Stille Nacht in der Geburtskirche

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Selbst israelische Tourguides, die sonst immer alles (besser) wissen, ahnen nicht, dass es eigentlich unverantwortlich ist, ihre Gruppen durch die berühmt-berüchtigte Mauer nach Bethlehem zur Geburtskirche zu schicken. Die Basilika in der Geburtsstadt Davids und Jesu gehört zum festen Besuchsprogramm im Heiligen Land, wie Grabeskirche, Tempelberg und Klagemauer…

Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 13. Dezember 2010

Auf dem Vorplatz der Geburtskirche, vor dem nur etwa einen Meter hohen Eingangstor, durch das man nur tief gebückt oder gar auf den Knien rutschend ins Innere der ältesten noch bestehenden Kirche der Christenheit gelangt, stehen hellblaue Gitter und palästinensische Polizisten. Je nach Laune werden einzelne Besucher durchgelassen, andere aber zur katholischen Katharinenkirche geschickt, durch die man auch in die historische Geburtsbasilika gelangen kann.

Ein großes weißes Schild mit dem palästinensischen Staatswappen erklärt den Grund für die Absperrungen. Unter dem Adler mit dem schwarz, weiß, rot und grünen Wappen der PLO (Palästinensische Befreiungsorganisation) verkündet das „Nationale palästinensische Präsidentschafts-Komitee für die Restaurierung des Daches der Geburtskirche in Bethlehem“, eine „Einstufungs-Studie und Gestaltungsarbeiten“ zwischen dem 22. September 2010 und bis zum 25. März 2011. Das Projekt wurde „großzügig spendiert vom Präsidenten Palästinas, seiner Exzellenz Präsident Mahmoud Abbas“. Darunter stehen Logos vor allem italienischer Universitäten und Forschungsinstitute, darunter „Sapienza“ der Universität Rom und „Sadlab“ der Universität von Ferrara. Der World Monuments Fund hatte 2008 die Kirche auf die Liste der 100 am meisten gefährdeten Bauwerke weltweit gesetzt.

Der Anblick des von bemalten Säulen gesäumten 30 Meter langen und zehn Meter breiten Hauptschiffs der alten Basilika schockiert. In der riesigen mit Naturstein gepflasterten Halle steht heute ein Urwald unschöner Gerüste. Pilger und Touristen werden an weißroten Plastikbändern in Seitengänge gedrängt. Wer die Geburtsgrotte mit dem eingelassenen silbernen Stern mit der lateinischen Inschrift „Hic de Vergine Maria Jesus Christus Natus est – 1717“ an der Stelle der Krippe besuchen will, muss drei bis vier Stunden Schlange stehen.

Von dem alten morschen Dachgebälk, zum letzten Mal 1842 erneuert, ist kaum noch was zu sehen. Die Italiener haben in luftiger Höhe ein Zwischendach aus hellen Holzleisten eingezogen. Die sehen aus, als hätte Ikea sie angeliefert. Dank Presseausweis dürfen wir zu zwei italienischen Frauen vordringen, die zwischen dem Gestänge beschäftigt sind. Die verstehen kein Wort Englisch, und unser Italienisch reicht nicht für ein ordentliches Interview. Immerhin erklären sie uns, dass es aus Versicherungsgründen streng verboten sei, das Gerüst zu erklimmen. Auch gebe es keine Telefonnummer eines Verantwortlichen. Schließlich schicken sie uns zu einem griechischen Popen in einem benachbarten Kloster. Junge sportliche Mönche mit langen schwarzen Kleidern und Haaren wollen den Verantwortlichen rufen. Doch der hält „Mittagspause“ und habe sich schlafen gelegt. Mehrmalige Anläufe, jemanden zu finden, der etwas über Kosten und Absichten des Projekts erzählen könnte, scheitern in ähnlicher Weise.

Schon vor zwanzig Jahren sagte uns ein deutscher Bauingenieur, dass das hölzerne Dach der Geburtskirche „akut einsturzgefährdet“ sei. Eigentlich sei es „unverantwortlich“, Pilgergruppen in die Basilika einzulassen. Ein Erdbeben, Regen oder Schnee könnten das Dach abstürzen lassen. Das Holz sei 150 Jahre alt. Um das Dach abzudichten, seien die Holzbalken von oben mit Teer beschmiert worden. Diese Versiegelung lasse das Holz nicht mehr „atmen“. Fäulnis entstehe. Doch wie an anderen heiligen Stätten der Christenheit kann niemand einfach eine Baufirma rufen, um Schäden zu beheben.

Die Kirchengebäude „gehören“ mehreren Kirchen, etwa den Griechen und Armeniern, die wiederum Syrern, Kopten und Lateinern Gebets- und Prozessionsrechte einräumen mussten, die wiederum von Moslems und der jeweiligen Staatsmacht überwacht und durchgesetzt werden. Jede noch so kleine Änderung, etwa das Auswechseln einer kaputten Fensterscheibe, gleicht einem Machtkampf mit internationaler Dimension. Schon das Putzen eines Gesims oder das Fegen des Fußbodens gleicht einer territorialen Inanspruchnahme. Im „Status Quo“, einem 1929 von einem britischen Mandatsoffizier schriftlich niedergelegten Regelwerk, wurde festgeschrieben, dass sich der Schlüssel zur Kirche in der Obhut des „Orthodox“ befindet, also des Griechen. Auf und zugeschlossen wird nach dem Glockenbimmeln der Lateiner. Jeden morgen dürfen/müssen die Griechen dann den Eingangsraum, den Narthex, fegen, nicht aber die drei Stufen hinauf zum armenischen Kloster. Der Raum neben dem Narthex gehört der „Regierung“ und dient als „Ruheraum“ für die Kirchenwächter, heißt es in dem „vertraulichen“ Bericht der britischen Mandatsregierung. Heute ist da eine Polizeiwache mit Fotos der Präsidenten Arafat und Abbas an der Wand.

Wenn traditionell am 1. Januar der große Hausputz angesagt ist, die Mönche mit Besen an meterlangen Stangen den Staub der Jahrhunderte aufwirbeln, um ihre Besitztumsansprüche zu demonstrieren, kommt es immer wieder zu Prügeleien. Die Staatsmacht muss dann schlichtend eingreifen. Mal waren es Türken, dann Briten, Jordanier, Israelis und heute der palästinensische Gouverneur. Wer darf das Fenster über der armenischen Kapelle im linken Flügel der ansonsten griechisch-orthodoxen Basilika putzen? Der Kompromiss ist salomonisch: Ein griechischer Mönch darf mit einem Besen mit kurzem Stiel über die einst weiß getünchte Wand fahren, aber nur so weit, wie sein Besen reicht.

324 errichtete Konstantin die erste Geburtskirche über jener Höhle errichtet, wo Jesu Krippe gestanden habe. St. Hieronymos hatte kurz zuvor in einer benachbarten Höhle die Bibel ins Lateinische übersetzt, die Vulgata. Er beklagte dort, „wo das erste Weinen des neugeborenen Messias zu hören war“, den heidnischen Kult des Gottes Adonis, dem Liebhaber der Aphrodite. Unter Justinian (527-565) wurde die Basilika in ihrer heutigen Form neu errichtet. Anfang des 7. Jahrhunderts eroberten die Perser das Land und machten alle christlichen Stätten dem Erdboden gleich. Allein die Geburtskirche sparten sie aus, weil ein buntes Mosaik an der westlichen Fassade den „Schah von Persien“ darstellte. In Wirklichkeit waren es die „Magier des Morgenlandes“. Als die Araber das Land eroberten, betete Kalif Omar in der südlichen Aspis in Richtung Mekka. So diente die Kirche auch als Moschee. Die Wirren gingen weiter unter den Kreuzfahrern und den Osmanen. 1847 verschwand unter mysteriösen Umständen der silberne Stern aus der Geburtsgrotte. Das löste 1853 den Krimkrieg zwischen dem russischen Zarenreich, den Osmanen, Frankreich, England und weiteren Ländern aus. Mindestens 165.000 Tote kostete dieses „erste Verdun“ Europas.


Das Hauptschiff im „Normalzustand“ vor den Reparaturarbeiten

Bis heute kann nur die neutrale Staatsmacht, in diesem Fall der generöse Präsident des noch nicht existierenden Staates Palästina, die technischen Voruntersuchungen für eine Reparatur des baufälligen Daches durch ebenso neutrale italienische Universitäten durchführen.

© Ulrich W. Sahm / haGalil.com