Bericht über die Mißhandlungen des römischen Fotoreporters Alfonso
De Munno in der Kaserne Bolzaneto
Genua, Italia, Europa:
...quattro cinque sei, a morte tutti gli ebrei ...
vier fünf sechs, Tod allen Juden
Benedetto Vecchi
"Schnell, schnell, macht alles sauber. Der Minister
kommt." Diese laut geschrienen Sätze hört der junge römische
Fotoreporter Alfonso De Munno, während er in einem Saal der Kaserne in
Bolzaneto auf dem Boden liegt. Sein rechter Fuß ist gebrochen und eine
Rippe angeknackst. Er ist nach Genua gekommen, um an der Demonstration
des 21. Juli teilzunehmen. Von dem Demonstrationszug hat er jedoch nur
wenig gesehen, weil er sofort festgenommen, geschlagen und nach
Bolzaneto gebracht worden ist. Was er erlebt hat, entspricht den Leiden,
die auch Hunderte anderer Männer und Frauen durchgemacht haben, die bei
den Razzien der Ordnungskräfte auf den Straßen der ligurischen Stadt
gefangengenommen wurden. Prügel, Beleidigungen und Mißhandlungen.
Aber zurück nach Bolzaneto - zu den Geschehnissen nach der Ankündigung des
Ministerbesuchs. Der junge Fotoreporter kann nicht stehen, nur mit Mühe
kann er atmen, er legt sich auf den Boden, und man läßt ihn dort liegen,
während die anderen Jugendlichen dazu gezwungen werden, mit erhobenen
Händen die Stirn gegen die Wand zu drücken. Wehe dem, der sich umdreht
oder spricht: Knüppelhiebe und Beleidigungen. Alfonso sieht eine
Bewegung an der Tür und einen Mann, der von anderen, mit Jacke und
Schlips gekleideten Personen umgeben ist. Die Gruppe geht weiter. Bist
du sicher, daß es der Minister Castelli (Justizminister, Lega Nord; d.
Übers.) war? "Natürlich", antwortet er, "im Gefängnis von Alessandria
hat ihn auch ein Jugendlicher gesehen, der in einem anderen Raum war."
Der Minister hat erklärt, er habe Bolzaneto wohl besucht, aber keine
Spuren von Gewalt gesehen. "Ich mag vielleicht das Zeitgefühl verloren
haben, aber ich sage dir, was ich gesehen habe."
Die Erzählung des römischen Fotoreporters beginnt mit seiner Ankunft in
Foce (Stadtteil von Genua, d. Übers.), das heißt an jenem Punkt des
Corso Italia, an dem die Zusammenstöße an der Genueser Strandpromenade
begannen. Er hat seinen Fotoapparat, aber weder die Presseakkreditierung
des G8-Gipfels noch die des Genoa Social Forum. "Fotografieren und die
Geschehnisse dokumentieren ist meine Art, mich an dieser Bewegung zu
beteiligen. Als die Zusammenstöße begannen, verließ ich den
Demonstrationszug. Ich fing an, die Zusammenstöße zu fotografieren. Es
gab eine Gruppe sehr junger Leute, die eine Bank demolierten. Ich habe
wohl acht Filme verbraucht. Dann ging ich in eine Seitenstraße hinter
dem Gebäude, in dem die Bank untergebracht ist. Zusammen mit mir waren
da mindestens zwanzig Personen, zum Großteil Fotografen. Ich wechselte
langsam das Objektiv und den Film aus. In diesem Moment sah ich mich der
Polizei gegenüber. Kaum hatte ich mich umgedreht, sah ich eine Gruppe
der Finanzpolizei. Ich ging mit erhobenen Armen auf sie zu. Dann begann
die Hölle. Sie traten mich, brachen mir den Fuß, die Schläge brachen
mir, wie ich Stunden später feststellen mußte, auch eine Rippe an. Ein
schwarzer Jugendlicher war dabei, der seinen italienischen Paß
herausholte. Sie schlugen und beleidigten ihn. Du weißt schon, Ausrufe
wie ›Scheißneger‹, ›Bastard‹. Ein anderer Jugendlicher wiederholt
ständig: ›Das dürft ihr nicht tun, wir haben unsere Rechte.‹
Schlagstockhiebe und Beleidigungen für alle."
Alfonso lächelt nervös: "Nachdem ein Zivilpolizist mit einer grünweißroten
Schärpe gekommen war, der den Befehl gab, uns alle festzunehmen, hatte
ich das Gefühl, daß sich ein Loch in der Zeit öffnete, wo es weder
Sicherheiten noch Rechte mehr gab. Sie ließen uns in einen Zellenwagen
einsteigen. Weitere Schläge und Beschimpfungen. Wir schrien vor
Schmerzen. Sie ließen uns in einer Autogarage aussteigen und
durchsuchten uns dort. Sie verhöhnten uns: ›Ihr seid ein Haufen
Scheiße‹, ›rote Bastarde‹. Sie nahmen alle Filme und den Fotoapparat
mit, der bei der ersten Prügelei kaputtgegangen war. Der Schmerz ist
fast unerträglich. Es kommt eine Polizistin in Jeans, Polohemd und
Bruststück der Polizei. Sie schnauzt mich an: ›Und wenn ich dir dieses
Bruststück anziehen und dich in den Demonstrationszug schicken würde,
was meinst du, was sie mit dir machen würden?‹ Das weiß ich nicht,
antworte ich, vielleicht das, was ihr mit mir macht. Aber dann füge ich
hinzu: ›Das, was ein Polizist verdient, der sich verhält wie ihr.‹ Ein
Polizist versetzt mir einen Fußtritt. Die Ankunft in Bolzaneto ist ein
Horror. Sie bringen uns in dieses große Zimmer. Ich werde ohnmächtig,
sie bringen mich ins Krankenhaus, sie untersuchen mich, ich bekomme
Beruhigungsmittel, der Arzt und der Krankenpfleger stellen ein Attest
aus und konstatieren, daß ich übel zugerichtet sei. Die Rückkehr in die
Kaserne ist die Rückkehr in die Hölle. Wieder Fußtritte und Stockhiebe.
Der gewohnte Singsang: ›Uno due tre, viva Pinochet, quattro cinque sei,
a morte tutti gli ebrei ...‹ (›... vier fünf sechs, Tod allen Juden‹)".
Welches Krankenhaus war es? "Vielleicht das San-Martino-Krankenhaus." Und
wer hielt euch in Gewahrsam? Die Staatspolizei, die Carabinieri? "Sie
haben sich abgewechselt. Die Carabinieri haben uns besser behandelt.
Wenn jemand in den Raum trat, um uns zu schlagen, waren es vorwiegend
Polizisten, einige in Zivil. Ich mußte auf die Toilette, aber ein junger
Carabiniere riet mir ab: ›Dazu mußt du durch den Flur. Der ist lang, ich
würde dir das nicht empfehlen.‹ Dann kamen Männer in grauer Uniform vom
GOM (Gruppo Operativo Mobile, Mobile Operationsgruppe*), die gefütterte
Handschuhe überzogen und uns ebenfalls schlugen. Wie gesagt lag ich auf
dem Boden. Ich habe gesehen, daß sie auf uns herabpißten, daß sie uns
eine brennende Substanz in die Augen spritzten. Für die Ausländer,
welche die italienischen Befehle nicht verstanden, gab es Schläge. Ich
hörte, wie die anwesenden Frauen beleidigt wurden, einige schlugen ihnen
mit dem Schlagstock auf - wie soll ich sagen - empfindliche Körperteile.
Oder Drohungen, sie ›schön flachzulegen‹. Ich dachte, mit dem Transport
zum Gefängnis von Alessandria wäre alles vorüber. Ich täuschte mich. Die
Ankunft bedeutete weitere Schläge."
Wann haben sie euch ins Gefängnis transportiert? "Ich glaube, Sonntag
morgen, es dämmerte. Hier haben sie uns mit Schlagstöcken geprügelt,
beleidigt und gefoltert ..." Gefoltert? "Wie soll man es nennen, wenn
man auf Zehenspitzen stehen muß, mit nur zwei Fingern die Wand
berührend, und sobald du deine Position änderst, wirst du geschlagen?
Dann war alles vorbei, zum Glück. Am Nachmittag hat der Gefängnisarzt
mich untersucht, der sich gewundert hat, daß es kein ärztliches Attest
gab. Dabei hatten sie eines ausgestellt, als sie mich ins Krankenhaus
brachten. Im Gefängnis habe ich andere festgenommene Jugendliche
gesehen. Die österreichische Gruppe und, wenn ich mich recht entsinne,
Slowenen, die 40 Kilometer von Genua entfernt festgenommen und
geschlagen wurden. Den Jungen aus Lucca mit einem fast zu Brei
gewordenen Fuß, nur weil ein Polizist behauptete, ihn bei den
Zusammenstößen erkannt zu haben. Einen Mann aus Syrien, der Bildung
einer kriminellen Vereinigung beschuldigt, weil er der Polizei zufolge
einen Kleinlaster gesteuert hatte, der Stangen und Molotowcocktails
transportierte. Nur, daß er gar keinen Führerschein hat. Da ist ein
Abgrund zwischen dem, was ich über die Mitte-Rechts-Regierung dachte,
und dem, was ich gesehen und erlebt habe. Sie ist viel schlimmer."
Und jetzt? "Ich werde gemeinsam mit dem Genoa Social Forum vor Gericht als
Nebenkläger auftreten."
* Spezialkorps der Strafvollzugspolizei. "Jeder Kontrolle enthoben und
dazu dienend, Notstände, Sonderfälle und Risikosituationen zu
bewältigen. Und die Kaserne von Bolzaneto war ein solcher Fall" ("il
manifesto", 28.7.2001).
Der Beitrag erschien zuerst in der italienischen
Zeitung "il manifesto" (28.7.2001). Übersetzung aus dem Italienischen
von Ralph Raschen für konkret.
haGalil onLine 28-08-2001 |