Alle sind sich einig:
Der irrationale Taumel
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat
eine Veranstaltung zum Libanonkonflikt abgehalten. Ehemalige Diplomaten, ein
Friedensforscher, ein Mitglied des Bundestags und das Publikum waren sich
einig: Das Problem heißt Israel.
Von Markus Ströhlein
Arne Seifert ist ein Mann der Toleranz. Jedes Mal, wenn
er von der "Verständigung", der "Akzeptanz" oder der "Koexistenz" spricht,
schwingt das Pathos des großen Mahners mit. Er redet oft von der Toleranz
auf dieser Veranstaltung. Sie trägt den Titel: "Der Libanon-Konflikt -
Hintergründe und Perspektiven" und sie findet im Konferenzsaal der
Rosa-Luxemburg-Stiftung statt.
Eine "Verständigung" zwischen Israel und dem Libanon auf
eine "Koexistenz" wäre in der Tat nichts Schlechtes. Doch um sie geht es
Seifert gar nicht. Er war von 1964 bis 1989 im Auswärtigen Amt der DDR
tätig. Als Botschafter der DDR war er in Kuwait. Er hat also mitten im
Geschehen gelebt und konnte sich so sein ganz eigenes Bild machen. Eine
Frage lässt ihn nicht ruhen: "Was treibt den Westen um?" Der Krieg gegen den
Terror sei eine "gefährliche Entwicklung im Verhalten der westlichen
Länder". Er habe erst den Terror geweckt, den Seifert lediglich als
"Gefährdung" bezeichnet. Der Westen stehe vor der "schicksalhaften
Entscheidung über den Charakter der zukünftigen Verhältnisse". Die
Strategie, den Terror mit militärischen Mitteln zu bekämpfen, "verunsichert
die Regimes, allen voran die Regierung des Irans". Damit der arme Mahmud
Ahmedinedjad nicht von Schüben der Verunsicherung geplagt am iranischen
Atomprogramm arbeiten muss, empfiehlt Seifert folgendes: "Europa und der
islamische Raum müssen sich auf eine friedliche Koexistenz einigen."
Das hat recht wenig mit dem Konflikt zwischen Israel und
dem Libanon zu tun. Doch Seifert ist anscheinend eher der Mann für die
großen Entwürfe und überlässt den Kleinkram den anderen Rednern auf dem
Podium. Neben ihm sitzt Achim Reichardt, der ehemalige Botschafter der DDR
im Libanon. Er wendet sich in einem dezenten sächsischen Akzent zunächst der
Hizbollah zu: "Es gibt nun mal keine Bewegung ohne Menschen." Was diese
Aussage bedeuten soll, weiß man nicht so recht. Will Reichardt sagen, dass
auch Hassan Nasrallah manchmal auf die Toilette muss? Wahrscheinlich spielt
er aber auf die vermeintliche "Verankerung" der Hizbollah in der Bevölkerung
an. Und der ehemalige Realsozialist weiß: Was das Volk mag, ist gut. Deshalb
kommt Reichardt auch schnell auf das eigentliche Problem zu sprechen. Es sei
die Staatsgründung Israels im Jahr 1948. Millionen Palästinenser seien
damals vertrieben worden. Kein palästinensischer Staat sei ausgerufen
worden. Und so spricht Reichardt eine Einsicht aus, die an Schlichtheit kaum
zu übertreffen ist: "So lange der Nahostkonflikt nicht gelöst wird, wird es
keinen Frieden geben!" Ach so.
Wen braucht man, um Konflikte zu lösen? Man muss einen
"Friedensforscher" zu Rate ziehen. Werner Ruf ist einer. Wie Arne Seifert
hält er den "Krieg gegen den Terror" für grundlegend falsch. Er sei
letztlich nur die Fortsetzung des Kolonialismus unter dem Mäntelchen
westlicher Werte. Der Krieg zwischen der Hizbollah und Israel habe gezeigt,
wie sinnlos das militärische Vorgehen sei. Man könne sehen, dass "der
Widerstand von unten sehr erfolgreich sein kann". Für schlimm hält Ruf auch
die "Propaganda gegen den Islam und den Islamismus". Diese Bedrohung werde
inszeniert. Die Hetze sei nichts anderes, "was der Antisemitismus war". Man
brauche "Akzeptanz und Toleranz für andere". Doch auch sie nützten nichts.
Denn das zentrale Problem sei immer noch der Konflikt zwischen Israel und
Palästina.
Der vierte Redner sieht die Dinge ganz ähnlich. Das ist
nicht verwunderlich. Im Krieg ist Wolfgang Gehrcke, der außenpolitische
Sprecher der Linkspartei, mit einer Delegation seiner Partei in den Libanon
gereist. Dort hat er mit Vertretern der Hizbollah gesprochen. Dabei müssen
die zarten Bande der Freundschaft entstanden sein. Denn für Hassan Nasrallah
empfindet Gehrcke große Achtung: "Ich finde es mutig und gut von diesem
Mann, dass er nach dem Krieg vor die Kameras getreten ist und gesagt hat, er
würde angesichts des israelischen Militärschlags nicht noch einmal Soldaten
entführen." So eine ehrliche und tolle Figur wie Nasrallah kann also kaum
das Problem sein. Gehrcke weiß, wo das Übel liegt: "Condoleezza Rice sieht
einen neuen Nahen und Mittleren Osten vor sich." Die USA seien von
"hegemonialen Bestrebungen" und dem Vorhaben getrieben, die ganze Welt neu
zu ordnen. Aber im Kern gehe es eben doch um Israel und Palästina. Die
Israelis seien mittlerweile einem "irrationalen Taumel" verfallen. Sogar die
Linken glaubten, es sei gefährlich, einzukaufen oder in ein Café zu gehen.
Was die sich einbilden! Aber "gottseidank gibt es noch Uri Avnery"! Gehrcke
ist aber nicht nur Politiker. Er ist vor allem ein großer Menschenfreund.
Deshalb fordert er, die Moral wieder stärker in die Politik zu bringen: "Man
muss auf der Seite der Schwächeren stehen. Und das sind die Palästinenser
und die Libanesen."
Das Publikum nimmt die Aussagen der Redner wohlwollend
auf. Es verhält sich wie bei einer Partie Tennis unter Freunden. Man spielt
sich leicht die Bälle zu, auf dass der andere einen schönen Schlag anbringen
kann. Der Moderator fordert also zum "Dialog" auf und übergibt das Mikrofon
ins Publikum. Ein älterer Herr möchte auf die Hintergründe des vor kurzem
beendeten Krieges eingehen. Es habe einen amerikanisch-israelischen Plan
gegeben, im Libanon "pro-amerikanische Kräfte an die Macht zu bringen". Doch
Israel und die USA hätten sich verrechnet: "Der Widerstand im Libanon, in
Palästina und im Irak hat die Spielregeln geändert. Er hat Erfolge gezeigt.
Die Amerikaner werden in der Grünen Zone angegriffen, die Palästinenser
werfen nicht mehr nur Steine, die Hizbollah kann Schiffe angreifen." Ein
Korrespondent einer ägyptischen Tageszeitung erhebt sich. Er könne den
Vorwurf des Antisemitismus und des Antiamerikanismus nicht mehr hören. "Wir
sehen das eben anders. Wenn jemand meinen Bruder angreift, kämpfe ich", sagt
er.
Der Ägypter scheint einen wunden Punkt angesprochen zu
haben. Aus einem Mann sprudelt es förmlich heraus: "Was die Journaille sich
erlaubt, ist eine Frechheit. Kaum macht man den Mund auf, ist man ein
Antisemit. Man mag zur Politik von Jürgen Möllemann gestanden haben, wie man
will, aber er war doch kein Antisemit." Ein anderer wendet sich dem Feind im
eigenen Land zu: "Ich habe mich sehr über den Zentralrat der Juden geärgert.
Er hat sich in der Sache nicht positiv verhalten." Ein weiterer Gast merkt
an: "Warum hat man in Deutschland Angst, Israel zu kritisieren? Man muss den
Mut haben, es zu tun."
Dann erhebt sich im Publikum Christine Buchholz. Sie ist
Mitglied im Bundesvorstand der Wasg. Auch sie sei verunglimpft worden. Dabei
habe sie lediglich davor gewarnt, die Hizbollah zu dämonisieren. Sie sei
nämlich eine antikoloniale Befreiungsbewegung. Die Propaganda gegen die
Hizbollah in den westlichen Medien sei ein Teil der Kriegführung. Da kann
ein anderer Mann nur zustimmen: "Der Islamismus ist doch nur ein
Kampfbegriff!" Er bleibt aber einige Erklärungen schuldig. Was hat die Twin
Towers zum Einsturz gebracht? Ein Erdbeben? Warum sind in London und Madrid
die Züge und Busse explodiert? Sind da etwa Feuerzeuge detoniert? Und was
ist mit den Selbstmordattentätern in Israel, im Irak, in Afghanistan, in
Ägypten und in anderen Ländern? Gibt es etwa doch das Phänomen der spontanen
Selbstentzündung beim Menschen?
Diese Fragen bringt niemand vor. Denn sie sind ein
Bestandteil der westlichen Propaganda. Nein, sie sind ein Zeichen einer noch
schlimmeren Entwicklung. Das behauptet zumindest eine Frau im Publikum: "Das
alles ist Teil eines Antisemitismus gegen die Araber. Wir müssen gegen
diesen Faschismus kämpfen. Er wird hier immer auf den Holocaust reduziert.
Aber in seinem Wesen ist der Faschismus doch Krieg!" Und als wackere
Kämpferin gegen den neuen Antisemitismus gegen die Araber, der vom Westen
und vor allem von den USA und Israel propagiert wird, fordert sie eine neue
Sprachregelung: "Auch hier wird immer nur vom Palästinenserproblem geredet.
Dabei ist es doch ganz klar: Das Problem ist Israel!"
Das Publikum klatscht. Die Redner auf dem Podium nicken.
Alle sind sich einig.
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