Späte Ehrung: Magnus Hirschfeld

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Geboren in Kolberg/Kotobrzeg, am 14.5.1868 und gestorben in Nizza, am 14.5.1935. Magnus Hirschfeld, der Sexualwissenschaftler und Sexualreformer, wurde von der antisemitischen Bewegung der Kaiserzeit bis hin zu den Nationalsozialisten durchgängig als Apostel der Sodomie, als jüdischer Rasse­schänder und Sittenverderber angegriffen…

Handbuch des Antisemitismus, Jens Dobler

Nachdem Hirschfeld 1887 bis 1894 in Breslau, Straßburg, München, Würzburg und Berlin Medizin studiert hatte, ließ er sich 1894 in Magdeburg und 1896 in Berlin-Char­lottenburg als Arzt nieder. 1897 gründete er mit einer Handvoll Mitstreiter das „Wis­senschaftlich-humanitäre Komitee“ als erste Homosexuellenorganisation der Welt. Zie­le waren, den Paragrafen 175 im Strafgesetzbuch abzuschaffen, die gesellschaftliche Anerkennung der Homosexuellen, die wissenschaftliche Erforschung der Homosexua­lität und eine Selbstorganisation zur gegenseitigen Stärkung aufzubauen. Die Forde­rung nach der Abschaffung des Paragrafen 175 gehörte in seiner mehr als dreißigjähri­gen Tätigkeit zur vordringlichsten Aufgabe. Mit mehreren Petitionen an den Reichstag mit Tausenden von Unterschriften teils hochstehender Persönlichkeiten, praktisch dem gesamten kritischen Geistesleben seiner Zeit, mit einer regen Publikations- und Vor­tragstätigkeit versuchte er dieses Ziel umzusetzen, musste aber letztlich scheitern.

1899 gründete Hirschfeld das „Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen“ als erste wis­senschaftliche Zeitschrift zur Erforschung der Homosexualität. 1908 gab er die „Zeit­schrift für Sexualwissenschaft“ heraus, in den 1920er Jahren war er an Zeitschriften wie „Die Ehe“ oder„Die Aufklärung“ beteiligt.
Kurz nach dem Ersten Weltkrieg gründete er in Berlin-Tiergarten das „Institut für Sexualwissenschaft“, das bis 1933 weltweit einmalig Sexualforschung, Sexualmedizin, Sexualaufklärung und Emanzipation sexueller Minderheiten unter einem Dach verei­nigte. Für die Berliner Bevölkerung wurden Frageabende angeboten, Arzte berieten bei sexuell übertragbaren Krankheiten oder ungewollten Schwangerschaften, für Se­xualdelinquenten wurden Gerichtsgutachten angefertigt, Homosexuelle und Transvesti-ten erhielten Beratung und Hilfe, eine Sammlung zeigte Sexuelles aus aller Welt, Ar­chiv und Bibliothek umfassten den größten einschlägigen Bestand ihrer Zeit.

Bereits in der Kaiserzeit wurden Hirschfeld und die Homosexuellenbewegung von bekannten Antisemiten wie ► Adolf Stoecker oder ► Eugen Dühring als jüdische Verschwörung angegriffen. Den vorläufigen Höhepunkt bildeten die Eulenburg-Pro­zesse (1906/1909), in denen die „Hebräer“ Hirschfeld, Maximilian Harden und dessen Anwalt Max Bernstein als vermeintliche Drahtzieher denunziert wurden. Im Oktober 1920 wurde Hirschfeld nach einem Vortrag in München von Anhängern der national­sozialistischen Bewegung zusammengeschlagen und schwer verletzt. Andere Vorträge in diesem Jahr wurden mit Stinkbomben gestört. In allen nationalsozialistischen Zei­tungen und Pamphleten wurde Hirschfeld ausschließlich als entstellte Karikatur mit Hakennase gezeichnet und als Staatsfeind behandelt. Es kann als sicher gelten, wäre Hirschfeld 1933 in Berlin gewesen, dass ihn ein ähnliches Schicksal wie das Erich Mühsams im KZ Oranienburg erwartet hätte. Hirschfeld begab sich 1931 auf eine Vor­tragsreise in die USA, die zu einer einjährigen Weltreise wurde. Als er im April 1932 in der Schweiz war, wurde er wegen der gefährlichen politischen Lage dringend davor gewarnt nach Berlin zurückzukehren. Die Plünderung seines Instituts am 6. Mai 1933 anlässlich der Bücherverbrennung erlebte er in einem Pariser Kino. Hirschfeld starb 1935 im Exil in Nizza.

Nach dem Nationalsozialismus wurde Hirschfeld in beiden deutschen Staaten jahr­zehntelang totgeschwiegen. Erst 1994 wurde aus Anlass des 75. Gründungsjubiläums in der Nähe des ehemaligen Institutes für Sexualwissenschaft im Tiergarten eine Ge­denkstele eingeweiht, ein Jahr später eine weitere vor Hirschfelds Wohnhaus in der Otto-Suhr-Allee 93 in Berlin-Charlottenburg. Am 6. Mai 2008 wurde die Promenade an der Spree, gegenüber dem Bundeskanzleramt zwischen Moltke-Brücke und Kanzlergarten als „Magnus-Hirschfeld-Ufer“ benannt.

glbt-news.israel-live.de | m. hirschfeld