Viel Theater um einen Tisch: Der Heidelberger Israel-Streit

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Der Heidelberger Stückemarkt, anfangs ein alljährlich stattfindender Wettbewerb für Nachwuchsautoren, hat sich  mittlerweile zu einem renomierten Theaterfestival entwickelt, bei dem seit etlichen Jahren jeweils ein Gastland vorgestellt wird. So wurden in den letzten Jahren  Theaterstücke, Texte und Autoren aus Frankreich, Italien, Polen, Rumänien, Kroatien vorgestellt. 2009 ging es um Estland und 2010 ist Israel das Gastland…

„Das Theater ist weder eine Schulstube noch ein Priesterseminar.
Die Leute sollen entweder lachen oder flennen. Oder beides“.  (Carl Zuckmayer)

Von Ramona Ambs

Jan Linders – Festspielleiter und stellvertretender Intendant war selbst viele Male in Israel und seit Mai 2009 besteht eine Theaterkooperation zwischen dem Theater Heidelberg und dem Teatron Beit Lessin. Ein erstes gemeinsames Stück „They Call Me Jeckisch“ lief bereits im Januar an. Gute Voraussetzungen also, um die Theaterlandschaft Israels auf dem Stückemarkt zu präsentieren. Eigentlich – jetzt aber gibt es Streit.

Im Rahmen des diesjährigen Heidelberger Stückemarkts sollte der Berliner Alexander Verlag, ein auf Theaterliteratur spezialisierter Verlag, einen Büchertisch im Foyer des Theaters bekommen. Anfang April nun wollte Georg Stein für seinen in Heidelberg ansässigen Palmyra Verlag ebenfalls einen Büchertisch im Foyer anbieten. Laut Jan Linders war man von der Idee wegen der einseitigen Positionierung des Palmyra-Verlags nicht begeistert, wollte den Verlag aber auch nicht ausschließen und war daher einverstanden, dass der Verlag seine Bücher präsentierte. Linders meinte halb scherzhaft während des Telefonats, man wolle hoffentlich nicht nur Bücher mit Arafat auf dem Cover auslegen und bat, zwecks Absprache mit der Verwaltung und der Intendanz, um vorherige Zusendung einer mailliste mit den Büchern. Dann habe man zehn Tage lang nichts mehr gehört, bis man den offenen Brief von Georg Stein erhalten habe, in dem dieser seine Beteiligung am Festival absagt. In diesem Brief von Georg Stein an den Schauspieldirektor Jan Linders heisst es :

„Offene Kulturarbeit, und um nichts anderes kann es in unserer Gesellschaft gehen, kann  und darf – gerade auch in Sachen Israel/Palästina – nicht bedeuten, dass zensurartig  vorab entschieden werden soll, welche Bücher ausgelegt werden dürfen und welche nicht. Ihre Äußerung, das israelische Publikum u.a. nicht mit einem „Arafat- Buchumschlag“ konfrontieren zu wollen, zeugt von einer leider doch sehr einseitigen, mutlosen und opportunistisch anmutenden Herangehensweise des Theaters an die Thematik. Der sehr einseitige Ansatz des Stückemarkts zeigt sich bereits in der banalen Aufmachung des Gesamtprospekts, der stark an die Publikationen des israelischen Tourismusministeriums erinnert und die Palästinenser auf eine folkloristische Kulisse reduziert. Nicht minder deutlich wird diese Einseitigkeit in den teilweise politisch sehr unreflektierten Formulierungen in den diversen Begleittexten („Araber gegen Juden“ u.a.).“

Ist dieser Vorwurf berechtigt?

In dem zum Stückemarkt gehörenden Booklet findet man tatsächlich die kritisierte Stelle. Avishai Milstein, Chefdramaturg am Teatron Beit Lessin in Tel Aviv schreibt nämlich:

„Drama ist die Kunst des Konflikts, und im Staat Israel gibt es viele Konflikte: Juden versus Araber, religiöse Juden versus säkulare Juden, neue Immigranten versus alteingesessene Einwohner, abgelegene und kleinere Orte versus etablierte Großstädte usw. … In einem Land, in dem es im Schnitt alle drei Jahre Krieg gibt, alle zweieinhalb Jahre Neuwahlen und das ungefähr drei Millionen neue Einwanderer in den letzten zwanzig Jahren aufgenommen hat, ist es kein Wunder, dass die Zuschauer nach Stücken lechzen, die ihre Probleme thematisieren.“ -und auch der Umgang mit den Palästinensern wird in diesem Text durchaus theamtisiert:

„(..) in den frühen 70er Jahren, profilierten sich wichtige politische Theaterautoren, unter ihnen Hanoch Levin, Hillel Mittelpunkt und Joshua Sobol. Im Zentrum ihres Schaffens steht der Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Umgangs mit den Palästinensern. Sie zeigen die sozialen Brüche innerhalb der Gesellschaft auf, die aus dem Schmelztiegel Israel resultierten“.

Auch der Text von Jan Linders in dem von Stein kritisierten Begleitheft kann nur schwerlich als Publikation des israelischen Tourismusministeriums interpretiert werden. Denn da steht:

„Von Normalität kann noch immer keine Rede sein, fast achtzig Jahre nach der Entrechtung, Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch die Deutschen, über sechzig Jahre nach der Gründung des Staates Israel. Jeden Tag ist der Nahe Osten in den Medien der Welt, jeden Tag gibt es Bilder von Politikern und Militärs, Raketen und Luftangriffen, Panzern und Sperrmauern, palästinensischem Leid und israelischer Selbstbehauptung. Die Lage im kleinen Gebiet zwischen Jordan und Mittelmeer ist extrem komplex und asymmetrisch, sie lässt sich nicht einfach als Konflikt von Zionisten und Palästinensern erzählen. Je näher man hinschaut, desto dramatischer und unauflösbarer wird die Situation – im Großen wie im Kleinen.“

Es ist daher nicht nachvollziehbar, weshalb Georg Stein sich aus diesem Festival auf diese Weise zurückzieht. Hätte er seinen Palmyra-Büchertisch angeboten, hätte er ja vor Ort seine Sicht der Dinge- möglicherweise sogar gewinnbringend – vertreten können. So aber bleibt man ratlos zurück. Die grundsätzlichen Fragen, inwieweit Theater politisch sein soll und muss, bleiben davon unberührt, denn das Festivalprogramm bietet zahlreiche politische Stücke, die die Konflikte im heutigen Israel thematisieren. Einige Fragen wirft der Vorgang dennoch auf:

1. Ist es in Deutschland möglich (und sinnvoll) Israel zu präsentieren, ohne den Palästina-Konflikt mit einzubeziehen?

2. Muss ein Theaterfestival sich politisch positionieren?

3. Wird dem Theater Leipzig, dass eine Kooperation mit dem Freedom Theatre aus Palästina begonnen hat, auch vorgeworfen, Israelis und deren Lebensrealität zu negieren? Immerhin heisst es in einer Stückekritik vom letzten Herbst: „Die Palästinenser machen Israel für ihre Lage verantwortlich, aus ihrer Sicht verständlich. Ob Selbstmord-Anschläge aber auf dem Weg zur Freiheit weiterhelfen, ist zweifelhaft – die klammert das Stück jedoch aus. Den Zuschauern jedenfalls hat gefallen, was sie gesehen haben. Sie danken den weit gereisten Schauspielern mit lang anhaltendem Applaus.“?

Diese Fragen beziehen sich allesamt auf Deutschland und den deutschen Blick auf Israel und auf Palästina.

Ulrich Sahm hat als einer der Ersten auf den offenen Brief von Georg Stein reagiert und beantwortet einen Teil der hier gestellten Fragen aus seiner Sicht. Wir möchten deshalb seinen offenen Brief hier ebenso vollständig präsentieren, wie auch den Brief von Georg Stein.

Offener Brief von Georg Stein

Offener Brief von Ulrich Sahm

Stellungnahme von Jan Linders, Festivalleiter Heidelberg

Hier der link zur pdf-Version des kritisierten Booklet zum Heidelberger Stückemarkt.

Außerdem: Palmyraverlag und last hier zum Bericht in der Heidelberger Tageszeitung RNZ.

8 Kommentare

  1. Es ging mir nicht darum, Herrn Stein in Schutz zu nehemn. Aber mehr Gelassenheit wäre hier hilfreich gewesen. Man hat ihm doch dadurch erst die große Bühne gegeben. R.J:

  2. Der Auftritt des Herrn Stein war sicher die bisher medienwirksamste Aktion im Zusammenhang mit dem Heidelberger Stückemarkt, aber nicht die einzige mit emtsprechender Stoßrichtung. So versammelten sich vor der gestrigen Eröffnungsveranstaltung etliche „Friedensaktivisten“ -die Anführungszeichen stehen für meine Zweifel daran, dass solche Aktionen wirklich dem Frieden dienen- vor dem Heidelberger Theaterkino. (Wie angekündigt, siehe Stellungnahme von Jan Linders) Eine Fahne zeigte die Aufschrift „Applaus für Besatzung?“ Mit der Wahl des Wortes „Applaus“ wird eine direkte Verbindung zwischen dem Theater und der Besatzung hergestellt. Das ist, gelinde gesagt, problematisch. Ohne natürlich die politischen und sonstigen Einsttellunge aller Autoren zu kennen, wage ich einfach mal zu bezweifeln, dass die Hauptunterstützer der Siedlerbewegung in der Kulturszene Tel Avivs zu finden. Schlimm ist aber vor allem die Verengung des Blicks auf den Staat Israel und seine Gesellschaft auf den Konflikt mit den Palästinensern. Wenn Israelische -sei es im Sport, der Wissenschaft oder eben der Kultur- mit dem Konflikt in Verbindung gebracht wird, macht dies deutlich, dass es nicht nur um politische Kritik geht, sondern um Diffamierung und Delegitimierung des jüdischen Staates Israels geht. Dass vor allem europäische Medien und Aktivisten es immer wieder verstehen, den Menschen in Israel genau diesen Eindruck zu vermitteln, ist aus meiner Sicht ein gewichtiges Friedenshindernis. (Sovielzu den Anführungszeichen, s.o.)

    Es wäre indes bedauerlich, wenn die Diskussionen über Demonstrationen ind andere Maßnahmen den künstlerischen Aspekt des Stückemarktes überlagern oder gar verdrängen würden. So war etwa Savjon Liebrechts Eröffnungsstück „Die Banalität der Liebe“ über die Beziehung von Hannah Arendt und Martin Heidegger grandios; es bleibt zu hoffen, dass sich Ãœbersetzer und Verleger für eine deutsche Bühnenfassung finden.

    Schließlich sei auf diesem Wege Intendant Peter Spuhler und Festivalleiter Jan Linders für ihr Engagement gedankt, dass nicht nur Freunde, dafür aber ganz sicher gute Frucht bringt.

  3. Ich glaube, da liegt ein Missverständnis vor. Leute wie Herr Stein lehnen jede Auseinandersetzung mit Israel und dem Konflikt mit Palästinensern ab, es sei denn eine klare und ungeteilte Verurteilung Israels kommt dabei heraus. Daher können wohl nur Antisemiten in den Augen eines Herrn Steins seinen Anforderungen genügen. Wer aber keine antisemitische Veranstaltung machen will (zu Recht selbstverständlich), wird in Herrn Stein und seinesgleichen nie einen Freund finden.

  4. Bei allem Verständnis ist die „Zensur“ nicht nachvollziehbar. Es sollten doch Bücher ausgestellt werden, die zum Thema Israel passen. Man tut uns mit dieser Vorgehensweise keinen Gefallen.

  5. Der mir bis dahin nicht bekannte Herr Stein hat vor etwa 10 Tagen telefonisch angefragt, einen Büchertisch beim Stückemarkt zu machen. Gleichzeitig hat er mir zu verstehen gegeben, wie einseitig und ungenügend er unser Programm finde. Daraufhin habe ich ihn erstens gefragt, warum er überhaupt einen Büchertisch machen wolle. Zweitens zum Thema Einseitigkeit gesagt, das könne man ja auch seinem Verlagsprogramm vorwerfen, aus dem ich im übrigen mehrere Bände besitze, u.a. auch den Band mit dem Arafat-cover, den ich in der Tat unseren israelischen Gästen nicht als erstes unter die Nase halten würde. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir schon dem Alexander Verlag Berlin, einem der wichtigsten Theaterbuchverlage in Deutschland, einen Büchertisch zugesagt. Ich habe also den Vorschlag gemacht, ob er seine Bücher an diesem Tisch mitverkaufen wolle.
    Am Ende des Telefonats haben wir uns so besprochen, dass Herr Stein eine Mail mit seinen Wünschen schickt, die ich natürlich im Haus mit Verwaltungsleitung und Intendanz abstimmen muss. Diese Mail ist nie gekommen – stattdessen der offene Brief. Die Zensur-Vorwürfe sind insofern absurd.

    Es gibt seit Zustandekommen unserer von der Bundeskulturstiftung und weiteren Institutionen wie dem Goethe Institut Tel Aviv und dem Land Baden-Württemberg geförderten zweijährigen Theaterpartnerschaft mit dem Teatron Beit Lessin Proteste einer Initiative in Heidelberg. Diese Gruppe habe ich im Sommer 2009 zu einem etwa zweistündigen offenen Gespräch getroffen. Beim Gastspiel des Freedom Theatre, Jenin, im Oktober 2009 mit dem Stück FRAGMENTS OF PALESTINE und der Filmvorführung ARNA’S CHILDREN haben wir der Gruppe einen Infostand im Foyer des zwinger eingeräumt; sie war auch an der langen Diskussion beteiligt.

    Seitdem protestiert diese Gruppe mit Flyern vor Veranstaltungen unserer Partnerschaft, etwa THEY CALL ME JECKISCH über Israelis der ersten bis dritten Generation mit deutschen Wurzeln.
    Generation mit deutschen Wurzeln. Die Gruppe hat auch für die morgige Eröffnung eine kleine Mahnwache angekündigt.

    Der Vorwurf der Gruppe, wir würden mit einem einseitigen Programm den Israel-Palästina Konflikt ignorieren, ist so nicht zutreffend.
    Sowohl in der Eröffnungspremiere DIE BANALITÄT DER LIEBE wie auch THEY CALL ME JECKISCH, der Lesung BERG sowie dem Gastspiel ZWÖLF UHR MITTAGS wird der Konflikt kritisch angesprochen. Außerdem geht es uns in der Partnerschaft und im Festival darum, jenseits des in allen Medien ständig präsenten Konflikts andere, unbekannte Geschichten aus dem Israel von heute zu erzählen.

    Weiter schlägt die Gruppe vor, ein kombiniertes Israel-Palästina-Festival zu veranstalten. Dies zeugt nicht nur unseres Erachtens von einer Unkenntnis der aktuellen politischen und kulturellen Situation. Seit Beginn der zweiten Intifada sind die allermeisten Künstler aus der West Bank und dem Gazastreifen nicht zu Auftritten zusammen mit Israelis bereit, auch und gerade nicht im Ausland. Diese gemeinsamen Auftritte würden eine leichte Versöhnbarkeit der Gegensätze suggerieren, die politisch so nicht gegeben ist. Die israelischen Kontrollbestimmungen machen zudem einen direkten Kontakt von Künstlern in der Region unmöglich. Ein gemeinsames Festival, so es überhaupt zustande käme, wäre politisch nachgerade naiv.
    Wir planen unabhängig vom Festival aber, eine Aufführung der Theaterpartnerschaft des Schauspiels Leipzig mit Jenin einzuladen, so wie wir, siehe oben, das Theater aus Jenin auch schon zu Gast hatten.

    Drittens behauptet die Gruppe, unsere Aktivitäten seien Mittel einer israelischen Propagandaoffensive. Das Gegenteil ist der Fall. Sowohl Stückemarkt als auch Theaterpartnerschaft sind seit Herbst 2008 in Planung, also vor dem Gaza-Krieg, und sind erst seit neuestem von der israelischen Botschaft gefördert. Ferner gehören die meisten eingeladenen Künstler dem regierungskritischen Spektrum an – und stehen jeweils im Anschluss an die Aufführungen bzw. Lesungen zu Gesprächen zur Verfügung.

    Zum Abschluss: Wir vom Theater Heidelberg bemühen uns gerade, durch Theaterpartnerschaft, Stückemarkt-Gastland, Einladungen von Gastspielen zum Thema Shoah und Israel und Eigenproduktionen wie ALLES IST ERLEUCHTET und DIE DEMJANJUK-PROZESSE ein extrem differenziertes Bild zum Themenkomplex zu zeichnen, der in der deutschen Theaterlandschaft zur Zeit seinesgleichen sucht und vom Heidelberger Publikum und der regionalen und überregionalen Kritik mit großem Interesse aufgenommen wird.
    Jan Linders, Festivalleiter

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