In Badehosen gegen Geisterwohnungen

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Im 19. Jahrhundert gründeten deutsche Templer die German Colony in Jerusalem. Heute ist das Viertel die Gentrifizierungszone Nummer eins von Jerusalem. Doch auch in der Heiligen Stadt gibt es Wutbürger…

Wenn Zeev Arad erklären will, was sich verändert hat, deutet er auf den Rasen vor einem mehrstöckigen Wohnhaus. »Früher«, sagt er, »haben die Kinder alle gemeinsam im Vorgarten gespielt. Heute gehört die Fläche den Mietern oder Eigentümern aus dem Erdgeschoss.« Der Vorgarten, um den es geht, sieht aus wie mit der Schere geschnitten, akkurat stehen die Grashalme auf Wimbledon-Niveau.

Arad ist Stadtplaner und arbeitet für das Ginot Ha’Ir Community Center, das so etwas wie das Zentrum des Widerstandes gegen die Gentrifizierung in der »German Colony« ist, auch wenn hier niemand das sperrige »G«-Wort benutzt. Das Viertel rund um die Hauptstraße Emek Refaim ist die Aufwertungszone Nummer eins von Jerusalem, und das nicht zufällig. Lange Jahre galt es als das säkulare Zentrum Jerusalems. Das seit 80 Jahren bestehende Smadar-Kino in der Lloyd-George-Straße ist eines der drei Off-Kinos der Stadt, die Cinematheque, knapp außerhalb der Quartiersgrenzen gelegen, das zweite.

Während große Teile West-Jerusalems mit schnell hochgezogenen architektonischen Scheußlichkeiten bebaut wurden, stehen in der German Colony viele ein- bis zweistöckige Häuser in kleinen, von Bäumen gesäumten Alleen. Die Bauherren waren deutsche Templer aus Württemberg, die im 19. Jahrhundert nach Jerusalem kamen und dem Viertel den Namen gaben. Die Briten vertrieben sie schließlich in den vierziger Jahren wegen allzu großer Sympathien für die Nazis. Auf der Emek Refaim haben in den vergangenen Jahren immer mehr Coffeeshops, Restaurants, Wein- und Buchläden eröffnet. Ähnliches trifft man in Jerusalem in einer solchen Konzentration nur rund um die Ben Yehuda Street – die ist allerdings so hässlich, wie Fußgängerzonen eben sind.

Inmitten der Steinwüste Jerusalem wirkt die German Colony wie eine Oase fernab von Nahost-Konflikt und Religionskämpfen. Was natürlich eine Täuschung ist: Während der zweiten Intifada war das Viertel Schauplatz schwerer Anschläge. So tötete 2003 ein Palästinenser bei einem Selbstmordattentat im gerade eröffneten Café Hillel sieben Gäste. Die daraufhin vor jedem Lokal postierten Sicherheitsleute, die penibel Taschen und Mäntel kontrollieren, sind heute aus dem Straßenbild nahezu verschwunden. Die Bewohner beklagen auch die zunehmende Entsäkularisierung des Viertels. Am Schabbat sind das Smadar-Kino mit seinem Café und der örtliche McDonald’s das einzige Asyl für Nicht-Religiöse, ansonsten kommt das öffentliche Leben zum Erliegen.

Durch die wirtschaftlichen Folgen der zweiten Intifada wurde die Gentrifizierung verzögert. Doch mit dem Ende der Auseinandersetzung zogen die Preise wieder an und Investoren immer neue Pläne für Luxusapartments und ähnliche Projekte aus der Tasche. Das Smadar-Kino geriet immer wieder in die Schlagzeilen, weil seine Erben einen Verkauf in Betracht zogen und damit seine Umwandlung in ein Einkaufszentrum drohte. Eine rührige Anwohner-Initiative protestierte, schließlich erteilte die Stadt den Erben des Gebäudes die Auflage, das Kino bei einem Umbau zu erhalten.

Auch das Vorhaben, ein siebenstöckiges Four-Seasons-Luxushotel zu errichten, stieß auf den Widerstand einer Bürgerinitiative, die monierte, dass das geplante Gebäude nicht zur traditionellen Bauweise des Viertels passe. 2009 stoppte ein Gericht die Hotelkette. Ebenfalls vor Gericht endeten die Pläne für Luxusapartments auf dem Gelände des öffentlichen Schwimmbades. Rund 300 Anwohner hatten für dessen Erhalt demonstriet, viele waren in Badehosen zur Kundgebung erschienen. Unterstützt wurde der Protest vom Ginot Ha’Ir Center. Arads Chef, Direktor Shaike Bel-Ami, selbst an der Smadar-Initiative beteiligt, hält die Auseinandersetzung um die German Colony noch nicht für verloren. »Es hängt eine Menge von der Reaktion der Zivilgesellschaft ab«, sagt er. »Die Gesellschaft hat die Fähigkeit, Jerusalem zu retten.« Vielleicht ist das der diplomatische Zweckoptimismus, den man in einer solchen Position haben muss.

Jerusalem ist ein Sonderfall der Gentrifizierung. In den meisten europäischen und amerikanischen Städten waren eine veränderte Sozialstruktur oder Wanderbewegungen der einheimischen Mittelklassen ausschlaggebend dafür. Ausnahme ist etwa Brüssel, wo die hohen Gehälter der EU-Beamten einen gewaltigen Preisschub auf dem Wohnungsmarkt bewirkt haben; ein weiterer Sonderfall ist Berlin, das im In- und Ausland als »Place to be« gilt und damit Menschen anzieht, die nicht vom unterentwickelten lokalen Arbeitsmarkt abhängig sind, aber mit den dort Beschäftigten und Arbeitslosen um Wohnungen konkurrieren.

In Jerusalem haben sich in den vergangenen Jahren immer mehr US-Amerikaner eine Wohnung zugelegt, darunter sind viele Dauerimmigranten, aber auch Leute, die nur für wenige Wochen in der Stadt sind und die »Geisterwohnungen«, wie sie hier genannt werden, für die restliche Zeit leerstehen lassen. Rund um Emek Refaim betrage ihr Anteil mittlerweile 25 Prozent, sagt Arad. Jerusalems Bürgermeister Nir Barkat forderte die Wohnungseigentümer kürzlich dazu auf, die Apartments an Studierende unterzuvermieten, um den lokalen Wohnungsmarkt zu entlasten. Auf dem Immobilienmarkt der Stadt herrscht derzeit eine zu große Nachfrage.

Die Möglichkeiten, dieses Problem zu lösen, sind begrenzt, will man den Markt nicht weitgehend verstaatlichen oder Wohnungen nur an Bewerber mit Arbeitsplatz in Jerusalem oder Umgebung vergeben. Ob das überhaupt wünschenswert wäre, ist eine Frage, politisch wäre es ohnehin nicht durchsetzbar.

Bleibt der Neubau von Wohnungen, wie ihn Barkat vorschlägt. Für den Ostteil der Stadt, wohin ohnehin schon viele Jerusalemer wegen der Immobilienpreise geflohen sind, würde das bedeuten, dass entweder im arabischen Teil gebaut würde oder die Siedlungen vergrößert würden. Im Westen sind die Möglichkeiten zu bauen wegen der Hanglage begrenzt. Und der Bau weiteter Hochhäuser oder die Aufstockung bestehender Gebäude würde die Zahl städtischer Bausünden unweigerlich vergrößern. Die Luxushochhaussiedlung Holyland-Park im Stadtteil Beit Vagan – von der Tageszeitung Haaretz zu Recht als »Horror on the Hill« bezeichnet – zeigt, auf welch grässliche Einfälle Architekten kommen können. Und eine städtebauliche Verdichtung, also eine Aufstockung der Wohnstruktur in der German Colony, die mancherorts schon stattfindet, führt bislang zu sterilen Ergebnissen: Der Charme der alten Häuser ist verschwunden.

Ohnehin wäre damit nur das Wohnungsproblem als solches gelöst. Jerusalem aber braucht nicht nur mehr und billigeren Wohnraum, sondern vermutlich auch mehr lebendige Viertel: eine Gentrifizierung ohne negative Begleitumstände sozusagen. Dem steht allerdings schon der architektonische Schlafstadt-Charakter der meisten Neubau-Quartiere Jerusalems entgegen.

So bleibt Pragmatik die einzige Option. Zeev Arad kämpft derzeit für den Erhalt der Gemeinschaftsgärten vor dem ehemaligen Naturmuseum, in dem ein rechter Think-Tank, das Shalem Center, ein Zentrum für freie Künste errichten will. Eigentlich wollten die Stadtplaner von Ginot Ha’Ir dort ein eigenes »Jerusalem Center for Green Living« errichten, aber inzwischen scheint es so, als hätten sie das Shalem Center prinzipiell akzeptiert. Hauptsache, es entstehen nicht neue Geisterapartments. Mit jedem neuen Investorenprojekt würde der Anteil der Bewohner sinken, die noch ein Interesse an kollektiv genutzten öffentlichen Räumen haben.

Jungle World v. 5. Mai 2011

1 Kommentar

  1. Es geht um die Abwehr der Araber. Diese tägliche Lebensgefahr für Israels ewige und unteilbare Hauptstadt ist im Vordergrund, nicht architektur Schönheiten. So ein dekadentes Luxusdenken kann sich nur einer in Europa, das sich selbst abschafft, kommen.
    AM YISRAEL CHAY!

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