Neulich am Toten Meer

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„Sag mal, bist du eigentlich enttäuscht?“, fragte ich diese Woche das Tote Meer. „Ach, ist doch egal“, antwortete es. „Ich habe eh nicht dran geglaubt. Wenn noch nicht mal Amos Oz den Nobelpreis kriegt, was soll ich mich dann schon beschweren?“ „Komm, jetzt sag schon“, sagte ich zum Toten Meer. „Ich bin´s, Regev, wir kennen uns ja schon ne Weile, ich hab mich schon als kleiner Junge Ende der Siebziger auf dir treiben lassen, als hier noch die Hippies rumrannten. Lass es raus“…

Von Regev Contes

„Was soll ich schon sagen“, sagte es schließlich, „Ist doch klar, dass ich frustriert bin. Es ist ja nicht nur, dass ich nicht gewonnen habe, hast du gesehen, wer alles drin ist? Der Tafelberg in Südafrika. Toll, ein ganz normaler Berg, nur dass er anstelle von einem Gipfel oben platt ist. Na super! Die Iguazú-Wasserfälle in Argentinien, stimmt schon, das sind super Wasserfälle, wirklich klasse, aber der Puerto Princesa Subterranean River auf den Phillippinen? Echt, ey! Ein Fluss, der auf der einen Seite in einen Tunnel reinfließt und auf der anderen wieder raus kommt. Mehr hat er nicht drauf, ich schwör´s dir! Und ich, ich bin am tiefsten Punkt der Erde, das salzigste Meer der Welt und dann noch ein super biblischer Ort, und wer wird dann im Endeffekt gewählt? Indonesische Inseln und n paar Eidechsen? Bei mir hier gibt´s Fliegen, die sind so groß wie n Hund, und hast du mal gesehen, dass ich versucht hab, die wegzuwedeln? So eine Scheiße, sind doch alles Antisemiten.“

„Totes Meer? Geht´s Dir gut?“, fragte ich misstrauisch. „Ja, mir geht´s gut, tschuldigung, mir ist nur das Salz kurz zu Kopf gestiegen, jetzt beruhig ich mich wieder, hast ja Recht. Man muss auch mit Würde verlieren können, es tut mir wirklich leid, und ich wünsche allen Gewinnern nur das Beste und gute Besserung an alle, die verletzt wurden“.

„Es muss dir nicht leidtun“, sagte ich. „Ist doch normal, dass man frustriert ist, du hattest es nicht weniger verdient als die anderen.“ „Mal ganz ehrlich“, sagte er leise, „sorry, dass ich es nochmal sage, aber es ist so was von beleidigend, ich bin am tiefsten Punkt der Erde und am salzigsten und n biblischer Ort, und das ist für die kein Wunder? Sag du´s mir, ist das kein Wunder?“

„Ein Wunder. Es ist ein Wunder, dass überhaupt noch was von dir übrig ist“, antwortete ich ruhig und versuchte, ihn nicht noch mehr aufzuregen. „Du hattest ja echt kein leichtes Leben, vor allem nicht in letzter Zeit. Ich wollte dich mal fragen, aber jetzt sag mal ehrlich – bist du sauer auf mich oder so?“

„Nicht auf dich persönlich“, antwortete er nach einem längeren Schweigen. „Ich weiß, dass du eigentlich o.k. bist, du hast auch für mich ne SMS geschickt, jetzt bist du zu Besuch gekommen, außerdem hast du auch nicht ohne Genehmigung Phosphate entnommen, aber tacheles, ja, ich bin schon ein bisschen sauer auf die Leute hier“.


Installation Spencer Tunicks am Toten Meer (Foto: S. Tunick)

„Warum“, fragte ich. „Was, warum?“, ärgerte er sich. „Ihr redet jetzt schon 200 Jahre darüber, dass ihr mir irgendsonen Kanal für die Wasserzufuhr vom Roten Meer oder Schwarzen Meer oder was weiß ich bauen wollt. Aber das ist alles nur Gerede. In Wirklichkeit macht ihr meine ganze schöne Form kaputt. Einen ganzen Meter verliere ich im Jahr! Und ich bin doch eh schon niedrig. Und mit den Mineralien, da raubt ihr mir echt die Seele, das macht alles kaputt. Die Hotels stehen bald schon im Wasser drin, so nah kommen die. Und das verrückteste, was ich echt nicht verstehe, ist, woher überhaupt das ganze Interesse kommt, es kommt ja doch nix dabei rum. Ich hab irgendwo gelesen, dass eure Regierung da irgendeine Abgabe bekommt, aber die ist ja lächerlich klein. Ein Abgäbchen. Und das ist frustrierend, denn mal ehrlich, ich hab hier Gott überlebt, Sodom und Gomorra – und die Brüder, wie heißen die noch mal, bringen mich jetzt zu Fall?“

„Totes Meer, weinst du?“, fragte ich ängstlich. „Nein, lass nur, ich hab nur n bisschen Salz ins Auge gekriegt. Es wird einfach zu viel abgepumpt – und die Schlucklöcher…“

Ich wusste nicht mehr, was ich noch sagen sollte. Schnell warf ich den schwarzen Schlamm zurück, den ich vorher genommen hatte. „Nimm, nimm, ist schon o.k.“, sagte es und wischte sich die Tränen ab. „Davon hab ich genug. Viel Spaß damit.“

„Danke“, sagte ich, packte den Schlamm in eine Tüte und schwieg. Wir schwiegen lange. „Aber diese Nacktfotos von Spencer Tunick letzten Monat, da haben wir dir doch mal richtig was Gutes getan, oder?“, versuchte ich es noch einmal.

„Lass gut sein“, lächelte er widerwillig. „Ich hab da nichts gesehen, was ich nicht schon in Sodom gesehen hätte. Ein paar waren ganz süß, aber ich bin jetzt auch nicht mehr so in dem Alter. Du siehst mir aus wie ein guter Junge, einer von uns, klein und bitter, lass dir von mir nicht die Laune verderben, nimm den Schlamm, lass dich ein bisschen treiben und geh nach Hause. Sag nur den Großen da oben, dass sie mal n bisschen den Fuß vom Gas nehmen könnten. Sag ihnen, ich hätte gesagt, dass auch das Tote Meer ein Recht auf Leben hat“.

Haaretz, 18.11.11, Newsletter der Botschaft des Staates Israel

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