„Absurd, irreführend und unbegründet“

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Wichtige Quellen zur deutsch-jüdischen Geschichte nicht mehr online zugänglich – Historiker laufen Sturm gegen die Entscheidung der Deutschen Nationalbibliothek…

Von Jim G. Tobias

Das klammheimliche Abschalten der beiden digitalisierten Zeitschriftenbestände „Exilpresse“ und „Jüdische Periodika in NS-Deutschland“ hat fassungsloses Kopfschütteln und heftigen Protest bei Historikern, Bibliothekaren und Journalisten ausgelöst. Wie berichtet, hat die Deutsche Nationalbibliothek (DNB) kürzlich diese wichtigen und einzigartigen Quellen aus „rechtlichen Gründen“ vom Netz genommen. Der Bestand war in den 1990er Jahren mit finanzieller Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) digitalisiert und innerhalb des DNB-Webportals der Forschung online zur Verfügung gestellt worden.

Etwaige urheberrechtliche Fragen hinsichtlich der Problematik „verwaister Werke“ wurden seinerzeit geklärt und wo es möglich war, Genehmigungen der Rechteinhaber eingeholt. Bis zum heutigen Tag gab es keine juristischen Probleme und die DNB war mit keinerlei Ansprüchen der Artikelverfasser bzw. deren Rechtsnachfolger konfrontiert. Für Yves Kugelmann, leitender Redakteur der „JM Jüdische Medien AG“ in Zürich, ist die Entscheidung der Deutschen Nationalbibliothek daher auch „völlig absurd, irreführend und unbegründet“. Die Jüdische Medien AG hatte 2004 die traditionsreiche deutsch-amerikanische Emigrantenzeitung AUFBAU übernommen und der DNB gestattet, die kompletten Jahrgänge 1934-1950 des AUFBAU ins Netz zu stellen. „Die Rechtslage im Fall von AUFBAU ist durch unseren Verlag abgedeckt“, sagt Kugelmann im Gespräch mit haGalil. „Die Bibliothek trägt kein Risiko und verhält sich wie ein wasserscheuer Schwimmer!“

Ebenso ist beim Bestand „Jüdische Periodika in NS-Deutschland“, bei dem es sich weitgehend um Mitteilungsblätter der Gemeinden und Selbsthilfeeinrichtungen handelt, die juristische Lage eigentlich klar. Die nach 1945 neugegründeten Israelitischen Kultusgemeinden sind nicht Rechtsnachfolger dieser jüdischen Körperschaften. Auch diese Fragen wurden freilich schon vor über zehn Jahren im Rahmen der DFG-Projektförderung diskutiert und geprüft. Weder bei der DNB noch bei der DFG, die das Projekt als legal und förderungswürdig einstufte, tauchten Bedenken auf.

Deshalb ist man auch bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft etwas irritiert, da offensichtlich von Seiten der DNB gegen die Richtlinien verstoßen wird. In einem Telefongespräch erklärte Dr. Anne Lipp von der DFG-Abteilung Wissenschaftliche Literaturversorgungs- und Informationssysteme unmissverständlich: „DFG geförderte Projekte müssen öffentlich zugänglich gemacht werden.“ Gleichwohl will man der Deutschen Nationalbibliothek „die Zeit geben, etwaige rechtliche Probleme zu klären“, so Dr. Lipp. „Wir gehen davon aus, dass eine zeitnahe Lösung erreicht wird.“

Prof. Dr. Fritz Hausjell vom Institut für Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien will nicht so lange warten, bis die DNB zu einer annehmbaren Lösung bereit ist. „Ich bin bestürzt über die Abschaltung dieser wesentlichen Quellen der Zeitgeschichts- und insbesonders der Exilforschung“, schreibt er in einem Brandbrief an die DNB. „Ich bin gewillt, eine öffentlichkeitswirksame Aktion zu starten, um den freien Zugang zu diesen zentralen Quellen der Exilforschung via Internet wieder zu erreichen“, kündigt Hausjell, der auch Präsident der „Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung“ ist, empört an.

Mit „Verwunderung“ reagierte auch Dr. Rachel Heuberger, Leiterin der Judaica Abteilung an der Goethe-Universität in Frankfurt/Main. „Ich verstehe nicht, warum die DNB ohne Not die Sammlung vom Netz genommen hat. Das ist mir schleierhaft.“ Zusammen mit Dr. Annette Haller von der Germania Judaica initiierte Rachel Heuberger vor 12 Jahren die Digitale Bibliothek „Compact memory“, in der über 100 jüdische Periodika aus dem Zeitraum 1806 bis 1938 frei zugänglich für Jedermann ins Netz gestellt wurden. Ein ebenfalls von der DFG finanziertes Projekt.

Die Jahrgänge 1922 bis 1938 der Zeitung des Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens sind komplett über www.compactmemory.de zugänglich. Im Gegensatz zur DNB sehen die Anbieter keine rechtlichen Probleme.

Wie haGalil erfahren hat, versucht die DNB die Wogen des vielfachen Protests mit standardisierten, aus mehr oder weniger Worthülsen bestehenden Schreiben, zu glätten. Auf die Argumentation der empörten Historiker, Archivare und Exilforscher wird kaum eingegangen. Dafür weist die Bibliothek gebetsmühlenartig darauf hin, dass sie „viel Anerkennung und Dank“ für ihre Digitalisierungsprojekte erhalten hat. Wann die Sammlung jedoch wieder online erreichbar sein wird, ist hingegen nicht zu erfahren. „Wir prüfen noch“, sagte die Leiterin des Deutschen Exilarchivs an der DNB, Dr. Sylvia Asmus, und kündigte eine zeitnahe und ausführliche Stellungnahme auf den Internetseiten der Bibliothek an.

14 Kommentare

  1. Ich habe oben einen Nutzernamen gewählt und möchte nicht, dass meine E-Mail-Adresse publiziert wird – ich ersticke bereits jetzt in Arbeit, die ich vor meinem Tod nicht mehr bewältigen kann (Jahrgang 1921)

    Ich werde den Verdacht, dass in dieser unerfreulichen Sache wieder einmal unterschwellig Antisemitismus mitspielt, von dem meine jüdische Mutter immer sagte, dass er nie aussterben wird. Der Beitrag oben von mfb zeigr das z.B. deutlich.

    Auf meine Mail an Frau Dr. Asmus.

    (quote)“ich lese soeben mit Entsetzen Informationen über die Herausnahme wichtiger Quellen und Ihre (vorläufige?) Begründung, die mich nicht überzeugt.

    Als Jurist bitte ich zunächst mir Gesetze und Aktenzeichen eventueller Entscheidungen zur Verwertung „verwaister“ Quellen mitzuteilen. Ich bin kein Spezialist für Urheberrecht, kann mir aber schwer vorstellen, dass die Verwertung in der von der DFG geförderten Massnahme in der bisherigen Form im Internet auf zwingende rechtliche Probleme stossen könnte.

    Ich kann mich als „Selbstbetroffener“ bezeichnen und würde gegebenenfalls eine Aktion bis zum BVerfG unterstützen, um diese unverständliche Entscheidung rückgängig zu machen.

    Ich habe bisher rechtshistorisch / strafrechtlich über ein Thema gearbeitet, das mit der NS-Zeit und dem deutschen Widerstand verzahnt ist (s. unten nach der Signatur).beschäftige mich aber in zunehmendem Masse mit Fragen der Judenverfolgung im „Dritten Reich“. (unquote)

    habe ich bisher von der Chefin von Frau Dr.Asmus nur den E-Mail-Bescheid, dass sie mir das lieber am Telephon sagen wollte, mich aber nicht erreichen konnte. Nichts auf dem Amrufbeantworter.

  2. „Zum einen ist das der ein Angriff auf die jüdische Kernidentität, der offen vorgetragene Kampf gegen die Beschneidung am 8. Tage, nach nunmehr jahrzehntelanger Praxis unter Berufung auf das GG, zum anderen das nahezu zeitgleich eingetretene Verstummen bedeutender Exil-Stimmen aus der Zeit des Nationalsozialismus, nach jahrelanger Praxis unter Berufung auf das Urheberrechtsgesetz.“

    „Wie bereits gesagt, eine Polemik, aber trotzdem.“

    Genau so ist es :

    Leider, leider mussten wir die Lieferung der sich selbstversenkenden U-Boote abwarten, da sie sonst mit den Aussagen und Gesetzentwürfen der Bundestagsparteien zum Beschneidungsgesetz kollidiert wäre.

    „… aber trotzdem.“

    Hauptsache geplappert!

    So mal trotzdem! Fast ohne Polemik!

  3. Zugegeben, eine Polemik, aber trotzdem:

    Es ist mit Sicherheit purer Zufall, dass 14 Jahre nach Walsers Paulskirchenrede, für die er, wohlgemerkt, standig ovations erntete, nur das Ehepaar Bubis blieb sitzen, durch das plötzliche Auftreten zweier gravierender Ereignisse, gesellschaftspolitisch insgesamt, das jüdische Leben hier in Deutschland betreffend, ein zumindest eigenartiger, bedrückender Eindruck entsteht, ja.

    Zum einen ist das der ein Angriff auf die jüdische Kernidentität, der offen vorgetragene Kampf gegen die Beschneidung am 8. Tage, nach nunmehr jahrzehntelanger Praxis unter Berufung auf das GG, zum anderen das nahezu zeitgleich eingetretene Verstummen bedeutender Exil-Stimmen aus der Zeit des Nationalsozialismus, nach jahrelanger Praxis unter Berufung auf das Urheberrechtsgesetz.

    Bei unwohlmeinender Interpretation der Ereignisse könnte daraus nun durchaus, will jetzt nicht von Kausalität reden, aber vielleicht doch eine Phänomenolgie abgeleitet werden, deren Erforschung und Analyse hochinteressant und lohnenswert wäre.

    Wie bereits gesagt, eine Polemik, aber trotzdem.

    • @ Jim,

      du hast das in diesem Jahr besonders ausgeprägte, weltweite Sterben der Honigbienen zu erwähnen vergessen. Dieses Sterben, dass mit Sicherheit auf nebulöse Aktivitäten der deutschen Rechten, also auf die der Antifa und der Partei der „Linken“, zurückzuführen ist, ist ja von der Logik her schon grundsätzlich gegen das Land, in dem Milch und Honig fliesst, also Israel, gerichtet.

      Ãœbringens ..
      wenn die Beschneidung „die jüdische kernidentität“ ist, bekommt dann jeder Beschnittene per Antrag automatisch einen israelischen Pass?

  4. „Die Rechtslage im Fall von AUFBAU ist durch unseren Verlag abgedeckt“, sagt Kugelmann im Gespräch mit haGalil. „Die Bibliothek trägt kein Risiko und verhält sich wie ein wasserscheuer Schwimmer!“

    Das Leo Baeck Institut hat zB den AUFBAU nach wie vor online, ab 1951 …

    Die Leitung des Deutschen Exilarchivs 33 – 45 obliegt seit Mai 2011 Frau Dr. Sylvia Asmus.

  5. Ich finde es super, dass endlich mal jemand den Mund aufmacht, anbetracht der Zerstörung von Kulturgut und investierten Steuer-Euros.
    Vielleicht entsteht mal eine Kultur in der sowas weniger oft geschieht, weil Menschen sich einmischen und Erklärungen fordern.
    Sowas wäre mal Thema für eine Schulstunde politische Bildung, Zivilcourage und wie die großen Ziele alle heissen. Vorgelebt, begreifbar, aber eben nicht staatsdienerisch, damit wohl für deutsche Staatsschulen ungeeignet.

  6. Dr. Sylvia Asmus hat die Problematik vor 3 Jahren ansatzweise bereits thematisiert:

    „Als weitere Stufe der Zugänglichmachung von Digitalisaten ist die Bereitstellung von
    Digitalisaten im Netz zu nennen, die im Urheberrechtsgesetz als öffentliche
    Zugänglichmachung (§ 19a) bezeichnet und als eines der Verwertungsrechte des
    Urhebers behandelt wird. Für Digitalisate von urheberrechtlich geschützten Werken gilt,
    dass ihre Bereitstellung im Internet in jedem Fall der Genehmigung des
    Urheberrechtsinhabers bedarf.“

    „Für die nur aus neuzeitlichen Nachlässen bestehende Sammlung des Deutschen
    Exilarchivs 1933-1945 stellt die Bestandsdigitalisierung eine besondere Herausforderung
    dar. Ist für die jeweiligen Bestandsbildner rasch zu klären, ob deren Werke noch
    urheberrechtlichen Schutz genießen, stellt die Digitalisierung von Korrespondenzen eine
    Schwierigkeit dar. Für eine Vielzahl von Verfassern und Adressaten innerhalb der
    Nachlässe des Deutschen Exilarchivs 1933-1945 ist die im Urheberrechtsgesetz festgeschriebene
    Frist von 70 Jahren nach dem Tod nicht abgelaufen, auch finden sich in den
    Nachlässen Briefe und Schriften von einer Vielzahl lebender Personen, die aufgrund des
    Persönlichkeitsrechts geschützt sind und – je nach Schöpfungshöhe – zusätzlich durch
    das Urheberrechtsgesetz. Für den Bereich der Fotografienbestände des Deutschen
    Exilarchivs 1933-1945 ist neben dem Recht des Fotografen auch das Recht der
    Porträtierten am eigenen Bild zu beachten. Trotz dieser Einschränkungen scheint eine
    Digitalisierung von relevanten Unterlagen möglich zu sein.
    Für Nachlässe könnte schon bei der Übernahme des Bestandes die Genehmigung zur
    Digitalisierung von Schriften des Bestandsbildners als Bestandteil eines Ãœbernahmevertrags
    festgeschrieben werden. Vorstellbar wäre für die Bestände des Deutschen
    Exilarchivs 1933-1945 z.B. bei Wissenschaftler- und Schriftstellernachlässen die Digitalisierung von Hauptwerken des Bestandsbildners, bevorzugt mit einer Volltexterfassung
    der Werke. Außerdem böte sich die Digitalisierung von exilrelevanten Lebensdokumenten
    und Fotografien sowie von ausgewählten Briefen an, die entweder urheberrechtsfrei sind
    und aufgrund der vergangenen Zeitspanne auch aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes
    unproblematisch erscheinen oder für die eine Genehmigung eingeholt wurde.
    Für die Digitalisierung von Fotografennachlässen könnte sich die Auswahl – nach
    Einholung der Rechte vom Fotografen bzw. dessen Erben – auf sachliche Motive und
    Porträtfotografien von eindeutig als absolute Personen der Zeitgeschichte zu
    definierenden Persönlichkeiten beschränken. Bei Nachlässen, deren Digitalisierung in
    Gänze oder zum größten Teil sinnvoll erscheint, ist die Freigabe der Digitalisate im
    Internet für Benutzer peu à peu mit Ablauf der Schutzfristen für einzelne Briefkonvolute
    vorstellbar. Die Digitalisate wären bei dieser Regelung bis zu ihrer Veröffentlichung im
    Internet als interne Archivkopien gemäß § 53 Abs. 2, Nr. 2 UrhG zu verstehen. Aufgrund
    des hohen Verwaltungsaufwandes ist diese Lösung nur für besonders relevante
    Einzelbestände geeignet, z.B. für den Bestand der Deutschen Akademie im Exil /
    American Guild for German Cultural Freedom558.“

    Dies und mehr sind Bestandteile der Dissertation von Dr. Sylvia Asmus an der Humboldt-Universität zu Berlin aus dem Jahre 2009. Für interessierte hier nachzulesen:
    http://edoc.hu-berlin.de/dissertationen/asmus-sylvia-2009-12-17/PDF/asmus.pdf

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