Ein Rückblick auf die letzten 2
Monate:
Le Pen schlägt neue ideologische Pflöcke ein
Von
Bernard
Schmid,
Paris
In
gut fünf Monaten finden in Frankreich Wahlen statt: Am 22. April 2007 ist
der erste Durchgang, am 6. Mai der zweite Durchgang (Stichwahl) der nächsten
Präsidentschaftswahl angesetzt. Am 10. und 17. Juni 07 folgen dann die
kommenden Parlamentswahlen. Der Chef des rechtsextremen Front National (FN),
Jean-Marie Le Pen, tritt im Alter von dann fast 79 Jahren noch einmal an,
bevor er voraussichtlich (danach) seine Partei entweder an seine Tochter
Marine Le Pen oder an seinen aktuellen 'Generalbeauftragten' Bruno Gollnisch
übergibt. Aber vorher möchte er wohl gern noch mal richtig auf die Pauke
hauen.
Bevor es
aber um die eventuellen Aussichten Le Pen im Hinblick auf diese Wahlen gehen
soll, erst noch einige Ausführungen zu seinen neuesten Versuchen, politische
Verwirrung zu stiften und neue ideologische Signale zu setzen.
Bereits in der Vergangenheit hat die extreme Rechte im Allgemeinen, und
Jean-Marie Le Pen (Parteichef des Front National, FN) im Besonderen eine
gewisse ideologische Wandlungsfähigkeit bewiesen. Einem Chamäleon
ähnlich, schlüpf(t)en sie in unterschiedliche ideologische Aufzüge, sofern
es nur dem einen Zweck dienen: mittels immer wieder erneuerter Provokation
das ideologische Gift von der "natürlich Ungleichheit der Menschen", von der
Höherwertigkeit des "Eigenen" gegenüber dem Fremden zu verbreiten. Das ist
geschichtlich betrachtet keine Überraschung, hat doch auch der historische
Faschismus eine ähnliche Anpassungsfähigkeit bewiesen. Hier wollte er
Kampfpartei in den Augen der sozial Unzufriedenen und nach Umwälzung
Trachtenden sein, dort bildete er die Ordnungspartei für die Besitzenden und
Mächtigen.
Le Pen und die
Schlacht von Valmy
Am 20. September 2O06 eröffnete Jean-Marie Le Pen seinen
Präsidentschaftswahlkampf für die Wahl, die am 22. April kommenden Jahres
(erste Runde) stattfinden wird. Den Wahlkampfauftakt legte er, wie oft, an
einen symbolischen Ort. In diesem Jahr allerdings sorgte die Ortswahl bzw.
das damit verbundene Symbol für einiges Zähneknirschen unter den Kadern des
FN.
Es war die Tochter des Parteichefs, Marine Le Pen, die für die Ortswahl
verantwortlich zeichnet. Die 38jährige, die um "Modernisierung" der
französischen extremen Rechten und ansatzweise um bürgerliche Salonfähigkeit
bemüht ist und die möglicherweise ihrem Vater an der Parteispitze nachfolgen
soll, hatte dafür plädiert, ein Symbol der (angeblichen) Republiktreue der
rechtsextremen Partei zu setzen. Daher fiel die Wahl auf Valmy.
Die kleine Örtlichkeit im ostfranzösischen Département Marne (Bezirk um
Reims und Chalons-en-Champagne) liegt in der Nähe des Schlachtfelds, auf dem
am 20. September 1792 die französische Armee ihren ersten Sieg gegen die
Monarchien Europas davontrug. Konkret standen 47.000 Soldaten der Armee von
Dumouriez den 35.000 Preuben
unter Führung des Herzogs von Braunschweig gegenüber. Wir sind im Kontext
der Französischen Revolution: In Paris ist der König nach einem
Fluchtversuch durch das Volk gefangen gesetzt worden und hat real nicht mehr
viel zu melden. Die versammelten europäischen Monarchien (Preuben,
Österreich-Ungarn...) und die royalistischen französischen Exilanten in
Koblenz möchten das junge bürgerliche Regime plattwalzen, um den
"revolutionären Brandherd" auf dem Kontinent einzudämmen. Bei der Schlacht
von Valmy rücken die französischen Freiwilligen vor, indem sie ihre Hüte auf
die Gewehre aufspießten und "Vive la Nation" riefen. Das ist im damaligen
Kontext nicht als chauvinistischer Schlachtruf gegen andere Völker gemeint,
sondern als Bekenntnis zur Volkssouveränität im bürgerlich-demokratischen
Verständnis.
Am Ort des Schlacht-Geschehens selbst passiert konkret nicht allzu viel: Die
französischen Soldaten - großenteils Freiwillige, die für den Fortbestand
ihrer (bürgerlichen) Revolution kämpfen – erringen einen relativ leichten
Sieg, weil im Lager der Preußen die Diphterie ausgebrochen ist. Insgesamt
werden 300 Tote auf französischer Seite und 184 bei den Preußen verzeichnet,
das ist, nun ja, für damalige Verhältnisse und relativ betrachtet "nicht
sehr viel". Durchschlagend dagegen sind die politische Auswirkungen von
"Valmy", nachdem der Beweis erbracht worden ist, dass das sich (mehr oder
weniger) selbst regierende und unter Waffen mobilisierte Volk auch ohne bzw.
gegen die Monarchen gewinnen kann. Am Tag nach der Schlacht wird der König
abgesetzt und zum ersten Mal die Republik ausgerufen. Vier Monate später
wird der frühere Monarch, Louis XVI., dann um eine Kopflänge verkürzt. Am
21. Januar 1793...
Einwände
innerhalb der extremen Rechten
Aus all diesen Gründen war "Valmy" bei der extremen Rechten bisher nie
populär. Die politischen Vorläufer der heutigen Rechtsextremen standen
damals, 1792, nämlich überwiegend auf der anderen Seite. Zu den besonderen
Charaktermerkmalen der französischen extremen Rechten gehört die hohe
Bedeutung der historischen Zäsur, die die Jahre 1789 ff. darstellen (die
Zerstörung der alt hergebrachten Ordnung auf gewaltsamem Wege durch das
aufstrebende Bürgertum), und das vergleichweise hohe Gewicht der
Monarchisten in ihrem Inneren. Denn der französische Monarchismus ist nicht
nur pure apolitische Nostalgie, im Sinne einer folgenlosen Sehnsucht nach
dem weit zurückliegenden "Glanz" früherer Zeiten, sondern basiert auf einem
politischen Grundsatzentscheid: der Ablehnung der 1789 ff. erfolgten
Umwälzung der "natürlichen Ordnung" durch die Bourgeoisie, unter Anrufung
der Vernunft und unter Berufung auf die allgemeine Gleichheit der Menschen.
Freilich besteht die französische extreme Rechte nicht ausschließlich aus
pro-monarchistischen Elementen, sondern bildet (was ihre eigenen politischen
Visionen von einer anzustrebenden Staatsform betrifft) ein ideologisch
heterogenes Konglomerat aus Monarchisten, autoritären Republikanern und aus
Nacheiferern des historischen Faschismus.
Bei seinem diesjährigen Auftritt musste Jean-Marie Le Pen, der Vorgabe
seiner Tochter im Sinne einer "Modernisierung" der Partei folgend, sich also
auch über anhaltende offene wie passive Widerstände innerhalb des FN
hinweg setzen. Während die Cheftochter Marine Le Pen programmatisch davon
sprach, es gehe darum, "die Republik und die Nation zu versöhnen" (und damit
die Nation im Blut-und-Boden-Sinne der extremen Rechten im Sinne hatte,
nicht im Sinne der universalistischen Republik, die in den Gründerjahren
1789 ff. vorherrschend war), setzten andere FN-Funktionäre ziemlich
unterschiedliche Akzente. Das fing bei der derzeitigen "Nummer Zwei" der
Partei an, ihrem Generalbeauftragten (délégué général) Bruno Gollnisch.
Dieser Rivale von Marine Le Pen im Ringen um die Nachfolge des 78jährigen
alternden Chefs lieb
in seiner Stellungnahme die Republik und die Revolution gar völlig
unerwähnt. Er wollte im Geschehen von Valmy nur "den Ruck, (der) gegen die
ausländische Invasion durch die Nation (ging)" erblicken – eine Vision, die
ihm durchaus in den Kram passt und in seinem Sinne auch auf andere Kontexte
leicht übertragbar ist. Der örtliche Bezirkssekretär des FN im Département
Marne, Pascal Erre, äußerte sich seinerseits in seinem Blog im Internet.
Dabei definierte er die Staatsform der Republik mal kurzerhand unter den
Tisch. Der Begriff komme vom lateinischen Ausdruck Res publica (die
öffentliche Sache) – was soweit tatsächlich zutrifft, denn so bezeichnet die
alten Römer schon über zwei Jahrhunderte vor der christlichen Zeitrechnung
ihr Staatswesen, nachdem sie ihre Monarchie gestürzt hatten. Insofern
bezeichnete der Begriff also schon damals durchaus eine bestimmte politische
Ordnung, und nicht eine beliebige. Nicht so in den Augen von Pascal Erre,
der dazu weiter schrieb, die so bestimmte "öffentliche Sache" bedeute
ungefähr so viel wie "Gemeinwohl", und "es entspringt daraus keinerlei
besondere Regierungsform". Also könnte sich auch eine Diktatur durchaus so
nennen...
Ideologisches Kompromissangebot ans eigene Lager
Jean-Marie Le Pen wäre nicht er selbst, hätte er es nicht vermocht, eine
ideologische "Synthese" zusammenzubrauen, die allen unterschiedlichen
Sichtweise innerhalb der extremen Rechten etwas zu bieten haben soll. So
führte er in seiner Ansprache in Valmy u.a. aus: "Von Gergovia (Anm.:
Schlacht der Gallier gegen die Römer im 1. Jahrhundert v. Chr.) über die
Kapetianer (Anm.: die Frankreich über Jahrhunderte hinweg regierende
Dynastie, die 1792/93 endgültig gestürzt wurde) und die napoléonische
Heldensaga bis zur Résistance: Ich nehme alles. Ja, alles. Weit davon
entfernt, die unterschiedlichen Epochen in Gegensatz zueinander zu stellen,
gehöre ich zu denen, die meinen, ein gewisser Zentralismus der Republik
seine Wurzel in der (Zeit der Monarchie) hat". Damit rückte er eine Vision
in den Mittelpunkt, die die Kontinuität des Staates und "der Nation" als
Absolutes herausstellt und die (bürgerliche) Revolution – die dadurch
jeglichen politischen Inhalts beraubt wird – irgendwo in der Mitte dieser
langen Kontinuitätskette einreiht.
"Die Soldaten, die hier siegten taten es mit dem Ruf ‘Vive la nation!’
(Anm. : vgl. oben) Das ist der Ruf, den wir seit 30 Jahren ausstoßen. (...)
Wir sind die wahren, die einzigen Verteidiger der Republik, denn die
Republik kann nur national sein," erklärte er ferner. Hinzu fügend, dass es
(so Le Pen zumindest implizit) doch eine Hierarchie zwischen beiden
Konzepten gebe, denn "die Nation kann auch nicht republikanisch verfasst
sein, die Republik dagegen kann nur national sein." Und schwuppdiwupp!,
findet sich das Besondere der französischen (ursprünglich als
universalistische konzipierten) Republik weg definiert... und die
vorgebliche Verteidigung der Republik umdefiniert in die Unterstützung der
Vision eines völkische Homogenisierung betreibenden Nationalstaats. - Dass
es gerade in Frankreich noch eine andere Vision der (universalistischen, auf
das Ius Soli aufbauenden) Republik gab und gibt, konnte Le Pen freilich
nicht völlig unerwähnt lassen. Er klagte ein solches Konzept mit den Worten
an, dass es ein Unding sei, "eine universelle, abstrakte, un-fleischliche
Republik zu feiern, die morgen durch eine Bevölkerung weltweiter Herkunft
gebildet werden könnte und (es) sogar soll."
Bleibt hinzuzufügen, dass Le Pen in Valmy von GegendemonstrantInnen
empfangen wurde, u.a. von den örtlichen Jungsozialisten und von der
Lehrergewerkschaft FSU. Diese verwahrten sich strikt dagegen, dass der Chef
des FN die republikanischen Symbole besetzen. Die liberale Pariser
Abendzeitung ‘Le Monde’ (Ausgabe vom Abend des 21. September) notiert in
diesem Sinne, dass die antifaschistischen Demonstranten die republikanische
Nationalhymne – La Marseillaise – gesungen, das FN-Publikum dagegen in dem
Moment nur "Le Pen, président" skandiert habe. Die FN-Wochenzeitung
'National Hebdo' (vom 28. September) hält dagegen, dass beide Seiten die
Nationalhymne gesungen hätten... Auf der Ebene der Nationalsymbole, selbst
wenn sie eine republikanische Geschichte haben, die der FN zu Unrecht für
sich beansprucht, sollte man die extreme Rechte wohl nicht gerade zu
schlagen versuchen. (Die Jusos hatten neben ein paar französischen auch ein
paar EU-Flaggen dabei. Weshalb man wiederum nicht die EU toll finden
muss...)
Abstecher auf
Korsika: Nicht unbrisant
Im folgenden soll es nunmehr über den ebenfalls viel beachteten
Korsika-Besuch des Chefs des französischen Front National (FN) gehen. Auch
er steht im Zeichen neuer ideologischer Signale, die durch den FN-Chef
abgegeben wurden, ähnlich dem anlässlich des Besuchs in Valmy neu entdeckten
"blikanismus" des rechtsextremen Politikers.
Le Pen unterstützt die
'Clandestini Corsi'
Am 2. Oktober 2006 begann vor einem Sondergericht in Paris der Prozess gegen
12 männliche junge Erwachsene aus Korsika. Die Inselbewohner waren deshalb
in der französischen Hauptstadt angeklagt worden, weil die Strafsache unter
die Terrorismusdelikte eingeordnet worden war. Deshalb konnte die Pariser
Justiz, die für Terroismus-Tatbestände (mit und ohne Anführungsstriche)
zuständig ist, die Angelegenheit an sich ziehen. Da die Mehrheit der
Angeklagten zum Tatzeitpunkt der jeweils vorgeworfenen Handlung noch
minderjährig waren, wurde ein Sonder-Jugendgericht unter Ausschluss der
Öffentlichkeit eingesetzt. Der älteste Angeklagte ist aktuell 31jPährig, die
übrigen sind zwischen 19 und 26 Jahre alt.
Die männlichen Heranwachsenden hatten eine bis dahin unbekannte Gruppe
namens "Clandestini Corsi" (ungefähr: korsische Illegale, korsische
Untergrundkämpfer) gebildet. Ihr harter Kern bestand aus circa 6 Personen,
als ihre Führungsmitglieder galten insbesondere Patrick Baldacci (heute 21
Jahre alt), Loïc Breschi (20) und Rémy Feliceli (derzeit 20jährig).
Die terroristisch agierende Kleingruppe gehörte nicht zu jenen zahlreichen
bewaffneten Gruppen und Grüppchen, die in den letzten 30 Jahren Jahren auf
der Mittelmeerinsel agiert haben und für die Unabhängigkeit oder Autonomie
Korsikas von Frankreich kämpften, teilweise aber auch klar mafiösen
Interessen dienten und etwa zu Zwecken der Eintreibung von
"Revolutionssteuern" agierten. (Vgl. zu einer ausführlicheren Darstellung
und Kritik :
http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/_2001/44/15a.htm
) Die 'Clandestini Corsi' hatten sich vielmehr ausschließlich
Angehörige der maghrebinischstämmigen Minderheit auf der Insel zum Ziel
ihrer Anschläge auserkoren.
Zwar hat
es auch bei den korsischen Nationalisten, die sich lange Zeit (jedenfalls
von 1970er Jahren bis hinein in die 1990er) mehrheitlich als progressiv und
Vorkämpfer für die Rechte eines vom Staat vernachlässigten Territoriums
verstanden, immer wieder auch eine rassistische Komponente gegeben. 1987 zum
Beispiel brachten korsische Nationalisten maghrebinische Einwanderer als
angebliche Dealer um, im Namen eines ominösen "Kampfs gegen Drogen". Zum
korsischen Nationalismus, der auf einer Abwehrhaltung gegen den die Insel
politisch dominierenden und seit Jahrhunderten ökonomisch vernachlässigenden
französischen Staat basiert, gehörte immer auch eine Komponente der
Verhinderung der Übervölkerung Korsikas mit von auben
stammenden Bevölkerungsgruppen (vor allem auch Festlandfranzosen). Die
rassistische Komponente stand aber nie im Mittelpunkt oder im Vordergrund,
und die seit den 1970er dominierenden korsisch-nationalistischen Strömungen
–- die heute zersplittert sind –- begriffen sich selbst als "antikolonial"
und betonten das Bündnis mit Befreiungsbewegungen in französischen Kolonien
und der "Dritten Welt". Das verhinderte jedoch nie, dass auch eher rechte
Kräfte dort aktiv wurden wie Alain Orsoni, der vor dem Beginn seiner
Aktivitäten auf der Insel an der Universität Nizza in rechten bis
rechtsextremen Kreisen verkehrt war. Und eine gewisse Abwehrhaltung gegen
andere "Fremde", und nicht nur gegen den politischen Einfluss des
französischen Zentralstaats, war immer unterschwellig vorhanden. Das hat
auch mit der Insellage und der Erinnerung an den Abwehrkampf (während
Jahrhunderten im Mittelalter) gegen arabische Piraten vom Südufer des
Mittelmeers zu tun.
Die
'Clandestini corsi', die ohne organisatorische Verbindung zu den
korsisch-nationalistischen Gruppen und Grüppchen als eigenständige
Untergrundformation entstanden, kämpften fast ausschließlich
gegen maghrebinische Einwanderer. Es leben derzeit circa 35.000 solcher
Immigranten auf der Insel, die insgesamt circa 270.000 Einwohner hat.
(Jean-Marie Le Pen hatte 1996 öffentlich behauptet, es seien "ein Drittel
arabische Einwanderer" unter der Bevölkerung Korsikas. Diesen angeblichen
Anteil an der Inselbevölkerung musste er in der Folgezeit jedoch nach unten
revidieren, da er durch die Medien widerlegt wurde. – Es handelt sich bei
der Gesamt-Einwohnerzahl übrigens um eine Zahl, die bereits um 1880, damals
zählte Korsika 273.000 Einwohner, überschritten worden ist. Die Abnahme der
Gesamtzahl widerspiegelt eine Politik systematischer Vernachlässigung
Korsikas durch den französischen Staat, die zu Abwanderungen führte. Das war
auch intendiert worden: Der Zentralstaat nutzte Korsika lange Zeit als
Reservoir zur Rekrutierung von Siedlern und Soldaten für die Kolonien. Auch
daher rührt vielleicht ein gewisser Kolonialrassismus.)
Die
Gruppe begann ihre Aktionen am 19. März 2004 mit dem Deponieren einer Bombe
im Eingang eines Wohngebäudes in Bastia, der Hauptstadt des Bezirks
Nordkorsika. Diese explodierte gegen 2.25 Uhr in der Nacht, ohne jedoch die
8 Butangasflaschen, die in ihrer Nähe angebracht worden war, in die Luft
fliegen zu lassen. Deshalb richtete die Detonation nur Sachschäden an, aber
die Sache hätte ungleich dramatischer ausgehen können. Der Ort des
rassistisch motivierten Attentats war ein Stadtteil, der mehrheitlich einer
maghrebinischstämmigen Bevölkerung als Wohnbezirk dient. Am 30. März traf
ein Schreiben mit mehreren französischen Rechtschreibfehlern beim
Kommissariat von Bastia ein. Darin wird "das Verhalten einer bestimmten
maghrebinischen Minderheit, die eine Form von (groß)städtischer
Gewalt auf unserer Insel einrichtet" angeprangert. "(...) Deshalb werden wir
kämpfen, welcher auch immer der Preis dafür sei. Das wird Aktionen mit einem
gewissen Gewalt(niveau) gegenüber dieser Minderheit beinhalten." Ferner
kündigen die 'Clandestini Corsi' darin an, "alle äußeren
Gemeinschaften (d.h. alle von außerhalb
Korsikas stammenden Bevölkerungsgruppen, Anm. BhS)" zu attackieren, "die
versuchen, sich durchzusetzen, statt sich anzupassen". Insofern lässt sich
ein nicht ausschließlich
klassisch rassistischer (anti-arabischer), sondern ein an den korsischen
Inselnationalismus andockender Charakter ihrer Grundideen, jedenfalls auf
verbaler Ebene, feststellen.
In den
folgenden Monaten, von April bis September 2004, verübten die 'Clandestini
Corsi' weitere Attentate. Sie trafen das marokkanische Konsulat in
Nordkorsika, ein marokkanisches Bankinstitut und die Wohnungen von
Privatleuten. Die 'C. C.' bekannten sich dazu in Telefonanrufen und
Schreiben, in denen von "Gesocks" die Rede war, von "diesem Typ Bevölkerung,
der die Insel zu lange schon annagt", und vom Kampf gegen angebliche
Drogenhändler einschließlich
ihrer physischen Eliminierung. Am 15. und 16. November 2004 konnte eine
spezielle Antiterror-Einheit der französischen Polizei einen Grobteil
der Gruppe in Bastia und Umgebung ausheben. Weitere Verhaftungen in dieser
Sache erfolgten bis im Mai 2005. Ihr Prozess begann, wie oben ausgeführt, am
2. Oktober dieses Jahres in Paris.
Nun
kommt Jean-Marie Le Pen ins Spiel. Bis dahin war der Chef des französischen
Front National (FN) allem, was nach korsischem (Abwehr-)Nationalismus roch,
eher eindeutig abhold. Im Namen des Kampfes für den Erhalt des französischen
Nationalstaats und gegen den die staatliche Einheit bedrohenden
"Separatismus" sprach er sich für eine Politik der harten Hand auf der
Mittelmeerinsel aus. Die korsischen Nationalisten ihrerseits schätzten den
Chef des FN wirklich nicht, obwohl sie ihrerseits nicht immer alle und
ausschließlich
frei von (manchen) rassistischen Ideen waren, ohne pauschalisieren zu
wollen. In der Regel erwarteten Le Pen bei Ausflügen auf die Insel dort
"Empfangskomitees", die von korsischen Nationalisten (unter anderem
jedenfalls, in anderen Fällen auch von Linkskräften) gebildet wurden und ihm
ausdrücklich feindlich gesonnen waren.
Dieses
Mal war alles anders. Nicht nur weil es um Rassisten ging. Auch hatte Le Pen
eventuellen Demonstrationen und Protesten gegen seinen Besuch auf der Insel
vorgebeugt. Bevor er am Samstag, 7. Oktober seinen Auftritt hatte --
während mehrerer Stunden sprach er zu rund 50 versammelten Parteigängern auf
dem Landgut des Bezirkssekretärs des FN in Nordkorsika, Robert
Jacob-di-Luzie -- vergewisserten er und seine Anhänger sich, dass es
zu keinen Zwischenfällen oder Reibereien kommen konnte. Jean-Marie Le Pen
reiste über einen kleinen Regionalflughafen ein, der in Calvi und nur rund
zwei Kilometer entfernt vom Veranstaltungsort (dem Landgut) liegt.
Und was er zu sagen
hatte, war in diesem Fall nicht von Feindschaft gegen bewaffnet bzw.
terroristisch agierende Korsen geprägt, wie in anderen Fällen, wenn es in
der Vergangenheit um "Separatisten" ging. Anlässlich des Mittagessens mit
seinen Parteigängern auf Korsika, zu dem auch einzelne lokale Journalisten
und ein Kamerateam des französischen ersten Fernsehsenders TF1 zugelassen
worden waren, lancierte Jean-Marie Le Pen "einen Appell an die Richter, die
über die jungen Clandestini Corsi zu urteilen haben". Ihnen gegenüber
ersuchte er um Milde für ihre Taten. "Man hat die Plasticages (Anm.:
Kosewort in rechten Kreisen für Anschläge, der Name rührt vom
Plastiksprengstoff her) der Clandestini Corsi mit Rassismus
gleichgesetzt, während es sich nur um eine Reaktion aus Verzweiflung
handelte (...) von jungen Leuten, die sich weigern, ihre Kultur verschwinden
zu sehen." Le Pen fügte hinzu, dass "die Justiz in dieser Strafsache sowohl
über die Jugendlichen als (aber) auch über die Verfehlungen und das Versagen
der seit 30 Jahren verfolgten Immigrationspolitik urteilen muss. In diesem
Kontext ist es die Pflicht der Richter, zur Befriedung beizutragen, durch
eine mabvolle
Entscheidung." Und die Justiz müsse "jenseits der Staatsideologie stehen
(...) der Ideologie des antirassistischen Staates, der antirassistischen
Medien, dieser oder jener antirassistischen Vereinigung."
Ideologische Wende?
Politisch und
ideologisch interessant ist daran aber auch, dass Le Pen anscheinend eine
Wende zur "korsischen Frage" eingelegt hat. Es handele sich um eine
"identitätspolitische Wende" unter Einfluss seines Kabinettsdirektors
Olivier Martinelli, wie die Pariser Abendzeitung ‘Le Monde’ vom 10.
Oktober angibt. Der 36jährige Parteifunktionär, junger Absolvent der
Elitehochschule Science Po, ist selbst korsischstämmig (wie bereits der Name
verrät) und leitet die regionale Abteilung des FN auf Korsika.
Laut den
Auszügen aus Le Pens Rede, die durch die FN-Wochenzeitung 'National Hebdo'
vom 12. Oktober 06 publiziert wurden, führte der rechtsextreme Politik dazu
u.a. aus : "Das (die laut Le Pen beklagenswerte Haltung des Staates
gegenüber der Einwanderung, Anm. BhS) belegt auch das Misstrauen und sogar
die Feindseligkeit der amtierenden Eliten gegenüber der korsischen
Identität, wie übrigens gegenüber allen fest gefügten Identitäten. Sie hebt
schließlich
auch die Konzeption hervor, die die führende Oligarchie sich von der
Republik macht, welche (als) notwendig wurzellos, kosmopolitisch,
globalisiert erscheint, im Gegensatz übrigens zu den ewigen republikanischen
Idealen." Der FN-Chef erklärte ferner : "Seit langem spürt man an hoher
Stelle den ungezähmten und instinktiven Widerstand der Insel gegen die
herrschende Ideologie (...), jene, die die Traditionen, die Identitäten und
Kulturen abschaffen will im Namen der Vermischung, der Freizügigkeit und des
allmächtigen Konsumenten. Diese Ideologie, das ist auch, bei weitem, die
jakobinische Ideologie, die die Republik pervertiert, indem sie den Menschen
jeder bodenbezogenen oder kulturellen Referenz beraubt, indem sie ihn von
seinen lokalen, regionalen oder nationalen Bindungen abschneidet."
Anders
als in der Vergangenheit hat Le Pen damit die lokale oder regionale
"eigenständige Kultur" und Identitätsbestrebungen nicht als bedrohlich für
den Nationalstaat, als im Gegensatz zu ihm und zur staatlichen Einheit
stehend begriffen. Vielmehr begreift er beide als, im Sinne eines
Baukastenprinzips, ineinander greifende und aufeinander aufbauende Elemente.
Das hat eine Tradition auf der französischen Rechten, forderte doch etwa der
Action française-Begründer und Ideologe Charles Maurras im frühen 20.
Jahrhundert eine Wiedergründung der historischen Provinzen (die unter der
bürgerlichen Revolution 1789 ff. aufgehoben worden) statt der damals nach
1789 geschaffenen Départements als Verwaltungseinheiten. Um nämlich vom
Universalismus als Staatsdoktrin der Republik weg- und wieder zu einer
"historischen und kulturellen Einwurzelung der Nation" hinzukommen. Aber die
FN-Spitze hatte in den vergangenen Jahrzehnten häufig die Einheit des
französischen Nationalstaats gegen alle regionalen Bestrebungen verteidigt.
Die intellektuelle Nouvelle Droite (Neue Rechte) hatte aber in den 1990er
Jahren begonnen, auch andere Ansätze, die den "regionalen Identitäten"
freundlicher und mit mehr Sympathie entgegenblickten, einzubringen. (Vgl.
dazu folgende Analyse von 1997 :
http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/35/26a.htm
)
Ferner
hat Jean-Marie Le Pen durch seinen Auftritt in Korsika sein Unternehmen der
ideologischen Umdeutung der "Republik", die er in Valmy begonnen hatte,
fortgesetzt.
Nachtrag : Und das Ende vom
Lied
Nachträglich lässt
sich feststellen, was bei dem Prozess gegen die jungen korsischen Rassisten
herausgekommen hat, die Le Pen unterstützt hatte. (Übrigens gegen den Willen
und sogar die Widerstände ihrer Familien. Diese hatten erklärt : "Wir
unterstützen unsere Kinder, aber nicht die Taten, die sie begangen haben",
und den "groben politischen Vereinnahmungsversuch" zurückgewiesen.)
Am Abend des 17.
Oktober fiel das Urteil. Das Gericht war weitgehend den Forderungen der
Staatsanwaltschaft gefolgt. Drei der Angeklagten erhielten 7 Jahre Haft (die
Staatsanwaltschaft hatte bis zu 8 Jahre gefordert, bei einem Höchststrafmaß
von 20 Jahren). Drei weitere Angeklagte erhielten je 6 Jahre, und drei mal
wurden 5jährige Haftstrafen verhängt. Gegen die übrigen drei Angeklagten
wurden Strafen von je 6 Monaten Haft ohne Bewährung zuzüglich 18 Monate auf
Bewährung ausgesprochen.
Le Pen hat also zu
mehrjährigen Haftstrafen verurteilte Kriminelle unterstützt, auch wenn
jugendliche Blödheit bei ihnen im Spiel gewesen sein mag.
Nähere Aussichten (Wahlen)
Wie oben
erwähnt: In einem knappen halben Jahr finden in Frankreich wichtige Wahlen
statt, zu allererst die Präsidentschaftswahl von Ende April und Anfang Mai
kommenden Jahres.
Le Pens große Hoffnung ist es, dabei noch einmal in die Stichwahl (der
beiden bestplatzierten Kandidaten) einzuziehen wie am Abend des 21. April
2002, damals gegen den Amtsinhaber Jacques Chirac. Aber dieses Mal möchte Le
Pen gar zu gerne, so verkündet er es, gegen die voraussichtliche
sozialdemokratische Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal (eine
freundlich lächelnde und sonst aalglatte, auch schon mal als "Madame
Marketing politique" bezeichnete Expertin für politische Verwertung von
Umfrageergebnissen) in die entscheidende Runde ziehen. Eine Marketingfirma
für Politikberatung und politische Imagepflege hält dies immerhin für gut
möglich (vgl.
http://www.exprimeo.fr/actualites/actualites.php?idActualites=542
).
Realistische Chancen, in einem politischen Kräfteverhältnis "Allein gegen
alle (anderen Kräfte)" zum Präsidenten gewählt zu werden, hat Jean-Marie Le
Pen zwar auch dann keinerlei. Aber die konservative Wählerschaft würde sich
in einer solchen Konstellation in mindestens zwei Fraktionen, die jeweils
für Royal bzw. Le Pen stimmten müssten (plus eine beträchtliche Anzahl
Unentschiedener dazwischen) aufspalten. Das würde den Stimmenanteil Le Pens
im zweiten Wahlgang nochmal in andere Höhen katapultieren als 2002,
als Le Pen (mit 17,7 % Prozent im zweiten Wahlgang, gegenüber 16,9 % plus
2,3 % für den anderen rechtsradikalen Kandidaten Bruno Mégret in der ersten
Runde) nicht "abheben" konnte. Denn damals hatten vier Fünftel der
Wählerschaft sämtlicher Linkskräfte in der Stichwahl für Chirac gestimmt, um
Le Pens Stimmenanteil klein zu halten ; der Rest enthielt sich der Stimme
oder wählte ungültig. Aber würde sich die konservative Wählerschaft in einer
Konstellation Royal/Le Pen ähnlich verhalten? Gute Frage...
Noch ist
es bei weitem nicht soweit, und der amtierende Innenminister Nicolas Sarkozy
hat sich bereits im November 2003 in einer Fernsehsendung explizit als
künftiger konservativer Präsidentschaftskandidat angemeldet. Derzeit liegt
er in den Umfragen bezüglich der Wählergunst ziemlich weit vorne (vor allem
aufgrund seines permanenten "Innere Sicherheits"-Spektakels), und mal hat
er, mal dagegen Royal die Nase in den Meinungsbefragungen voraus. Nur
betreibt der Mann möglicherweise zu viel und zu aggressiv Werbung in eigener
Sache, und die Anziehungskraft des "Modells Sarkozy" (mit
Sicherheitswahlkampf, Law & Order-Versprechen und gaaaanz viel medialem
Zugedröhne) erschöpft sich in der Endphase. Vor allem auch, wenn Sarkozy
nicht den Anschein erwecken kann, die Gewaltprobleme in den Griff zu
bekommen. Zudem könnte es ihm passieren, dass eine zweite Kandidatur aus dem
bürgerlichen Lager neben seiner eigenen auftauchen wird, und es ist sogar
ziemlich wahrscheinlich. Eine Kandidatur aus dem Lager der noch etwa
traditioneller orientierten Gaullisten mit Unterstützung aus dem
Chirac-Lager, noch etwas sozialer ausgerichtet und nicht gar so
dampfwalzen-neoliberal wie Sarkozy, nicht so pro-US-amerikanisch und
Bush-hörig wie Sarkozy -- das ist denkbar. Der amtierende Premierminister
Dominique de Villepin (der aber aufgrund der Erinnerung an die
Anti-CPE-Bewegung im März/April 2006 kaum selbst wird kandidieren können)
und die Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie, die als mögliche
Bewerberin gilt, könnten mit hoher Wahrscheinlichkeit diese Karte
ausspielen. Dann wäre das bürgerliche Lager aber schon in zwei Blöcke
geteilt, wobei Sarkozy den größeren
(auf der Ebene der aktiven Parteimitglieder und der Berufspolitiker) hinter
sich wissen dürfte. Wie das beim Wähler oder der Wählerin ankommt, bleibt
abzuwarten.
Jean-Marie Le Pen hat zwar keinerlei Chancen, auf seine alten Tagen noch
Präsident der Republik zu werden. Ob er aber noch für Wahlüberraschungen
sorgen kann (auf denen seine Partei eventuell auch nach seinem Abgang
aufbauen könnte, sofern Le Pen sie nicht noch zertrümmert, um allein in die
Geschichte einzugehen) oder ob sich auch das inzwischen erledigt hat, bleibt
abzuwarten. In vielen Vorwahlumfragen steht er beängstigend hoch -- wobei
vielleicht zu berücksichtigen ist, dass die Optik dadurch verzerrt wird,
dass er beim vergangenen Mal VOR der Wahl unterbewertet blieb und dies
aktuell nicht ist. Laut einer Umfrage, die am 29. Oktober 2006 durch die
Sonntagszeitung "JDD" publiziert wurde, geben 10 Prozent an, dass "Chancen
bestehen", sie könnten für Le Pen stimmen, und andere 8 Prozent davon
ausgehen, ihn "sicher" zu wählen. Das macht zusammen ein Wählerpotenzial von
18 Prozent -- auch wenn einige unsichere Kantonisten dabei sein dürften,
aber dafür dürften vielleicht manch andere potenzielle WählerInnen ihre
verborgene Zustimmung noch immer nicht in Umfragen äußern. |