Gesang, Malerei und der
Holocaust:
Interview mit Leon Greenman
Von
Selma Stern
[English]
Leon Greenman wurde 1910 in London geboren. Seine Frau Esther, sein Sohn
Barney und viele seiner Verwandten und Freunde wurden Opfer des Holocaust.
Greenman selbst überlebte Auschwitz, fünf weitere Lager und einen
Todesmarsch von 90 Kilometern. Nachdem er ein Buch geschrieben und einen
Film über sein Leben während der Nazizeit gedreht hat, hält er Vorträge über
den Holocaust und führt Besucher durch das Lager von Auschwitz, als Warnung
für junge Menschen ebenso wie für alte.
Nach dem
zweiten Weltkrieg arbeitete Greenman als Sänger. Seit vielen Jahren zeichnet
und malt er. Seine Kunst zeigt seine traumatischen Erfahrungen aus der
Nazizeit.
Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
wir trinken und trinken
wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne er pfeift
seine Rüden herbei
er pfeift seine Juden hervor läßt schaufeln ein Grab in der Erde
er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz
Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich morgens und mittags wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
Dein aschenes Haar Sulamith wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt
man nicht eng
Er ruft stecht tiefer ins Erdreich ihr einen ihr andern singet und spielt
er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts seine Augen sind blau
stecht tiefer die Spaten ihr einen ihr andern spielt weiter zum Tanz auf
Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags und morgens wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith er spielt mit den Schlangen
Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland
er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft
dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng
Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland
wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken
der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau
er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft
er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister aus
Deutschland
dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith.
Paul Celan, Die Todesfuge (1944/45)
|
Leon Greenman, Erhängungen in Auschwitz im Juli 1943,
Zeichnung
Selma Stern: Haben Sie Paul Celan je
persönlich kennen gelernt? Gibt sein Gedicht die Erfahrungen wieder, die Sie
in Auschwitz und den anderen Lagern machen mussten?
Leon Greenman: Nein nein, ich habe Paul
Celan nie getroffen. Und dieses Gedicht ist zu KLASSISCH, zu kalt und zu
schwer zu verstehen. Es sagt mir nichts.
Ihre Malerei und Ihre Zeichnungen
erinnern mich an die Werke von Zoran Music, "Brüder, ich bin der Letzte" und
"Wir sind nicht die Letzten". Vergleichen Sie Ihre eigenen Arbeiten mit
denen von anderen Opfern des Holocaust?
Ich bin Mitglied des Holocaust Centre in
Hendon, London. Meine Zeichenlehrerin ist Barbara Jackson. Eine wunderbare
Lehrerin... sie macht eigene Ausstellungen. Weil die Zeit unter den Schülern
aufgeteilt wird, kriege ich immer nur ein paar Minuten Anleitung. Der Kurs
ist zu groß mit zu vielen wunderbaren Künstlern.
Sie zeigen Ihr gesamtes Leben im
Londoner Jewish Museum. Thomas Hart Benton, Felix Nussbaum, Josef Nassy,
Esther Lurie, David Olere, Aldo Carpi, Fernand van Horen, Yehuda Bacon,
Josef Elgurt, Glid Nandor..., sie hatten ein ähnliches Schicksal und sind
Vertreter der 'Kunst des Holocaust'. Haben Sie nie versucht, Ihre Bilder
öffentlich zu zeigen?
Als ich fünf Jahre alt war, zeichnete
ich mit Kreide auf eine Tafel, die mein Vater mir zum Geburtstag geschenkt
hatte. Aber NIEMAND hat das je bemerkt. Später noch mal, in der Schule, als
ich zehn oder elf war; aber das war's. Meine Kunstlehrerin Barbara Jackson
hat mir erzählt, dass sie versucht hat, meine Wasserfarbenbilder zu
bekommen, die zeigen, woran ich mich bei den Lagern usw. erinnere, sie sind
in ein paar Galerien ausgestellt, aber man hat sie gefragt, "HAT ER DAS IN
DEN LAGERN GEMALT?" Was ist das für eine dumme Frage. Nur im Lager von
THERESIENSTADT wurde den Kindern Kreide und Papier zum Malen gegeben. Um sie
ruhig zu halten? Ich weiß es nicht. ABER NIEMALS IN DEN LAGERN, ICH HABE
KEINE, WIR HABEN KEINE FARBEN UND KEIN PAPIER GEKRIEGT, NIEMALS... Ich habe
keine Maltechnik, ich male aufs Papier, was ich im Kopf habe, was mir in den
in den Sinn kommt, das, woran ich mich erinnere, was in den Lagern war. ICH
BIN ABER KEIN ANTON PIECK, der Holländer. Er hat eine Sammlung von Bildern
publiziert, an die er sich aus Buchenwald erinnert. Sehr gut! Ein Freund hat
mir das gezeigt. Ich kann nicht so zeichnen wie Pieck.
Sie wollten immer Konzertsänger
werden...
Ich habe an der Musikakademie usw.
gelernt, wie ich meine Stimme zum Singen benutze. Das war in Holland, später
in London. In Holland hatte ich einen Vertrag mit RADIO HILVERSUM. Ich habe
mehrere Sendungen für K.R.O.-Radio gemacht. Ich habe ein paar Monate in
Holland gesungen und in London, Musicals... aber ich war nie Rocksänger, mit
Schreien und so. Ich war ein romantischer Sänger, das haben mir die Leute
gesagt. All das war in den fünfziger und sechziger Jahren; darüber sollte
ich schreiben, wenn ich die Zeit hätte.
Als Sie als Berufssänger arbeiteten,
haben Sie da Ihre eigenen Texte geschrieben und handelten sie vom Holocaust,
oder / und haben sie Texte von Anderen gesungen, die den Holocaust als Thema
hatten?
Ich hatte eine Melodie im Kopf,
die ich vor der Schulklasse sang, aber ich konnte keine Noten lesen. Ich
muss ungefähr sechs gewesen sein. Es war ein Kriegslied gegen den deutschen
Kaiser. Aber das ist eine andere Geschichte.
Später habe ich wirklich auf Papier einen Song geschrieben, der "Warum?"
hieß, ein Liebeslied. Vielleicht war ich zu der Zeit gerade verliebt. Das
war in den Fünfzigern, gerade bevor Rock 'n' Roll in Mode kam. Die Leute
sagen, dass der Song ganz nett ist, wenn ich ihn singe.
Aber dann musste ich mit dem Showbusiness aufhören, weil ich zu klein
geraten bin. Zu kurze Beine. Ich machte ja nicht viel her. Aber das ist eine
andere Geschichte.
Jetzt würde ich gerne noch mal einen Pianospieler finden, Frau oder
Mann, der Noten lesen kann und der irgendwie mit mir probt, denn ich würde
gern rausgehen und für die Alten und Kranken in den Heimen singen. Aber ich
habe noch keinen gefunden. Ich glaube, ich kann die Ladies immer noch zum
Kreischen bringen. Die Leute haben mir das gesagt. Die Kassette, auf der ich
verschiedene Songs singe, habe ich verloren. VIELLEICHT SOLLTE ES EINFACH
NICHT SEIN, VIELLEICHT BIN ICH NUR EINER, DER ÜBER DEN HOLOCAUST REDEN SOLL?
Was ich gemacht habe und immer noch mache, seit 1946. Mein Sängername im
Showbusiness war MAURE (mein Bruder hieß MORRY).
Hier ist
der Songtext, den ich in den Fünfzigern geschrieben habe, gerade bevor Rock
'n' Roll in Gebrauch kam. Jetzt habe ich vergessen, wie man komponiert.
Damals nahm ich Abendunterricht und das ging ganz gut, aber der Lehrer hat
gewechselt, der ging nach Australien, und bei der neuen Lehrerin, da kamen
wir nicht mit. Also hab ichs losgelassen. LOSGELASSEN, LOSGELASSEN, wie
einen Luftballon. Mein Manager van Weeren war Mitglied der
Textervereinigung, und ich nicht, also hat van Weeren das COPYRIGHT, in
Holland.
"WARUM?"
Von Küste zu Küste über Land und Meer
Streunen allein,
Kein Frieden, keine Ruh, in Ost oder West
Streunen allein.
Ich suche dich, Liebste, wo bist du bloß?
Hol mich doch heim.
Warum hast du mich verlassen?
Warum hast du "adieu" gesagt?
Du wusstest, wie sehr ich dich liebe,
Und vergessen kann ich dich nicht.
Ich bin so weit getrennt von dir,
Glaub mir, du Liebste, oh glaub mir,
Im Herzen bist du bei mir.
Text und Musik von Leon Maure (=Leon Greenman) und Jos van Weeren,
arrangiert von Dave Carroll
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Vielen Dank für das Interview.
© Selma Stern 2005
Übersetzung: Robert Cohn
Weitere
Informationen:
Leon
Greenman, The Jewish Museum, 80 East End Road, London N3 2SY,
Tel: 0044-(0)20-83491143, Fax: 0049-(0)20-83432162
Email:
education@jewishmuseum.org.uk, Website:
www.jewishmuseum.org.uk.
Leseempfehlungen:
Leon
Greenman, An Englishman in Auschwitz.
Vallentine Mitchell 2001, ISBN: 0853034249
Leon Greenman, Auschwitz Survivor
98288: A Resource for Holocaust Education Produced in Association with the
Exhibition on the Life of Leon Greenman, British Citizen and Holocaust
Survivor.
The Jewish Museum London (1996), ISBN: 0951161385
[English]
hagalil.com 27-08-2005 |