Radioaktive „Bio-Fliegen“

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„Unkraut und Plagen kennen keine Grenzen.“ Das sagt Sami, ein Druse Sami von den Golanhöhen vor Journalisten am Warenterminal Tarkumijeh zwischen Israel und dem Westjordanland. „Die Wiener Atombehörde IAEA fördert deshalb ein Entwicklungsprojekt, von dem israelische wie palästinensische Bauern profitieren“…

Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 29. Juli 2011

Im Rahmen des Projekts „Fliegen ohne Grenzen“ exportiert Israel jede Woche zwischen zwei und drei Millionen radioaktiv sterilisierte Fliegenmännchen, sagt Sami im Kreise israelischer Offiziere. Auf die Frage, wie denn die Israelis so viele Fliegen einfangen, um sie zu sterilisieren, lacht sogar Sami: „Natürlich nicht mit Schmetterlingsnetzen“. Die „Bio-Fliegen“ werden im Kibbutz Sdeh Elijahu gezüchtet, seit 2005 mit Hilfe der IAEA bestrahlt und zeugungsunfähig gemacht, um auf natürliche Weise die „Med-Fliegen“ zu dezimieren. Gemeint ist die im östlichen Mittelmeerraum verbreitete Fruchtfliege. Sie macht für Export und Eigenverbrauch gezüchtetes Obst und Gemüse ungenießbar. Kibbutz Sdeh Elijahu ist der größte Produzent steriler Fliegen in der Region, 15 Millionen pro Woche. Sie werden nach Jordanien und in die palästinensischen Gebiete exportiert und dort ausgesetzt. „Wie die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ dient auch „Fliegen ohne Grenzen“ der Völkerverständigung“, sagt Sami. Im Dienst der militärischen Zivilverwaltung in den von Israel besetzten Gebieten koordiniert er die Kontakte mit den Palästinensern.

Nach monatelangen Vorbereitungen ist es der PR-Organisation „Israel-Project“ gelungen, eine Journalistentour zum Grenzübergang Tarkumijeh zu organisieren. Unter Aufsicht von Cogat (Israels militärische Zivilverwaltung in den besetzten Gebieten) lässt da die „Zivile Flughafenbehörde“ bis zu tausend Lastwagen pro Tag „Rücken an Rücken“ umladen. Um das Einschmuggeln von Selbstmordattentätern und Terroristen zu verhindern, verfügte Israel nach Ausbruch der Intifada im Herbst 2000, dass kein Fahrzeug mit palästinensischem Nummernschild, also auch nicht Lastwagen oder Ambulanzen, nach Israel mehr einreisen dürften. Der Befehlshaber der Zivilverwaltung Avi Schalev sprach von mangelnder Instandhaltung der palästinensischen Fahrzeuge und einer Gefährdung des Straßenverkehrs, während ein anderer Militärsprecher hinter vorgehaltener Hand sagte: „Unser Geheimdienst wird in absehbarer Zeit den Beschluss nicht rückgängig machen.“ Angeblich existiert kein Gerät mit der Fähigkeit, einen kompletten Lastwagen auf Sprengstoff oder Waffen zu durchleuchten.


Das chinesische Durchleuchtungsgerät

Am Rand des Abfertigungsgeländes, wo Gabelstapler Hunderte Paletten umladen, steht ein 2,5 Millionen Dollar teures fahrbares chinesisches Durchleuchtungsgerät. Frisch beladene israelische Sattelschlepper fahren im Schritttempo durch seine metallenen Arme. So wird innerhalb weniger Minuten die Ladung geprüft, um die Waren vom Westjordanland zu einem israelischen Hafen oder quer durch Israel zum Gazastreifen zu bringen. Dort müssen die Lastwagen erneut umgeladen werden. Nach Angaben der israelischen Militärs entstehen den palästinensischen Händlern keine Unkosten, weil die Amerikaner im Rahmen ihrer Entwicklungshilfe an die Palästinenser in Höhe von zwei Milliarden Dollar pro Jahr auch das Umladen der Lastwagen voll finanzieren. Auf dem teuren chinesischen Durchleuchtungsgerät tatsächlich ein Sticker von USAID, der amerikanischen Entwicklungshilfe-Behörde. Zusätzlich sind in dem schwerbewachten Terminal auch Hundeführer zu sehen, deren Hunden Sprengstoff riechen können.

Der Cogat-Befehlshaber sagt, dass Lastwagen mit israelischen Nummernschildern vermeintlich aus „Versicherungsgründen“ nicht in die palästinensisch selbstverwalteten Gebiete fahren dürften, um das zeitraubende Umladen zu ersparen. Die Frage, wieso denn in Bethlehem fast nur israelische Laster vor den Steinfabriken stünden, irritiert Schalev. Er telefoniert und erklärt dann, dass diese Beobachtung richtig sei. 150 Lastwagenfahrer aus Bethlehem hätten vom Geheimdienst nach genauer Überprüfung eine Sondergenehmigung erhalten. Sie müssten über 50 Jahre alt sein und mindestens 7 Kinder haben, um sicher zu stellen, dass sie heil wieder nach Hause kommen wollten.

Dank vertrauensbildender Maßnahmen der Palästinenser und der Politik des Ministerpräsidenten Salam Fayad, habe sich die Lage im Westjordanland in den vergangenen 3 Jahren „dramatisch verändert“, sagt Schalev. Von über 600 Straßensperren vor wenigen Jahren gebe es nur noch 14 oder 16 „offene“ Sperren, wo zwar Soldaten anwesend seien, aber die Autos frei durchfahren könnten. „Heute kann ein Palästinenser von Dschenin im Norden bis nach Hebron fahren, ohne auch nur einem einzigen israelischen Soldaten zu begegnen.“ Die Arbeitslosigkeit sei von 25 Prozent auf nur noch 15 Prozent gesunken, in Jericho sogar nur auf 5 Prozent. Viermal mehr palästinensische Arbeiter als vor drei Jahren dürften täglich zur Arbeit nach Israel wechseln. „Fayads Politik ist sehr erfolgreich“, lobt der israelische Offizier.

Er kündigt als „Geste“ an, dass der Warenterminal von Tarkumiye während des Ramadan-Fastenmonats nur bis 16 Uhr geöffnet sein werde. Dennoch würden mit doppelter Geschwindigkeit die täglichen tausend Lastwagen abgefertigt und umgeladen. So sollen die palästinensischen Mitarbeiter und Lastwagenfahrer rechtzeitig zum Iftar, der Fastenbrechen-Mahlzeit nach Sonnenuntergang, bei ihren Familien sein können.

(C) Ulrich W. Sahm / haGalil.com