Über den Antisemitismus bei Günter Grass

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Eine Debatte mit Johano Strasser, Moshe Zimmermann und Ulrich Hentschel…

Von Matthias Küntzel

Am 11. Juni 2012 erhielt Johano Strasser, Schriftsteller, SPD-Politiker und Präsident des deutschen P.E.N. (Poets Essayists Novelists) die Gelegenheit, seine Verteidigung von Günter Grass, dem Ehrenpräsidenten des deutschen P.E.N., zu begründen.

Unter der Überschrift „Antisemitismus – oder Sorge um Israel? Was bleibt nach dem ,Aufschrei aus dem Schweigen‘ von Günter Grass?“ hatten die Evangelische Akademie der Nordelbischen Kirche und die Katholische Akademie Hamburg zur Debatte geladen. Mitdiskutanten waren Prof. Moshe Zimmermann von der Hebräischen Universität Jerusalem sowie Ulrich Hentschel, der Leiter des „Arbeitsbereich Erinnerungskultur“ der Evangelischen Akademie.

Johano Strasser, Mitglied der SPD-Grundwertekommission, stritt jeden Zusammenhang zwischen Grass-Gedicht und Antisemitismus ab. Grass habe diesmal – im Falle der „Erben der Opfer“ – sein Schweigen auch deshalb brechen wollen, weil er während der Nazizeit über das Verschwinden seiner verfolgten Klassenkameraden geschwiegen habe. Für die Mitgliedschaft des späteren Nobelpreisträgers in der Waffen-SS fand Strasser eine freundliche Umschreibung: „Er hatte Waffen-SS-Uniform getragen“ – rein äußerlich, versteht sich.

Warum dann das Grass-Gedicht so umstritten war? Johano Strasser: „Viele wollten mit Grass eine Rechnung begleichen – deshalb die Waffe des Antisemitismus.“ Der Vorwurf des Antisemitismus sei ein „diskussionsverweigernder Verdacht“, denn: „Kritik an Israel ist nicht antisemitisch.“

Begriffe, wie den des „sekundären Antisemitismus“ lehnte Strasser ab. Er sei dagegen, die Bezeichnung Antisemitismus „hilfsweise zu erweitern“, werde doch bei einer derartigen „Interpretationskunst“ der echte, der „harte Antisemitismus“ verharmlost. Man müsse sich „auf das konzentrieren, was Antisemitismus tatsächlich“ sei, anstatt „die Übergänge“ zu betonen.

Was aber Antisemitismus tatsächlich ist, lässt sich noch am besten den „Protokollen der Weisen von Zion“ entnehmen, jenem Klassiker, der für Hitler der Leitfaden war. Die „Juden“, heißt hier, werden, „sobald ein nichtjüdischer Staat es wagt, [ihnen] Widerstand zu leisten, … den Weltkrieg entfesseln.“

Günter Grass griff diesen Grundgedanken auf und versah ihn mit seinem manierierten Ton: „Warum sage ich erst jetzt, gealtert und mit letzter Tinte: Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden? Weil gesagt werden muss, was morgen schon zu spät sein könnte.“

Strasser gibt sich radikal, wenn er die Kritiker des Grass-Gedichts bezichtigt, mit angeblich inflationären Vorwürfen den „eigentlichen“ Antisemitismus zu „verharmlosen“. Dass der „eigentliche“ Antisemitismus aber in eben jenem Gedicht enthalten ist, welches er so wortreich verteidigt; dass er nolens volens den „eigentlichen“ Antisemitismus also in Schutz nimmt, das sieht er nicht – denn: „Kritik an Israel ist nicht antisemitisch.“ Basta.

Nur in einem Punkt war Strasser über Grass empört: Er habe mit der Schwerpunktsetzung seines Gedichts „die Politik Netanjahus bedient.“ Denn es gehöre zu dessen Politik, mit der „Kriegspropaganda“ vom „eigentlichen Skandal, der Siedlungspolitik“, abzulenken.

Ulrich Hentschel vertrat die Gegenposition. Wer von einer „Keule des Antisemitismus“ rede, versuche, die Debatte zu ersticken. Grass habe in der Tat „antisemitische Klischees“ bedient und er habe „dies nicht unwissentlich“ gemacht.

So basiere die „emotionale Wucht des Gedichts“ darauf, dass sich Grass als „Opfer“ stilisiere. „Wer straft? Wer zwingt? Wer erpresst? Wer tabuisiert? Von wem geht die Lüge aus?“ Die derart in die Welt gesetzten Gerüchte regten Phantasien an, um bekannte Feindbilder zu mobilisieren.

„Wir sind als Deutsche antisemitisch konnotiert“ betonte Hentschel und plädierte für einen Umgang mit der Judenfeindschaft, der die allseitige „antisemitische Prägung und Beeinflussung“ selbstkritisch reflektiert.

Moshe Zimmermann gab Hentschel in der Beurteilung des Grass-Gedichtes recht: „Grass wollte Assoziationen befördern, die vorprogrammiert waren.“ Die Logik, wonach Israel den Weltfrieden bedrohe, sei der NS-Propaganda entnommen, die stets die Juden für den Zweiten Weltkrieg verantwortlich gemacht hätten.

Grass habe mit dem Antisemitismus gespielt. Die Abwehr der Deutschen, dies zur Kenntnis zu nehmen, erinnere ihn an die Abwehr der Araber, die von sich behaupteten, als „Semiten“ keine Antisemiten sein zu können.

Aus israelischer Sicht sei der Antisemitismus in Deutschland aber eher ein Nebenproblem. Im Vergleich mit anderen Ländern in Westeuropa und besonders Mitteleuropa stehe Deutschland nicht besonders negativ da. Gefährlich seien die Araber und der Iran. Von ihnen gegen heute eine Gefahr aus, die mit der Gefahr, die Deutschland in den 30er Jahre darstellte, vergleichbar sei.

Zimmermann kritisierte die „deutsche Nabelschau“ und frage die zahlreich Anwesenden in seiner Schlussbemerkung: „Warum sind Sie heute abend gekommen? Wollten Sie bestätigt wissen, keine Antisemiten zu sein? Oder wollten Sie gewarnt werden, wie groß hier der Antisemitismus ist?“

Ich fand es schon richtig, das Grass-Gedicht und dessen Wirkung zur Diskussion zu stellen. Immerhin wurden an diesem Abend – auch in den Publikumsbeiträgen – zahlreiche, zuweilen versteckte Elemente des Machwerks zur Kenntlichkeit gebracht. Strasser hatte in der Rolle des Beschwichtigers einen schweren Stand; die Hymne eines Teilnehmers – „Das Gedicht ist genial!“ – blieb isoliert.

Gleichwohl traf Zimmermanns Vorwurf einer „Nabelschau“ zu. „Wer wen bedroht ist heute nicht das Thema“ – hatten die Veranstalter in ihren Eröffnungsworten postuliert. Man kann aber die Grass-Debatte von ihrem materiellen Hintergrund – der iranischen Atomwaffe und den Möglichkeiten, diese noch zu vereiteln – nicht trennen. Die Frage, ob Iran den jüdischen Staat bedroht, oder Israel den riesigen Iran – diese Frage ist zentral.

Das Anliegen der Veranstalter, an diesem Abend hierüber NICHT zu sprechen, zeugt von der großen Verunsicherung, die die Möglichkeit eines israelischen Präventivschlags gegen nukleare Installationen auch bei jenen, die sich dem Land verbunden wissen, erzeugt. Dass Ulrich Hentschel im Laufe der Debatte nicht Iran, sondern Pakistan und Moshe Zimmermann nicht das Mullah-Regime, sondern den Palästina-Konflikt zum „eigentlichen Problem“ erklärten, hat jene Unsicherheit verstärkt.

Wer über die Bedrohung Israels durch den Iran und über das in Deutschland emblematische Feindbild „Netanjahu“ nicht sprechen will, ist schon dabei, die von einer Teilnehmerin kritisierten „Herzenskälte“ gegenüber den Menschen in Israel, die zu den Kennzeichen des Grass-Elaborats gehört, zu befördern.

7 Kommentare

  1. Ich selber glaube das liegt an der Nichtaufarbeitung der NS Diktatur. Man kann das auch nicht mehr aufarbeiten ohne die BRD und ihre Entstehung usw. insgesamt zur Disposition zu stellen.
     
    Eine weise und längst überfällige Erkenntnis, dass die NS-Diktatur bisher nicht aufgearbeitet wurde. Sie wurde bisher leider nur in Teilbereichen und nur vermeintlich erschöpfend erforscht.
     
    Den zweiten Satz muss man differenzierter sehen. Im Zeitalter des Internet und der allgemeinen Enthüllungen sowie der späten Einsichten bleibt gar nichts anderes übrig, als allmählich immer mehr und mehr von dem preiszugeben, was Konrad Adenauer in jenem berühmten Brief an einen katholischen Geistlichen kurz nach Kriegsende mit „Am besten schweigt man darüber.“ abtun wollte.
    Das geht heute so ohne weiteres nicht mehr.
    Wenn die staatlichen Historiker und Einrichtungen „zur politischen Bildung“ nicht aufklären wollen, dürfen oder können, wird es der Bürger eben selbst machen. Die dazu nötigen hellsichtigen, neugierigen und verantwortungsbewussten Köpfe hat unser Land, erfreulicherweise. 
     
    Nein, „zur Disposition“ würde die BRD dadurch „insgesamt“ ganz gewiss nicht gestellt werden, im Gegenteil, sie bewiese politische Reife, hohes Verantwortungsgefühl und die Fähigkeit sich zu verbessern.

  2. Vlt. ist Grass auch einfach nur ein alter gelangweilter Mann, der jetzt am Ende eben noch mal sows wie Selbstreflektion, Aufarbeitung eigener Verfehlungen betreibt!?
    Es ist ein Märchen, dass man alle, hunz und kunz zur SS verpflichten konnte. 
    Zudem kann man mit minimalen Aufwand Unruhe stiften wenn man sich an Israel reibt.

    Ich selber glaube das liegt an der Nichtaufarbeitung der NS Diktatur. Man kann das auch nicht mehr aufarbeiten ohne die BRD und ihre Entstehung usw. insgesamt zur Disposition zu stellen.
       

  3. Man kann nicht 1944 in die SS eintreten, ohne ein überzeugter Antisemit zu sein. Günter Grass kann mir nicht erzählen, dass er die alltäglichen Juden-Hetze der Nazis damals nicht mitbekommen hätte. Gegen wen wollte er sonst kämpfen, wenn nicht gegen die Juden und gegen die slawischen Untermenschen? Auch mit 17 hat man Augen, Ohren und Verstand. Also, Günter Grass war ein Antisemit. Wie ist er von dieser Krankheit geheilt worden? Ich weiß von nichts. Nirgendwo hat er darüber geschrieben. Irgendeine Therapie hat er auch nicht gemacht. Am Gegenteil. Er schrieb, dass an seinem Grab stehen wird, dass er „unbehandelt“ starb. Zusammengefasst: Warum sollte man Günter Grass glauben, dass er es anders meint. Er ist und war ein Antisemit, ob er sich dazu bekennt, oder nicht. Und das, was Johanno Strasser macht, ist die allzubekante, normale, linke Gesinnungslumperei.

    • Ich weiß nicht, ob man den Grass so richtig erfasst. Dass er zur SS ging, ich glaube, das hätte mir bei der NS Erziehung, dem Heilrufen und dem Fahnen und Fackelkult als begeisterungsfähiger junger Mensch in der Zeit auch passieren können: Dabei sein, etwas Großem dienen, dem Volk und der Ehre usw. und Antisemiten waren offenbar in Europa zu der Zeit recht salonfähig, auch über D. hinaus. 
      Aber…dies Zeit prägt, diese Jugendjahre schüttelt man nicht ab wie ein unpassendes Kleid, die ganze Grassgeneration ist davon infiziert, die Großeltern meiner Generation. Sie denken insgesamt eher autoritär, humorlos, unironisch, gesinnungsethisch (das ist für mich ein neg. Wort, denn hohe Gesinnung ist immer so hoch, das man bequem unter durch kann…), sie lieben den Zeigefinger und das Ernste, das hehre, pathetische Wort…und leben nun in Schland, in „Anything goes“, in Mozart und Udo Lindenberg statt Wagner, Beethoven und Heinz Rühmann. Und dann ist man Nationaldichter, und keinen interssierts, da muss man dann doch mal den Finger erheben, den hehren Tonfall unbedingter reiner Gesinnung und Sorge anschlagen, Süddeutsche Zeitung, gib mir ein paar Spalten, ich dichte für Dich, ich beschwör nochmal Frieden (ohne Freiheit), benenne noch mal Gut und Böse (wo gehörte der Jud nochmal hin,wie war das damals in der Schule?…), ich mahne und ermahne…Und keinen interessierts, nicht der Grass, nein, der Podolski bewegt Schlandvolk. Spätestens seit Einführung von Reality TV und der Wahl von Schröder (ich will hier rein) zum Bundesbigbrother ist Grassgeneration im betreuten Wohnen. Und Johanno Strasser teilt mit ihm die Bude.

  4.  
    Die Sache ist noch viel einfacher, dazu braucht man gar nicht auf „Die Weisen von Zion“ zurückzugreifen: Wenn jemand Israel das Recht auf Selbstverteidigung kategorisch abspricht, gleichzeitig die Todfeindschaft insbesondere die der derzeitigen iranischen Führung und damit die unmittelbare existenzielle Bedrohung dieses winzigen Landes kleinredet oder gar abstreitet, dann liegen dessen Intentionen offen, und zwar unmissverständlich: Es wäre besser, für den Weltfrieden und überhaupt hätte man seine Ruhe, würde es Israel erst gar nicht geben! Das ist das Eine.
     
    Das Andere, ein offenes Buch für die Analyse, ist genau der diese Intentionen überdeutlich hervortreten lassende flapsig überheblich negierende Umgang dieser eitlen, selbstverliebten autoerotischen Posierer wie zB, und zwar, wider besseren Wisses als reines Mittel zum Zwecke, eben dieses Strasser, mit fundiert wissenschaftlichen Erkenntnisen zum Antisemitismus: Was nicht sein darf, ist halt nicht, ganz einfach.
     
    Und noch etwas, die Zurückhaltung, die Unsicherheit einem israelischen Präventivschlag gegenüber ist vollkommen nachvollziehbar und verständlich, denn: Es ist die ultimative Aufgabe der Weltgemeinschaft unter der Führung von USA und UNO, Israels Existenz zu sichern. Und dabei haben einfach alle Optionen auf dem Tisch zu liegen, sprich: Nicht Israel wird es sein, das, wenn es wirklich keinen anderen Ausweg mehr gibt, iranische Atomanlagen zerstören muss, sondern jemand der dazu auch wirklich in der Lage ist.
     
    Wenn man aber auch hier versagen sollte, dann wird es bitter!
     
     
     
     

  5. Ich finde die Ausführungen, die gegen Herrn Grass gerichtet sind, für sehr überzogen.

    Dies um so mehr, wenn es hier in DE einen juristischen Verein (abgek.: GRUR) gibt, der bis zum heutigen Tag den NS-juristen Wolfgang Hefermehl ehrt (GRUR-Ehrenmitglied). Hefermehl war im Jahr 1938 für die Umsetzung der NS-Gesetze zur Entjudung der deutschen Wirtschaft zuständig.

    Dem GRUR-Verein gehören zahlreiche Landes- und Bundesrichter an, die nicht im Ruhestand sind. Der GRUR-Verein weigert sich, der Öffentlichkeit die Namen der aktiven Richter offen zu legen, die bisher geheime GRUR-Mitglieder sind.

    Beispielsweise ist der BGH-Richter (Patentanwaltssenat) Schaafhausen GRUR-Vizepräsident (Träger des Bundesverdientkreuzes). Ebenso der BGH-Richter Bornkamm(I. Senat) und der Fachbuchautor Fezer (Opus Magnum des Markenrechtes). Der GRUR-Verein steht unter speziellem Schutz der Bundesjustizministerin Frau LS, die zumindest vor Jahren GRUR-Mitglied war.

    Es ist völlig unverständlich, dass man so auf Herrn Grass „herumhackt“, aber gegen den GRUR-Verein und seine Altnazi-Verehrer nicht vorgeht.

  6. Wenn also Zimmermann den „Palästinakonflikt als „eigentlichen Konflikt“ sieht, dann ist er entweder ein Zyniker, dem Menschenleben überhaupt nicht bedeuten, denn in Syrien gibt es schon über 13000 Tode, gar nicht zu sprechen von den vielen Verletzten, und/oder aber einer der die Marktlücke Schuldumkehr in Deutschland entdeckt hat und der als AlibiIsraeli verschiedener Leute aus dem linken Spektrum tätig wird. Anständige Menschen brauchen keinen Alibi-Israeli.
    In Wien hat er sein Buch von einem Verlag herausbringen lassen, der auch das Buch des russisch-schwedischen Antisemiten „Israel Shamir“ – ein enger Freund von Horst Mahler – publiziert hat.
    Sag mir wer Dein Verleger ist und ich sage Dir wer Du bist.
     
     

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