Deutsche Nationalbibliothek blendet jüdische Geschichte aus

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Digitalisierte jüdische Zeitungen aus NS-Deutschland und deutschsprachige Exilpresse vom Netz genommen…

Von Jim G. Tobias

1998 startete die Deutsche Nationalbibliothek ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit Steuergeldern gefördertes wissenschaftliches Projekt und digitalisierte 25 Titel aus dem Zeitschriftenbestand „Jüdische Periodika in NS-Deutschland“ mit etwa 30.000 Seiten, die zwischen 1933 und 1943 verlegt wurden. Wie die Bibliothek schreibt, „spiegeln die Zeitschriften mit ihren Beiträgen wie kaum ein anderes Zeitdokument die zunehmende Entrechtung und Bedrohung der jüdischen Deutschen wider“. Auch die Jahrgänge 1933 bis 1945 von 30 Emigrantenzeitungen mit einem Umfang von rund 100.000 Seiten, darunter das traditionsreiche und bedeutende, bis 2004 in New York erschienene deutschsprachige Blatt AUFBAU, standen der Wissenschaft viele Jahre zur kostenlosen Nutzung im Internet zur Verfügung. „Für die Erforschung des deutschsprachigen Exils stellt die Exilpresse eine Quelle von hohem Erkenntniswert dar“, lobte die Bibliothek ihr Angebot, das sich u. a. für den internetgestützten Geschichts- und Deutschunterricht anbietet.


Neben dem AUFBAU (New York) standen etwa das Acht-Uhr-Abendblatt (Schanghai), Das Andere Deutschland (Buenos Aires), Internationale Literatur (Moskau) oder Kunst und Wissen (London) als Digitalisate zur Verfügung. Foto: jgt-archiv

Gleichwohl nahm die Deutsche Nationalbibliothek in einer Nacht-und-Nebel-Aktion Ende Juni 2012 die beiden Sammlungen vom Netz. „Das Angebot kann aus rechtlichen Gründen nicht bereitgestellt werden“, ist auf den entsprechenden Internetseiten zu lesen. Um welche juristischen Bedenken es sich dabei handelt, erfährt man leider nicht. Bei einer telefonischen Anfrage begründete die leitende Bibliotheksmitarbeiterin, Dr. Sylvia Asmus, die Abschaltung mit einem allgemeinen Hinweis auf das „Urheberrecht“. Eine weitere Auskunft könne sie nicht geben.

Auf die Frage, ob es denn Beschwerden von Urhebern gegeben habe oder sogar Klagen angedroht wurden, antwortete Asmus mit einem klaren „Nein“ und fügte hinzu: „Wir können aber nicht jahrelang gegen geltendes Recht verstoßen!“

Seit 2004 werden die Zeitungen unbeanstandet im Netz angeboten. Für die Digitalisierung des AUFBAU etwa hatte kurz vor Einstellung des Blattes die Herausgeberin sogar noch ausdrücklich ihre Zustimmung gegeben. Da jedoch viele Rechteinhaber der Artikel nicht mehr festgestellt werden konnten, sicherte sich die Deutsche Bibliothek mit folgender Formulierung ab: „Herausgeber oder Autoren, die Rechte geltend machen möchten“, mögen sich mit etwaigen Forderungen an die Bibliothek wenden. „Die Rechte der einzelnen Autoren an ihren Werken bleiben unberührt“, war auf der zwischenzeitlich abgeschalteten Internetseite zu lesen.

Damit war man rechtlich eigentlich auf der sicheren Seite, zumal es sich um ein wissenschaftliches, nichtkommerzielles Projekt von hohem Wert handelt. Doch die übereifrige neue Leitung (seit Mai 2011) der Exilsammlung hat offensichtlich eine andere Rechtsauffassung. Welche, ist leider nicht in Erfahrung zu bringen. Wer mehr wissen will, möge sich direkt an die Chefin, Dr. Sylvia Asmus, wenden, heißt es lakonisch auf der Webpage.

Der Autor war von 1994 bis 2004 freier Mitarbeiter des AUFBAU.

13 Kommentare

  1. @Tabea
    Die Sache mit den fehlenden Klägern könnte sich ändern. Bislang hatten sich die sogenannten „Abmahnanwälte“ ja vorzugsweise auf audiovisuelles Material gestürzt; Museen, die bislang nach ähnlicher Logik Bestände online gestellt haben, berichten zunehmend von Klagen, die nicht von den Inhabern der Urheberrechte initiiert wurden, sondern von Anwälten, die das Material systematisch nach Rechtsverletzungen durchsucht haben. Und das wird richtig teuer. Da wurde in letzter Zeit viel zurückgezogen.

    Dass die Leitung einer Institution das Muffensausen bekommt, kann ich nachvollziehen. Dass ein solches Angebot aber derart kommentarlos vom Netz genommen wird, wo sich hier die Möglichkeit böte, die damit befassten Behörden wieder einmal grundsätzlich auf die mangelnde Berücksichtigung der Belange von Gedächtnisinstitutionen in der derzeitigen Urheberrechtssituation zu verweisen, ist mir unverständlich.

    Wie gesagt: bei einem Angebot, das bereits online war, merkt man deutlich, was geschieht. Bei all den Materialien, die gar nicht erst online gehen, bemerkt man es nicht.

  2. Auch wenn es rechtlich nicht hundertprozentig wasserdicht sein sollte, gilt hier der alte Rechtsgrundsatz: Wo kein Kläger, da kein Richter!

    Es gab bislang ja offensichtlich keine juristischen Probleme.

  3. Das Angebot war aus Sicht des Urheberrechts tatsächlich nicht legal. Nach gängigem Urheberrecht müssten die Urheber jedes Artikels und jeden Bildes ermittelt und die Berechtigung eingeholt werden. Auch Projekte wie CompactMemory sind im Grunde mit dem geltenden Recht nicht vereinbar.

    Es wäre dringendst an der Zeit, Bibliotheken, Museen und Archiven eine rechtliche Sonderstellung zu verschaffen, die es ihnen ermöglicht, ihre Bestände online zu stellen, ohne dass sie damit rechnen müssen, gerichtlich belangt zu werden – einen Sonderetat für Urheberrechtsprozesse hat wohl keine Institution. Und große Bestände werden deshalb überhaupt nicht erst online gestellt, obwohl sie für die Öffentlichkeit von hohem Interesse wären.

    Ich verweise auf das Positionspapier des Deutschen Museumsbundes http://www.museumsbund.de/fileadmin/geschaefts/presse_u_kurzmitteilungen/2012/Positionspapier-Kulturelles_Erbe_im_Internet_sichtbar_machen_Januar_2012.pdf

  4. Man sollte nicht gleich Schlimmes vermuten. Wahrscheinlich handelt es sich tatsächlich nur um vorauseilenden Gehorsam vor der eigenen nicht ganz soliden Rechtsauffassung.

  5. Das übereilte Vorgehen der Deutschen NB stösst auch südlich des Bodensees auf totales Unverständnis. Wehret den Anfängen – die alte Parole bekommt neuen Sinn!
    B. Oe.Hb.

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