Der Oberste Gerichtshof braucht Richter wie Sohlberg

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Im Kampf gegen die Berufung des Richters Noam Sohlberg an den Obersten Gerichtshof wurde so viel Scheinheiligkeit und fremde Interessen aufgefahren, dass es schwer ist zu entscheiden, womit man anfangen soll…

Von Yuval Albashan

Vielleicht ist es richtig, mit dem anzufangen, was schon eine allgemein anerkannte Aussage zu sein scheint: Unser Oberster Gerichtshof befindet sich an einem ungekannten Tiefpunkt, und das liegt vor allem daran, dass es keine „echten“ Obersten Richter mehr gibt. Zwar sind alle Posten besetzt, doch viele von denen, die sie besetzen sind nicht mehr als sehr hohe Angestellte der israelischen Rechtsindustrie. Sie lassen die juristische Größe vermissen, die allein einen Richter zum Obersten Richter macht.

Was also ist diese juristische Größe? Juristisches Wissen, Entscheidungsstärke und Schreibtalent allein reichen nicht aus. Sie sind notwendig, doch nicht ausreichend. Die Frage ist, was dieses „Zusätzliche“ ist, das man braucht, um als Richter die Grenzen des juristischen Gebiets zu verlassen und die öffentliche Sphäre zu betreten und auch dort Einfluss zu nehmen. Ein Blick auf die Obersten Richter, denen dies gelungen ist, zeigt, dass alle zusätzlich zu den grundsätzlichen Fähigkeiten auch ein eigenständiges kritisches Denkvermögen und den Mut besaßen, vor der gerade herrschenden Hegemonie nicht einzuknicken. Es liegt in der Natur der Sache, dass es sich hierbei um Richter handelte, die denen ein Dorn im Auge sind, die daran gewöhnt waren, die einzigen zu sein, die Maßstäbe setzen und Recht haben. Doch nur so erfüllt das Oberste Gericht sein eigentliches Ziel.

Eine Betrachtung der Urteile Sohlbergs zeigt, dass er einer dieser Richter ist. Dies ist in einer Zeit, in der das Rechtssprechungssystem vor allem durch seine Farblosigkeit auffällt, nicht zu vernachlässigen. Heute sind die Kandidaten, die aus den Universitäten und auch aus dem Apparat selbst kommen, vor allem solche, die sich bemühen, niemanden zu verärgern, der gegen ihre Berufung sein könnte.

Da ist zum Beispiel Sohlbergs Urteil im Fall Shmuel Yehezkel, das so häufig kritisiert worden ist. In dem Fall wurde der Grenzschutzpolizist vom Totschlag eines Palästinensers freigesprochen, weil Sohlberg (wie auch die Staatsanwaltschaft) überzeugt war, er habe sich bedroht gefühlt und aus einem Gefühl der Selbstverteidigung heraus gehandelt. Sohlberg beschränkte sich nicht darauf (wie es viele andere getan hätten, die es vorziehen, so wenig wie möglich Entscheidungen zu treffen), sondern legte auch fest, dass es die Pflicht des Soldaten, der geschossen hatte, war, sich nicht zurückzuziehen. Ein Soldat sei verpflichtet, gegen einen Angreifer vorzugehen, wenn er dazu die Möglichkeit hat und dürfe nicht um sein Leben rennen. Ich widerspreche dieser Interpretation aus vollem Herzen, doch es ist schwer, sie in ihrer Klarheit zurückzuweisen. Es bestehen hier keine Hintertürchen, die den einfachen Soldaten gelähmt auf dem Feld zurücklassen, ohne, dass er weiß, wie er handeln soll. Im Gegensatz zu dem sonst Üblichen, hat sich Sohlberg nicht hinter komplizierten Ausführungen versteckt, sondern die Verantwortung auf sich genommen, wie es ein Richter tun sollte, wenn er ein Urteil spricht.

Dieses Urteil repräsentiert nicht nur seine (meiner Meinung nach konservative) Weltsicht, sondern auch seinen Mut. Ich habe noch nie persönlich mit Sohlberg gesprochen, doch ich kann mir vorstellen, dass er im Vorhinein wusste, dass diese Rechtsprechung in unserer juristischen, aus demselben pseudo-liberalen Holz geschnitzten Elite nicht ertragreich sein würde – besonders, da es sich um das Urteil eines Siedlers mit Kippa handelt. Mehr als das – als jemand, der von innen mit der Arbeitsweise dieses Systems vertraut ist, nehme ich an, dass ihm klar ist, dass wenn er sich nur der einheitlichen herrschenden Meinung angepasst hätte, er schon längst im Obersten Gerichtshof säße. Schließlich könnte man hier einen Posten mit einem religiösen Siedler besetzen, was scheinbar die Offenheit und Aufgeklärtheit der Methode unter Beweis stellen würde.

Den Mut, hinter seiner abweichenden Meinung zu stehen, auch wenn der persönliche Preis hoch ist, brauchen wir im Obersten Gerichtshof mehr als je zuvor. Die Fortsetzung der Berufung von Kandidaten ohne originelle Meinung und ohne Mut, kann zu einer Verkümmerung des Rechtssystems führen, zur Freude der antidemokratischen Kräfte, die hier bereits ihren Kopf heben.

Der Autor ist Rechtsanwalt und gesellschaftlicher Aktivist.

Haaretz, 21.11.11, Newsletter der Botschaft des Staates Israel

2 Kommentare

  1. Den herzerquickenden, Mut machenden (wem?)  Artikel, den die Israelische Botschaft in Berlin in ihrem Newsletter brachte, hat haGalil bestimmt nicht übernommen in der Hoffnung auf zustimmende Kommentare :-(.
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    Zitat daraus: 
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    „Schließlich könnte man hier einen Posten mit einem religiösen Siedler besetzen, was scheinbar die Offenheit und Aufgeklärtheit der Methode unter Beweis stellen würde.“
    Wird auch Zeit. Der sich endlich gegen die unerträgliche Praxis des Gerichtshofs stemmen würde, gelegentlich (nicht zu oft, damit niemand anfängt, auf die eigentlich selbstverständliche Unparteilichkeit einer solchen Institution zu vertrauen) auch palästinensischen AraberInnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
    Israel braucht noch viel mehr solche Sohlbergs, überall im Land in allen Schlüsselpositionen. 
    Es geht schließlich wirklich nicht länger an, dass es sich noch immer krass von den Nachbarn unterscheidet in der dort längst vorexerzierten und praktizierten engen Zusammenarbeit der Justiz mit jener militanten Geistlichkeit und ihren AnhängerInnen, der die Worte Demokratie und Gewaltenteilung samt  ihrem Gelebtwerden eine unheilvolle Erfindung westlicher Dekadenz sind. Mehr Harmonie mit den üblichen nahöstlichen Gepflogenheiten tut Not, dann kommt der so sehr ersehnte Frieden mit allen Nachbarn von ganz allein.

  2. Ich stimme dem Autor voll zu. Wer, wenn nicht ein Oberstes Gericht, braucht unabhäbgige Persönlichkeiten.
    Es ist wohl noch ein weiter Weg, bis diese Haltung Anerkennung und Respekt findet.
    In den USA spricht man noch heute von Richter Oliver W. Holmes als „the great dissenter“.

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