antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

  

Spenden Sie mit PayPal - schnell, kostenlos und sicher!

hagalil.com

Search haGalil

Veranstaltungskalender

Newsletter abonnieren
e-Postkarten
Bücher / Morascha
Musik

Koscher leben...
Tourismus

Aktiv gegen Nazi-Propaganda!
Jüdische Weisheit
 

 

Wie man hineinguckt, so schaut es heraus

Paul Spiegel und die Medien: Wie der jüdische Zentralratsvorsitzende in die Rolle der moralischen Instanz gedrängt wird

Etwas mehr als ein Jahr ist Paul Spiegel nun im Amt, ist Vorsitzender des Zentralrats der Juden, aber an den Medienrummel um seine Person hat er sich noch immer nicht gewöhnt. Als neulich, anlässlich des Jubiläums, ihm die Presseleute die Türen einrannten, fragte er eine Journalistin, ob sie den Herrn Kock von der Evangelischen Kirche zu so einem Amtsjubiläum ebenso bestürmen würde. Ungerührt und gänzlich lakonisch verneinte die Befragte: Es seien ja nicht die Kirchen, sondern die Synagogen, die angezündet würden.

Besser als in so einer Bemerkung kann das Problem, das die Medien mit dem „Obersten Juden“ Deutschlands haben und der mit ihnen, sich gar nicht offenbaren.

Der Mann, der gerne schweigt

Paul Spiegel ist keineswegs ein Mann, den es in die Öffentlichkeit drängt. Anders als sein Vorgänger Ignatz Bubis oder sein Vize Michel Friedman, zöge er es eigentlich vor, im Hintergrund zu bleiben. Durchaus in der klugen Absicht, sich von Bubis’ Stil abzusetzen, wollte Spiegel sein Amt wesentlich ruhiger und stiller angehen; die Aufgaben im Zentralrat sollten auf mehrere Schultern verteilt werden. Und genau so wurde es dann auch gemacht – in den ersten Monaten des Jahres 2000 jedenfalls. Da war es vor allem Michel Friedman, den man überall zu hören und zu sehen bekam: ein gewohntes Bild, denn Friedman gilt als eitel; und viele Journalisten machen sich gerne lustig über sein Bedürfnis im Rampenlicht zu stehen – häufiger übrigens, als bei anderen Figuren des öffentlichen Lebens.

Es sind dann allerdings dieselben Kritiker, die allzugerne bei Talkshows und anderen Gelegenheiten auf Friedman zurückgreifen, wenn es darum geht, die „jüdische Position“ zu besetzen. Die Abwesenheit Paul Spiegels in der Öffentlichkeit wurde von der Presse schon als Führungsschwäche interpretiert; der Mann sei halt nicht so charismatisch wie sein Vorgänger, die typische Übergangslösung, hieß es. Übergang zu Michel Friedman, dem Kronprinzen.

Doch die politischen Ereignisse im Lande veränderten rasch das Bild von Spiegel in der Öffentlichkeit; mit der anfänglichen Zurückhaltung war es schnell vorbei. Die Eskalation rechter Gewalt, deren Zielobjekte zunehmend jüdische Einrichtungen und Menschen wurden, ließ es nicht mehr zu, dass Spiegel länger schwieg. Und die Überraschung über das, was er zu sagen hatte, war groß. Diese mit Recht so genannte rheinische Frohnatur, der Mann, der als Agent in der Unterhaltungsbranche tätig ist und Leute wie Cindy & Bert betreut, diese Person konnte ja richtig austeilen, hatte eine politische Meinung, war sogar in manchen Äußerungen wesentlich dezidierter und schärfer als Ignatz Bubis.

In dem Augenblick, im dem der Rechtsextremismus die jüdische Bevölkerung Deutschlands ins Visier nahm, geriet Spiegel zwangsläufig in dieselbe Falle wie bereits sein Vorgänger: Er besetzte den vakanten Posten „Gewissen der Nation“. Die Stimme Spiegels zählte. Und bald erschienen überall, in den Zeitungen, im Hörfunk, im Fernsehen die sensiblen Porträts dieses Mannes, der auf einmal als nachdenklicher, gequälter Holocaust-Überlebender geschildert wurde, als eine Führungspersönlichkeit mit enormen Profil.

Spätestens nach dem Anschlag auf die Synagoge in Düsseldorf, war es völlig gleichgültig, wie Spiegel sich äußern würde, ob er sich zurückziehen wollte oder nicht. Es waren die Medien, die ihn zur wichtigsten politischen Person außerhalb des Parteiensystems in Deutschland machten.

Die Ambivalenz dieser merkwürdigen Popularität ist offensichtlich: Natürlich kann es dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland nur Recht sein, wenn seine Stimme gehört wird, wenn seine Meinung zählt in der öffentlichen Diskussion. Diesen Bonus verdankt er in erster Linie Ignatz Bubis, dem es damals gelang, den mahnenden Zeigefinger seines Vorgängers Heinz Galinski schnellstens vergessen zu machen. Die Popularität von Bubis hatte ihre Ursache vor allem in seinem geschickten Umgang mit der deutschen Öffentlichkeit: Er verwies nicht einfach alle Deutschen auf die Anklagebank, sondern gab sich zunächst einmal als einer der ihren zu erkennen – um seine Kritik dann differenzierter, leiser, freundlicher als Galinski an den Mann zu bringen. Paul Spiegel verhält sich ähnlich – und eben darum reagieren die Medien auf ihn auch ganz ähnlich wie auf Bubis. Als Jude aber die moralische Institution Deutschlands zu sein: Das ist nicht nur ein Vorteil, und schon gar nicht ist es ein Vergnügen. Denn die Medienpräsenz Spiegels, die er ja nicht selber provoziert, wird von Teilen der Bevölkerung als Beweis angesehen, wie mächtig die Juden schon wieder sind.

Dass das in Wirklichkeit nicht so ist, liegt nicht nur auf der Hand, sondern wurde und wird von den wirklich Mächtigen immer wieder demonstriert. Als Helmut Kohl einst seine fatale Aussöhnungssymbolik mit dem amerikanischen Präsidenten Reagan vor SS-Gräbern in Bitburg zelebrierte, beeindruckte ihn der Protest jüdischer Organisationen aus der ganzen Welt und natürlich auch des Zentralrats nicht im geringsten.

Und als vor wenigen Monaten die CDU-Führung unter Leitung von Angela Merkel und Friedrich Merz ins Leo-Baeck-Haus in Berlin, den Sitz des Zentralrats, eilte, um Paul Spiegel und dem Präsidium ihren „Leitkultur“-Begriff zu erklären und anschließend zu versprechen, ihn nicht in ihren Thesenpapieren aufzunehmen, wurde ebenfalls deutlich, welche Macht der Zentralrat tatsächlich hat. Einen Tag später entschied die CDU-Spitze, den Begriff doch zu verwenden.

Wie aber kann Spiegel dieser Falle entgehen, wie kann er sich diesem medialen Vorgang, zum großen Moralisten des Landes gemacht zu werden, entziehen? Die Antwort: gar nicht. Er muss das Spiel der Mediengesellschaft mitspielen und nutzen. Und genau das hat Spiegel, spätestens mit seiner Rede zum 9.  November getan, als er sich zum Anwalt aller gefährdeten Minderheiten in diesem Land gemacht hat, denen nicht reflexhaft aus historischen und aus Gründen des schlechten Gewissen die gleiche Aufmerksamkeit geschenkt wird wie den Juden.

Es ist eben dieses Verhältnis der Presse zum Zentralratsvorsitzenden, der deutlich macht, dass es nach wie vor keine Normalität zwischen jüdischen und nichtjüdischen Deutschen gibt. Es ist die nichtjüdische Mehrheit, die dafür sorgt, dass das auch so bleibt: weil der Glaube an die eigenen Demokratiefähigkeit offensichtlich so schwach ausgeprägt ist. Es müssen die einstigen Opfer sein, die den Deutschen die Absolution erteilen oder verweigern. Nur dann weiß man offensichtlich hierzulande, woran man ist.

Die Sonderbehandlung, welche den Juden in Deutschland dadurch erneut zuteil wird, diese Aufmerksamkeit ist ein Verweis auf den Zustand der Gesellschaft. Idealerweise dürfte die jüdische Stimme nur eine von vielen sein. Doch soviel Normalität ist noch lange nicht. Die Medien spüren das und reagieren entsprechend.

Das Jahr fängt schlecht an

Paul Spiegels sympathischer Versuch, sich diesem Druck auch heute noch, ein Jahr nach Amtsantritt, immer wieder zu entziehen, in dem er seine öffentlichen Auftritte sparsamer einsetzt als Bubis, wird ihm nichts nützen. Seine mediale Präsenz hängt nicht von ihm ab, sondern von den Verhältnissen in Deutschland. Und die sehen im Jahr 2001 so aus: Brandattentat auf den jüdischen Friedhof in Potsdam, ein tätlicher Angriff auf einen Rabbiner in der Berliner U-Bahn. Das alles lässt ahnen, dass das öffentliche Interesse an den Äußerungen des Zentralratsvorsitzenden eher noch steigen wird. Schließlich sind es ja nicht Kirchen, sondern Synagogen, die in Deutschland angezündet werden. Die Journalistin hatte schon recht.

RICHARD CHAIM SCHNEIDER
SZ / FEUILLETON / Dienstag, 16. Januar 2001

Werben in haGalil?
Ihre Anzeige hier!

Advertize in haGalil?
Your Ad here!

 

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2006 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved