„Herr Lehrer, warum wurde er ermordet?“

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16 Jahre Ermordung Yitzhak Rabins…

Von Yossi Klein

Wenn jemand ermordet wurde, wissen normalerweise alle, wo es geschehen ist, wann und warum. Über die Ermordung von Ministerpräsident Yitzhak Rabin wissen heutige Schüler nur, dass es vor 16 Jahren geschehen ist, sie wissen auch wo – aber sie wissen nicht, warum es passiert ist. Die meisten von ihnen sind nach dem Mord geboren. Sie werden in diesem Jahr wie in jedem Jahr wieder in weißen Hemden auf dem Schulhof stehen, wieder über den Mord hören und werden wieder nicht erfahren, warum Rabin ermordet wurde.

Was wissen 15-Jährige über Rabin? Dass er Ministerpräsident und Oberster Befehlshaber der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte war, dass er im Palmach gekämpft hat, dass wir seinem Erbe verpflichtet sind (auch wenn es schwer ist zu sagen, worin dies genau besteht). Und was wissen sie über den Mord? Gut, das ist einfach, Yigal Amir hat Rabin bei einer Friedenskundgebung auf dem Rabin-Platz ermordet. (Was, damals hieß der Platz noch gar nicht so?) Warum hat er ihn ermordet? fragen die Schüler, und die Lehrer blättern in den Handreichungen des Erziehungsministeriums und antworten kurz: Weil Amir gegen den Friedensprozess von Rabin war.

Was war der Friedensprozess? fragt vielleicht noch ein besonders nerviger Kleiner, und dann beeilt man sich, ihn zum Schweigen zu bringen und zur Demokratie überzugehen, zur Solidarität und der Gefahr, die im Bruderhass liegt. Der Friedensprozess? Was weiß schon der Lehrer über den Friedensprozess? Wer dafür war. Und wer dagegen. Was weiß der Lehrer über das Osloabkommen?

Das Bildungssystem macht den Eltern immer wieder Vorwürfe: Die Erziehung müsst ihr schon zu Hause erledigen, die Bildung überlasst ihr besser uns. Doch wenn es um Rabin geht, ist der Ansatz umgekehrt: Wir erziehen und ihr bildet. Wir erziehen zur Demokratie, zur Toleranz und zur Gewaltlosigkeit und ihr? Ihr macht, was ihr wollt, denn alles andere ist Politik. Und die Politik fassen wir nicht an.

Das ist ein Fehler. Die Politik ist Teil historischer Prozesse. Die Politik Rabins ist ein Kapitel der Geschichte. Wenn die Schule dieses Kapitel aus dem Lehrplan streicht, dann vernachlässigt sie ihre Aufgaben. Wie kann man zu einer toleranten Diskussionskultur in einer demokratischen Gesellschaft erziehen, wenn die Schüler gar nicht wissen, worum sich eigentlich die Diskussion dreht?

„Wir wollen keine Politik in die Schulen tragen“, erklären die Erziehungsminister uns seit jeher. Aber die Erziehungsminister sind politische Persönlichkeiten. Sie wissen, dass die 15-jährigen Schüler von heute die Wähler von morgen sind. Sie sehen die unschuldigen Kinder, die in der Klasse eingesperrt sind, an die Lehrer gefesselt, die wiederum an die Handreichungen des Erziehungsministeriums gebunden sind, und es fällt ihnen schwer, sich zurückzuhalten – sie nutzen die Gelegenheit, sie auf ihre Spur zu leiten.

In den Schulen wird gelehrt, in der Spur zu bleiben. Heute neigt sich die Spur ein wenig mehr nach rechts, an anderen Tagen mehr nach links; damals wie heute wird auf dem Rücken der Schüler gepflügt. Man muss zugeben: Es ist den Erziehungsministern gelungen. Die Schüler glauben ihnen. In einer Umfrage des Israelischen Instituts für Demokratie aus dem Jahr 2004 stellte sich heraus, dass die israelische Jugend sehr viel Wert darauf legt, in der Spur zu gehen, die ihr vorgegeben wurde, dass sie „mehr als die Erwachsenen formalen Institutionen wie der Knesset, den Parteien und der Gewerkschaft Glauben schenkt“.

Und dann wundert man sich noch, dass die Jugend gleichgültig ist. Wer gleichgültig ist, stellt keine Fragen, er verlässt sich auf den, der oben sitzt, und für einen denkt. Oben sitzt der Erziehungsminister, der Politiker ist. Er sagt, dass er keine Politik im Bildungssystem will, doch sie schleicht sich in die Handreichungen ein, die sein Ministerium verteilt. Aus den Handreichungen geht hervor, dass Amir ein Einzeltäter war, ein Mörder. Er repräsentierte nur sich selbst und seine verrückten Ansichten, und daher besteht keine Notwendigkeit, den Schülern zu erklären, dass nur wenige seinen Mord guthießen, seine Ansichten aber von vielen geteilt wurden.

Der gegenwärtige Erziehungsminister hat verfügt, dass der Rabin-Gedenktag, der nächste Woche stattfinden wird, „in stiller Trauer zu begehen ist und großer Brüderlichkeit“. Dann wird in stiller Trauer von Gewalt und Solidarität gesprochen werden. Und das Lied über den Kapitän (nach „Oh Captain, my Captain“ von Walt Whitman), wird so oft gespielt werden, dass man auf die Idee kommen könnte, es habe sich nicht um einen Mord gehandelt, sondern um ein Schiff, dass gesunken ist.

Die Überschrift der Handreichung für die nächste Woche lautet: „Ein li eretz acheret“ (Ich habe kein anderes Land). Damit könnte man genauso gut jeden anderen Gedenktag überschreiben, und sie würde auch zu Mahatma Gandhi, Golda Meir oder Neomi Shemer passen.

Was kümmert mich schon eine Überschrift, sagt da der 15-Jährige. Ich bin doch sowieso gleichgültig. Die Gleichgültigkeit erfüllt das Erziehungsministerium mit Sorge, obwohl es selbst dafür verantwortlich ist. Am 14. Jahrestag der Ermordung standen die Gedenkfeiern unter dem Motto „Von der Gleichgültigkeit zum Engagement“. Wenn man eines Yigal Amir nicht vorwerfen kann, ist es sicherlich mangelndes Engagement.

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