30. Januar 1933: Generalstreik in Mössingen

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In dem Arbeiterdorf Mössingen, zwischen Reutlingen und Tübingen, fand am 31. Januar 1933, dem Tag nach der Machtübertragung an die Nazis, ein Generalstreik statt. Es war im ganzen Deutschen Reich der einzige organisierte Versuch die Katastrophe zu verhindern und die Nazi-Regierung gleich zu Beginn zum Rücktritt zu zwingen…

Eine Veranstaltung der VVN-BdA Ortenau und des DGB Südbaden-Hochrhein beschäftigte sich mit der Frage, warum gerade dort und sonst nirgends. Was war anders in Mössingen als anderswo?

Esther Broß

Die Frage beantwortete der Referent Fritz Güde als erste: Am wichtigsten war wohl die breite Verankerung der -wenigen- KPD-Mitglieder in einer breiten Struktur von Vereinen und Genossenschaften, die sich ganz betont auf die Tradition der Arbeiterbewegung bezogen, Arbeiterturnverein, Arbeiterradverein, Arbeitergesangsverein sowie genossenschaftliche Projekte.

Das genossenschaftliche Handeln zeigte sich ganz besonders bei dem Bau der Turnhalle, die im Jahr 1925 eingeweiht wurde. Mit dem Aufbau von Wohnungen und der Turnhalle sowie dem Konsumverein bewies die Bewegung, dass sie nicht nur fest am künftigen Ziel der Räterepublik festhielten, sondern auch in der erlebbaren Gegenwart Dinge zustande brachten, die sofort allen im Dorf zugute kamen. Zusammenfassend ließe sich sagen, dass in Mössingen die KPD genau die Hegemonie ausübte, von der Gramsci spricht. Einfach gesagt: Wenn etwas anlag, wusste jeder, an wen er sich zu wenden hatte – und das war in der Regel jemand, der der KPD zumindest nahestand. Ein Mössinger erzählt von einer Plakataktion in der Fabrik eines Nachbarortes. SA-Leute stehen an den Türen bereit, um den Klebenden das Kleben zu verleiden. Einem Genossen gelang es, durchs Fenster zu entwischen und in Mössingen zu alarmieren.

Erstaunlich die rasche Organisierbarkeit der Dorfmitglieder: eine Viertelstunde später hörte man Trappeln auf der Straße. Die Hilfe war da, die SA-Leute suchten das Weite – außer einem, den die Mössinger, wie es im Bericht heißt, nachdrücklich ermunterten, sich daheim sofort ins Bett zu legen. Was der -mit welchen Mitteln auch immer- Ermunterte bereitwillig versprach… Und das in einer Zeit ohne Handys… und nur einem einzigen für alle zugänglichen Telephon. Diese Hegemonie wurde möglich durch konsequente dauerhafte Tätigkeit innerhalb sämtlicher dörflicher Aktivitäten-Theater, Sport, “Lichtstuben” u.a..

Am Abend des 30. Januar findet in der Mössinger Turnhalle eine öffentliche Versammlung statt, am folgenden Morgen werden Flugblätter vor den Betrieben verteilt. Der Streikzug setzt sich um kurz nach Mittag von der Turnhalle aus in Bewegung, erreicht die großen Textilbetriebe am Ort und immer mehr Menschen schliessen sich an – um die 800 werden es. Da der Mössinger Streik eine isolierte Aktion blieb, konnte er auch noch am selben Nachmittag durch den Einsatz der Polizei beendet werden. Es folgten Verhaftungen und gegen 88 Männer und vier Frauen aus Mössingen und den Nachbargemeinden wurde wegen Aufruhr und Landfriedensbruch Anklage erhoben.

Die Diskussion wandte sich am Ende dem Problem des Streiks überhaupt zu. Es wurde herausgearbeitet, dass Streik und Streikrecht immer Fremdkörper im bürgerlichen Staat sind. Auch das im Lauf der Jahrzehnte erkämpfte Streikrecht wurde sofort in gesetzliche Zäune eingeschlossen, so eng wie möglich. Eine dieser Einschränkungen: nur die anerkannte Gewerkschaft darf zum Streik aufrufen. Deshalb auch ganz konsequent die Verurteilung der Beteiligten in den Jahren 1933 bis 1936 wegen Hausfriedensbruch, Landfriedensbruch. Entfällt die Hülle der Gewerkschaft, die alles abdeckt, erscheinen die einzelnen Handlungen der Beteiligten als einzelne Straftaten gegen das bürgerliche Recht. Deshalb gab es auch nach 1945 zunächst keine Haftentschädigungen. Die Verurteilungen waren noch nach Weimarer Recht erfolgt, kaum je mit Bezug auf das Ermächtigungsgesetz nach dem Reichstagsbrand. Erst in einem über zwei Instanzen, mit starker Unterstützung der VVN geführten Prozess (Prozessvertreter war der Kamerad Alfred Hausser), stellten Tübinger Richter in dem Urteil von 1953 fest, dass das Mittel des Generalstreiks, hätte es sich flächenweit durchgesetzt, wirksames Mittel gewesen wäre, die Regierung Hitlers lahmzulegen und zum Rücktritt zu zwingen. Auch so gesehen hat der Mössinger Streik vom 31. Januar 1933 mehr als eine lokale Bedeutung.

Übernommen aus der Stattzeitung für Südbaden (71, 08-03)

2 Kommentare

  1. „Dieser Artikel wurde am 15. Dezember 2005 in dieser Version in die Liste der lesenswerten Artikel aufgenommen.“
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    Wikipedia gibt den „Preis“ für:
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    http://de.wikipedia.org/wiki/Mössinger_Generalstreik
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    Oben steht zu lesen: “ … fand am 31. Januar 1933, dem Tag nach der Machtübertragung an die Nazis … “
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    Es gab einzelne Schlüsseltage, an denen der braune Spuk schlagartig hätte beendet werden können. Dieser Tag war einer, genauso wie der 1. September 1939, Tag des Angriffs auf Polen, zuvor evtl. der 9.11.1938 und vielleicht noch andere wie etwa ab 1933 die Reichsparteitage (die es seit 1923 gab), an denen das Regime sich mit allem anderen, nur nicht wie sonst mit der Überwachung der Bevölkeung beschäftigte.
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    „stellten Tübinger Richter in dem Urteil von 1953 fest, dass das Mittel des Generalstreiks, hätte es sich flächenweit durchgesetzt, wirksames Mittel gewesen wäre, die Regierung Hitlers lahmzulegen und zum Rücktritt zu zwingen.“
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    Hitler wäre uns und der Welt erspart geblieben, hätte das Beispiel Mössingen im ganzen Reich sofort Schule gemacht. Noch war die Opposition nicht zerschlagen, noch war die Arbeiterschaft mobilisierbar, – aber diese Gelegenheit wurde vertan und kam nicht wieder.
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    Eigentlich müssten die in Mössingen Beteiligten jedes Jahr wieder vom Bundestag öffentlich geehrt werden… bloß: wer ehrt schon KommunistInnen und anderes aufsässiges Proletenpack.
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    Wo kämen wir denn da hin.

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    Last uns Bitte anfangen zwei Stunden Geschichtsunterricht in den Schulen Bayerns über den Stammbaum von Hitler zu streichen, den es ist nicht wichtig ob er diese oder jene Vorfahren hatte. Dieser Unterricht ist Rassistisch, wichtig ist, wer hat diesem Verbrecher nach 1925 geholfen. SOS  SOS  SOS helfen Sie mit.
     

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