In vollem Wichs gegen Adorno

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Rechtsextreme machen kurz vor dem deutsch-völkischen Burschenschaftler-Ball in der Hofburg gegen die Kritische Theorie der Frankfurter Schule mobil…

Von Stephan Grigat

Wenige Tage bevor deutsch-völkische Burschenschaften in der Hofburg von der FPÖ-Prominenz und ihren europäischen Freunden am WKR-Ball beehrt werden, lädt in Wien die vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands als rechtsextrem eingestufte Österreichische Landsmannschaft zu einer bemerkenswerten Veranstaltung: „Eine Utopie zerstört die Realität: Die Frankfurter Schule“ lautet der Titel, unter dem sich am Mittwoch im Schulvereinshaus in der Wiener Fuhrmanngasse eine illustere Runde versammeln wird. Bernd Lindinger, der mehrere Jahre für die FPÖ im Bundesrat saß, will über den zersetzenden Einfluss jener Kritischen Theorie von Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Herbert Marcuse referieren, die auch schon den norwegischen Attentäter Anders Behring Breivik zur Weißglut getrieben hatte.

Zur Pflichtlektüre für rechtsradikale Akademiker und philosophierende Burschenschaftler gehört Rolf Kosieks mittlerweile in fünfter Auflage vorliegendes Machwerk Die Frankfurter Schule und ihre zersetzende Wirkung. Das Buch gewährt einen exemplarischen Einblick in die Gedankenwelt jener Leute, die am Freitag beim WKR-Ball im Sitz des Bundespräsidenten das Tanzbein schwingen werden. Kosiek outet sich als Antihedonist und führt aus, dass die Kritische Theorie mit der „Betonungen reiner Glücks- und Genussphilosophie“ im scharfen „Gegensatz zur Haltung der deutschen Tradition“ stehe, die sich über „diese niedere Sinnlichkeit“ weit hinaus hebe. Deutsch sei die Vorstellung, „dass der Sinn des Lebens vor allem im Erfüllen einer Aufgabe, einem Werk, in einer Pflicht beruht, und nicht im platten Glücksstreben.“ Die von der Kritischen Theorie betriebene „Umerziehung“ sei so erfolgreich gewesen, dass Deutschland heute keine „Volksgemeinschaft“ mehr sei und „Fremde“ ungehindert „in den deutschen Volkskörper in Millionenanzahl einströmen“ könnten.

Auch in der Monatszeitschrift der NPD bekommt man zu lesen, dass Adorno ein „bis in unsere Tage nachwirkendes Zersetzungswerk“ geschaffen habe und die Kritische Theorie ein „Giftfraß“ sei, „der die inneren Organe und das Gehirn des deutschen Volkskörpers angreifen sollte.“ Schon 2004 hielten rechtsradikale Burschenschaften und Freiheitliche, die sich in einer Arge Konrad Lorenz zusammengeschlossen hatten, in Wien ein Symposium unter dem ernst gemeinten Titel „Frankfurter Schule – die 9. Todsünde“ ab. Die Burschenschaftler sahen es offensichtlich als eine Art Outing an, als sie die Kritische Theorie als „Verbindung von Neomarxismus und Psychoanalyse“ charakterisierten. Gerade die Verbindung von gesellschaftskritischer und individueller Selbstreflexion prädestiniert die Kritische Theorie zum Hassobjekt der Rechtsradikalen. Und zwar aus dem gleichen Grund, den Adorno als Grund für den Hass auf die Psychoanalyse erkannte: „Der Haß auf die Psychoanalyse ist umittelbar eins mit dem Antisemitismus, keineswegs bloß weil Freud Jude war, sondern weil Psychoanalyse genau in jener kritischen Selbstbesinnung besteht, welche die Antisemiten in Weißglut versetzt“, schrieb er 1959.

Dass Antisemiten und Rechtsradikale die Vertreter der Frankfurter Schule besonders inbrünstig hassen, bedarf keiner großartigen Erklärung. Durchaus bemerkenswert ist allerdings, dass sie ihren Hass in einem Augenblick kundtun, da Kritische Theorie, sei es auf den Universitäten, sei es im Feuilleton, nur mehr unter ferner liefen abgehandelt wird. Adorno und Horkheimer zogen zeitlebens jene Ressentiments auf sich, denen sich auch heute alle sicher sein können, die kritische Einwände gegen die bestehende Ordnung und ihre scheinbaren Antagonisten in der real existierenden Linken formulieren. Kritische Theorie sieht sich gegenwärtig keineswegs allein mit Rechtsradikalen aus dem miefigen Burschenschaftlermilieu konfrontiert. Im Feuilleton und auf den Universitäten wird Adorno heute gerne als irgendwie beeindruckende, aber leider etwas überempfindliche Geistesgröße abgetan. Der universitäre Mainstream hält Kritische Theorie für „veraltet“. Den postmodernen Meisterdenkern gilt Adorno schon deswegen als totalitär, weil er von gesellschaftlicher „Totalität“ spricht. Und der post-68er Linken gilt Kritische Theorie als abgehobene, blutleere und praxisfeindliche Philosophie und Adorno und Horkheimer allein auf Grund ihrer Sympathie für Israel und für die USA als Verräter. In dieser Frage dürften sich gar nicht so wenige jener Demonstranten, die am Freitag verständlicherweise gegen den deutsch-völkischen WKR-Ball protestieren werden, mit den nationalen Tänzern in der Hofburg einig sein.

Stephan Grigat ist Lehrbeauftragter an der Universität Wien und Herausgeber von „Postnazismus revisited. Das Nachleben des Nationalsozialismus im 21. Jahrhundert“ (ça ira: Frühjahr 2012).

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