Weitere Bemerkungen zum Problemkreis „Psychoanalyse und Politik“

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»Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei, erst geht der Führer, dann geht die Partei.« Wer das 1944 laut und zum Falschen sagte, der konnte darüber sein Leben verlieren. Wer hätte damals geglaubt, dass auch 40 Jahre später weder Führer noch Partei »vorüber« sind. Das Gespenst Hitlers und der Alptraum, den er für zwölf Jahre über Europa brachte, sollten nun, so meint eine neue Generation von Deutschen, endlich durchgearbeitet und überwunden werden, um, so denken sie, eine Wie­derholung unmöglich zu machen… 

Eine Vorbemerkung von Roland Kaufhold
 

„… Um noch einmal auf den Beitrag von Eissler (1963) zurückzukommen, so verdanke ich ihm, dass ich nun endlich verstehe, warum man mich niemals nach meinen Erfahrungen im KZ gefragt hat. Unter dem Vorwand, meine Gefühle schonen zu wollen, verbarg sich die Angst vor eigenen Konflikten, die durch die Berichte über die Schrecken des Lagerlebens ausgelöst werden konnten.“
Ernst Federn (1986, S. 466)

Ernst Federns Biographie ist in jeglicher Hinsicht höchst außergewöhnlich und „kontrovers“. Federn war sehr früh und äußerst mutig im österreichischen Untergrund im Kampf gegen den Faschismus engagiert, wurde deshalb mehrfach inhaftiert und aus der Universität ausgeschlossen. Er arbeitete daraufhin, das Beste aus der Not machend, als Sekretär seines Vaters, war an der Entstehung einiger psychoanalytischer „Klassiker“ unmittelbar beteiligt – seine Studien und sein Wirken sollte jedoch, gerade bei Psychoanalytikern, über Jahrzehnte hinweg keinerlei Resonanz erfahren – weder in den USA noch im deutschsprachigen Raum. Im Konzentrationslager wurde er als Jude und Stalin-Gegner sowohl von den Nationalsozialisten als auch von führenden Kommunisten – Mitglieder der sogenannten „Häftlingsselbstverwaltung“ – existentiell bedroht.

Der Anlass für Ernst Federns nachfolgend publizierte Studie: Paul Federn sprach ein – bis heute politisch sehr umstrittenes – Verbot für psychoanalytische Kandidaten aus, sich in dieser Phase der politischen Verfolgung politisch an „illegalen“ Untergrundaktivitäten zu engagieren – während sein eigener Sohn zeitgleich intensiv an Untergrundaktivitäten beteiligt war, einer Gruppe von sieben „Schutzbündlern“ Unterschlupf im elterlichen Haus bot.

Von 1948 – 1960 war Federn in New York im Vorstand des „Verbandes der ehemaligen Insassen der deutschen Konzentrationslager“ – und 1972 kehrte er auf Einladung der österreichischen Regierung (Kreisky, Broda) wieder nach Österreich zurück; eine singuläre Entscheidung: Kein weiterer aus Österreich vertriebener Psychoanalytiker ist auf Dauer wieder nach Österreich zurückgekehrt (!). Wenige Jahre später musste Federn sich von einem jüngeren, für Entschädigungsverfahren zuständigen Beamten in aller geistigen Unschuld fragen lassen, warum er denn in den Jahren von 1936 – 1945 keiner geregelten Arbeit nachgegangen sei…

Weiter: Ernst Federn arbeitete die deutschsprachigen „Protokolle“ der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung – die Sigmund Freud seinem Stellvertreter auf dessen Weg ins amerikanische Exil geschenkt hatte – als treuer Sohn seines Vaters in einem vieljährigen Arbeitsprozess auf; erstmals publiziert wurde dieses deutschsprachige historische Quellenwerk jedoch auf englisch, nicht auf deutsch. Federn publizierte als einer der Ersten kurz nach seiner Befreiung, als Überlebender der Shoah, zwei große wissenschaftliche Studien zu einer Psychologie des Terrors – sie blieben für über 50 Jahre unveröffentlicht, fanden keinerlei Interesse.

Federn, der ein wirkliches Opfer der Shoah war, lehnte es immer entschieden ab, sich als ein „Opfer“, gar als einen „Traumatisierten“ bezeichnen zu lassen. So schrieb er 1986 in seiner Rezension zu Lohmanns (1984) Buch „Psychoanalyse und Nationalsozialismus. Beiträge zur Bearbeitung eines unbewältigten Traumas“, unter ausdrücklicher Berufung auf seine Biographie als ehemaliger KZ-Häftling: „Ich möchte mich dagegen wenden, KZ-Opfer als eine besondere Kategorie von Menschen zu behandeln. Der erwachsene Mensch ist ohne Zweifel imstande, furchtbare Erfahrungen zu ertragen. Die Geschichte, auch die Geschichte des Dritten Reiches, zeigt das zur Genüge“ (Federn, 1986, S. 466).

Als Anfang der 1980er Jahre innerhalb der deutschen psychoanalytischen Verbände erstmals (!) intensiv und kontrovers das Thema „Psychoanalyse und Nationalsozialismus“ diskutiert wurde verteidigte Ernst Federn 1985 in einem in der Psyche publizierten Beitrag die damalige Entscheidung seines Vaters bzgl. eines „Unvereinbarkeitsbeschlusses“ – womit er erneut „zwischen allen Stühlen“ saß.

Nachfolgend wird Ernst Federns 25 Jahre alter, sehr kontroverser Beitrag „Weitere Bemerkungen zum Problemkreis `Psychoanalyse und Politik´“ als zeitgeschichtliches Dokument publiziert: Er hat dieses Thema hierdurch angeregt – „bewältigt“ ist es bis heute in keinster Weise, wie man den neuesten Ausgaben der Psyche (Stellungnahmen von David Becker, Psyche 3/2010 sowie von Elisabeth Brainin/Samy Teicher, Psyche 4/2010, als Replik auf eine Studie von Michael Schröter, Psyche 11/2009) entnehmen kann.

Weitere Bemerkungen zum Problemkreis »Psychoanalyse und Politik«

 Von Ernst Federn

»Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei, erst geht der Führer, dann geht die Partei.« Wer das 1944 laut und zum Falschen sagte, der konnte darüber sein Leben verlieren. Wer hätte damals geglaubt, dass auch 40 Jahre später weder Führer noch Partei »vorüber« sind. Das Gespenst Hitlers und der Alptraum, den er für zwölf Jahre über Europa brachte, sollten nun, so meint eine neue Generation von Deutschen, endlich durchgearbeitet und überwunden werden, um, so denken sie, eine Wie­derholung unmöglich zu machen. Was man bewusst verarbeitet hat, kön­ne für immer als schädigendes Element ausgeschieden werden. Diese aus der Psychoanalyse übernommene Auffassung bedarf selbst innerhalb der Psychoanalyse einiger Qualifikationen, schon deswegen, weil die Bewusstmachung allein auch in einer psychoanalytischen Behandlung noch nicht die Heilung bringt. Es bedarf eines Zweiten, um eine endgültige seelische Verarbeitung durchführen zu können. Auch beim Individuum gehen gewisse traumatische Ereignisse eben nicht einfach vorüber. Ebensowenig ist der Wunsch, zu vergessen und »Schwamm drüber« zu sagen, eine Lösung.

Die Versuche, sich mit der schrecklichen Vergangenheit des Nationalso­zialismus auseinander zusetzen, sind daher notwendig und gerechtfertigt. Auch die heutige Generation der deutschen Psychoanalytiker kann an diesem Problem nicht vorbeigehen. Das Thema »Psychoanalyse in Hitlerdeutschland« wurde also von der Redaktion der Psyche, wie ich mei­ne, zu Recht zur Diskussion gestellt. Das zwölfte Heft des 37. Jahrgangs war (wie das elfte des 36.) diesem Thema zur Gänze gewidmet. Daraus entstand ein in vielen Briefen geführter Streit, der dann als »Dokumen­tation einer Kontroverse« im April 1984 unter allen deutschen Psycho­analytikern verbreitet und selbst in den Vereinigten Staaten gelesen wur­de. Damit scheint die Diskussion aber keineswegs beendet zu sein. Im sechsten Heft der Psyche des 38. Jahrgangs erschien ein weiterer Artikel über »Psychoanalyse und Politik« von Thea Bauriedl, die das Thema neuerdings auf ihre Art aufgreift.

In dieser Situation bin ich mit Hans Müller-Braunschweig übereinge­kommen, uns zu Wort zu melden, da unsere Väter kritisiert wurden. Wir sprechen als Psychoanalytiker, die meinen, dass in der bisher ge­führten Debatte sehr vieles ganz schief gesehen wird, dass in der Diskus­sion über die Haltung Paul Federns und Carl Müller-Braunschweigs we­sentliche Prinzipien psychoanalytischen Denkens vernachlässigt worden sind. Bei diesen Prinzipien handelt es sich darum, die Situation des zu Analysierenden genau zu kennen und zu unterscheiden, was aus unbe­wussten Motiven und was bewusst falsch gemacht wurde. Dieses letztge­nannte Prinzip scheint mir wichtig, da ja Psychoanalytiker C. G. Jung gegenüber sehr kritisch waren und ihm seine Einstellung zum National­sozialismus nie vergeben haben. Ich denke, dass C. G. Jung aus seiner ganzen Persönlichkeit heraus für eine gewisse Zeit dem Nationalsozia­lismus positiv gegenüberstand, während Carl Müller-Braunschweig aus­schließlich aus politischen Motiven heraus gehandelt hat. Paul Federn wird ja, da er mit dem Nationalsozialismus nichts zu tun hatte, aus an­deren Gründen kritisiert.

Was nun das erste Prinzip anlangt, so meine ich, dass die heutigen Dis­kussionsteilnehmer, vor allem Helmut Dahmer, Hans-Martin Lohmann und Lutz Rosenkötter ((Bzgl. Lutz Rosenkötters Biographie verfügte Ernst Federn nicht über ausreichend Kenntnisse: Rosenkötters Mutter war Jüdin, so dass er in der Nazizeit als „Halbjude ersten Grades“ galt, während der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt wurde und nur mit viel Glück überlebte. Seine Eltern starben im Nationalsozialismus. Der in Frankfurt a. M. tätige Psychoanalytiker Rosenkötter war viele Jahre lang Redakteur der Psyche. Literaturhinweise: Das Hexeneinmaleins des Faschismus. Podiumsdiskussion mit  Johannes Cremerius, Paul Parin und Lutz Rosenkötter In: Werkblatt Nr. 36, 1/1996, S. 22-53; Rosenkötter, L. (2008): Meine Jugend in der NS-Zeit und mein Leben als Psychoanalytiker in; Hermanns, L. M. (2008): Psychoanalyse in Selbstdarstellungen, Bd. VII, Heidelberg (Asanger); Anmerkung RK.)), sich offenbar nicht vorstellen können, was es hieß, in einem Land zu leben, in dem man wegen des eingangs zitierten Reims sein Leben riskierte.

Ich habe diese Zeit als junger, politisch aktiver Mann miterlebt. Es scheint mir, als ob die Urheber der Diskussion glauben, ein Widerstand gegen das Hitlerregime wäre nach dem 31. Jänner 1933 überhaupt mög­lich gewesen. Das ist ein durch nichts begründeter, aber sehr schwerwie­gender Irrtum. Wer ihn vertritt, versteht nicht das Wesen einer totalitä­ren Diktatur und wird die ganze Geschichte des 20. Jahrhunderts nicht begreifen. Ich gehe von der Voraussetzung aus, dass Carl Müller-Braun­schweig und die anderen Psychoanalytiker nur die Wahl hatten, sich mit dem Regime zu verständigen oder das Land zu verlassen. Das Argu­ment, dass es Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus gege­ben hat, kann nicht als gültig angesehen werden, denn, so bewunderns­wert der Heldenmut derjenigen war, die ihrer Gesinnung wegen in den Tod und noch Schlimmeres gingen, so haben sie doch weder »vernünf­tig« noch »politisch« gedacht. Ich spreche natürlich nicht von denen, die mit Hitler an den Hebeln der Macht saßen, also von den Generälen und Leuten wie Speer etc. Aber ein nicht politisch organisierter Deutscher wie Müller-Braunschweig hatte keine andere Wahl als mitzumachen oder zu emigrieren.

Als ich im Mai 1938 in das Konzentrationslager Dachau eingeliefert wurde, war mir sehr schnell klar, dass ich nur eine Chance hatte zu über­leben, nämlich, das mir zugeteilte Schicksal eines Arbeitssklaven so gut wie möglich zu erfüllen. Der Historiker darf niemals annehmen, die Menschen, von denen er spricht, hätten ahnen können, was später ge­schah.

Ich führte darüber mit Bruno Bettelheim, der diese Ansicht nicht teilte, noch in Buchenwald lange Diskussionen. Er hatte das Glück, nach ei­nem Jahr befreit zu werden. Und in diesem Jahr war die ihm zugeteilte Sklavenarbeit immer eine sehr leichte, weil er an Kurzsichtigkeit litt. Er hat dann später in vielen Veröffentlichungen seinen Standpunkt vertre­ten, den ich bei aller persönlichen Freundschaft und Hochschätzung sei­nes Werkes nach wie vor für unhaltbar ansehe. Gegen ein modernes to­talitäres Regime gibt es keinen inneren Widerstand. Warum das so ist, hoffe ich einmal in einem Buch darlegen zu können. Der praktische Schluss daraus ist nur zu klar: Es muss alles versucht werden, die Entste­hung solcher Diktaturen zu verhindern. Jede Kritik an der politischen Haltung der Nazigegner kann sich daher nur auf die Zeit vor dem Jän­ner 1933 beziehen und gehört nicht in diese Diskussion.

Ich meine, dass gerade Psychoanalytiker sich die menschlich verständliche kritische Hal­tung des Überlebenden nicht leisten dürfen. Am Ende sind es die einen, die Märtyrer feiern, und die anderen, die sterben mussten. Warum das so ist, sollten Analytiker zwar verstehen, aber nicht mitmachen. Trotzdem möchte ich doch noch einen Autor sprechen lassen, der einem anderen Land und einer jüngeren Generation angehört. S. Gordon schreibt in »Hitler, Germans and the Jewish Question« (Princeton University Press, 1984, S. 303): »Only a few men are heroes and it is Utopian to hope that the average human being will risk his security, much less his life for others, especially in wartimes when bombings and shortages of food and shelter drain psychological reserves of good will.« (Nur sehr wenige Menschen sind Helden, und es ist eine Utopie zu hoffen, dass ein durch­schnittliches menschliches Wesen seine Sicherheit oder gar sein Leben für andere riskieren wird, besonders in Kriegszeiten, wenn Bomben und Mangel an Nahrung und Wohnung die seelischen Reserven an gutem Willen aufzehren.)

Bereits Lenin hatte erkannt, dass Revolutionen nur gelingen können, wenn die Herrschenden nicht mehr regieren können und die Beherrschten nicht mehr wollen. Das Elend der Unterdrückten allein aber kann niemals zu einem erfolgreichen Widerstand führen. Ich möchte hier nicht darauf eingehen, warum es zu allen Zeiten Märty­rer und Widerstandskämpfer gegen Unrecht und Unterdrückung gege­ben hat. Sie zu bewundern ist eine ganz andere Sache. Realistisch gese­hen, sind aber die erfolgreichen Revolutionäre, und auch das hat Lenin gesagt, diejenigen, die wie Müller-Braunschweig überlebt haben, bis ihre Zeit gekommen ist. Damit soll der letztere nicht zu einem revolutionä­ren Kämpfer gemacht werden. Er mag sogar politisch nicht geschickt gewesen sein, wie die Episode mit Anna Freud zeigt. Aber ihm die An­passung an das Naziregime vorzuwerfen, scheint mir ungerechtfertigt. Die Kritik an Formulierungen, die uns heute abstoßen, ist gerade aus psychoanalytischer Sicht ungerecht. Warum sollte er, ambivalent und gegen seine Überzeugung schreibend, einen gewählten Ausdruck fin­den? Sicherlich war August Aichhorn, der wusste, wie man mit Kriminel­len und Delinquenten umgeht, hier der Geschicktere. Auch er überlebte, betrieb Psychoanalyse, blieb aber zu Recht von aller Kritik ungeschoren. Aichhorn kam allerdings erst 1938 ins »Dritte Reich« und war Wiener. Es gilt nun die Frage zu erörtern, ob es besser gewesen wäre, die Psy­choanalytische Vereinigung hätte sich aufgelöst und ihre Mitglieder wä­ren emigriert, wie es ja praktisch die Österreicher gemacht haben. Nur Aichhorn und Winterstein sind geblieben; der letztere war als Halbjude dauernd in Gefahr und aktionsunfähig. Standen die deutschen Psycho­analytiker zwölf Jahre unter politischem Druck, der die Psychoanalyse unmöglich machte, so waren es bei den Österreichern fünfzehn Jahre, wobei es richtig ist, dass die russische Besatzung sich um die Psychoana­lyse nicht gekümmert hat. Aber sie machte einen schnellen Aufbau der Vereinigung unmöglich. Man darf sagen, dass vielleicht die heutige Stär­ke der DPV doch nicht ganz unabhängig davon ist, was Müller-Braun­schweig und seine Leute damals versucht hatten, nämlich, sich mit dem Nationalsozialismus zu arrangieren.

Wäre es anders gekommen und die Entwicklung der Psychoanalyse nach dem Krieg hätte ausschließlich von den Amerikanern und den Engländern abgehangen, so wären die Probleme heute keine anderen. Das kann sicherlich von dem gesagt werden, was P. Parin »Medicozentrismus« nennt, denn der wäre nur ärger geworden. Die Psychoanalyse wä­re zu einer amerikanischen Einfuhrware geworden, und die Möglich­keit, zumindest für Psychologen die Anerkennung zu bekommen, Psy­choanalytiker zu werden, hätte es vielleicht überhaupt nicht gegeben. Ich meine daher, dass die Diskussion über die Vergangenheit, soweit sie deren Bewältigung dienen soll, gerechtfertigt ist. Soweit sie aber geführt wird, um gegenwärtige Probleme zu lösen, scheint sie mir keinen guten Dienst zu tun und eher von einer Behandlung der heutigen Verhältnisse abzulenken.

Damit komme ich zur letzten Frage, zu der Beziehung der Psychoanaly­se zur Politik und damit zu der Kritik an meinem Vater, der Kandidaten und Patienten nach 1934 verboten hatte, illegal tätig zu sein, wenn sie sich psychoanalytisch ausbilden oder behandeln lassen wollten. Dieser Vorwurf gegen die Wiener Psychoanalytische Vereinigung, den Thea Bauriedl in ihrem Aufsatz »Psychoanalyse und Politik« wiederholt hat, wurde zuerst von Marie Langer erhoben. Wie ich aus mehreren Diskussionen weiß, wurde er von ihr auch unter Gruppen junger Stu­denten verbreitet. Das Verbot wurde auch tatsächlich ausgesprochen, und zwar war es Paul Federn, der darauf bestand. Weder Anna Freud noch ihr Vater erhoben einen Einwand. Es war eine weise und voraus­schauende Maßnahme. Ich selbst, der ich damals sehr intensive illegale Arbeit betrieb, konnte meinem Vater hierin nur beistimmen. M. Langer selbst verließ 1936 Österreich, um sich dem politischen Kampf in Spa­nien zu widmen.

(Paul) Federn war völlig im Recht, denn bereits die Ausübung eines politischen Amtes, das zur Verschwiegenheit verpflichtet, war schon von jeher mit einer Psychoanalyse unvereinbar. Bei der illegalen Arbeit kam noch hin­zu, dass im Falle der Verhaftung einer in Psychoanalyse befindlichen Person mit größter Wahrscheinlichkeit ein Polizeiverhör des Psycho­analytikers erfolgen würde, was das Risiko einer längeren Inhaftierung mit sich brachte. Die Konsequenzen unter der österreichischen faschisti­schen Diktatur waren schlimm genug. Federn wusste sehr genau, dass die Psychoanalytische Vereinigung selbst dauernd an der Grenze zum Ver­bot stand. Seiner Vorsicht ist es zu danken, dass beim Einmarsch Hitlers in Österreich kein Psychoanalytiker außer Anna Freud zum Polizeiver­hör geholt wurde und er selbst mit einer Hausdurchsuchung davonkam. Jeder, der in den Akten der Wiener Staatspolizei auftauchte, wurde von der Gestapo einvernommen. Für Juden bedeutete das die unmittelbare Gefahr, in ein Konzentrationslager zu kommen. Hätte Federn sein Ver­bot nicht erlassen, wäre die Liste der Opfer des Nazismus unter Psycho­analytikern vielleicht noch länger geworden. Die Psychoanalyse hätte durch die illegale Betätigung einer ihrer Kandidaten oder Patienten nichts gewonnen. Aber es ist darüber hinaus sehr fraglich, ob jemand, der illegal politisch tätig ist, überhaupt analysiert werden kann. Er müss­te über viele sehr entscheidende Dinge, über schwere Ängste z. B., völli­ges Stillschweigen bewahren, müsste Geschichten erfinden, um seine Tä­tigkeit zu verbergen. Es ist eigentlich unverständlich, dass M. Langer das nicht verstehen kann. Thea Bauriedl soll hier noch einmal versichert werden, dass die politische Einstellung oder eine Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei niemals irgendeinen Einfluss auf die Stellung von Mitgliedern in der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung hatte. W. Reich war 1929 Mitglied der österreichischen Kommunistischen Par­tei, bei seinem Ausschluss aus der Psychoanalytischen Vereinigung 1934 hatte er sie bereits wieder verlassen. Sein Freund Otto Fenichel blieb Kommunist und wurde zu einem Klassiker der Psychoanalyse. Heinrich Meng machte aus seinen Sympathien für Russland und den Kommunis­mus niemals ein Hehl, ebensowenig Ludwig Jekels, Freuds Partner beim Kartenspiel. Die Liste der sich als Kommunisten betrachtenden Psycho­analytiker könnte noch fortgesetzt werden. Zweifellos hat Ernest Jones auch in dieser Frage zu falschen Vorstellungen über die Psychoanalyti­sche Bewegung beigetragen. Ihm verdanken wir die Behauptung, Alfred Adler sei ein Mitglied der Sozialistischen Partei gewesen, die durch Heinz L. Ansbacher als unbegründet zurückgewiesen wurde. Innerhalb der Psychoanalytischen Bewegung waren in allen Ländern immer alle Parteien und Weltanschauungen vertreten. So war Groddeck z. B. deutschnational eingestellt. Auch C. Müller-Braunschweig wäre keines­falls der einzige Psychoanalytiker gewesen, falls er manche Ideen des Nationalsozialismus für gerechtfertigt gehalten hätte. Die Frage, ob die Psychoanalyse selbst Keim einer bestimmten Politik sei, wurde schon früh diskutiert. Das erste Mal vielleicht, als Fritz Wit­tels am 10. April 1907 (19. Protokoll) versuchte, eine psychoanalytische Erklärung des politischen Attentats von Tatjana Leontjew auf einen ho­hen russischen Beamten zu geben.

Aus dem Protokoll ist vielleicht auch heute noch eine Bemerkung von Paul Federn wert festgehalten zu wer­den: »Er finde auch hier wieder den Mangel der ganz mit der Freudschen Anschauungsweise Durchtränkten, alle anderen Gesichtspunkte zu übersehen« (Wiener Protokolle, Bd. I, S. 155). Eine Einigung darüber, ob die Psychoanalyse politisch »links« oder »rechts« stehe, kam niemals zustande, allerdings war es immer die Über­zeugung der Mehrheit, dass in einem Staat, in dem es keine Garantie persönlicher Freiheiten gibt, die Psychoanalyse nicht betrieben werden kann. Alles, was mit vielen persönlichen Kompromissen in einem solchen Staat noch möglich ist, ist eine von Freudschen Gedanken beeinflusste Psychotherapie, wie sie ja gegenwärtig in vielen Ländern des sogenann­ten »sozialistischen Lagers« betrieben wird.

In der Zeit der österreichischen faschistischen Diktatur zwischen 1934 und 1938 war die Situation politisch nicht so extrem. Die Regierung ließ die Psychoanalytiker trotz des Einflusses der katholischen Kirche, die in unerbittlicher Gegnerschaft zu den Freudschen Lehren stand, ungescho­ren. 1936 konnte der 80. Geburtstag Freuds offiziell gefeiert werden. Von einer polizeilichen Einmischung in die Geschäfte der Vereinigung war niemals die Rede; einen rechtlichen Schutz gab es allerdings auch nicht mehr. Gleichwohl gingen nach 1934 einige Psychoanalytiker in die Emigration. Englische Freunde und diejenigen, die bereits in den Verei­nigten Staaten waren, rieten Freud wie Federn, ebenfalls auszuwandern. Freud lehnte für seine Person ab, empfahl es aber Federn, der ja 15 Jah­re jünger war und finanziell sehr zu kämpfen hatte. Federn wies dies Ansinnen zurück, da er seine Stellung als Freuds Stellvertreter nicht auf­geben wollte; auch hoffte er auf eine friedliche Lösung der immer be­drohlicher werdenden politischen Krise.

Aus heutiger Sicht könnte man ihm den Vorwurf machen, es habe ihm das politische Urteil gefehlt; man hätte die Wiener Vereinigung auflösen und ins Ausland gehen sollen, bevor man dorthin vertrieben wurde. Als einer, der den Ausbruch des zweiten Weltkriegs sehr wohl vorausge­sehen hatte und auch danach handelte, darf ich doch davor warnen, überheblich zu sein. Sicherlich ist es der heutigen Generation schwer verständlich, wie es möglich war, dass man einen Adolf Hitler zur Macht kommen ließ. Gerade hier müsste psychohistorisch argumentiert werden. Ich möchte noch einmal aus dem schon erwähnten 19. Protokoll zitie­ren, diesmal Freud selbst: Man dürfe die Attentäter »nicht auf Grund ih­rer unbewussten Motive grell verurteilen und entlarven. Die Härte einer solchen Darstellung würde abstoßen. Man müsse vielmehr gegen die ge­heimen Regungen eine gewisse Toleranz üben: das unbewusste Motiv habe ein Anrecht auf Schonung« (a. a. O.).

Da die Psychoanalyse nach einem neuen Weltkrieg oder unter einer neuen, viel schrecklicheren Diktatur nicht bestehen bleiben könnte, wäre es heute vernünftig, wenn die Internationale Psychoanalytische Vereini­gung und ihre nationalen Verbände zu ihrer Selbstverteidigung politisch tätig würden. Dazu müsste allerdings wieder so etwas entstehen wie eine Psychoanalytische Bewegung im Sinne von Freud und Federn. Davon kann gegenwärtig kaum die Rede sein. Aus der Geschichte auf die Ge­genwart zu schließen, ist zwar naheliegend, aber fragwürdig.

Die persönliche Analyse ist hier nur scheinbar ein Vorbild, denn im Unterschied zum Historiker holt der Psychoanalytiker die Vergangenheit (des Analysanden) in die Gegenwart herauf, um sie hier zur Verarbei­tung zu bringen. Der Historiker kann das nicht. Aber auch eine psycho­analytische Betrachtung gegenwärtiger Politik hat große Schwierigkei­ten zu überwinden, denn die politisch Handelnden arbeiten bei dieser Analyse ja nicht mit. Es haben also jene Psychoanalytiker starke Argu­mente zur Hand, die meinen, Psychoanalyse und Politik hätten mitein­ander nichts zu tun. Ich schließe mich der Ansicht von Ralf Vogt an, die er in seinem Brief vom 27. 3. 1984 an Helmut Dahmer zum Ausdruck gebracht hat. Er dankt den Autoren des Heftes der Psyche, das zum An­lass dieser Diskussion wurde, und ermutigt sie, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Dazu hoffe auch ich hier einen Beitrag geleistet zu ha­ben.

Summary: Further comments on the problem of *psychoanalysis and politics*. — The author, who was imprisoned in a concentration camp from 1938 to 1945 because of his resistance to the Nazi regime, takes the position that after 1933 German analysts had only two alternatives — cooperate or emigrate. He justifies the prohibition set down by his father, Paul Federn, for patients and candidates alike, against engaging in illegal political activity during their analyses. He recalls that the most diverse political attitudes have at all times been represented among psycho­analysts.

Übersicht: Ernst Federn, wegen seines Widerstands gegen den Faschismus 1938—1945 im Konzentrationslager festgehalten, vertritt die Auffassung, für die deutschen Psychoanalytiker habe es nach 1933 nur die Alternative gegeben mitzumachen oder zu emigrieren. Er rechtfertigt das von seinem Vater, Paul Federn, für Patienten und Ausbildungskandidaten erteilte Verbot, während ihrer Analyse zugleich politisch illegal zu arbeiten, und bringt in Erinnerung, dass unter den Psychoanalytikern jederzeit die ver­schiedensten politischen Richtungen vertreten gewesen seien.

Ergänzende Literatur zum Thema „Psychoanalyse und Nationalsozialismus“:

Brecht, Karen et. al. (Hg.) (1985): „Hier geht das Leben auf eine sehr merkwürdige Weise weiter…“ – Zur Geschichte der Psychoanalyse in Deutschland. Hamburg (Kellner).
Cocks, G. (1985/1997): Psychotherapy in the Third Reich: The Göring Institute, New York (xford University Press). Überarbeitete Neuauflage, New Brunswick (Transaction Publishers).
Dahmer, Helmut (1983): Kapitulation vor der ‚Weltanschauung’. Zu einem Aufsatz von Carl Müller-Braunschweig aus dem Herbst 1933. Psyche 37, S. 1116-1135.
Fallend, Karl, Nitzschke, Bernd (Hg.) (1997): Der „Fall“ Wilhelm Reich. Beiträge zum Verhältnis von Psychoanalyse und Politik. Frankfurt a. M. (Suhrkamp). Neuausgabe: Giessen (Psychosozial-Verlag) 2002.
Federn, Ernst (1985): Weitere Bemerkungen zum Problemkreis »Psycho­analyse und Politik«. In: Psyche 4/1985, S. 367–374.
Federn, Ernst (1986): Besprechung von H. M. Lohmann (1984): Psychoanalyse und Nationalsozialismus. Beiträge zur Bearbeitung eines unbewältigten Traumas. In: Psyche H. 5/1986 (40. Jg.), S. 463-466.
Federn, Ernst (1988): Die Emigration von Sigmund und Anna Freud. Eine Fallstudie. In: Stadler, F. (Hg.): Vertriebene Vernunft II. Emigration und Exil
Federn, Ernst (1994): Bruno Bettelheim und das Überleben im Konzentrationslager. In: Kaufhold (Hg.) (1994): S. 125–127, sowie in Kaufhold (Hg.) (1999): S. 105–108 (nur noch beim Autor vor 12 Euro plus Porto erhältlich: roland.Kaufhold at netcologne.de).
Federn, Ernst (1999): Ein Leben mit der Psychoanalyse. Von Wien über Buchenwald und die USA zurück nach Wien. Gießen (Psychosozial-Verlag).
Federn, Ernst (1999a): Versuch einer Psychologie des Terrors. In: Kaufhold (Hg.) (1998), S. 35–75.
Kaufhold, Roland (Hg.) (1999): Ernst Federn: Versuche zur Psychologie des Terrors. Material zum Leben und Werk von Ernst Federn, Gießen (Psychosozial-Verlag).
Fenichel, Otto (1998): 119 Rundbriefe (1934–1945), 2 Bände (hg. von E. Mühlleitner u. J. Reichmayr), Frankfurt a. M./Basel (Stroemfeld).
Fisher, David James (2003): Psychoanalytische Kulturkritik und die Seele des Menschen. Essays über Bruno Bettelheim. (Unter Mitarbeit von R. Kaufhold et. al.). Gießen (Psychosozial-Verlag).
Goggin, J., Goggin, E. B. (2001 a): The Death of a Jewish Science: Psychoanalysis during the Third Reich. West Lafayette (Purdue University Press).
Lockot, Regine (1985): Erinnern und Durcharbeiten. Zur Geschichte der Psychoanalyse und Psychotherapie im Nationalsozialismus. Frankfurt a. M. (Fischer), S. 343–346.
Lockot, Regine (1994): Die Reinigung der Psychoanalyse. Die Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft im Spiegel von Dokumenten und Zeitzeugen (1933 –1951), Tübingen (edition diskord).
Lohmann, Hans-Martin (Hg.) (1984): Psychoanalyse und Nationalsozialismus. Beiträge zur Bearbeitung eines unbewältigten Traumas. Frankfurt a. M. (Fischer).
Lothane, Zvi (Hg., 2003): Psychoanalysis and the Third Reich. International Forum of Psychoanalysis, Special Issue 2-3 (Tayler & Francis).
Rothländer, C. (1998): „Und mit der Hausmusik ging er in den Tod …“. Über das Leben des Wiener Psychoanalytikers Karl von Motesiczky. Werkblatt. Zeitschrift für Psychoanalyse und Gesellschaftskritik Nr. 41 (Heft 2), S. 3–33.
Zapp, G. (1980): Psychoanalyse und Nationalsozialismus. Untersuchungen zum Verhältnis Medizin/Psychoanalyse während des Nationalsozialismus. Kiel (Diss.).

Diese Studie ist zuvor erschienen in der Zeitschrift Psyche 4/1985 (39. Jg.), S. 367-374. Wir danken der Redaktion und dem Verlag Klett Cotta herzlich für die Nachdruckrechte.