Dr. Nathan-Mosche Kaminski, Facharzt für Urologie und
Anästhesiologie, als Vertreter der Israelitischen Kultusgemeinde München, in
einer Rede anläßlich des 70. Jahrestags des Approbationsentzugs
jüdischer Ärzte
Als Vorsitzender des Jüdischen Ärzteverbandes Paul Ehrlich
vertrete ich etwa 80 Kolleginnen und Kollegen in ganz Bayern.
Es sind 20 Jahre her, 50 Jahre nach Approbationsentzug für jüdische Ärzte in
Deutschland, als wir, auf der Suche nach unseren Wurzeln, diesen Verband zu
neuem Leben erweckten. Vor 20 Jahren, so meinten wir, sei es an der Zeit, zur
Normalität zurückzukehren. Einige ältere Kollegen in unserem Kreise, wie Simon
Snopkowski und Samuel Kutschinski seligen Andenkens, warnten, ein jüdischer
Verein könnte bei den nichtjüdischen Kollegen zu Neid, Misstrauen und Ablehnung
führen, gar einen Antisemitismus erwecken. Nur nicht auffallen, sich einfügen,
ANPASSEN war das Credo vieler Überlebender dieser Generation. War das
verwunderlich?
Es war die Strategie, über viele Jahre der Verfolgung und Vernichtung
durchzukommen. Bis zur anfangs erwähnten NORMALITÄT liegt sicher noch ein langer
Weg vor uns, dies mussten wir in diesen 20 Jahren oft erfahren. Es gibt aber
auch gute Zeichen und zahlreiche Erfolge zu vermelden. Immerhin konnte unser
Verein mancher jungen Kollegin und Kollegen, vorwiegend Zuwanderern aus den
ehemaligen GUS-Staaten, zu einer Fortsetzung ihrer Weiterbildung, oft auch mit
Hilfe staatlicher Organe, Standesorganisationen, aber auch zahlreicher Kollegen
zur Anstellung verhelfen.
Vor 10 Jahren haben wir diesen Tag der Erinnerung auf Initiative von Herrn
Kollegen Von Römer und weiteren Kollegen im Beisein von Ignaz Bubis, seligen
Andenkens und Frau Charlotte Knobloch, einer gebürtigen Münchner Jüdin,
begangen. Frau Knobloch kannte noch viele unserer jüdischen Kollegen dieser
Stunde persönlich, so den Allgemeinarzt und späteren Leiter am Jüdischen
Krankenhaus in der Hermann-Schmid-Straße, Dr. Julius Spanier, DEN jüdischen
Kollegen, der samt seiner Patienten nach Theresienstadt deportiert wurde, weil
er sie nicht im Stich ließ und wie durch ein Wunder überlebte.
Inzwischen haben die Stadt München und der Bayerische Staat an einem zentralen
Ort eine Synagoge, ein Museum und ein jüdisches Kulturhaus errichtet, ein für
die GESAMTGESELLSCHAFT unserer Stadt deutlich erkennbares Zeichen jüdischen
Lebens, einen Ort der Begegnung geschaffen und damit einen wesentlichen Beitrag
in Richtung NORMALITÄT geleistet.
Ich stehe hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, weil ich erinnern will an das
unsägliche Leid, das jüdischen Menschen durch ein verbrecherisches, totalitäres
Regime angetan wurde, welches ihnen ZUERST die Würde nahm, und DANN das Leben –
so auch dem größten TEIL meiner Familie.
Ich stehe hier, weil ich mahnen will:
es war kein anonymes System,
es waren keine dunklen Mächte am Werk,
es waren Menschen, Kollegen wie Du und ich,
es waren Freunde, Partner, junge und alte,
es waren fast alle dabei, auch Vater und Mutter, Bruder und Schwester,
und es waren nicht nur die Mediziner,
es waren auch die vielen „dankbaren Patienten“ dabei
– und dann
… dann hat es wiederum NIEMAND gewusst.
Ich stehe hier, weil ich ERINNERN und GEDENKEN will und weil ich mit Ihnen gegen
das Vergessen angetreten bin, das sind wir im Sinne einer besseren gemeinsamen
Zukunft unseren entrechteten und toten Kollegen schuldig.
Danke!
Jüdische Ärzte zwischen
nationalsozialistischer Verfolgung, Emigration und Wiedergutmachung:
Zerrissene Biographien
Der Approbationsentzug im Jahre 1938 stellte eine Zäsur im Leben jüdischer Ärzte
dar. Daneben beeinträchtigten weitere nationalsozialistische
Verfolgungsmaßnahmen das Leben und Wirken jüdischer Mediziner während des
National-sozialismus und die Nachwirkungen von Flucht und Vertreibung prägten
die Lebenswelt der Verfolgten weit über das Jahr 1945 hinaus...
Approbationsentzug 1938:
Ein Grund zur Trauer
1990 erschien ein Buch Simon Wiesenthals mit dem Titel: „Jeder
Tag ein Gedenktag“. Wiesenthal hat darin Verbrechen um Verbrechen aufgelistet,
die gegen Juden im Laufe von Jahrhunderten begangen worden sind. So wird jeder
Tag des Jahres zum Gedenktag, an jedem Tag gibt es Grund zur Trauer...
Ausstellung in München:
Approbationsentzug 1938
In München ist zur Zeit die Ausstellung „Approbationsentzug 1938“ zu sehen.
Darin wird anhand von Dokumenten und persönlichen Lebenswegen auf das Schicksal
jüdischer Ärztinnen und Ärzte aufmerksam gemacht, die zum Zeitpunkt der
Machtergreifung durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933 in München lebten und
arbeiteten...