Gottes verlorene Töchter und Söhne

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Julia Kristeva beschwört das „Bedürfnis zu glauben“ und die Identifikation mit dem väterlichen monotheistischen Gott als Grundlage auch unserer säkularisierten Gesellschaften…

Von Bettina David

Der überzeugte Ungläubige Freud hielt Religion für eine Illusion, Ausdruck eines infantilen Weltverständnisses, das den irrationalen Trost der aufgeklärten Selbsterkenntnis vorziehe. Auch mit dem „ozeanischen Gefühl“ des mystischen Einswerdens konnte der Begründer der Psychoanalyse bekannterweise wenig anfangen. Entgegen aller Erwartungen hat sich die religiöse Illusion jedoch als hartnäckig erwiesen, fundamentalistische Strömungen sind weltweit auf dem Vormarsch. Das hat in manchen Kreisen zu einem regelrechten Monotheismus-Bashing geführt: Der Alleinherrschaft beanspruchende Vatergott der abrahamitischen Religionen soll schuld sein an allem Bösen, das die Menschenkinder in seinem Namen verüben. 

Die französische Literaturtheoretikerin und Psychoanalytikerin Julia Kristeva hat sich nun dieser uns so fremd gewordenen Illusion namens Religion angenommen. Am vergangenen Dienstag stellte sie in einem Vortrag im Berliner Haus der Kulturen der Welt ihre These vom vorreligiösen „Bedürfnis zu glauben“ vor, das sie als anthropologische Konstante postuliert. Wie so oft überraschte sie mit einer originellen Neubestimmung des Überlieferten: Mit Freud sieht sie die illusionäre Dimension des Glaubens, doch legt sie nicht wie er den Schwerpunkt auf die irrationalen Aspekte, sondern betont vielmehr die grundlegende Notwendigkeit von Illusionen. Verstanden als Phantasien konstituierten sie unser psychisches Leben, sie eröffneten den für die psychische Entwicklung und Kreativität nicht nur des Kleinkindes so wichtigen intermediären Raum, wie Kristeva in Anlehnung an Winnicott deutlich machte. Auch die so oft kritisierte Dominanz der väterlichen Funktion in den monotheistischen Religionen wird von ihr mit psychoanalytischen Erkenntnissen vor allem Lacanscher Prägung verbunden: Erst der Glauben an den Anderen, den von der Mutter geliebten Vater als Dritten, der die geschlossene Mutter-Kind-Dyade des ozeanischen Einsseins aufbricht, ermögliche es dem Kind, sich als sprechendes Subjekt zu positionieren. Doch vor dem symbolischen Vater des Gesetzes und der Sprache müsse sich das Kind mit dem liebenden „Vater der Vorzeit“ (Freud) identifizieren – ein erster primärer Glaubensakt, der allem Sprechen vorausgehe und Voraussetzung für jedes weitere Begehren zum Wissen sei: Homo sapiens ist ein homo religiosis

Die emphatische Europäerin Kristeva plädiert für eine psychoanalytisch ausgerichtete Anerkennung, Dekonstruktion und Analyse dieses elementaren „Bedürfnisses zu glauben“, ohne damit jedoch den institutionalisierten Religionen in die Hände zu spielen. Sie verweist vielmehr auf die Blindstelle unserer säkularisierten Gesellschaften, die über keine Sprache mehr für die affektive Dimension dieser Religiosität verfügten und sich daher zunehmend mit den Extremen von potentiell nihilistischem Atheismus einerseits und pervertiertem religiösen Fundamentalismus anderseits konfrontiert sähen. Natürlich, so räumte sie auf Nachfrage ein, ließen religiös Gläubige sich von dieser kritischen Lesart nicht beeindrucken. Ihr gehe es vor allem um eine Stärkung unserer aufklärerisch-humanistischen Tradition jüdisch-christlicher Prägung. Denn der sich durch die europäische Geschichte ziehende Bruch mit der religiösen Tradition sei in der Geschichte der Religionen einzigartig. Erst er habe es uns ermöglicht, zur Seite zu treten und über uns selbst und alle Traditionen nachzudenken.

Kristeva fordert mit ihrer psychoanalytischen Rehabilitation des Monotheismus aus dem Geiste der europäischen Säkularisierung daher keine Rückkehr der „verlorenen Töchter und Söhne“ zum Haus des Vaters, das es, wie wir erkannt hätten, nicht gebe. Sie setzt ihre Hoffnungen aber auf eine Anerkennung des Erbes, das wir ihm verdankten, und dessen geduldige, unendliche Neubegründung im Glauben an das Fragezeichen, das uns als Glaubenden erlaube, alles in Frage zu stellen. Ihren Zuhörern blieb am Ende allerdings vor allem eines fraglich: wie eine Übersetzung dieser theoretischen Höhenflüge in die niederen Gefilde der alltäglichen Praxis aussehen könnte.

Von Julia Kristeva erschien zum Thema: „This Incredible Need to Believe“, Columbia University Press 2009. Bestellen?

4 Kommentare

  1. Ursprüngliche Fürchte, durch Geschichten übertragen, um Kinder bei Abwesenheit Erwachsener zur Verteidigung durch Flucht zu retten ist leicht verstänlich. Xenphobia half disem kinderschützenden Maßnahmen. —- in Betracht von feindlichen Gefühlen die durch Erfahrungen kommen, kann man bei sich selbst feststellen woher diese feindlichen Gefühle kamen. Von Polnischen Soldaten bedroht, kam ich zu einer heftigen Ablehnung gege Polen. —–Im gegensatz dazu, traf ich Russen und die Erfahrung mit diesen Männern entwickelte eine freundliche Mentalität gegen diese. Sprache hat eine bindende Eigenschaft, wie mir ein Falmschirmsoldat aus dem Krieg erzählte. Ein Soldat der ihn nach D-day erschiessen wolte tat dies nicht, wenn er ihn in seiner Sprache fragte; Warum? Ein Englischer Soldat der vor kurzem starb, erzählte wie er immer nur auf Beine ziehlte um nicht feindliche Soldaten umzubringen. Ein Onkel wurde in ein Sanatorium geschickt weil er sich weigerte auf Polen zu schießen. Mein Onkel Latzy wurde eingespert bis der Krieg aus war, weil er sagte; Hitler ist ein Idiot. Englische Soldaten die sich weigerten nach Frankreich zu gehen, wurden, nach William Sargants Biography, sofort erschossen.

  2. Auch Galliano ist Spanier. Spanien war auch immer wieder auf Arafats Seite, wenn es darum ging Israel in die engen Grenzen von 1967 zu sperren. Vermutlich ist es die Angst schlecht getaufter Mauren und Maranen, die noch immer Angst vor der eigenen Herkunft haben.

  3. Es stimmt, dass es säkularisierten Gesellschaften an der Sprache zum Ausdruck, wie zum Verstehen, des „religiösen Fühlens“ mangelt. Und wieder ist es ein Vakuum, in das dann Nihilismus oder auch Fundamentalismus treten.
    Ein bestechender Gedanke.
    Die Übersetzung in den Alltag muss wohl jeder für sich finden, je nach dem eigenen Ausgangspunkt.

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