„Dissidenten“, Sektierer und durchgeknallte Antisemiten

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Die „Dissidenten“ des Front National – zwischen Splitterparteienwesen und Versuchen, Einfluss auf die Vorgänge bei der Hauptpartei der extremen Rechten zu nehmen. Am Donnerstag, den 11. November 2010 hielt dieses Spektrum eine Veranstaltung mit rund 400 Teilnehmern in Paris ab. Zu Gast waren u.a. auch, aus Deutschland, ,Pro Köln’ und ,Pro NRW’. Jeweils vertreten durch Markus Wiener, stellvertretender Vorsitzender der einen und Generalsekretär der anderen Truppe. Zu Hause bezeichnet die so genannte ,Pro-Bewegung’ sich zwar als angebliche „demokratische Rechte“. Aber am 11. November in Paris scheute Wiener sich nicht, mit offen pro-nationalsozialistischen Kräften und geradezu pathologischen Antisemiten auf einem Podium zu sitzen und dort auch anderen Rednern zu applaudieren, wie Pierre Vial, dem Apostel eines „Rassenkrieges“…

Von Bernard Schmid, Paris 

Es gibt keinen schlimmeren Vorwurf als den, mit „Verrätern“, „Deserteuren“ oder „Dissidenten“ gemeinsame Sache zu machen. Auschwitzleugnung fällt dagegen beispielsweise nicht ins Gewicht, und selbst strategische Differenzen scheinen vernachlässigbar. Diesen Eindruck erweckt die Debatte, die derzeit zwischen den beiden widerstreitenden Lagern innerhalb des französischen Front National (FN) geführt wird.

Die rechtsextreme Partei wird auf ihrem nächsten Kongress, am 15. und 16. Januar 2011 im westfranzösischen Tours, ihre Spitze neu wählen. Im Alter von 82 Jahren wird ihr alternder Chef Jean-Marie Le Pen, der seit der Gründung des FN im Oktober 1972 ununterbrochen den Vorsitz inne hatte, „endlich“ sein Amt abgeben. Eventuelle Bewerber um seine Nachfolge hatten bis zum 1. Juli dieses Jahres Zeit, um sich – durch Eintreiben von mindestens zwanzig Unterschriften unter den Bezirksvorsitzenden in den insgesamt 100 französischen Départements – für eine Kandidatur zu qualifizieren. Eine Kandidatin und ein Kandidat konnten die Hürde nehmen: die 42jährige frühere Anwältin Marine Le Pen, die – per Zufall im Mai 1968 geborene – Tochter des alternden Parteivorsitzenden, und der 60jährige frühere Juraprofessor Bruno Gollnisch.

Die „Dissidenten“frage und der Verdacht auf Doppelmitgliedschaft

Marine Le Pen, aber auch deren Vater, und ihre Anhänger werfen seit einigen Wochen dem Herausforderer Gollnisch vor, er wolle diese „Dissidenten“ der letzten Jahre in die Partei zurückholen. Tatsächlich hatten viele führende Kader, die heute in den abgespaltenen Splitterparteien aktiv sind – wie der frühere FN-Generalsekretär Carl Lang, der Rassenideologe Pierre Vial oder auch der frühere Chef des katholischen Fundamentalistenflügels beim FN, Bernard Antony – zuvor den Aufstieg Marine Le Pens und die vermeintliche „Entideologisierung“ der Partei kritisiert. Rückhalt, um gegen einen Durchmarsch der „Cheftochter“ zu opponieren, kann Gollnisch also unter anderem bei Ehemaligen finden, die derzeit außerhalb der Partei aktiv sind. Beispielsweise im Falle von Carl Lang hat Gollnisch tatsächlich auch Kontakte zu ihnen aufrecht erhalten.

Seit mehreren Wochen wirft die Parteispitze unter Le Pen – Vater und Tochter – ihm nun vehement vor, er organisiere eine angebliche Unterwanderung der Partei, im Sinne einer Strategie des „Entrismus“. Dabei geht es um Neumitglieder, die eine Doppelmitgliedschaft bei anderen Organisationen besäßen; sowie um Altmitglieder, die den FN früher verlassen hätten und nun zurück kehrten, ohne aber ihre neuen Strukturen innerhalb ihrer jeweiligen Splitterparteien aufzugeben. Ihnen droht die Parteiführung jetzt mit systematischem Ausschluss, sobald Doppelmitgliedschaften ruchbar werden.

Besonders im Visier steht dabei unter anderem Yvan Benedetti, der „Wahlkampfkoordinator“ Bruno Gollnisch für die innerparteiliche Kampagne. Ihm wird vorgeworfen, der offen faschistischen und militant antisemitischen Splittergruppe Oeuvre française (Französisches Werk) unter Pierre Sidos anzugehören. Seinen eigenen Angaben zufolge hat er diese hingegen, nach eigenen Worten „auf Aufforderung Jean-Marie Le Pens hin“, zum 1. August dieses Jahres verlassen. Benedetti hatte im Juni dieses Jahres kurzzeitig die Aufmerksamkeit der bürgerlichen Presse erregte. Damals schrieb er in der Bruno Gollnisch unterstützenden Strömungszeitung Droite ligne – ihr Name bedeutet sowohl „rechte Linie“ wie auch „Endspurt“ -, die berüchtigten „Protokolle der Weisen von Zion“ aus dem frühen 20. Jahrhundert seien „ein vorausschauendes Dokument“. Ein anderer Unterstützer Bruno Gollnischs ist Franck Georgy. Er ist nicht nur verantwortlich für den parteieigenen Ordnerdienst DPS im Raum Lyon – Gollnischs Region -, sondern leitet auch einen „Zirkel der Freunde von Léon Degrelle“. Ihr historisches Vorbild war ein Angehöriger der Pro-Nazi-Bewegung der „Rexisten“ in Belgien während des Zweiten Weltkriegs sowie belgisches Mitglied der Waffen-SS.

Zwar betont die „Cheftochter“, sie weise „keine inhaltlichen Unterschiede“ zu Bruno Gollnisch auf, sondern stehe lediglich für ein effizienteres und dynamischeres Auftreten ihrer Partei – um Angriffen, die auf eine angebliche „programmatische Abweichung“ unter ihrer Verantwortung zielen, keine offene Flanke zu belassen. In Wirklichkeit verfolgt Marine Le Pen allerdings eine Strategie, die es für kontraproduktiv und unsinnig hält, sich positiv auf den historischen Faschismus oder den Antisemitismus in expliziten Erscheinungsformen zu beziehen. Dies lässt sich für einen Grobteil der „Dissidenten“ innerhalb der extremen Rechten dagegen kaum respektive überhaupt nicht behaupten.

Splitterparteien vereint: Das Jahrestreffen von ,Synthèse nationale’

Schon zum vierten Mal treffen sich, in jährlichen Abständen (von Ende Oktober 2007 ((Vgl. unseren Bericht zum ersten derartigen Treffen, am 27. Oktober 2007, das damals im 7. Pariser Bezirk stattfand:  http://www.antifaschistische-nachrichten.de/2007/22/1frankreich.shtml)) bis im November 2010), eine Reihe dieser „Dissidenten“. Auf Einladung der 2006 gegründeten Zeitschrift ,Synthèse nationale’ versammelten sie sich am diesjährigen 11. November erneut in Paris, in einem Saal im 15. Bezirk der französischen Hauptstadt. ((Der 11. 11. ist in Frankreich ein gesetzlicher Feiertag, nicht aufgrund des Kölner Karnevalsbeginns, sondern weil an diesem Tag bis heute offiziell des Kriegsendes am Ausgangs des Ersten Weltkriegs gedacht wird. Am 11. November 1918 wurde der Waffenstillstandsvertrag in einem Eisenbahnwaggon – einem Salonwagen – in der Nähe von Compiègne, nordöstlich von Paris, durch eine deutsche Delegation unter dem Abgeordneten Matthias Erzberger unterzeichnet. (Der letzte französische Soldat, der persönlich aktiv am Ersten Weltkrieg teilnahm, starb am 12. März 2008; der letzte deutsche, Erich Kästner, am 1. Januar 2008.))

Deren Namen deutet schon das zentrale Anliegen an, das nämlich darin besteht, eine neue – nationalistische – „Synthese“ aus den mitunter höchst unterschiedlichen ideologischen Ansätzen, die innerhalb der extremen Rechten verfolgt werden, herzustellen. Da trifft man auf neuheidnische (und anti-christliche ebenso wie antisemitische) „Rassialisten“, katholische Fundamentalisten, Monarchisten aus der Tradition der Konterrevolution von „Anti-1789“, betont „revolutionär“ im Diskurs auftretende Nationalrevolutionäre… Vor circa 15 bis 20 Jahren war versucht worden, eine gemeinsame politisch-ideologische Basis für diese so unterschiedlichen Strömungen innerhalb des Front National zu schaffen. Aus Sicht vieler Aktivisten und ihrer Ideologen ist dieser Versuch und historische Anlauf jedoch vorläufig gescheitert – zumal der jeweilige „harte Kern“ der einzelnen Strömungen oft den FN inzwischen wieder verlassen hat. Unter anderem, weil der führende Familienclan um Le Pen (Vater und Tochter) einer Eigenaktivität der Kader zu wenig Spielraum überlieb.

Das diesjährige Treffen stand unter dem Generalthema „Leisten wir Widerstand gegen die Kolonisierung Europas! Gegen die Diktate Brüssels: Betreiben wir Sezession (= Abspaltung)!“ Laut eigenem Bekunden der Veranstalter des Treffens entstand des Motto, das sich auch in einem öffentlichen Aufruf der Runde – „Sezession gegen das Europa von Brüssel“ – widerspiegelt, nach den heftigen Kritiken der EU-Kommissarin Viviane Reding im September 2010 gegen die Roma-Abschiebepolitik im Frankreich Nicolas Sarkozys. Damals, so die Veranstalter, habe man beschlossen, dass die nationalistischen Kräfte in Europa die Abspaltung gegen die „Einschränkungen der Souveränität“ durch solcherlei Kritik aus Brüssel propagieren sollten. Thematisch wurde das Treffen stark durch die Agitation gegen Einwanderung und „den Islam“ durchzogen, auch wenn der Antisemitismus seinerseits keineswegs (wenn man es ironisch ausdrücken darf) „zu kurz kam“.

Es vereinigte vor allem Anhänger und Aktivisten der drei, gröberenteils aus Abspaltungen und –splitterungen vom FN entstandenen, Splitterparteien:

-> des PdF („Partei Frankreichs“) unter Carl Lang, der von 1988 bis 2005 Generalsekretär der Le Pen-Partei gewesen war;

-> der NDP („Neue Rechte des kleinen Volkes“) unter Robert Spieler, Abgeordneter des FN in der französischen Nationalversammlung von 1986 bis 88 und später Jahre lang Chef einer rechtsextremen Regionalistenpartei im Elsass;

-> und des MNR („Nationale republikanische Bewegung“), zunächst unter Führung von Bruno Mégret, seit dessen Rückzug aus der aktiven Politik im Jahr 2008 inzwischen durch Annick Martin geleitet.

Der MNR war im Jahr 1999 in Marignane bei Marseille gegründet worden (und nahm seinen jetzigen Namen im Oktober 2000 an), die NDP am 1. Juni 2008 in Paris, und der PdF offiziell am 23. Februar 2009.

Neben diesen drei parteiförmigen Kräften nahmen auch Anhänger anderer Gruppierungen an dem Treffen teil. Unter anderem Vertreter der gewalttätigen rechtsextremen Studentengruppe GUD (Groupe Union Défense) – die vor allem an der Pariser Jurafakultät Assas verankert ist, wo sie nach einigen Jahren Pause wieder gegründet wurde – und Anhänger des Jeunesses nationalistes révolutionnaires (JNR). Allerdings hatten die jungen Leute aus diesen Gruppierungen, die meist eher an rechtsradikalen Klamotten und Bier interessiert schienen, sich während der Podiumsdiskussionen oft an den Infoständen in den Ecken geschart – zum Leidwesen der Parteivertreter auf der Tribüne. Diese mussten öfter zur Ruhe auffordern und mit energischem Durchgreifen (Dichtmachen der Stände) drohen, während ein Alter im Publikum klagte: „Es gibt keinen Respekt mehr!“

Internationale Gäste waren u.a. Hilde de Lobel vom belgisch-flämischen Vlaams Belang (VB, „Flämisches Interesse“), die am Vormittag ihre Partei vorstellte, und Robert Vesterlund von der schwedischen militant-nationalistischen Vereinigung Salemfonden. Letztere organisiert seit Dezember 2000 alljährlich einen „Gedenkmarsch“ für einen 17jährigen rechtsradikalen Aktivisten, der vor zehn Jahren in einem Vorort von Stockholm durch Einwandererjugendliche getötet worden sei.  Dazu werden dieses Jahr etwa auch NDP-Aktivisten aus dem Elsass anreisen. Quasi unvermeidlich war der norditalienische fanatische Rassist namens Mario Borghezio von der rechten Separatisten-, inzwischen eher Regionalistenpartei Lega Nord. Derselbe Herr war u.a. auch zum „Anti-Islamisierungs-Kongress“ von ,Pro Köln’ am 20. September 2008 in die Domstadt angereist. Und schlieblich stellte Markus Wiener die Kampagne seines Vereins gegen den Bau einer Moschee in Köln-Ehrenfeld vor und lud das Publikum zum „Marsch für die Freiheit“ in Köln am 07. Mai 2011 ein.

Einwanderer-„Invasion“…

Die französischen Redner stellten sich zunächst, an einem „Runden Tisch“ am frühen Nachmittag, die Frage: „Wie die Invasion bekämpfen?“ Dabei mangelte es nicht an Vorschlägen zum Vorgehen gegen Migranten – Entzug der französischen Staatsbürgerschaft, Reservieren der Sozialleistungen für „Inländer“, Abschiebungen -, die aber auf der extreme Rechten thematisch doch wenig Neues bieten. Kleinere faktische Dissonanzen, die aber natürlich nicht als solche aufgenommen und diskutiert wurden, gab es zwischen dem christlichen Fundamentalisten arabischer Abstammung Jean Alcader (der heftig gegen Moslems agitierte, aber beklagte, auch christliche Kopten aus Ägypten erhielten immer schwerer Visa für Frankreich) und anderen Rednern wie dem Debattenleiter Robert Spieler. Dieser unterstrich, auch wenn die Mehrzahl der Einwanderer „keine Moslems, sondern chinesische Buddhisten oder christliche Afrikaner“ wären, „würde dies am Problem nichts Wesentlichen ändern“. Auch der Schriftsteller Marc Rousset hatte zuvor betont, das Problem sei „kein religiöses“ (mit dem Islam), sondern „ein ethnisches“ – aber nur, weil er das Wort „Rasse“ nicht offen in den Mund nehmen wollte. Überraschungen gab es auf diesem Podium ansonsten keine.

Bei der Abschlussveranstaltung am Abend ging der dort diskutierende NS-nahe Rassenideologe Pierre Vial (Mitglied der NDP, Chef des Zirkels ,Terre & Peuple’, also „Volk und Erde“) nochmals kurz auf das Thema der vorausgegangenen Debatte ein: „Auf die Frage ,Wie gegen die Invasion kämpfen?’ habe ich eine Antwort. Einen Namen: Charles Martel ((Der fränkische Krieger, deutsch „Karl Martell“ genannt, hat der Geschichtslegende zufolge im Jahr 732 christlicher Zeitrechnung in der Nähe des westfranzösischen Poitiers „die Araber (respektive Sarazenen) und die Ausbreitung des Islam“ mit Waffengewalt „gestoppt“. In Wirklichkeit kämpfte er gegen einen relativ kleinen Trupp arabischer Reiter, der im Dienste spanischer katholischer Feudalherren stand. – Der MNR hielt im Herbst 2000 eine Grobveranstaltung auf der Wiese statt, wo die Schlacht damals stattgefunden haben soll.)). Eine Antwort: den Krieg. Den ethnischen Krieg.“ Derselbe Vial wurde wenige Minuten später, für sein Bekenntnis zum rechten „Antikapitalismus“, auch durch den angeblichen „rechten Demokraten“ Markus Wiener offen beklatscht.

Interessanter als die – eher Einigkeit unter den Anwesende versprechende – Einwanderungsfrage war der darauf folgende Runde Tisch zum Thema „Die nötige soziale Dimension des Nationalismus“. Die soziale Frage, von Rechts betrachtet (oder die Aufgabenstellung, wie man durch möglichst dick aufgetragene soziale Demagogie an „die Massen“ heran kommt) ist ein altes Thema für Faschisten. Nicht unbrisant war es also, zu beobachten, wie es in diesem Kontext aufgeworfen würde.

… und „soziale Frage“

Manche Redner hatten ihre eigenen Vorstellungen zum Thema. So Serge Ayoub, der in den 1980er Jahren einmal Skinhead-Anführer im Pariser Umland gewesen war und heute ein rechtes Kneipenprojekt im 15. Pariser Bezirk – ,Le local’ – leitet. Seit kurzem steht er auch an der Spitze einer nationalrevolutionär ausgerichteten Gruppierung und angeblichen „Arbeitervereinigung“ unter dem Namen ,Troisième Voie’ („Dritter Weg“, was wie üblich bedeutet: gegen Marxismus und gegen Kapitalismus). Ayoub malte vor den Anwesenden das Szenario eines einmonatigen Generalstreiks aus, den „die französischen Arbeiter“ durchführen sollten, „um den Abgang der Politiker“ zu erzwingen. Diesen, d.h. den Lohnverlust der abhängig Beschäftigten während dieser Periode, sollten „kommunitäre (gemeinschaftliche) Projekte“ der französischen Nationalisten – als eine Art eigener Parallelökonomie – finanzieren bzw. durch Naturalleistungen ausgleichen. Solche Projekte wurden zur selben Zeit auch auf der Bühne vorgestellt, die allerdings aufgrund ihrer Dimension kaum geeignet sein dürften, eine rechte „Revolution“ auf frankreichweiter Ebene materiell zu unterstützen und zu tragen. Neben Ayoub rechtem Kneipenprojekt zählen dazu ein „Gemeinschaftshaus“ – ein Wohnprojekt für (in absehbarer Zeit) ein halbes Dutzend Familien, das gleichzeitig rechten Polit- und Kultur-Veranstaltungen und eine Bücherei Raum bieten soll – in der burgundischen Provinz, das Olivier Bonnet vorstellte. Es hört auf den Namen ,Desouchière’, in Anspielung auf die verbreitete Bezeichnung ,Français de souche’ (Abstammungsfranzosen, Franzosen nicht-migrantischer Herkunft). Ähnlich konzipiert ist das ,Vlaams Huis’ (Flämische Haus) im nordfranzösischen Lille, das durch Luc Pecharman auf dem Podium präsentiert wurde und das durch dem Bloc identitaire nahe stehende Kräfte betrieben wird.

Einige Beiträge gingen zugleich relativ klar am Thema vorbei, weil die Redner hauptsächlich ihren jeweiligen ideologischen Hobbys nachgingen: Francis Bergeron, dereinst Aktivist der „Solidaristen“ (so hieb eine nationalrevolutionäre Strömung in den 1970er Jahren), stellte sein Buch über Marc Augier alias „Saint-Loup“ vor. Bei diesem handelte es sich um einen französischen Waffen SS-Offizier, der jedoch nach 1945 auch als prominenter Schriftsteller (unter Pseudonym) tätig war und 1990 in Paris starb. Das Einzige, was Bergeron darüber zur „sozialen Frage“ beizusteuern wusste, war freilich, auch „Saint-Loup“ habe sich zum Motto „Gegen Kapitalismus und Kommunismus“ erkoren. Der Schriftsteller Jean-Claude Rolinat sprach über das argentinische Peron-Regime in den 1940er und 50er Jahren. Dieses sei zwar nicht „ein verwirklichter Faschismus“ (Bergeron) gewesen – was, so Rolinat, „manche bedauern“ könnten – ; es habe dennoch Ansätze „zu einer sozialen Politik im nationalstaatlichen Rahmen“ geboten.

Jérôme Bourbon, der im März 2010 im Alter von 37 die Leitung der altfaschistischen Wochenzeitung ,Rivarol’ (die seit 1952 erscheint und zunächst den harten Kern der überlebenden Vichy- und Kollaborations-Politiker um sich scharte) übernommen hat, sprach dagegen in keiner Weise über „soziale Fragen“. Er sprach ausschlieblich über die bevorstehende Regelung der Nachfolgefrage an der Spitze des Front National und kotzte – nahezu buchstäblich – all seinen Hass gegen Marine Le Pen aus. Er könne bei einer Wahl „zwischen Gut und Böse, zwischen dem Ausverkauf an die Medien und der aktivistischen Treue“, zwischen dem Zeitgeist und den Grundsätzen der extremen Rechten „nicht neutral bleiben“. Angesichts einer so grundlegenden Gut-Böse-Entscheidung könne es keine Neutralität geben, die sich wahren lasse. Die Bezeichnung „(das) Böse“ benannte dabei offenkundig Marine Le Pen. Letztere hat Mitte Oktober 2010 Strafanzeige gegen Jérôme Bourbon erstattet, nachdem dieser sie in einem Interview – das am 16. Oktober auf einer katholisch-fundamentalistischen Homepage unter dem Namen e-Deo publiziert worden war – u.a. als „Wirrköpfige ohne Überzeugung, ohne Ideal, ohne Rückgrat“ bezeichnet hatte; um hinzufügen: „Ihre Umgebung besteht aus skrupellosen Karrieristen, aus patentierten Juden und notorischen Verkehrt-Rum-Personen (= Homosexuellen)“. Auf der Konferenz am 11. November spuckte Bourbon unter anderem den Satz aus, Marine Le Pen lebe angeblich „in wilder Ehe mit dem Juden Louis Aliot zusammen“ – der 41jährige Aliot war bis vor kurzem Generalsekretär des FN und zog sich von diesem Amt zurück, um sich dem innerparteilichen Wahlkampf auf Seiten Marine Le Pens zu widmen. Und: „Die jüdischen Medien verhätscheln Marine Le Pen, denn sie wissen, dass mit ihr dem Nationalismus die Glieder gebrochen sein werden!“

Die nur als fanatisch zu bezeichnenden Ausführungen Jérômes Bourbones brachten den Saal zum Toben. Er war nicht der einzige Redner, der eine aktive Mitmischung in die derzeitigen inneren Konflikte beim Front National predigte (wenngleich die Parteiführer der am Donnerstag repräsentierten Splitterparteien, wie Robert Spieler von der NDP, dem eher abweisend gegenüber standen). Auf der Seite gegen Marine Le Pen, natürlich. Zuvor hatte schon Christian Perez, Chef der kleineren rechten Splitterpartei Parti Populiste (PP), eine aktive Unterstützung für Bruno Gollnisch gefordert, ihm war jedoch – weil das Thema an dem Runden Tisch, an dem er teilnahm, gerade Einwanderung bzw. „Invasion“ lautete – das Wort entzogen worden. Nach ihm forderte Jérôme Bourbon seinerseits das anwesende Publikum dazu auf, in den FN einzutreten, um auf die Wahl Einfluss zu üben: „Mir hat man (= die Schiedskommission der Partei, Anm.) den Beitritt verweigert. Aber ich habe meine Ehefrau eintreten lassen. Also, veranlasst Eure Frauen, Eure Kinder, Eure Grobväter, Eure Bekanntschaften, Eure Arbeitskollegen zum Beitritt!“

Bei der Abschlussrunde stachen u.a. die Ausführungen des Rassenideologen Pierre Vial (siehe auch oben) und des 34 Jahre jungen Generalsekretärs des PdF, Thomas Joly, hervor. Zunächst sprach Joly sich dafür aus, dass die rechten Partei zwar Wahlen als „Tribüne“ benutzen, aber auf keinen Falle auf eine vor allem an Wahlen orientierte Strategie setzen sollten: Sie dürften sich „nicht ins System integrieren“, sondern ihr Ziel müsse sein, „das System zu stürzen“. Dies stellt er sich ganz offenkundig als eine Art Nazi-Revolution vor. Die Vertreter der etablierten Kräfte, fügte er hinzu, würden „dann wohl nach New York oder nach Tel Aviv ins Exil gehen“. Thomas Joly grübte vom Redner-Mikrophon auch ausdrücklich das „Unterstützungskomitee für Vincent Reynouard“, das im Saal einen Stand hatte. Reynouard ist ein wegen zahlreicher Vorfälle öffentlicher Holocaustleugnung seit einem knappen halben Jahr inhaftierter Auschwitzleugner. An dem Stand wurden ganz offen u.a. die Schrift des antisemitischen Frühsozialisten Alphonse Toussenel von 1845 – „Die Juden, Könige unserer Zeit“ -, oder „Juden und Antisemitismus“ von Lucien Rébatet (einem der führenden Ideologen und „Journalisten“ der NS-Kollaboration im besetzten Frankreich) feilgeboten. An benachbarten Ständen gab es allerdings ebenfalls feine Sachen feilgeboten. Etwa eine – ins Französische übersetzte – Broschüre des NSDAP-Ideologen Alfred Rosenberg über „Den groben Verschwörerkongress von Basel (1897)“; gemeint mit dem Titel ist der erste Zionistenkongress, der 1897 in der schweizerischen Stadt stattgefunden hatte. Bei dem Buch handelt es sich um die deutsche Version der „Protokolle der Weisen von Zion“, welche Alfred Rosenberg für die NSDAP adaptiert hat.

Pierre Vial, nachdem er (s.o.) den „ethnischen Krieg“ gefordert hatte, sprach sich seinerseits für ein vorgeblich „soziales Profil“ der Rechten aus. Nachdem er den „Materialismus“ sowohl in Gestalt des Marxismus als auch des Liberalismus – beiden sei ihr „Ökonomismus“ (d.h. ihr auf wirtschaftliche Aspekte konzentriertes Menschenbild) gemeinsam – gegeibelt hatte, forderte er dann plötzlich rote Fahnen und revolutionäres Auftreten. „Der Kampf gegen das Europa von Brüssel“, verlangte er, „bedeutet klaren Antikapitalismus!“ Und: „Die rote Fahne macht mir keine Angst. Vor allem, wenn ein Keltenkreuz darauf prangt.“ Historisch hätte er wohl ein Hakenkreuz im Visier gehabt, doch dies würde juristische Probleme aufwerfen, da tut es ein ebenfalls mit rechtsextremen Kräften identifiziertes Kreuz auch. (Das Keltenkreuz kam bei französischen Rechtsradikalen in den späten 40er und den 50er Jahren in Mode. Es handelt sich um einen Kreis, in dem ein Kreuz aufrecht steht. Dabei überragen die Balken des Kreuzes auf allen vier Seiten den Kreisumfang.)

Zum Abschluss forderte Vial, die extreme Rechte – oder ihre konsequenten Kräfte – sollten im Frühjahr 2011 „eine Demonstration für die Opfer der Pariser Kommune“ (gemeint: ihrer blutigen Zerschlagung) veranstalten. Die Commune de Paris, ein frühsozialistisches Selbstverwaltungsexperiment mit demokratischen Strukturen nach dem Zusammenbruch des „Zweiten Kaiserreichs“ von Napoléon III. (infolge des Deutsch-Französischen Kriegs von 1870/71), dauerte von März bis Mai 1871. Ihre brutale Zerschlagung durch die bürgerlich-reaktionäre Regierung von Adolphe Thiers, die sich nach Versailles geflüchtet hatte, und die spätere Repression forderte Zehntausende Todesopfer und Tausende von Verbannungen in koloniale Zuchthäuser. Diese Ereignisse jähren sich 2011 zum 140. Mal, es handelt sich also um einen „runden“ Jahrestag. Schon in den Jahren 1996/97 hatte der – inzwischen verstorbene – rechtsextreme Ideologe Jean Mabire in der damaligen FN-Wochenzeitung National Hebdo gefordert, die nationalistische Rechte solle die Commune de Paris für ihre Zwecke uminterpretieren: als Protest der nationalen Massen gegen die Niederlage im Krieg von 1870/71 und gegen die Zusammenarbeit zwischen preubischer Armee und bürgerlicher Regierung in Versailles. (Letztgenannte Kooperation war ansonsten real, da beide reaktionären Staatsmächte miteinander gegen die Commune de Paris einig waren.) Nunmehr könnten also einige faschistische Kräfte einen erneuten Anlauf unternehmen, um dieses historische Ereignis für sich zu vereinnahmen und sich als „Revolutionäre“ aufzuführen.

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