Raketenhagel auf Israel, Angriffe auf Gaza

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„Toll, großartig, geil, au weia, da ist wohl was passiert, schön, reines Feuerwerk, alle Ehre, wow“. Voller Entzückung filmt Scharon Ackermann in Beer Schewa das Schauspiel am schwarzen Nachhimmel und kommentiert…

Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 21. August 2011

Erst heult die Luftschutzsirene und dann sieht man weiße Schweife aufsteigen, die wegen der wackelnden Kamera wie Würmer aussehen. Bum. Am Himmel trifft ein weißer Schweif und lässt kurz einen gelbroten Stern aufleuchten, also eine abgeschossene Gradrakete. Bum. Alarmanlagen von Autos gehen los. „Mensch, bin ich stolz, das alles mit meiner Kamera eingefangen zu haben“, schreibt Ackermann auf Hebräisch zu seinem 2:43 Minuten langen Filmchen, das er ins Internet hochgeladen hat.

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=oQqXkVgU37o[/youtube]

Innerhalb weniger Minuten hagelten sechs Gradraketen auf Israels südlicher Großstadt Beer Schewa nieder. Es gab einen „überflüssigen“ Toten, während Ärzte noch um das Leben einer jungen Frau kämpfen. Zwei Kinder erlitten schwere Verletzungen nach einem Volltreffer auf ihr Haus, das kurz darauf in Flammen aufging.

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=957rjKpZmZY[/youtube]

Israels vielgelobtes Abwehrsystem „Stahlkappe“ fängt nur einen Teil der Gradraketen aus dem Gazastreifen ab. Das sind längst keine „selbstgebastelte“ Kurzstreckenraketen mehr, sondern im Iran weiterentwickelte 122 mm Mittelstreckenraketen auf der Basis der alten sowjetischen „Stalinorgeln“ des Zweiten Weltkriegs. Mit einer Reichweite von 70 Kilometern sorgen sie seit Donnerstag dafür, dass etwa eine Million Israelis in Luftschutzkellern ausharren. „Nur wer sich aus Neugierde auf die Straße gewagt hat, wurde getroffen und das ist überflüssig“, schimpfte Polizeiminister Yitzhak Aharonovich in die stundenlang live aus Beer Schewa in alle Haushalte sendenden Fernsehkameras. Im Rundfunk werden sogar Reklamespots unterbrochen, wenn es „Rote Farbe, Rote Farbe“ gibt, das Codewort für einen Raketenangriff. Innerhalb von 50 Sekunden müssen die Menschen im Umkreis von 70 Kilometern rund um den Gazastreifen dann einen sicheren Ort, etwa ein Treppenhaus finden, oder sich „auf den Boden werfen und die Hände schützend über den Kopf halten“.

Der Schlagabtausch begann am Donnerstag Mittag. Mutmaßlich 20 Mitglieder der extremistischen, El Kaeda nahen, „Populären Widerstands-Kommittees“ (PRC) aus dem Gazastreifen hatten sich schon vor einem Monat in die Sinaihalbinsel begeben und mehrere gleichzeitige Attacken auf die grenznahe Landstraße Nr 12 nach Eilat geplant. Der israelische Geheimdienst wusste von den Plänen, aber nicht genau, wann sie zuschlagen würden. In der Nacht zum Donnerstag lagen nach Eilat verlegte Spezialeinheiten im Hinterhalt. Am Morgen verließen sie ihre Posten. Niemand hätte gedacht, dass die „Terroristen“ (in internationalen Medien auch „Bewaffnete“, „Angreifer“, oder „Extremisten“ bezeichnet) am helllichten Tag zuschlagen würden, als ägyptische Polizisten verkleidet, von einem ägyptischen Grenzposten aus.  Die „Bewaffneten“ hatten Panzerfäuste, Sprengfallen, Mörsergranaten und Maschinengewehre mitgebracht. Geplant waren Selbstmordattentate, Schüsse auf Linienbusse und Autos von Urlaubern, Sprengfallen gegen Militärfahrzeuge und Ambulanzen sowie Geiselnahmen israelischer Soldaten und Zivilisten. Dafür standen Autos auf der ägyptischen Seite im Sinai bereit. Gemäß israelischen Geheimdiensterkenntnissen diente der Angriff der Hisbollah auf eine israelische Militärpatrouille am 12. Juli 2006 als Vorbild. Damals wurden zwei Soldaten nach Libanon entführt. Das war der Auslöser des Zweiten Libanonkrieges.

„Ich sah, wie Männer in ägyptischen Tarnuniformen auf meinen Bruder Mosche und auf meine Schwägerin Flora schossen. Dann erledigten sie beide mit finalen Todesschüssen aus Null Distanz“, erzählte Dani Gez. Er fuhr hinter seinem Bruder her und konnte sich trotz angeschossener Reifen retten. „Ich musste untätig zuschauen, wie sie umgebracht wurden, sonst würde auch ich jetzt begraben werden.“

Die israelische Regierung erteilte den Militärs grünes Licht, noch im Laufe der „rollenden Anschlagsserie“ ein Haus in Rafah im Süden des Gazastreifens gezielt zu bombardieren, wo sich die Spitze der PRC versammelt hatte um die Anschlagsserie zu leiten. Das allein zeigt, wie gut die Israelis informiert waren.

So begann ein „Zermürbungskrieg“, wobei sich möglicherweise auch die regierende Hamas am Beschuss Israels mit etwa 100 Raketen beteiligte, während die israelische Luftwaffe neben Waffenfabriken auch gezielt Befehlshaber palästinensischer Kämpfgruppen und Raketenschützen in ihren Stellungen abschoss. Ausgerechnet in der Nacht zum Sonntag, als Beer Schewa und Aschdod unter gezielten Raketenbeschuss genommen wurde, gab es keine israelischen Angriffe auf den Gazastreifen. „Warum schweigt die israelische Armee jetzt, wo wir getroffen werden, während sie vorher mit ihren Angriffen die Raketenangriffe provoziert hatte“, fragte erbost ein Mann aus Beer Schewa. Am Sonntag Morgen ging der Raketenbeschuss weiter. Die Turnhalle einer Schule wurde getroffen. Wegen der Sommerferien wurde niemand verletzt oder getötet. Insgesamt explodierten allein am Sonntag Morgen jeweils 8 Raketen in Beer Schewa und in der Hafenstadt Aschdod. Am Sonntag Mittag attackierte erneut die israelische Luftwaffe in Beth Lahija, im Norden des Gazastreifens. Zudem verhaftete Israel über 120 Hamasaktivisten in der Gegend von Hebron im Westjordanland.

Dieser Kleinkrieg werde noch „einige Tage“ weitergehen, meinten israelische Experten und Politiker.

(C) Ulrich W. Sahm / haGalil.com

7 Kommentare

  1. Mehr als 20 Raketen über Nacht auf israelisches Gebiet
    „Palästinensische Terroristen aus dem Gaza-Streifen haben heute Nacht erneut über 20 Raketen auf israelisches Gebiet abgefeuert. Die Raketen detonierten im Bezirk Otef Aza, in Ashkelon, in Ofakim und in Beer Sheva. In Ashkelon wurde ein Säugling von Raketensplittern verletzt, als eine Rakete in ein Wohnviertel einschlug.“
    „Die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (ZAHAL) haben daraufhin im nördlichen und südlichen Gaza-Streifen Ziele angegriffen, die als Basis für terroristische Aktivitäten dienen. Unter anderem wurden dabei ein Munitions- und Waffenlager sowie ein Tunnel und eine Waffenfabrik getroffen. Die Tunnel dienen dazu, Terroristen nach Israel einzuschmuggeln und Terrorakte gegen israelische Zivilisten und Soldaten durchzuführen. Die Luftwaffe griff außerdem eine Gruppe von Terroristen an, die gerade weitere Raketen auf israelisches Gebiet abfeuern wollten.“
    (Israelische Verteidigungsstreitkräfte, 25.08.11)

  2. Erneut Raketenbeschuss im Süden

    „Terroristen aus dem Gaza-Streifen haben heute Morgen erneut eine Rakete auf israelisches Gebiet abgefeuert. Sie detonierte in der Region Eshkol. Später flog die israelische Luftwaffe einen Angriff auf eine Stellung, von der gerade weitere Raketen abgefeuert werden sollten.“
    „Früher am Morgen hatte die Israelische Luftwaffe einen Angriff geflogen, bei dem ein Terrorist des „Islamischen Dschihad“ getötet worden war.“
    „Israel hat formal Beschwerde bei den Vereinten Nationen zur Eskalation im Süden eingelegt. Der Botschafter Israels bei den UN, Ron Prosor, verurteilte besonders, dass es der Sicherheitsrat unterlassen habe, die Anschlagsserie vom vergangenen Donnerstag zu verurteilen, bei der acht Menschen getötet worden waren.“
    „Prosor wies in seinem Brief darauf hin, dass der von der Hamas regierte Gaza-Streifen weiterhin eine Bastion für terroristische Aktivitäten sei. Er fügte hinzu, dass in den letzten Tagen über 100 Raketen auf Israel abgefeuert worden seien.“
    (Jerusalem Post, 24.08.11)

  3. Die Raketen, die von Gaza aus Wohngebieten (Zivilbevölkerung dient als Schutzschild vor Gegenangriffen)  heraus auf Israel abgefeuert werden sind technisch gesehen dumme und einfach gebaute Raketen und sie sind billig in der Herstellung. Allerdings reicht die Sprengkraft aus, um Tod und Verwüstung zu bringen. Das nicht mehr passiert, liegt einfach daran, dass der Negev dünn besiedelt ist, mit zunehmender Steigerung der Reichweite die Zielgenauigkeit abnimmt. Die Schützen haben das Problem, dass sie sich auf das Ziel einschießen müssen. Deshalb die Bitte des israelischen Militärs keine Einschlagsbilder womöglich noch mit Google-Koordinaten ins Netz zu stellen. Je weniger die Hamas über Einschläge erfährt, umso geringer ist die Trefferwahrscheinlichkeit für bewohnte Gebiete. Ich kann jetzt nicht die Vorwarnzeit für Beer Sheba abschätzen, doch erscheinen mir 50 s eher lang. Vor zwei Jahren sah ich eine Rakete von Gaza in Richtung Beer Sheba fliegen während ich auf dem Weg nach Sderot war. Man sieht da nicht viel außer diesen silbernen Punkt am Himmel (sieht genauso aus wie auf dem Foto oben).

    Zum Abwährsystem: Man darf zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht viel erwarten. Letztes Jahr hatten wir ein eher ruhiges Jahr mit wenig Beschuss und somit konnte das System nicht ausreichend auf seine Praxistauglichkeit geprüft werden. Das System soll diejenigen Raketen durchlassen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht auf Ortschaften niedergehen werden. Die potentiell gefährlichen Raketen sollen runtergeholt werden. Das ist schwerer als gesagt, denn die Kassam- und Gradraketen sind relativ kleine Körper. Es gilt, je größer die Fläche des Körpers um so größer die Trefferwahrscheinlichkeit (deshalb sterben beim Fronteinsatz  große Soldaten häufiger als kleine). Man wird nun die ganze Sache technisch erstmal auswerten. Dann gehen die Gespräche mit den Herstellern wegen techn. Nachrüstung los. Wünschenswert wäre der Zustand, dass das System funktioniert und den Hitzköpfen in Gaza klar wird, dass der Beschuss nichts bringt.

  4. sehr treffender artikel! es kommt einem sowieso sehr spanisch vor alles, ich denke diese raketenangriffe und gegenangriffe sind reines kalkül.
    hinter verschlossenen türen verhandeln hamas und israel doch schon seit jahren, enge vertraute von netanyahu und haniya waren zig mal in ägypten um sich dort zu treffen.
    in dem punkt eine absolute blamage und verlust von glaubwürdigkeit der hamas und israel. hamas verhandelt mit dem angeblichen überfeind israel, und die israelis die ja „nicht mit terroristen verhandeln“ tun dies doch, und das seit jahren…
     
    es wär alles nicht so schlimm, wenn bei diesen kämpfen keine menschen zu schaden kämen…und letztendlich hat niemand einen nutzen, wenn raketen nach israel fliegen oder gaza stadt wieder brennt…

  5. Sehr geehrter Herr Sahm,
     
    die von Ihnen genannten Raketen heißen nicht „Grad-Raketen“, sondern Gadraketen. So ein Fehler hätte Ihnen als internationalen Journalisten nicht passieren dürfen.
    Gad-Raketen -offizielle Bezeichnung BM-21 – sind ein russisches Mehrfachraketenwerfersystem, welches die russische Armee seit 1963 benutzte und mittlerweile ausgemustert hat. Siehe Wikipedia und Lexikon der internationalen Militärgeschichte.
    Freundlicher Gruss
     
    U. Koch

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