Der 26. Oktober 2005 in Teheran, Wien und Hadera:
(Geistiger) Vernichtungsantisemitismus und das „Gedankenjahr“
Elisabeth Kübler
Teheran, 26. Oktober 2005:
Der im Juni 2005 zum Staatspräsidenten der Islamischen Republik Iran
gewählte Mahmoud Ahmadinejad fordert auf einer Konferenz mit dem
englischsprachigen (!) Titel "The World without
Zionism" in kaum zu übertreffender Eindeutigkeit „die Auslöschung
Israels von der Landkarte“ und legt noch nach, dass „die Vernichtung des
zionistischen Regimes“ kommen wird.
Das ist nicht die gewohnte euphemistische Rede vom
„Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes“, sondern – wie der
österreichische Kolumnist Hans Rauscher in der Tageszeitung Der Standard am
29. Oktober treffend formulierte – die „Ankündigung eines Genozids“.
Das Verbrennen israelischer (und US-amerikanischer) Flaggen auf dem von
Revolutionsführer Khomeini institutionalisierten und jährlich begangenen
„Al-Quds-Tag“ muss dann quasi als erste Fingerübung auf der Straße zur
Umsetzung von Ahmadinejads Vernichtungsdrohungen gegenüber dem jüdischen
Staat interpretiert werden.
Wien, 26. Oktober 2005:
Die Republik Österreich begeht ihren Nationalfeiertag, Panzer des
Bundesheeres rollen über die Ringstraße, Feiertagsreden werden geschwungen.
Schließlich handelt es sich um das sogenannte „Gedankenjahr“, in dem die
Erinnerung an 60 Jahre Ende des Nationalsozialismus, 50 Jahre Staatsvertrag
und Neutralität sowie 10 Jahre EU-Beitritt zum nationalen Wohlfühlevent
verkommen ist. Trotzdem wurden natürlich in den letzten Monaten von
staatsoffizieller Seite all jene bekannten Floskeln über das „dunkle Kapitel
österreichischer Geschichte“ und „unsere geschätzten jüdischen
Mitbürgerinnen und Mitbürger und deren wichtigen Verdienste um die Republik
Österreich“ bemüht. Eine Brise öffentlich artikuliertes Bedauern
gehört schließlich seit den spätern 1980er Jahren zum guten Ton.
Zur selben Zeit ruft der Präsident einer künftigen Atommacht zur physischen
Extermination von 5 Millionen Jüdinnen und Juden auf, wobei klar
festzuhalten ist, dass sich Ahmadinejad höchstens in seiner Unverblümtheit
von den Einstellungen seiner Vorgänger und Mitstreiter im Mullah-Regime
unterscheidet.
Offensichtlich kein Grund für österreichische SpitzenpolitikerInnen von ÖVP,
SPÖ und FPÖ (BZÖ) und hochrangige VertreterInnen der Sozialpartnerschaft
sich von der islamistischen Diktatur mit scheindemokratischen Elementen und
ihren Repräsentanten zu distanzieren. Ganz im Gegenteil. Es herrscht rege
Besuchsdiplomatie. Nehmen wir das Beispiel der amtierenden Außenministerin
Ursula Plassnik. Als der scheidende iranische Präsident Muhammad Khatami im
April 2005 auf Staatsbesuch in Wien weilte, traf sie ihren Amtskollegen
Kamal Kharrazi zu Arbeitsgesprächen. Das Resümee dieses Treffens laut
Homepage des Außenministeriums:
„Plassnik
betonte dabei die große Bedeutung, die Österreich den Beziehungen mit dem
Iran sowohl bilateral als auch als Mitglied der Europäischen Union beimisst.
,Der Iran ist ein wichtiger Partner aufgrund seiner geostrategischen Lage
und seines großen wirtschaftlichen und politischen Potenzials’, so Plassnik.
Für Österreich seien deshalb regelmäßige Kontakte auf politischer Ebene
wichtig. (...)Die Außenministerin betonte, dass Österreich traditionell eine
Politik des gezielten Dialogs mit dem Iran verfolge, hier besonders zum
Kampf gegen den internationalen Terrorismus, zur Nahost-Politik aber auch zu
Fragen der Menschenrechte.“
Haben sich die österreichische
Außenministerin und mit ihr die österreichische Staatsspitze jemals Gedanken
gemacht, welch Geistes Kind dieser Dialogpartner eigentlich ist? Doch
Menschenrechte und die Situation der in einem repressiven Unterdrückungs-
und Folterstaat lebenden IranerInnen sind offenbar zweitrangig, wenn
lukrative Wirtschaftskontakte eingefädelt werden können.
Warum wurden die Forderungen des Grün-Politikers Peter Pilz zu Ermittlungen
bezüglich der vermuteten Verwicklung Ahmadinejads in die Wiener Kurdenmorde
von 1989 seitens der Justizministerin Karin Miklautsch (Gastinger) einfach
abgeschmettert?
War Ursula Plassniks Besuch der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad
Vashem im Juni 2005 nur eine obligatorische Pflichtvisite, bevor sie sich
ans Austeilen österreichischer Weisheiten zur Lösung des Nahostkonflikts
machte? Oder entstand doch ein gewisses Bewusstsein, dass Jüdinnen und Juden
nach wie vor von exterminatorischem Antisemitismus bedroht sind, wobei vom
Iran mit seinem im Entstehen befindlichen nuklearen Potential und seiner
unverhohlen judeophoben Israel-Feindschaft eine besonders große Gefahr
ausgeht?
Die Grüne Abgeordnete Ulrike
Lunacek war am 27. Oktober die Erste, die Ursula Plassnik zu einer
Verurteilung der Aussagen Ahmadinejads und zur Zitierung des iranischen
Botschafters ins Außenministerium aufforderte. Diese Schritte erfolgten
prompt. Plassnik betonte auch, dass Israels Existenzrecht nicht in Zweifel
gezogen werden darf
– und trotzdem bleibt ein äußerst bitterer Nachgeschmack: Wo war die breite
politische und mediale Entrüstung über Ahmadinejads Aufruf zur Auslöschung
Israels?
Wo waren Intellektuelle, Kirchenvertreter(Innen), KünstlerInnen, Angehörige
linker kritischer Gesellschaftsmilieus, als der verbale
Vernichtungsantisemitismus des iranischen Präsidenten und seines Regimes
weltweit für Schlagzeilen sorgte? Wer zieht Konsequenzen aus dem
antifaschistisch angehauchten „Nie wieder“?
Hadera, 26. Oktober 2005:
Pirhiya Machlouf, Sabiha
Nissim, Jamil Qua’adan, Michael Kaufman und Ya’acov Rahmani werden durch von
einem Selbstmordattentäter vom Islamischen Jihad in der nordisraelischen
Küstenstadt neben einem Falafelstand ermordet. Mehrere Dutzend Menschen
wurden bei diesem terroristischen Angriff zum Teil schwer verletzt.
Elisabeth
Kübler ist Politikwissenschafterin und lebt in Wien.
hagalil.com
30-10-2005 |