusik von ihrer Band Coincidence kommt. Über die Situation nach der Kapitulation der Deutschen ist nahezu nichts zu erfahren, nur, dass das SA- und NSDAP-Mitglied Dr. Schwarcke, der sich die Wohnung der Familie Jonas im Eppendorfer Woldsenweg nach deren Deportation unter den Nagel gerissen hat, dort bis mindestens 1956 ungestört gewohnt hat. Obwohl er als Gutachter am Amtsgericht bei vielen Homosexuellen empfohlen hat, sie ins Gefängnis oder ins KZ zu sperren.

Verdienstvoll ist, dass die beiden jungen Filmemacher diese Doku gedreht haben. Mit starken Aussagen, etwa wenn Esther Bauer in ihrer Rede zum Gedenken an die Reichspogromnacht vom 9. November im Rahmen einer Kundgebung der VVN und weiterer Organisationen auf dem Emil-Carlebach-Platz im Hamburger Grindelviertel, auf dem bis zur Reichspogromnacht die größte Synagoge Hamburgs stand, über ihre Zwangsarbeit unter den Nazis erklärt: „Was ich tun konnte, war, die Nieten entweder zu kurz oder zu lang zu machen im Höhenruder. Denn das wurde dann geschlossen, da konnte hinterher keiner mehr reinschauen. Von den Flugzeugen, die ich mitbauen musste für die Deutschen, ist sicher nie eines geflogen.“

Sondervorstellungen von „Einfach Esther – eine Eppendorfer Lebensgeschichte“ mit Esther Bauer und Regisseur Richard Haufe-Ahmels am Sonntag, 16.9. um 13.30 Uhr und Dienstag, 18.9. um 17.00 Uhr, Abaton, Salvador-Allende-Platz 3, Hamburg. Zwei Gehminuten vom Abaton-Kino entfernt liegt der Emil-Carlebach-Platz.

„Einfach Esther – eine Eppendorfer Lebensgeschichte“, Dokumentarfilm von Richard Haufe-Ahmels, D 2011, 66 Min.

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=j5dHZSWPZe8[/youtube]

9 Kommentare

  1. Wunderschön. Ich habe Esther selbst, schon vor sechs, sieben Jahren, in Hamburg kennengelernt. Sie kam danach – meine Freundin hatte am Hamburger Isemarkt jahrelang einen Stand – bei Wind und Wetter vorbei, um uns bei jedem einzelnen ihrer Hamburg-trips zu besuchen. Egal, wieviel sie zu tun hatte – und der Terminkalender war jedesmal übervoll.
    Einmal, es war im Januar und regnete, lieh sie sich dazu, als sie merkte, es war kälter als gedacht, Winterstiefel, die ihr viele Nummern zu groß waren. Damit ging sie den ganzen langen Markt entlang, unseren winzigen Stand zu suchen. Typisch Esther, eine der großartigsten Persönlichkeiten, die kennenzulernen ich je die Ehre hatte. Viel mehr Menschen wie Esther, und nichts könnte schiefgehen. Sie ist unglaublich.

  2. Hallo,

    Ich bin der filmemacher 😉

    Tatsächlich ist es so, dass der film bereits ein jahr alt ist.
    Im vergangenen Jahr ist er bereits öfter in Abaton, Magazin und auf bundesweiten Festivals gelaufen. Er wird auch weiterhin vor allem im November und Januar zur Gedenkwoche des Novemberpogroms und der Befreiung Ausschwitz‘ laufen.

    Weiterhin ist er im Herbst in Schwerin und in Mainz zu sehen.

    Gruß
    Richard Haufe-Ahmels

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