Geschichten im Konflikt

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Das Haus der Kunst in München…

Von Anna Zanco-Prestel

Ein in der untergehenden Sonne schimmerndes Netz eingehängt am oberen Rand der Fassade soll an die Tarnnetze erinnern, die das „Haus der Kunst“ ab 1942 vor den Bomben der Alliierten zu bewahren hatten. Von oben zu sehen waren künstliche Baumkronen, die als Fortsetzung vom Englischen Garten wirkten und die Piloten in die Irre führen sollten. Die Installation stammt vom Schweizer Konzeptkünstler Christian Philip Müller, der eingeladen wurde, eine „Dramaturgie“ für die Ausstellung „Geschichten im Konflikt – Das Haus der Kunst und der ideologische Gebrauch von Kunst“ zu schaffen, um der Eröffnung vom „HAUS DER DEUTSCHEN KUNST“ vor 75 Jahren zu gedenken.

Ein transparenter Blickfang ist das bunte Netz in den Farben Rosa, Rot, Orange und Violett, der die Strenge des düsteren, negativ besetztes Gebäudes durchbricht, ihm eine ungewohnte Leichtigkeit verleiht und gleichzeitig seine „Präsenz verstärkt“.


Intervention von Christian Philipp Müller, Fassade Haus der Kunst, Foto: Maximilian Geuter

Ganz offen und imposanter denn je zeigt sich die „Ehrenhalle“, an deren Ende das Portrait einer jungen Dame im eleganten Trachten erscheint. Unter ihren Füßen in einem Kasten Blumenbouquets in den gleichen Farben des Netzes: „Hollywoodsfarben“- meint Sabine Brantl, Kunsthistorikerin vom Haus der Kunst – als Anspielung an jenes „Hollywoodglamour“, wonach sich die Menschen in den Fünfziger Jahren am meisten sehnten.


Ansichtsinstallation v. Christian Philip Müller Haus der Kunst, Foto: Maximilian Geuter

Das Foto stammt aus einer Modeschau vor Ort im August 1946, woran die Frau als Model mitgewirkt hatte. Durch die so feminine Mode wird der Kontrast zur Schwere der Architektur hervorgehoben, den „Konflikt“ zwischen den Zeitebenen, die sich nun untereinander mischen und ins Künstlerische transponiert werden. Umgeben ist das Mannequin links und rechts von zwei Lorbeerbäumen, die an derselben Stelle stehen, an der Hitler bei seiner Einweihungsrede die Künstler mit einem „unerbittlichen Säuberungskrieg“ drohte. Rechts wird man durch den Treppenaufgang in die Ausstellung geführt. Im Raum schwebend der Widerhall von Hitlers Rede, seine unverkennbare Stimme. Aus der Decke sticht ein Foto von ihm hervor. Aufgenommen während eines geselligen Beisammenseins auf der Terrasse vom Haus der Kunst, heute Treffpunkt junger Menschen oder von Besuchern der Münchner Nobel-Disko „P1“. Zu lesen ist die ganze Rede in der Ausstellung auf einer überdimensionierten Tafel, die über alles ragt.

Mit der ersten „Großen Deutschen Kunstausstellung“ im Jahre 1937 beginnt eine neue Ära im deutschen Kunstleben, wie einige repräsentative Bilder aus dem mit etwa 13.000 von Hitler erworbenen Werken bestückten Bestand zeigen. Genremalerei, idyllische Landschaften, Bauerndarstellungen meistens im Stil vom XIX. Jahrhundert. Oder urbane Ansichten, wie ein Bild, das mit seinen unterproportionierten menschlichen Figuren neben den übergroßen Bauten an die Zeichnungen des gescheiterten Malers Hitler denken lässt.

Die Werke dienen nicht den Zwecken der Propaganda, sie kommen eher dem Geschmack breiter Bevölkerungsschichten im Deutschland der 30er Jahre entgegen, jenes Kleinbürgertums, das die Nazis an die Macht gebracht hat.


Der italienische Botschafter Dino Alfieri besucht in Begleitung von Adolf Hitler und Josef Goebbels am 16. Juli 1939 zum Tag der deutschen Kunst die Große Deutsche Kunstausstellung im Haus der Deutschen Kunst,© Zentralinstitut für Kunstgeschichte

Instrument der Propaganda ist das „Haus der Deutschen Kunst“ selbst, das ab 1933 nach Plänen von Hitlers Architekt Paul Ludwig Trost errichtet wurde. Ursprünglich sollte das neue Museum an Stelle des niedergebrannten „Glaspalastes“ im „Alten Botanischen Garten“ entstehen, wo die „Große Kunstausstellungen“ der Münchner Künstlergruppen traditionell stattfanden. Die z.Teil von der Bevölkerung gesammelten Mittel zum Wiederaufbau flossen nach der Machtergreifung in das Bauvorhaben an der Prinzregentenstraße am Südrand vom Englischen Garten ein, das mit einem pompösen 3.000 Meter langen Festzug mit allegorischen Karren und kostümierten Statisten am 18. Juli 1937 feierlich eingeweiht wurde. Der Umzug sollte die Leistung von „Zweitausend Jahren Deutsche Kultur“ würdigen. Wenig weit davon entfernt in den heutigen Räumen vom „Deutschen Theatermuseum“ am Hofgarten wurden zur gleichen Zeit die Werke der so genannten „entarteten“ Künstler zur Schau gestellt, oft neben und im Vergleich mit Zeichnungen von geistig behinderten Menschen.


Modell Haus der Deutschen Kunst auf dem Festzug „Glanzzeiten deutscher Geschichte“ zum Tag der Deutschen Kunst 1933 (vor St. Ludwig auf der Ludwigstraße), Aus: Verzeichnis der Aufnahmen verschiedener Arbeiten von Paul Ludwig Troost, ca. 1935. Aufnahme: Atelier Troost,© Zentralinstitut für Kunstgeschichte

650 Werke aus 32 deutschen Museen waren in der Femeschau zu sehen, die von drei Millionen Besuchern besucht wurde und auch in andere deutsche Städte wanderte. Unter ihnen figurierten die bedeutendsten Vertreter der Moderne – von Beckmann bis zu Kokoschka und Franz Marc-, die bald darauf verboten, zur inneren Emigration gezwungen oder ins Exil gedrängt wurden. Einer von ihnen, der Bildhauer Rudolf Belling, war sogar in beiden Werkschauen vertreten: mit einer Skulptur des Boxers Max Schmeling im Haus der Kunst und mit zwei kubistisch angehauchten Werken am Hofgarten.

Einige Exponate der Femeschau sind auch in die jetzige Ausstellung eingeflossen: Werke im “Konflikt“ begriffen, wie das Thema, das sich wie ein roter Faden die ganze Schau durchzieht.

Fast unbehelligt überstand das Haus der Kunst die Luftangriffe der Alliierten und diente nach der Kapitulation zunächst als Offizierkasino der amerikanischen Streitkräfte. Historische Filmausschnitte und die Rekonstruktion eines darin eingerichteten Basketballfeldes legen Zeugnis davon ab. Genutzt wurde das Haus zeitweilig auch für Mode- und Exportschauen, bis es ab Januar 1946 mit einer Ausstellung Alter Meister aus den zerstörten Münchner Pinakotheken unter der Leitung von Peter A.Ade zu ihrer ursprünglichen Funktion zurückkehrte. Es nennt sich nunmehr „Haus der Kunst“ und knüpft mit einer Reihe wichtiger Retrospektiven, u.a. vom Blauen Reiter und Kokoschka sowie mit kulturhistorischen Projekten wieder an die Moderne. 1955 findet dort die legendäre Picasso-Schau statt, in der auch das Antikriegsbild „Guernica“ gezeigt wird. Zeitgleich mit Arnold Bodes „documenta 1“ in Kassel, wo Werke „entarteter“ Künstler zum ersten Mal der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

In der Nachkriegszeit richtet sich der Blick vieler nach vorn, in eine bessere Zukunft. Kaum jemand scheint daran interessiert zu sein, an eine unbequeme Vergangenheit zu erinnern oder erinnert zu werden, die für viele noch so belastend wirkt. Die eigentliche Geschichte vom Haus der Kunst rückt in den Mittelpunkt des Interesses, erst als 1993 der Schweizer Christoph Vitali die Leitung übernimmt und „zum festen Programmpunkt für den internationalen Kunsttourismus“ avancieren lässt. Unter ihm, der sich gegen Abrisspläne und für den Erhalt des Hauses einsetzt, denn „Mauern tragen keine Schuld“, beginnt die Zeit der „systematischen Recherchen“ unter Sabine Brantl, die mit dieser Aufgabe betraut wird. Von „architektonischer Vergangenheitsbewältigung“ ist ab 2003 unter der Führung von Vitalis belgischen Nachfolger Chris Dercon die Rede, der die Räume umbauen und in den ursprünglichen Zustand zurückführen lässt. Bunkerräume und Archive werden wieder begehbar gemacht. Die Ahorn- und Efeubepflanzung, die er als „Schambehaarung der Nachkriegszeit“ bezeichnet, wird von der Fassade entfernt, die von nun an künstlerisch bespielt wird, u.a. mit einer unvergesslichen Installation des chinesischen Künstlers Ai WeiWei. Die Auseinandersetzung mit der Zeitgeschichte, die auch die Geschichte der Moderne ist, geht jetzt weiter im verstärkten Maße unter dem neuen, aus Nigeria stammenden Direktor Okwui Enwezor.

Mehr als um die „Eigenheiten der deutschen Geschichte“ geht es diesem sowohl intellektuell als auch historisch interessierter Kurator mit dem globalen Ansatz um die „Vielfalt der Geschichten“. Nicht zuletzt geht es ihm aber auch um die Herausstellung der zentralen Rolle Münchens in der Kunstgeschichte vor und nach Hitler.

Nach Dercons „kritischem Rückbau“ setzt sich der konsequente „Rückblick“ auf die eigene Geschichte in Enwezors Idee eines „reflexiven Museums“ fort, in dem die Architektur und das Erbe des Hauses neu hinterfragt werden. Geplant ist die Errichtung einer thematisch anknüpfenden Dauerausstellung. Wie aus dem einschlägigen Symposium zur Ausstellung hervorging, sollen d.h. die Retrospektiven von aus Deutschland emigrierten Künstlern, wie z.B. die großen Meisterinnen der Fotografie Gisèle Freund und Lotte Jacobi, zum Schwerpunkt künftiger Aktivitäten werden.

Das Haus der Kunst als erster nationalsozialistischer Monumentalbau, errichtet mit den Mitteln deutscher Großindustriellen, spielte in diesen letzten Juli-Tagen eine „wesentliche Rolle“ als Austragungsort der Uraufführung einer grandiosen Performance der Tel Aviver Choreografin Saar Magal im Rahmen der Münchner Opernfestspiele 2012, die ganz im Zeichen von Richard Wagner stehen.

Selbst eine Enkelin von Shoah-Überlebenden setzt sie sich mit der „nicht-existierenden“ Wagner- Rezeption in Israel und gleichzeitig mit der „beinah Heiligsprechung Wagners in der deutschen Kultur“ auseinander. „Hacking Wagner“ lautet der Titel der zweistündigen Multimediashows, die sie in einem mehrmonatigen Probenprozess gemeinsam mit sieben Tänzern aus Israel, Deutschland und Schweden, dem visuellen Künstler Amit Drori, dem Komponisten Moritz Gagern und dem Videokünstler Benjamin Krieg erarbeitet hat. Ein Kaleidoskop kontrastierender Ansichten prominenter Experten, Intendanten oder Dirigenten kommt dabei hemmungslos zum Vorschein, Meinungen, die eindrucksvoll ineinander greifen, ohne dass ein letztes, endgültiges Wort gesprochen wäre. Fragen über Fragen drehen sich um das Thema „Was ist Wagner“, „Wer ist Wagner“. Dabei geht es um die vielen Klischees, die rund um den Komponisten entstanden sind, um den Missbrauch seines künstlerischen Vermächtnisses durch die Nazis aber auch um die unleugbare, nackte Gewalt, die von seinen antisemitischen Aussprüchen und ebenso oft auch aus seiner für manche genialen, für andere schwerfälligen, erdrückenden Musik ausgeht.


„Hacking Wagner“, Foto: Wilfried Hösl

Das Wort „Hacken“ im Titel steht für das „Aufbrechen eines Codes“, einer kodierten Norm, die sich in einen „kulturellen Aufstand“ jeweils gegen Verbannung und Verherrlichung zugleich, in einem ungleichen Kampf zwischen Schwachen und „Imperien“ materialisiert. In einer aufwühlenden Folge rascher Szenen- und Kostümwechsel und pyrotechnischer coups de théâtre in der Schwebe zwischen Witz und Ernst wird das vorwiegend junge Publikum in einer spannenden Interaktion emotional und sogar physisch miteinbezogen. Es applaudiert lange und schallend laut, sichtbar bewegt und vorbehaltlos begeistert von so viel offener, befreiender Bereitschaft, über das Unaussprechliche zu sprechen. Am Ende steht die Wagner-Frage stellvertretend für das deutsch-jüdische Verhältnis, eine „Affäre, die sich – so Saar Magal – aus Liebe und Hass nährt und die bis zum heutigen Tag Bestand hat“.

Die Ausstellung ist noch bis 13,. Januar 2013 zu sehen. Weitere Informationen…