Die israelische Regierungsorganisation Nativ soll russische Zuwanderer
umwerben. Fragt sich nur: Warum?
Von Stephan J. Kramer
"Der Zentralrat bittet die Bundesregierung um Hilfe gegen Israel".
Schlagzeilen dieser Art machen seit Wochen die Runde, hauptsächlich in der
jüdischen Presse. Sie finden sich auch in den Köpfen einiger empörter Juden.
Wahrer werden sie dadurch nicht. Weder führt der Zentralrat einen Kampf
gegen Israel noch hat er die Bundesregierung um Hilfe gebeten.
Darum geht es: Monatelang hat sich eine interministerielle Arbeitsgruppe
in Israel mit der Situation der russischsprachigen Juden in der Diaspora
beschäftigt. Ende Mai diesen Jahres stand ihre Empfehlung an das Kabinett in
Jerusalem fest: Die israelische Regierungsdienststelle "Nativ" (Der Pfad)
soll ihre Tätigkeiten auf Deutschland ausweiten, um der "gefährlichen
Assimilation ehemaliger sowjetischer Juden in Deutschland" entgegentreten zu
können. Der wachsenden Entfremdung russischsprachiger Juden von Israel und
vom Judentum müsse, so hieß es, endlich wirksam begegnet werden.
Israels Minister für strategische Angelegenheiten, Avigdor Liebermann
(Israel Beitenu), wirft den jüdischen Gemeinden in Deutschland vor, die
Bedürfnisse der russischsprachigen Zuwanderer konsequent zu vernachlässigen.
Ein Gespräch mit eben jenen gescholtenen jüdischen Verbands- und
Gemeindevertretern in Deutschland fand bisher nicht statt.
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Wegweiser: Juden aus der einstigen Sowjetunion fällt es manchmal
schwer, sich zwischen Deutschland und Israel zu entscheiden.
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"Lischkat haKescher" (Verbindungsbüro), kurz "Nativ" genannt, wurde in
den frühen fünfziger Jahren als ein separater Geheimdienst geschaffen. Die
Aufgabe lautete: verdeckt Kontakt zu jüdischen Aktivisten in der ehemaligen
Sowjetunion aufnehmen. Durch jüdische Bildungsprogramme und die Förderung
der Auswanderung nach Israel setzte sich Nativ erfolgreich für die "Juden
des Schweigens" im Land der Räte ein.
Nach dem Untergang der Sowjetunion entfiel diese Geschäftsgrundlage.
Heute sind zahlreiche jüdische Organisationen aus Israel und aus dem Westen
in der GUS mit offenem Visier tätig. Folglich rieten bereits mehrere
Knesset-Ausschüsse, Nativ aufzulösen. Seit Premier Ehud Olmert seine
Zuständigkeit vor einigen Wochen an Liebermann abgegeben hat, erlebt Nativ
aber offenbar eine Renaissance. Für die einstige Geheimdienststelle wurden
Haushaltsmittel in Höhe von sieben Millionen Dollar bereitgestellt.
Das beantwortet nicht die Frage nach der Daseinsberechtigung. Frühere
Bemühungen, wie etwa der 2000 gestartete Vorstoß, in Argentinien Fuß zu
fassen, blieben erfolglos. Auch die Versuche der vergangenen Monate, in den
Vereinigten Staaten und in Kanada zu arbeiten, scheiterten. Nicht nur die
dortigen Gemeinden und die amerikanische Regierung widersetzten sich den
Plänen. Auch die Jewish Agency sprach sich strikt dagegen aus. Deren
Generaldirektor Moshe Vigdor wertete den Einfall von Nativ in die Projekte
der Agency als einen ebenso unfreundlichen wie überflüssigen Akt.
Überflüssig, weil bereits vorhandene Aktivitäten wie Hebräischkurse,
Einwanderungshilfe und Bildungsprogramme schlicht kopiert werden sollten.
Was Nativ in Nordamerika überhaupt wollte, wäre wohl ein Rätsel
geblieben, hätte Liebermann nicht seine Motive offenbart. Seiner Ansicht
nach sollte die von amerikanischen Juden dominierte Jewish Agency
schnellstens durch Nativ ersetzt werden.
Anfang Juni schrieben Benny Bloch, Direktor der Zentralwohlfahrtsstelle der
Juden in Deutschland, und der Autor dieser Zeilen
einen Brief an Premier Olmert. Darin betonten wir, dass die Bindung zu
Israel und die Vermittlung von jüdischen und zionistischen Werten zum
selbstverständlichen Fundament jüdischer Existenz auch in Deutschland
gehört. Umso mehr überraschten uns die oben genannten Vorwürfe. Enttäuscht
waren wir über die Absicht, Nativ ohne Aussprache mit uns und unter den aus
der Presse bekannt gewordenen negativen Vorzeichen auf Deutschland
auszuweiten.
Auf dieses Schreiben gibt es bis heute keine Antwort. Unser Angebot einer
partnerschaftlichen Zusammenarbeit, wie es mit der Jewish Agency seit Jahren
erfolgreich praktiziert wird, wurde zurückgewiesen. Nativ sei eine
unabhängige israelische Regierungsorganisation, die mit eigenen
diplomatischen Vertretern und Infrastruktur arbeiten wolle, wurde uns
beschieden.
Viel schwerer wiegt, dass bis heute niemand plausibel erklären kann,
warum Nativ zusätzlich zu den erfolgreichen Programmen der Jewish Agency in
Deutschland aktiv werden sollte. Bösartige Zungen behaupten, die jüdische
Gemeinschaft in Deutschland würde aus Sicht der israelischen Regierung in
zwei Gruppen aufgeteilt: auf der einen Seite die bereits vor 1989 hier
lebenden, etwa 15.000 "alteingesessenen" deutschen Juden, die durch die
Jewish Agency ausreichend betreut würden; auf der anderen Seite die 200.000
seit 1989 eingereisten "sowjetischen Juden", die durch Nativ zu ihren
jüdischen Wurzeln zurückgeführt und zur Auswanderung nach Israel bewogen
werden sollen. Damit wird die negative Einstellung zur jüdischen
Gemeinschaft in Deutschland klar.
Wie die "Operation Deutschland" aus der Sicht von Nativ weitergehen soll,
wissen wir nicht. So bleibt viel Raum für Spekulationen. Sich daran zu
beteiligen, ist unsere Sache nicht. Wir werden weiter vertrauensvoll und
freundschaftlich mit Israel zusammenarbeiten.