Chabad: NS-Admiral Canaris muss zum Gerechten unter den Völkern erklärt werden

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Wird einer der höchsten Offiziere in der Nazi-Armee die Auszeichnung „Gerechter unter den Völkern“ erhalten? Im Chabad-Dorf drängt man schon seit Jahren darauf, den Chef der deutschen Abwehr, Admiral Wilhelm Canaris, der im 2. Weltkrieg den Führer der Lubawitscher Chassidim und damit eigentlich die gesamte Bewegung gerettet hat, mit dieser Würde auszuzeichnen. Yad Vashem hat sich bisher geweigert, die Auszeichnung einer derart hohen Persönlichkeit in der Nazi-Hierarchie zu verleihen, nach neuen Informationen, die der Historiker Dani Orbach über die Aktivitäten des NS-Offiziers aufgedeckt hat, wurde der Antrag jedoch gestern erneut eingereicht…

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Wird Yad Vashem dem Nazi-Admiral eine Auszeichnung verleihen?

Admiral Canaris rettete Rabbiner Itzhak Josef Schneerson, den sechsten Rabbiner der Chabad-Dynastie, vor dem sicheren Tod im Holocaust, indem er ihm und seiner Familie Anfang 1940 zur Flucht aus dem Reich verholfen hat, dies, so Orbach und Chabad, ohne jede finanzielle oder andere Gegenleistung und unter Einsatz seines eigenen Lebens.

Aus Studien, die bisher in Israel, den USA und Deutschland veröffentlicht wurden, geht hervor, dass Canaris auch hunderte andere Juden gerettet hat. Einige seiner hohen Assistenten wurden von den Nazis wegen einer Rettungsaktion im Jahr 1943 verhaftet, und auch er wurde letzten Endes festgenommen und hingerichtet. Sein enger Mitarbeiter Hans von Dohnanyi erhielt im Jahr 2003 die Auszeichnung „Gerechter unter den Völkern“. „Es erscheint uns logisch und angemessen, dass auch Canaris von Yad Vashem und vom jüdischen Volk diese Auszeichnung erhält“, schrieb die Leitung des Chabad-Dorfes an Yad Vashem. In ihrem Schreiben heißt es weiter, ihre Bitte werde von bereits veröffentlichten Studien und einem Gutachten Orbachs unterstützt, der vor kurzem eine neue historische Forschungsarbeit veröffentlichte, „Walküre- der deutsche Widerstand gegen Hitler“, die sich auf die Annahme stützt, dass Canaris Juden gerettet hat.

„Canaris hat nicht nur den Rabbi gerettet, sondern die gesamte Bewegung“, sagt Rabbiner Josef Itzhak Kamintzki vom Chabad-Dorf. „Wenn der Rabbi, Gott behüte, im Holocaust ums Leben gekommen wäre, dann wäre die gesamte Chabad-Bewegung verschwunden. Es ist also kein Wunder, dass wir die Auszeichnung für Canaris fordern.“

Die Chabad-Bewegung hat schon vor einiger Zeit gefordert, Canaris die Auszeichnung zu verleihen, der Antrag wurde jedoch zurückgewiesen. Yad Vashem argumentierte, man könne ihm den Titel nicht verleihen, denn auch wenn er nicht eigenhändig Juden ermordet habe, trage er als Chef der Abwehr jedoch die Verantwortung für die Ermordung von Juden, und Einheiten unter seinem Kommando seien aktiv an der Judenvernichtung beteiligt gewesen.

In seiner Studie behauptet Orbach jedoch, Canaris habe sich entschlossen um die Rettung von Juden bemüht und auch versucht, die NS-Kriegsmaschinerie zu sabotieren. Weiterhin sei er nicht an der Tötung von Juden beteiligt gewesen. Aus der Studie Orbachs geht ebenso hervor, dass in der Führung der Wehrmacht und der Abwehr eine Widerstandsbewegung gegen Hitler existierte, die sich unter anderem mit der Rettung von Juden befasste. Canaris und sein Stellvertreter, Hans Oster, wie auch von Dohnanyi gehörten dieser Bewegung an. Orbach sagt, es gäbe keinen Zweifel, dass Canaris Hunderte Juden gerettet habe, darunter den Rabbiner und seine Familie. Die Juden wurden aus dem Reich geschmuggelt, unter der Behauptung, sie seien Geheimagenten.

Yad Vashem richtet sich bei der Verleihung der Auszeichnung „Gerechter unter den Völkern“ nach vier Kriterien: eine Person, die Juden gerettet hat; eine Person, die dabei von altruistischen Motiven geleitet wurde, nicht, um Gewinn daraus zu erzielen; eine Person, die ihr Leben aufs Spiel setzte; eine Person, die während des Holocausts auch keinen anderen Juden Schaden zufügte.

Entsprechend der Studie Orbachs erfüllt Canaris alle vier Kriterien. Ende 1941 organisierte er eine Aktion, die unter dem Namen „Unternehmen Aquilar“ bekannt wurde, und in deren Rahmen er aus dem Gebiet des Reichs Hunderte Juden unter der Tarnung von Spionen in Zügen nach Spanien und Portugal brachte. Viele dieser Juden sagten später zu seinen Gunsten aus.

Dani Orbach: Abwehrchef Canaris hat die deutschen Kriegsbemühungen sabotiert

Weiter schreibt Orbach, Canaris habe seine Position nicht nur dafür genützt, Juden zu retten und den Attentatsversuch gegen Hitler zu organisieren, sondern auch, um die gesamten deutschen Kriegsbemühungen zu sabotieren. Dies geht aus zwei neuen Biographien hervor, die 2005 und 2007 veröffentlicht wurden. Nach dem „Aquilar Unternehmen“ wurden Canaris und seine Kameraden von der SS festgenommen, und er wurde aus seinem Amt als Chef der Abwehr entlassen. Nach dem gescheiterten Attentat von 20. Juli wurde die gesamte Widerstandsbewegung aufgedeckt, und Canaris wurde ins Konzentrationslager geschickt. Gegen Kriegsende wurde er im Lager Flossenbuerg gehängt, so auch sein Stellvertreter Oster. Von Dohnanyi war schon vorher hingerichtet worden.

Orbach sagt, ein Schreiben Eichmanns beweise, wie viele Risiken Canaris auf sich genommen habe, um Juden zu retten. Ein Dokument des amerikanischen Geheimdiensts zeigt, dass Canaris während des gesamten Kriegs mit amerikanischen Agenten in Verbindung stand. „Ein Mann, der immer wieder gegen die Ermordung der Juden protestiert und die Kriegsbemühungen der Nazis sabotiert hat, hat meines Erachtens zweifelsohne die Auszeichnung ‚Gerechter unter den Völkern’ verdient“, sagt Orbach.

2 Kommentare

  1. Admiral und Chef der Abwehr Wilhelm Canaris wurde im KZ Flossenbürg/Oberpfalz/Bayern am 9. 4. 1945 hingerichtet.
     
    Canaris‘ Rolle im „Dritten Reich“ gilt unter führenden deutschen Historikern als umstritten. Bei aller Ablehnung des Nationalsozialismus war er für seine loyale Pflichterfüllung bekannt.

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