Budge Stiftung: Pesach 2011

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Oft heißt es: Pessach ist das jüdische Ostern. Richtiger wäre: Ostern ist das christliche Pessach. In der Tat ist Ostern eine „Verchristlichung“ von Pessach, was schon durch die Bedeutung des Begriffs Pessach nachvollziehbar wird. Wörtlich heißt „Pessach“ nämlich: Überschreitung…

Dieses Jahr: vom 18. April abends bis zum 26. April

Rabbiner Steiman, Budge-Stiftung Frankfurt a.M.

Beim christlichen Osterfest geht es um die Überschreitung bzw. Überwindung des Todes durch die Auferstehung. So wird verständlich, weshalb das Osterfest in vielen Sprachen auch heute noch nach dem hebräischen Pessach benannt wird.

Den Namen hat das Pessach-Fest von einer Episode in der biblischen Erzählung vom Auszug der Kinder Israels aus Ägypten, die auch in Zusammenhang mit einer Überwindung des Todes steht: der letzten der zehn biblischen Plagen. Wie bei allen Plagen wurden die Kinder Israels verschont; so eben auch, als der Todesengel in Ägypten alle Erstgeborenen dahinraffte.

Der Auszug aus Ägypten Exodus ist im Judentum ein zentrales Motiv.

Das Pessach-Fest erinnert alljährlich an dieses große Ereignis im wahrsten Sinn werden die einzelnen Episoden verinnerlicht, und zwar durch Rituale, die wie die Liebe durch den Magen gehen: Bei einem großen Festessen wird die Geschichte erzählt (nach einem uralten Text, der sich Haggada nennt, was „Erzählung“ heißt), wobei sich die Speisenfolge der Erzählung anpasst. Beides geschieht nach einer festen Ordnung, die dem Festessen seinen Namen, Seder („Ordnung“), zu verdanken hat.

Der Seder-Abend findet beim ersten Vollmond im Frühling statt (dem biblischen, nicht dem meteorologischen Frühling), entsprechend dem biblischen Exodus. Aus diesem Grund wird Pessach auch als „Frühlingsfest“ (Chag ha-Aviv) bezeichnet. Der Frühlingsbeginn eignet sich ja bestens als Zeitpunkt, über die eigene Befreiung nachzudenken. Da ist auch der Name „Fest der Freiheit“ (Chag ha-Cherut) nicht weit.

Pessach hat noch einen vierten Namen: In der Torah heißt es „Fest der ungesäuerten Brote“ (Chag ha- Mazzot), zur Erinnerung an die Eile, in der der Auszug stattfand: Es gab nicht einmal genug Zeit, um richtiges Brot für die lange Reise vorzubereiten. Das ungesäuerte Brot (Mazza) gehört zu den rituellen Speisen, die aus Erinnerung eine Verinnerlichung machen. Ein anderes Beispiel einer rituellen Speise ist das sogenannte „Bitterkraut“ zur Erinnerung und Verinnerlichung der bitteren Zeit der Sklaverei. In unseren Breiten wird dazu Meerrettich gereicht. An die vergossenen Tränen erinnert einfaches Salzwasser, in einer Schale gereicht, in welches „Erdfrucht“ getunkt wird – zur Erinnerung an die karge Sklavenmahlzeit. Als „Erdfrucht“ kommt etwa Petersilie in Frage: ein Gewächs, welches in Bodennähe wächst und damit die Erniedrigung durch Sklaverei darstellt. Im Dienst Pharaohs schufteten die Sklaven in Schlammgruben, um Ziegelsteine zu formen. Ein Brei aus Apfelmus, Zimt, geriebenen Nüssen und Wein erinnert daran. Erst nach Verzehr dieser rituellen Speisen kommt mit einem festlichen Menu das Symbol der Freiheit.

Pessach beginnt also mit dem Seder, welches seinem Wesen nach einem Symposion im antiken Griechenland gleicht. Zu einem Symposion gehört ein Thema (hier: der Exodus), gutes Essen und Trinken (hier: das Festmahl, inklusive ritueller Speisen und Wein), Unterhaltung (hier: Gesänge zum Exodus und der jüdischen Tradition sowie Spiele für die Kleinen); und natürlich gute Gäste. Als Gast ist immer auch der Prophet Elias eingeladen, für den ein Gedeck bereitsteht – falls er kommt (davon gehen wir freilich aus), um unsere vollständige Erlösung zu verkünden. Für diesen Propheten der Erlösung steht auch ein festlicher Becher Wein bereit.

Wein ist das Getränk der Freiheit und „erfreut des Menschen Herz“ (so der Talmud). Im Laufe des Seders wird vier Mal Wein getrunken – als Verinnerlichung der vierfachen Verheißung auf Erlösung in der Exodus-Erzählung. Beim festlichen Vortragen der Haggada entnimmt jeder Seder-Teilnehmer aus seinem Becher zehn Tropfen. Jeder dieser Tropfen steht für eines der zehn biblischen Plagen, die laut aufgezählt werden. Zudem soll die Freude, die der Wein darstellt, um eben jene Tropfen vermindert werden, die symbolisch für das Leiden der Ägypter an den Plagen stehen – hier wird wieder erinnert durch Verinnerlichung: Die Freiheit des einen ist immer auch zu messen an der Freiheit des anderen; des einen Freud‘ ist zuweilen auch des anderen Leid.

Überhaupt hat der Seder-Abend eine humanistische Grundstimmung. Zusammen mit der Festlichkeit, der Freude und den vielen Ritualen ist es diese Stimmung, die erklärt, weshalb gerade Pessach das am meisten gefeierte Fest im Judentum ist: Es gibt kaum einen Juden, der nicht irgendwie Pessach feiert – so beliebt und wichtig ist das Fest, welches ja auch wie kaum ein anderes die jüdische Identität prägt. Das Bewusstsein, einst Sklave gewesen zu sein, wird zu Pessach geschärft, ja im wahrsten Sinn durch die rituellen Speisen verinnerlicht – und damit auch hehre Werte: Neben Mitgefühl für den Nächsten und einem Bewusstsein für geschichtliche Abläufe auch die Erkenntnis, dass Freiheit ein hohes Gut ist und stets aufs Neue errungen werden muss – sonst droht ihr Verlust oder gar ein Rückfall in die Sklaverei. Lieber freudig und festlich Pessach feiern als das! Nach dem biblischen Kalender ist dieses Jahr der erste Vollmond im Frühling – und damit der erste Sederabend – am Abend des 18. April.

Chag Same’ach (frohes Fest)
wünscht Familie Rabbiner Steiman