Beit Hanun:
Bei Artilleriebeschuss sterben 18 Zivilisten
Von Thorsten Schmitz, Süddeutsche Zeitung v. 09.11.2006
Tel Aviv - Die israelische Armee hat am Mittwochmorgen
beim Beschuss der Stadt Beit Hanun im Gaza-Streifen 18 palästinensische
Zivilisten getötet, unter ihnen vier Frauen und sieben Kinder. 13 der Toten
waren nach palästinensischen Angaben Angehörige einer Großfamilie. Einige
seien im Schlaf getötet worden. Laut dem palästinensischen
Gesundheitsministerium wurden bei dem Beschuss 54 Menschen verletzt.
Die israelische Regierung bedauerte den Tod von Zivilisten und ordnete eine
Untersuchung an. Die radikale Hamas-Bewegung drohte Israel mit Rache und dem
Ende der Waffenruhe. Palästinenser-Präsident Machmud Abbas sprach von einem
schrecklichen Massaker der Besatzungsmacht. Abbas warf Israel vor, es
zerstöre jede Chance auf Frieden.
Die israelische Regierung erklärte, es sei eine Stellung beschossen worden,
aus der am Montag Raketen auf Israel abgefeuert worden seien. Regierungschef
Ehud Olmert bot den Verletzten humanitäre und medizinische Hilfe an.
Verteidigungsminister Amir Peretz ordnete den Stopp von Artillerieangriffen
im Norden des Gaza-Streifens an, bis die Umstände des Zwischenfalls geklärt
seien. Außenministerin Tzipi Livni sagte, Israel habe den Gaza-Streifen vor
einem Jahr verlassen und werde seitdem von dort aus mit Raketen beschossen.
Die Palästinenser gingen nicht gegen Terrorismus vor. Israel habe das Recht,
sich zu verteidigen. Dabei gebe es "bedauerliche Zwischenfälle wie am
heutigen Morgen". Israel wirft der Hamas vor, Zivilisten als menschliche
Schutzschilde zu missbrauchen.
Der im syrischen Exil lebende radikale Hamas-Führer Chaled Meschaal rief die
Palästinenser zum "bewaffneten Widerstand" gegen Israel auf. Auch
amerikanische Einrichtungen im Nahen Osten sollten angegriffen werden, da
die Vereinigten Staaten mit Israel kooperierten, betonte Meschaal.
Hamas-Anführer Nisar Rajan sagte, mit neuen Selbstmordanschlägen solle "das
Massaker" gerächt werden. "Wir rufen unsere Kämpfer in Tel Aviv, Jerusalem,
Haifa, Jaffa und überall sonst zu Märtyrer-Einsätzen auf", sagte Rajan bei
einer Demonstration in der Nähe von Beit Hanun.
Die israelische Armee hatte erst am Dienstag die sechstägige
Militäroperation "Herbstwolken" für beendet erklärt und die Truppen aus dem
Norden des Gaza-Streifens abgezogen. Während der Offensive, mit der
palästinensische Raketenstellung ausgeschaltet werden sollten, kamen 52
Hamas-Kämpfer und Zivilisten ums Leben. Nach Abzug der Israelis feuerten
palästinensische Terroristen mehrere Raketen auf die Hafenstadt Aschkelon.
Die finnische EU-Ratspräsidentschaft sprach von einem "entsetzlichen"
Vorfall. Vertreter mehrerer EU-Staaten sowie die EU-Kommission äußerten sich
am Mittwoch besorgt über den Artillerieangriff Israels. Der französische
Außenminister Philippe Douste-Blazy warnte vor einer "gefährlichen
Zuspitzung" der Gewalt, Massimo D'Alema sprach in Rom von einer "nicht
akzeptablen Eskalation der Gewalt", seine britische Kollegin Margaret
Beckett sagte, es sei "nur schwer nachzuvollziehen", wozu der Einsatz gut
gewesen sein sollte. Außenminister Frank-Walter Steinmeier reagierte in
Berlin entsetzt über die Zahl der getöteten Zivilisten, begrüßte aber, dass
Israel den Vorfall untersuchen werde.
Mit freundlicher Genehmigung der
Süddeutsche Zeitung und der
DIZ München
GmbH
hagalil.com 09-11-2006 |