INTERVIEW MIT SAVERIO COSTANZO
Ihr Film basiert auf einer wahren Geschichte, wie haben
Sie davon erfahren?
Als ich in Palästina war, erzählte mir ein
Journalist von einem Araber, der mit israelischen Soldaten unter einem Dach
lebt. Er ist von Beruf Englischlehrer, liebt Shakespeare, betet fünf mal am
Tag, und wenn er sein Küchenfenster öffnet, sieht er auf die kaum fünf Meter
entfernte Israelische Militärbasis. Sonst gibt es dort nichts mehr, denn die
Israelis zerstörten alle umliegenden Häuser, um eine ungehinderte Sicht zu
haben. Das ist seine Realität.
Wie lange lebt er mit seiner Familie schon auf diese Weise?
Seit 1992. Keine der beiden Parteien verlässt das Haus freiwillig. Die
Israelis können die Familie auch nicht dazu zwingen, da ihnen keine
terroristischen Verstrickungen vorgeworfen werden. Ausserdem stärken die
Medien der Familie gewissermassen den Rücken, indem sie über deren Situation
berichten und so die Öffentlichkeit sensibilisieren. Das Erstaunliche aber
ist, dass man im besetzten Haus keinerlei Hass oder Wut spüren kann, weder
von der einen, noch von der anderen Seite.
Ist die Geschichte dieser Familie etwas aussergewöhnliches oder gibt es
noch andere ähnliche solche Fälle?
Es gibt viele Soldaten, die in den besetzten Gebieten in palästinensischen
Häusern leben. Eine israelische Regisseurin hat kürzlich einen
Dokumentarfilm über drei ältere Witwen gemacht, die in Hebron mit
israelischen Soldaten zusammenleben. Diese Geschichte steht, genauso wie
die, die PRIVATE erzählt, stellvertretend für viele.
Haben solche Geschichten also schon vor PRIVATE Einzug ins israelische
Kino gehalten?
Nein. Etwas Vergleichbares hat es bisher nicht gegeben. Schon gar nicht
einen Film, bei dem die Soldaten das Wort 'Besatzung' selbst in den Mund
nehmen. Es gab eine sehr bewegende Vorführung in der Tel Aviver Cinemathek:
Die jungen Leute im Publikum waren alle in einer Spezialeinheit der Armee
tätig und kannten die dargestellte Umstände sehr genau. Sie waren froh über
diesen Film. Trotzdem gibt es kaum eine Chance, dass PRIVATE in Israel ins
reguläre Kinoprogramm kommt, allerhöchstens in Tel Aviv. Das Land ist
einfach noch nicht so weit.
Wie war es möglich, israelische und palästinensische Schauspieler für
diesen Film zu gewinnen?
Die Zusammenarbeit von Palästinensern und Israelis ist im Filmgeschäft nicht
unüblich, gerade bei romantischen Filmen etwa. Die Schwierigkeit bei PRIVATE
war einerseits der Umstand, dass es sich um einen politischen Film handelt –
obwohl er meiner Meinung nach nicht wertend ist –, andererseits mussten die
Beteiligten für eine erfolgreiche Zusammenarbeit bereit sein, die eigene
politische Meinung hinten anzustellen.
Wie gingen die fünfwöchigen Dreharbeiten vor sich?
Zu Beginn waren beide Gruppen getrennt voneinander. Mit der Zeit entspannte
sich das Klima und sie begannen miteinander zu kommunizieren. Am Ende der
Produktion jedoch hatten sie sich wieder entfremdet. Das hat u.a. mit Szenen
zu tun, die für beide Seiten emotional besonders schwierig waren, wie etwa
jene, in der die Soldaten das Haus besetzen: Die Araber waren der Ansicht,
die Filmsoldaten seien zu nett und daher zu unrealistisch, während die
israelischen Schauspieler meinten, sie hätten keine Lust, die gebrandmarkten
Unterdrücker zu mimen.
Warum haben Sie das ursprünglich in Palästina geplante Setting nach
Italien verlegt?
Eigentlich sollte es eine Art Dokumentarfilm mit Laiendarstellern werden.
Das Problem war allerdings, dass wir den israelischen Soldaten unter diesen
Umständen keine Sicherheit garantieren konnten. Auf die Vertretung der einen
Partei zu verzichten und die Soldaten von Arabern darstellen zu lassen,
schien mir aber ein zu großer Kompromiss. Hinzu kommt, dass die Hamas damals
Drohungen gegen Touristen aussprach und die Situation also für alle
Beteiligten gefährlich wurde. Daher haben wir einen neutralen Ort gesucht.
...den Sie im kalabrischen Riace gefunden haben.
Ja. Es gibt in Italien und Palästina sehr ähnliche Landschaften. Die Region
Kalabrien mit ihren kargen, steinigen Böden sieht genau aus wie die West
Bank. Selbst die unfertigen Häuser, die man überall sieht, erinnern daran.
Der 'neutrale' Drehort war für Sie also ein Vorteil?
Ich glaube nicht, dass wir in Israel einen annähernd so aufrechten Film
hätten drehen können: Für dieses Psychodrama war es nötig, Israelis wie
Palästinenser von ihrer tagtäglichen Realität wegzuholen. Auf dem Set
mussten sie so die Tragödien, die sie zurückgelassen hatten, quasi erst
wieder herstellen.
Während Sie etwa beim Dialog stark auf Authentizität geachtet haben, sind
andere filmische Komponenten eher den westlichen Traditionen und
Sehgewohnheiten verbunden.
Der Dialog wurde von vier Drehbuchautoren geschrieben, unter ihnen der
bekannte palästinensische Schriftsteller Sayed Qashua. Er war gewissermassen
unsere Kontrollinstanz hinsichtlich kultureller Unterschiede und hat uns
davor bewahrt, grobe Schnitzer zu begehen: Dass etwa ein arabisches Mädchen
seinen Vater einen Feigling nennt, wie es im ursprünglichen Skript vorkam,
ist in Palästina schlicht undenkbar. Solche Dinge sind wichtig für die
Glaubwürdigkeit des Films. Hingegen haben wir beispielsweise bewusst auf
Ethno-Musik verzichtet, um dem westlichen Publikum die Chance zu geben, sich
mit der palästinensischen Geschichte identifizieren zu können. Wie der
Einsatz der Handkamera und der Schnitt-Rhythmus soll auch die Musik in
erster Linie eine Einfühlung ermöglichen, die keine Nationalität kennt,
sondern universal ist. |