HaGalil in Existenznot
Von Thomas Klatt
junge welt / 02.04.2005 / Inland
Größter jüdischer Onlinedienst in deutscher Sprache vor dem Aus.
Bundesfamilienministerium stoppte Zuschüsse
Gibt man ein jüdisches Suchwort wie »Schabat« oder »Zion« in eine der
Internet-Suchmaschinen ein, so wird man in der Regel zuerst bei HaGalil.com
landen. Lange bevor deutsche Politiker den Aufstand der Anständigen
ausriefen, gründete der gelernte Pharmakologe David Gall vor zehn Jahren den
mittlerweile größten jüdischen Onlinedienst in deutscher Sprache. »Unser
Ziel ist es, hundert Seiten unserer Informationen gegen eine Seite Nazihetze
zu setzen. Beim Suchen nach jüdischen Stichworten soll man zuerst bei uns
landen und nicht bei den Antisemiten«, erklärt David Gall das
HaGalil-System. Auf über 28 000 Internetseiten bietet das Portal längst
nicht nur Informationen über jüdische Gebetstexte, Kochrezepte oder
Iwrith-Sprachkurse. In den Diskussionsforen wird unter anderem die aktuelle
israelische Siedlungspolitik kontrovers diskutiert. Aufmerksame Surfer
können seit 1997 ein Internetformular benutzen, um Haß- und
Neonazi-Webseiten zu melden. Von der HaGalil-Redaktion aus werden dann
Staatsanwälte eingeschaltet. Der Fall Martin Hohmann wurde maßgeblich von
HaGalil ins Rollen gebracht.
HaGalil als deutschsprachige Anlaufstelle liegt im internationalen Ranking
weit vorne. Den Spitzenplatz haben sich Gall und seine vier ständigen
Mitarbeiter in München und Tel Aviv und die rund 30 freien Autoren mit viel
Mühe und Engagement erarbeitet. Doch nach einem Entscheid des
Bundesfamilienministeriums soll mit HaGalil bald Schluß sein. Über das
Programm »Entimon« hat das Ministerium bisher rund 2200 Projekte gegen
Gewalt und Rechtsextremismus mit einem dreistelligen Millionenbetrag
gefördert. Über den Trägerverein »Tacheles e.V.« sollen in den letzten zwei
Jahren gerade einmal 170000 Euro an das jüdische Onlineportal geflossen
sein. Wieviel davon bei HaGalil wirklich ankam, ist unklar. Klar ist nur,
daß sich Trägerverein und HaGalil darüber zerstritten haben und die
Zuschüsse daraufhin gestoppt wurden.
Der zuständige Staatssekretär wirbt um Verständnis für diese Entscheidung.
»Auf keinen Fall möchten wir nun in eine antisemitische Ecke gestellt
werden. Ich habe mich auch mit dem Zentralrat der Juden abgestimmt, der
diese Entscheidung voll so trägt«, behauptet Staatssekretär Peter
Ruhenstroth-Bauer. Stephan Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der
Juden, will das jedoch nicht bestätigen. Im Gegenteil, HaGalil müsse
unbedingt als Zeichen gegen rechts erhalten bleiben, sagt er. Auch David
Gall versteht den bürokratischen Starrsinn nicht. Längst schon habe man über
einen neuen Trägerverein neue Anträge gestellt, doch das Ministerium
verweigere den Dialog.
Wenn nicht umgehend eine Lösung gefunden werde, bleiben bei HaGalil.com bald
die Monitore schwarz, warnt Gall. Nun versucht er mit einer offenen
Unterschriftenliste den Staatssekretär zur Vernunft zu bringen. Das Ende von
HaGalil wäre ein fatales politisches Signal. Seit dem Bekanntwerden der
staatlichen Mittelstreichung vermehren sich die Schmäh- und Drohanrufe bei
ihm, berichtet David Gall.
hagalil.com 03-04-2005 |