Zwischen allen Stühlen:
Juden in der Bundeswehr
Können sich Juden diesem Aspekt der Staatsbürgerrolle mehr öffnen?
Von
Gideon Römer-Hillebrecht
"In der Bundeswehr
dienen wieder Juden" - so oder ähnlich lauteten die Schlagzeilen, als im
November 2006 jüdische Soldaten den Bund jüdischer Soldaten (RjF) e.V.
gründeten. Das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr schätzt die Anzahl
aktiver jüdischer Soldaten auf ca. 200. Zahlreiche Reservisten treten hinzu.
Jüdische Wehrpflichtige werden vermehrt in der Truppe festgestellt. Mit der
Vergrößerung der jüdischen Gesamtbevölkerung nimmt offensichtlich auch die
Zahl der jüdischen Soldaten zu. Für manche eine "Perversität", für viele gar
ein "Zeichen wiedergewonnener Normalität" und wiederum für einige wenige
schon längst praktizierte Übung, ohne darin unbedingt eine "Normalität" zu
erkennen.
Die Reaktionen der
Rechtsextremen waren vorhersehbar: Den Taliban wurde viel "Waidmanns-Heil"
bei der Jagd auf mich in Afghanistan gewünscht, die Anwesenheit von Juden in
der Bundeswehr als Beweis für die jüdische "Okkupation des Systems" gedeutet
und vermutet, die Bundeswehrführung würde den "Kniefall vor den
Berufsopfern" machen, ihnen "Vorteile" einräumen. Tatsächlich kann der
Dienst in der Bundeswehr als ein bisher für Juden schwieriges Unterfangen
betrachtet werden, wogegen sich die derzeitige und zukünftige Situation
zunehmend positiver darstellt.
Ein Blick zurück: NVA und Bundeswehr
Die Bereitschaft von
deutschen Juden nach 1945 zum Wehrdienst in einer deutschen Armee ist nicht
neu:
In der Nationalen
Volksarmee (NVA) der DDR war der Dienst für Juden obligatorisch, da im
"antiimperialistischen" Selbstverständnis des Regimes seine
"sozialistischen" Staatsbürger sowie seine Organisationen samt Armee per
definitionem "antifaschistisch" waren. Darum bestand aus Sicht des Regimes
auch keine Notwendigkeit für eine wie immer geartete
"Vergangenheitsbewältigung" oder gar Rücksicht auf die Nachfahren der
gegenüber kommunistischen Widerstandskämpfern nachrangig zu betrachtenden
"rassistisch" Verfolgten. De-facto stellte der Dienst in der NVA jeden Juden
angesichts der "antizionistischen" Ausrichtung des DDR-Regimes, hinter der
oft ein kaum kaschierter linker Antisemitismus stand, und seine aktive, auch
militärische Unterstützung des arabischen Terrors vor erhebliche
Gewissensprobleme
Der Anteil jüdischer Soldaten in der NVA war aufgrund der geringen Anzahl
der Juden in der DDR jedoch verschwindend gering.
Die dem Bund jüdischer Soldaten bekannten Einzelfälle berichten durchweg von
Schwierigkeiten sowie rechtsextremen Vorfällen im Truppenalltag der NVA der
Achtziger Jahre.
Trotz der Möglichkeit
zur Freistellung haben deutsche Juden schon in den sechziger Jahren als
Zeit- und Berufsoffiziere auch in der Bundeswehr gedient. Hier war es vor
allem die zahlenmäßig sehr kleine Nachkriegsgeneration "deutschstämmiger"
Juden, die auf einen Neuanfang im deutschen Militär vertrauten. Man trat in
die Bundeswehr auch oft ein, um den Bruch durch das Nazi-Regime in der
Familiengeschichte zu "heilen", um sich selber zu vergewissern, dass
jüdisches Leben auch und gerade im Militär wieder möglich war. Man wollte
durch eigenes Handeln an das Vermächtnis der Väter und Großväter anknüpfen,
ohne freilich einen unkritischen Hurra-Patriotismus oder unreflektierte
Assimilationsversuche eines gescheiterten deutsch-nationalen Judentums
wieder aufzunehmen. Anstatt als Übriggebliebene eine innere Immigration zu
vollziehen oder auszuwandern, entschied man sich für ein aktives
Mitgestalten.
Die Gestaltung der
Bundeswehr als Parlamentsarmee, in der der Soldat als "Staatsbürger in
Uniform" Teil der pluralistischen Gesellschaft ist und bewußt auf einen
militärischen Sonderethos verzichtet wird, in der Menschenrechte,
insbesondere andere religiöse und politische Auffassungen, zu achten sind,
in der ein radikaler Schnitt zum Unrechtssystem der Wehrmacht gezogen wurde
– eben all jene Vorstellung einer gänzlich neuen Armee wurden unter dem
Stichwort "Innere Führung" zu einer Hoffnung nicht nur für jüdische
Soldaten. Nicht mehr als Minderheit, sondern als Bestandteil einer
pluralistischen Gesellschaft betrachtet, konnten sich Juden nach offizieller
Lesart sicher wähnen, in eine eben nicht ethnische, politisch und wertemäßig
Homogenität fordernde Gemeinschaft einzutreten. Diese
verfassungspatriotische Leitidee einer "Einheit in der Vielfalt" wurde in
der Praxis jedoch oft konterkariert.
Dienen unter "Traditionalisten"
Wie in der NVA, so
stießen jüdische Soldaten zwangsläufig auch in der Bundeswehr auf die von
der Wehrmacht übernommenen "Aufbauhelfer" und Söhne der Tätergeneration.
Diese waren in einer Minderheit bis in unsere Zeit hinein nicht an einem
radikalen Traditionsbruch mit der Wehrmacht interessiert, bedeutete ein
radikaler Neuanfang doch das Eingeständnis einer wie auch immer definierten
Mitschuld. Mit der zur Eigenentlastung des Gewissens verständlichen
Einengung der Perspektive auf die militärischen Einzelleistungen,
militärische Sekundärtugenden (Tapferkeit, Kameradschaft etc.) und die
Leidensgeschichte der eigenen Familie im Zweiten Weltkrieg konstruierten
manche Bundeswehroffiziere eine "ungebrochene" Traditionskette. Nebenbei
wurde der Zivilisationsbruch der Shoa aus dem Bewusstsein künstlich
ausklammert, relativiert oder die eigenen Leiden gegen die Naziverbrechen
aufgerechnet. In vielen Traditionsvereinen außerhalb der Bundeswehr wurde
diese Neukonstruktion der Geschichte durch Ausblenden der "Störeffekte"
regelrecht zu einem neuen Brauchtum kultiviert. Zugleich ermöglichte dies
die vorgeblich apolitische, "ideologiefreie" Ehrung eindeutig "belasteter"
Vorbilder aus der Wehrmacht. Mit der Organisationsphilosophie der "Inneren
Führung", eine Meisterleistung der Aufbaugeneration, konnten sich diese
Offiziere nie identifizieren.
Spätestens in den
Diskussionen um die "Wehrmachtsausstellung"
wurde diese Perspektive in der breiten Öffentlichkeit als untauglicher
Versuch der Konstruktionsbildung einer "sauberen Wehrmacht" demaskiert. Noch
heute finden sich jedoch zahlreiche ehemalige militärische Spitzenkräfte,
die in rechtslastigen Verlagen und Organisationen, etwa der sich selber als
"konservativ" bezeichnenden Staats- und wirtschaftspolitische Gesellschaft
(SWG), unverblümt ein derartiges Traditionsverständnis einklagen. So etwa
Siegfried F. Storbeck, bis 1991 Stellvertreter des Generalinspekteurs der
Bundeswehr, in einem "Gastkommentar": "Die verbrecherische Politik Hitlers
unter Beihilfe der obersten Wehrmachtführung und die Kriegsverbrechen
einzelner Verbände wurden zum undifferenzierten Maßstab für die
Traditionsunwürdigkeit der gesamten Wehrmacht. … Der Soldat ... braucht …
diese Vorbilder, wenn er nicht zum Technokraten werden will. … Die
wichtigere und größere Aufgabe ist es, die geistige Haltung und das damit
verbundene historisch erprobte soldatische Wertebewusstsein des Offizier-
und Unteroffizierkorps nicht einem kurzatmigen Zeitgeist zu überlassen."
Hier bleibt nur darauf
hinzuweisen, dass gemeinschaftsfördernde "ideologiefreie" militärische
Sekundärtugenden wie Treue und Opferbereitschaft dem Soldaten als mündigen
Staatsbürger wohl kaum den Sinn und Zweck seines Dienens erklären können und
jede Söldnertruppe mit diesen Tugenden geführt werden kann. Viel belastender
für jüdische Soldaten war und ist jedoch, dass die Kriegsverbrechen der
Wehrmacht als Ausnahmen ("einzelne Verbände") dargestellt werden. Die
gegenüber diesem Geschichtsrevisionismus gegenteilige Expertise des
Militärgeschichtlichen Forschungsamtes der Bundeswehr (MGFA) wird von den
selbst ernannten Historikern noch in der jüngsten Vergangenheit als
unwissenschaftlich bezeichnet und gegen die Autoren polemisiert: "Einzelne
jüngere Stabsoffiziere und Militärhistoriker bewiesen in dieser Debatte
nicht nur Mangel an Stil" (Storbeck) und "die Arbeit des MGFA .. sollte
schon gewissen Mindeststandards entsprechen" (Generale Günter Raulf/Hermann
Hagena).
Für jüdische Soldaten
ist ein derartiger Revisionismus unerträglich. Unter diesen Vorgesetzten
müsste er sich, will er nicht eine "Sonderrolle" einnehmen, in die Tradition
der Wehrmacht und diesen "zeitlosen" Wertekanton stellen. General a.D.
Günzel, bis November 2003 Kommandeur des Kommados Spezialkräfte (KSK),
verschrieb dem KSK gar die Tradition der durch Kriegsverbrechen belasteten
Wehrmachtsdivision Brandenburg. Damit nicht genug: "Ein Offizier muss
konservativ sein." Diesen falsch verstandenen Konservativismus definiert er
wie folgt: "Ich erwarte von meiner Truppe Disziplin wie bei den Spartanern,
den Römern oder bei der Waffen-SS." Die Bundeswehr hat auf solche
Ansätze eines antidemokratischen Traditionsverständnisses gerade in den
letzten Jahren mit zielgerichteten ministeriellen Weisungen, Überprüfungen
aller Namenspatronen für Kasernen und einer Neufassung des
"Traditionserlasses" konsequent reagiert.
Vertrauen in die Generalität?
Eine ganze, bisher
ununterbrochene Ahnenreihe von ehemaligen Bundeswehrgeneralen zelebriert bis
heute öffentlichkeitswirksam nach ihrer freiwilligen oder unfreiwilligen
Entlassung einen schon als bemerkenswert zu bezeichnenden Bewusstseinswandel
hin zu ultrarechten Positionen, als habe in den Jahrzehnten ihrer Dienstzeit
ein anderer in der Uniform gesteckt. In Publikationen der Nationalzeitung
und anderer rechtsextremer Verlage überschlagen sich Generale wie die Brüder
Uhle-Wettler, Komossa, Schultze-Rhonhof oder zuletzt Günzel in ihrer
direkten oder indirekten Kritik an der Inneren Führung, einige stellen auch
die alleinige Kriegsschuld Deutschlands infrage. So tragen nach
Schulze-Rhonhof die Alliierten eine Mitschuld am Ausbruch des Zweiten
Weltkriegs, hat Hitler die Arbeitslosigkeit beseitigt, ist Deutschland nicht
befreit worden und hat das deutsche Volk von heute seine Werte verloren.
Günzel klatschte
2003 Beifall für die Darstellung des Abgeordneten Hohmanns der Juden
"als Tätervolk". Durchweg behaupten diese Generale, sie wären politisch
durch die Siegermächte und ihre Büttel gezwungen, das Leid der "eigenen"
Bevölkerung zu negieren und der Singularität der Shoa "zu huldigen". Der Weg
zu rechtsextremen Weltverschwörungstheorien ist damit bereitet. Juden werden
in dieser Geschichtsdeklination schuldig daran, dass Deutschland nicht zu
sich selber findet. Opfer sind in dieser abstrusen rechten Gedankenwelt
diejenigen, die das Tabu der "Siegermächte-Geschichtsschreibung" brechen und
die vermeintliche historische Wahrheit aufdecken. Unter der Führung
derartiger rechter Geschichtsrevisionisten zu "dienen", wäre einem Juden
ohne Selbstverleugnung unmöglich. Die Frage bleibt, ob diese Generale in
ihrer aktiven Dienstzeit tatsächlich unauffällig waren oder ein in diesem
rechten Gedankengut heimisches, "konservatives" Führungskorps heranziehen
konnten und ob dieses in ihrem Sinne weiterwirkt. In einer "privaten"
Veranstaltung verabschiedeten zumindestens mehr als 100 ehemalige
Untergebene General Günzel nach dessen unehrenhaften Entlassung, weil eine
offizielle Veranstaltung verboten worden war.
Insoweit wundert es
nicht, dass die wenigen Juden, die den Schritt in den letzten Dekaden in die
Bundeswehr wagten, durchweg von Erfahrungen mit antisemitischen Äußerungen
oder einem unkritischen Umgang mit Wehrmachtstraditionen berichteten.
Mindestens einer zerbrach als Berufsoffizier an der ihm zugeschriebenen
Außen- und Sonderrolle. In der Wahrnehmung seiner "Kameraden" war er ein
"Störfaktor", der die intern betriebene Traditionskonstruktion, die "freie"
Meinungsäußerung im Kameradenkreis und somit das innere Gefüge störte.
Demokratisch gesinntes Offizierkorps?
Auch heute bestehen
noch Fragezeichen, ob die Durchgestaltung der Bundeswehr nach den Prinzipien
der "Inneren Führung" in allen Bereichen der Großorganisation hinreichend
belastbar ist: Die einzelnen Skandale um Traditionsräume oder im Einsatz
bzw. in der Einsatz-vorbereitenden Ausbildung noch aus dem Beginn dieses
Jahrtausends zeigen, dass ein Wandel in den Köpfen nicht per Befehl oder
Vorschrift herbeizuführen ist. Nun stehen die einzelnen Skandale keinesfalls
für eine gängige Praxis, sondern eher für die Ausnahme. Eine Befragung
Anfang 2004 im Grundlehrgang für angehende Stabsoffiziere der
Führungsakademie lässt einen eher aufhören: Sie kam zu dem Ergebnis, dass
viele junge Offiziere die Innere Führung "zwar für ganz schön für den
Frieden, aber für zu anspruchsvoll und deshalb für den Einsatz für nicht
brauchbar" hielten. Das gibt zu denken (vgl. EUROPÄISCHE SICHERHEIT, 2/2005,
74).
Offensichtlich war es
(noch) nicht gelungen, einem Teil der zukünftigen Führungselite zu
verdeutlichen, dass der Soldat auch und gerade im Einsatz Staatsbürger in
Uniform ist, womit nicht ein ziviler Schwerpunkt seines Daseins
hervorgehoben werden soll, wohl aber der Anspruch auf Sinnvermittlung und
Respekt vor den Menschenrechten. Dieser Befund korrespondiert in gewissem
Maße mit einer Studie zu den politischen Orientierungen der Studenten an den
Bundeswehruniversitäten aus 2001. Sie ergab, dass – ähnlich wie eine
Vorgängerstudie von 1978 – 25 Prozent der Offiziersstudenten der Bundeswehr
sich selbst als nationalkonservativ bezeichnen würden. Ein Teil der zu der
Kategorie "nationalkonservativ" gehörenden Ansichten würden sich "bereits
außerhalb der demokratischen Prinzipien" befinden. Nicht nur für jüdische
Soldaten keine gute Nachricht, dass jeder vierte junge Offizier offenbar mit
demokratischen Prinzipien seine Probleme hat. Zeigt sich hier ein
verstecktes Fortleben überkommen geglaubter antidemokratischer Einstellungen
und Traditionsvorstellungen? Es bleibt zu hoffen, dass die Studien nicht
repräsentativ sind.
Vertrauen in die militärische Führung, aber
bitterer Beigeschmack
Allerdings sollte dies
nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bundeswehrführung seit Bestehen
unbeirrt gegen offene rechtsextreme Agitation und Antisemitismus vorging –
wesentlich konsequenter als so mancher Bündnispartner. Als ehemaliger
Bataillonskommandeur kann ich nur unterstreichen, dass alle Vorgesetzten
hier hoch sensibel sind und Vertuschungsversuche die absolute Ausnahme
darstellen dürften. Nicht umsonst offenbarten die bekannten Generale erst
nach ihrem Ausscheiden offen ihre rechte Gesinnung. Umso mehr ist die nicht
justiziable, indirekte Benachteiligung jüdischer Soldaten in der Bundeswehr
unter solchen Vorgesetzten eine durchaus denkbare Rahmenbedingung, die
schwer nachweisbar ist.
Hier kommt es auf die
aktive Durchsetzung der Inneren Führung, einer gezielten Politischen Bildung
und einem offensiven Umgang mit der Vergangenheit an. Die Bundeswehr
unternahm und unternimmt dafür erhebliche Anstrengungen. Grundsätzlich kann
der jüdische Soldaten oder Soldatin seiner militärischen Führung Vertrauen
entgegenbringen. Ein gewisser Zweifel im Einzelfall bleibt aber auch heute
trotz des Generationenwechsels angesichts der noch immer aktiven Kontakte
dieser Ex-Generäle in die Truppe, dem damit verbundenen Einfluss auf
empfängliche ehemalige Untergebene und der Erkenntnisse der
Bundeswehruniversitäten über rechtslastige Einstellungen im Offizierskorps
angebracht.
Vereinnahmung jüdischer Soldaten
Anderseits sehen sich
jüdische Soldaten auch einer Vereinahmung ausgesetzt: Jüdische Soldaten der
ehemaligen deutschen Armeen werden posthum als selbstverständlicher,
integrierter Teil der deutschen Militärs deklariert, obwohl dieses ihnen
trotz intensivster Anstrengungen immer wieder verwehrt wurde. Es scheint
mitunter, als ob erst die Bereitschaft zur Assimilation und militärische
Glanzleistungen sowie Tapferkeit der jüdischen Frontkämpfer die weit gehende
Vernichtung des deutschen Judentums zur besonderen Tragödie werden lassen.
Seit dem Bewußtwerden einer "Rückkehr" jüdischer Soldaten in das deutsche
Militär wird gar von einer "Wiederaufnahme einer Tradition" gesprochen.
Angesichts der durchweg antisemitischen Abwehr jüdischer
Integrationsversuche vor 1945 und der Ermordung in der Shoa kann es aber
kein einfaches Anknüpfen an eine wie immer geartete Tradition geben, da sie
ein Mythos wäre. Es geht vielmehr darum, das Andenken an die jüdischen
Soldaten gegen das durch die Antisemiten gewollte Vergessen zu bewahren und
Teil einer pluralistischen Bundeswehr zu werden.
Jüdische Soldaten zwischen allen Stühlen
Nur zu verständlich,
dass die Mehrheit der deutschen Juden im Nachkriegsdeutschland teilweise bis
heute trotz oder gerade wegen ihrem "Leben im Land der Täter" in dem
Wehrdienst von Juden in der Bundeswehr ein Unding, einen emotional nicht
mehr beherrschbaren Schritt sahen und sehen. Zudem hatten sie in der Regel
aufgrund ihres meist osteuropäischen Hintergrundes kein irgendwie emotional
positiv oder mit vagen Hoffnungen etikettiertes, familiengeschichtlich
getragenes Verhältnis zu deutschem Militär, wie dies bei den wenigen
"deutschstämmigen" Juden noch der Fall gewesen ist (vgl. Michael Fürst, in
Jungle World 04). Diese Juden sahen sich vor sich selber, vor ihren Toten
und vor ihren Angehörigen außerhalb Deutschlands ständig gezwungen, zu
rechtfertigen, warum sie nach dem Zivilisationsbruch der Shoa ausgerechnet
in Deutschland geblieben waren oder durch die Wirren der Nachkriegszeit
"hängen geblieben" sind. Dieser prekären "inneren Lage" galt es nicht, das
I-Tüpfelchen durch den Dienst in der Bundeswehr aufzusetzen. Für diese und
viele andere Juden ist der Schritt in die Bundeswehr, wie es der
Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann
(vgl. "Jüdisches Europa", 2/2007, S. 8) ausdrückte, ein "Transit von der
Absurdität ins Normale", wobei bei man sich in diesem Transit wohl schon
seit dem Verbleib in Deutschland befinden dürfte.
Die wenigen Juden, die
vor der Vereinigung Deutschlands trotzdem den Schritt in die Bundeswehr
wagten, saßen darum zwischen allen Stühlen: Auf der einen Seite zumindest
vereinzelt "Kameraden", die sie als bedrohliche Außenseiter betrachteten
oder Traditionslinien anhangen, die nicht als apolitisch zu verstehn waren
und niemals als Wertebezug für jüdische Soldaten dienen konnten – auf der
anderen Seite jüdische Brüder und Schwestern, die im Wehrdienst emotional
einen "Verrat" an dem Andenken der Opfer der Shoa und den ersten Schritt zu
einer unglaublichen Assimilationsversuch, der doch eindeutig gescheitert
war, sahen – zumindest konfrontierten diese jüdischen Soldaten sie mit ihrer
eigenen fragilen Identitätskonstruktion.
Gretchenfrage: Wie definiert man die eigene
Staatsbürgerrolle?
Die jüdischen Soldaten
stellten und stellen sich konsequent der Gretchenfrage: Wie halte ich es mit
der Staatsbürgerrolle? Wenn ich in einem demokratischen Deutschland, das mir
meine freie Religionsausübung ermöglicht, lebe, habe ich –
staatsphilosophisch und religionsgesetzlich betrachtet – eine
Staatsbürgerrolle zu erfüllen, die auch den Wehr- oder Ersatzdienst
vorsieht. Zu dieser nüchternen Analyse waren allerdings nur wenige Juden in
der Umgebung traumatisierter Familien überhaupt in der Lage. Zu sehr sind
die Verbrechen der Nazis in die Seelen eingebrannt. Der deutsche Gesetzgeber
hat diese emotionale Belastung richtigerweise als besondere Härte erkannt
und den Verfolgten des NS-Regimes einschließlich ihrer Nachkommen die
Freistellung vom Wehrdienst ermöglicht. Die Folgen traumatischer Erfahrungen
durch das NS-Regime müssen weiter berücksichtigt werden, zumal sie
Generationen-übergreifend wirken und viele junge Juden auch heute noch
maßgeblich beeinflussen. Ein Werben für die Bundeswehr verbietet sich hier
von selber.
Hinzutrat, dass viele
Juden sich nicht nur faktisch nach den Erfahrungen eines brutal
gescheiterten Integrationsversuchs, sondern auch de jure aus dem deutschen
Volksverständnis, also der "Mehrheitsgesellschaft", ausgeklammert fühlten:
Viele, wenn nicht die meisten Juden verstehen sich nicht nur als religiöse
Gemeinschaft, sondern als ein durch den Bund mit Gott und untereinander am
Berg Sinai gegründetes Volk, das auf den Säulen Land, Volk und Thora beruht.
Da im Gegensatz zur USA als Einwanderungsland mit ihrem "Community"-Verständnis
oder Frankreich mit seiner offiziell auf die französische Revolution
bezogenen Nationenvorstellung die deutsche Staatsbürgerschaft primär über
deutsche (Bluts-) Abstammung definiert wurde, konnten sich viele deutsche
Juden nicht als Deutsche identifizieren. Erst mit der moderaten Aufweichung
des Staatsbürgerrechts im Sinne einer ethnisch-pluralistischen Gesellschaft
in den letzten Jahren sind entscheidende Weichen gestellt worden, nach denen
sich auch in das deutsche Nationalverständnis andere Identitätsmuster
integrieren lassen, die über den Status einer aus der Homogenität
ausscherenden "Minderheit" hinausgehen.
Der Blick vieler Juden
in der Diaspora ging und geht zudem auch nach Israel, da dieser Staat für
alle Juden eine sichere Heimstatt bedeutet, die man unterstützen muss. Neben
den von einigen als "Salonzionismus" (vgl. Michael Wolffsohn, Meine Juden,
Eure Juden, 1997) diffamierten Aktivitäten vieler Organisationen und
Gemeinden zugunsten Israels entschieden und entscheiden sich auch viele
deutsche Jüdinnen und Juden für einen Dienst in der ZAHAL (israelische
Streitkräfte).
Zeitenwechsel?
Nunmehr finden
zunehmend mehr Juden den Weg zur Bundeswehr. Dieser Wandel und seine Motive
sind bisher wissenschaftlich nicht aufbereitet. Die quantitative Zunahme der
jüdischen Bevölkerung in Deutschland ist eine Ursache, anscheinend nimmt
aber auch zugleich die Variationsbreite jüdischer Lebensstile zu, die auch
einen Dienst in der Bundeswehr immer mehr als eine realistische Option
erscheinen lässt: Oft werden innerhalb der gleichen Familien
unterschiedliche Identitätskonstruktionen in Anspruch genommen. Dies kann
soweit gehen, dass die Familie geschlossen die Teilnahme an der
Gelöbnisfeier des Sohnes bei der Bundeswehr ablehnt, den Entschluss als
solches aber toleriert, in anderen der Bruder zur Bundeswehr und die
Schwester zur ZAHAL geht oder aber nach dem Dienst in der ZAHAL eine
Berufsoffizierkarriere in der Bundeswehr begonnen wird. Die große Mehrheit
bleibt gegenüber allen Optionen wohl aber eher passiv. Hier stoßen
unterschiedliche Akzentuierungen des jüdischen Selbstbildnisses aufeinander,
das in einem Kontinuum vom Deutschen jüdischer Abstammung, über den
Deutschen jüdischen Glaubens, den deutschen Juden, den Juden mit deutscher
Staatsangehörigkeit bis zum sich eher als staatenlos verstehenden Juden mit
Wohnort Deutschland in zahlreichen Facetten reicht.
Die positiven
Reaktionen seit der Gründung des Bundes jüdischer Soldaten gerade von
Gemeinderepräsentanten zeigen, dass sich in der jüngeren Generation ein
positiver Einstellungswechsel zur Bundeswehr vollzieht und "deutschstämmige"
Juden ihre Freude darüber äußern, dass endlich Juden die Ehre ihrer Vorväter
als Soldaten hochhalten. Viele unterstreichen, dass die jüdische
Gemeinschaft durch diese aktive Beteiligung viel wirkungsvoller gegen
Antisemitismus agieren kann, als durch offizielle Verlautbarungen aus einer
mehr oder weniger separaten Lebenswelt, eingebettet in ein pro-jüdisches
deutsches Umfeld.
Blick in die Zukunft
Die Voraussetzung für
die Bereitschaft deutscher Juden zum Dienst in der Bundeswehr ist trotz
unterschiedlichster Lebenswelten und Identitätskonstruktionen daran
gebunden, ob ein Jude als Jude gleichberechtigt neben anderen als Soldat
angenommen wird und ob die besondere, verpflichtende Beziehung aller Juden
zu Israel akzeptiert wird, ohne eine Doppelloyalität und Unzuverlässigkeit
des jüdischen Soldaten zu konstruieren. Dann dürften sich zunehmend mehr
Juden für die Bundeswehr entscheiden, wie es sich derzeit offensichtlich
abzeichnet.
Deutsche Soldaten
stammen heute aus über 80 Ländern. Angesichts des demografischen Wandels,
der die Bundeswehr zunehmend zu einer multireligiösen und multiethnischen
Großorganisation macht, wäre jede Konstruktion einer deutsch-homogenen
Gemeinschaft oder der Rekurs auf überkommene Wertvorstellungen untauglich,
ein "Wir-Gefühl" zu erzeugen. Wie die ZAHAL ist die Bundeswehr gezwungen,
sich der Realität zu stellen, dass sie nicht auf eine ungebrochene Tradition
vor ihrer Gründung zurückgreifen kann. Unter den Bedingungen erheblicher
Pluralität wird sich eine "Wir-Gemeinschaft" erst durch das Miteinander in
der täglichen Praxis ergeben. Die über ein halbes Jahrhundert alte Praxis in
"Innere Führung" in der Bundeswehr hat dies bewiesen, keinesfalls ist die
Bundeswehr ein Sammelsurium von individualistischen, unmilitärischen
Staatsbürgern. Die Bundeswehr hat ihre Leistungsfähigkeit bewiesen und es
besteht kein Grund für ausgeprägte Minderwertigkeitskomplexe gegenüber den
militärischen Sonderethos in mancher Bündnisarmee.
Die Bundeswehr hat mit
der Neufassung der Zentralen Dienstvorschrift zur Inneren Führung 2008, die
ein klares Bekenntnis zu dieser pluralistischen Wertegemeinschaft ablegt,
die Grundlagen für die Bundeswehr der Zukunft noch einmal verbessert. Die
Vorgaben zur Traditionspflege und zur Religionsfreiheit sind eindeutig. Die
Konzeptionäre der "Inneren Führung" kamen aufgrund ihrer Erfahrungen in der
Wehrmacht folgerichtig zum Schluss, sich von einem nicht tragfähigen Ethos
zu verabschieden. Diese großartige Leistung unterscheidet die Bundeswehr von
allen Vorgängerarmeen und macht ihre innere Qualität aus, auch wenn dies
Ewiggestrige nicht verstehen wollen oder können. Positiv gewendet kann auch
festgestellt werden, dass die überwiegende Mehrheit des deutschen
Offizierskorps angesichts einiger "verwirrter" Generale nur noch
Unverständnis äußert. Es bleibt die Frage, welche Bereiche gegebenenfalls
noch durch derartige Offiziere beeinflusst sind. Letztendlich wirken die
Agitationen der Neuen Rechten und ehemaliger Generäle wie Abwehrgefechte
einer vergangenen Zeit, die von einem kleinen Teil des Offizierskorps in
ihren Einstellungen zum Teil übernommen worden ist.
Für Juden ist jedoch
auch Voraussetzung, dass die "Innere Führung" im Bereich der religiösen
Freiheitsrechte umgesetzt wird. Hier fehlt den nicht-jüdischen
Verantwortlichen noch teilweise die Erfahrung im Umgang mit Anforderungen
des jüdischen Religionsgesetzes an Verpflegung und allgemein die Bedeutung
der religiösen Gebote für die Praxis. Dies ist angesichts der weit gehenden
Absenz von Juden in der Bundeswehr nicht weiter verwunderlich. Zudem können
offizielle Ansprechpartner jüdischer Organisationen in der Regel mangels
notwendiger Kenntnisse des Innenlebens der Bundeswehr keine oder nur
unzureichende Hilfestellung geben. Der Bund jüdischer Soldaten unterstützt
in diesen Aufgabenfeldern regelmäßig. Bis Voraussetzungen etwa wie in den
US-Streitkräften geschaffen sind, liegt noch ein weiter Weg vor uns, der
auch von einer Konsolidierung des Zuwachses jüdischer Soldaten in der
Bundeswehr und damit einhergehenden Verstetigung der Erfahrung der
Vorgesetzten abhängig ist.
Grundsätzlich lassen
sich alle Herausforderungen lösen. Eins ist jetzt schon sicher: Für Juden
ist unter den gegeben Bedingungen vielleicht zum ersten Mal in der
Geschichte "ein Platz" in einer deutschen Armee, ohne eine verachtete oder
geduldete Minderheit zu sein.
Der Autor ist stellvertretender
Vorsitzende des
Bunds jüdischer
Soldaten (RjF).
>> Mehr zum aktuellen Bildungsprojekt:
"Juden
und deutsches Militär:Zwischen Assimilation, Integration, Ausgrenzung und
Vernichtung"
Anmerkungen:
Die Bundeswehr erhebt keine Daten über Religionszugehörigkeit.
Vgl. hierzu Römer-Hillebrecht in "Der
Schild Nr. 2"
(halachische Gesichtspunkte) und "Der
Schild Nr. 3"
(Antisemitismus in der DDR und ihrer NVA)
1990 wenige Hundert offizielle Mitglieder im Verband jüdischer Gemeinden,
vgl. A. Timm, in: Zwischen Kultur und Politik, Juden in der DDR, M.
Zuckermann (Hrsg.), 17 ff., 2. Aufl. 1998. |