Wie man hineinguckt, so schaut es
heraus
Paul Spiegel und die Medien:
Wie der jüdische Zentralratsvorsitzende in die Rolle der moralischen
Instanz gedrängt wird
Etwas mehr als ein Jahr ist Paul
Spiegel nun im Amt, ist Vorsitzender des Zentralrats der Juden, aber an
den Medienrummel um seine Person hat er sich noch immer nicht gewöhnt.
Als neulich, anlässlich des Jubiläums, ihm die Presseleute die Türen
einrannten, fragte er eine Journalistin, ob sie den Herrn Kock von der
Evangelischen Kirche zu so einem Amtsjubiläum ebenso bestürmen würde.
Ungerührt und gänzlich lakonisch verneinte die Befragte: Es seien ja
nicht die Kirchen, sondern die Synagogen, die angezündet würden.
Besser als in so einer Bemerkung
kann das Problem, das die Medien mit dem „Obersten Juden“ Deutschlands
haben und der mit ihnen, sich gar nicht offenbaren.
Der Mann, der gerne schweigt
Paul Spiegel ist keineswegs ein
Mann, den es in die Öffentlichkeit drängt. Anders als sein Vorgänger
Ignatz Bubis oder sein Vize Michel Friedman, zöge er es eigentlich vor,
im Hintergrund zu bleiben. Durchaus in der klugen Absicht, sich von
Bubis’ Stil abzusetzen, wollte Spiegel sein Amt wesentlich ruhiger und
stiller angehen; die Aufgaben im Zentralrat sollten auf mehrere
Schultern verteilt werden. Und genau so wurde es dann auch gemacht – in
den ersten Monaten des Jahres 2000 jedenfalls. Da war es vor allem
Michel Friedman, den man überall zu hören und zu sehen bekam: ein
gewohntes Bild, denn Friedman gilt als eitel; und viele Journalisten
machen sich gerne lustig über sein Bedürfnis im Rampenlicht zu stehen –
häufiger übrigens, als bei anderen Figuren des öffentlichen Lebens.
Es sind dann allerdings dieselben
Kritiker, die allzugerne bei Talkshows und anderen Gelegenheiten auf
Friedman zurückgreifen, wenn es darum geht, die „jüdische Position“ zu
besetzen. Die Abwesenheit Paul Spiegels in der Öffentlichkeit wurde von
der Presse schon als Führungsschwäche interpretiert; der Mann sei halt
nicht so charismatisch wie sein Vorgänger, die typische Übergangslösung,
hieß es. Übergang zu Michel Friedman, dem Kronprinzen.
Doch die politischen Ereignisse im
Lande veränderten rasch das Bild von Spiegel in der Öffentlichkeit; mit
der anfänglichen Zurückhaltung war es schnell vorbei. Die Eskalation
rechter Gewalt, deren Zielobjekte zunehmend jüdische Einrichtungen und
Menschen wurden, ließ es nicht mehr zu, dass Spiegel länger schwieg. Und
die Überraschung über das, was er zu sagen hatte, war groß. Diese mit
Recht so genannte rheinische Frohnatur, der Mann, der als Agent in der
Unterhaltungsbranche tätig ist und Leute wie
Cindy & Bert betreut, diese Person konnte ja richtig austeilen, hatte
eine politische Meinung, war sogar in manchen Äußerungen wesentlich
dezidierter und schärfer als Ignatz Bubis.
In dem Augenblick, im dem der
Rechtsextremismus die jüdische Bevölkerung Deutschlands ins Visier nahm,
geriet Spiegel zwangsläufig in dieselbe Falle wie bereits sein
Vorgänger: Er besetzte den vakanten Posten „Gewissen der Nation“. Die
Stimme Spiegels zählte. Und bald erschienen überall, in den Zeitungen,
im Hörfunk, im Fernsehen die sensiblen Porträts dieses Mannes, der auf
einmal als nachdenklicher, gequälter Holocaust-Überlebender geschildert
wurde, als eine Führungspersönlichkeit mit enormen Profil.
Spätestens nach dem Anschlag auf
die Synagoge in Düsseldorf, war es völlig gleichgültig, wie Spiegel sich
äußern würde, ob er sich zurückziehen wollte oder nicht. Es waren die
Medien, die ihn zur wichtigsten politischen Person außerhalb des
Parteiensystems in Deutschland machten.
Die Ambivalenz dieser merkwürdigen
Popularität ist offensichtlich: Natürlich kann es dem Vorsitzenden des
Zentralrats der Juden in Deutschland nur Recht sein, wenn seine Stimme
gehört wird, wenn seine Meinung zählt in der öffentlichen Diskussion.
Diesen Bonus verdankt er in erster Linie Ignatz Bubis, dem es damals
gelang, den mahnenden Zeigefinger seines Vorgängers Heinz Galinski
schnellstens vergessen zu machen. Die Popularität von Bubis hatte ihre
Ursache vor allem in seinem geschickten Umgang mit der deutschen
Öffentlichkeit: Er verwies nicht einfach alle Deutschen auf die
Anklagebank, sondern gab sich zunächst einmal als einer der ihren zu
erkennen – um seine Kritik dann differenzierter, leiser, freundlicher
als Galinski an den Mann zu bringen. Paul Spiegel verhält sich ähnlich –
und eben darum reagieren die Medien auf ihn auch ganz ähnlich wie auf
Bubis. Als Jude aber die moralische Institution Deutschlands zu sein:
Das ist nicht nur ein Vorteil, und schon gar nicht ist es ein Vergnügen.
Denn die Medienpräsenz Spiegels, die er ja nicht selber provoziert, wird
von Teilen der Bevölkerung als Beweis angesehen, wie mächtig die Juden
schon wieder sind.
Dass das in Wirklichkeit nicht so
ist, liegt nicht nur auf der Hand, sondern wurde und wird von den
wirklich Mächtigen immer wieder demonstriert. Als Helmut Kohl einst
seine fatale Aussöhnungssymbolik mit dem amerikanischen Präsidenten
Reagan vor SS-Gräbern in Bitburg zelebrierte, beeindruckte ihn der
Protest jüdischer Organisationen aus der ganzen Welt und natürlich auch
des Zentralrats nicht im geringsten.
Und als vor wenigen Monaten die
CDU-Führung unter Leitung von Angela Merkel und Friedrich Merz ins
Leo-Baeck-Haus in Berlin, den Sitz des Zentralrats, eilte, um Paul
Spiegel und dem Präsidium ihren „Leitkultur“-Begriff zu erklären und
anschließend zu versprechen, ihn nicht in ihren Thesenpapieren
aufzunehmen, wurde ebenfalls deutlich, welche Macht der Zentralrat
tatsächlich hat. Einen Tag später entschied die CDU-Spitze, den Begriff
doch zu verwenden.
Wie aber kann Spiegel dieser Falle
entgehen, wie kann er sich diesem medialen Vorgang, zum großen
Moralisten des Landes gemacht zu werden, entziehen? Die Antwort: gar
nicht. Er muss das Spiel der Mediengesellschaft mitspielen und nutzen.
Und genau das hat Spiegel, spätestens mit seiner Rede zum 9. November
getan, als er sich zum Anwalt aller gefährdeten Minderheiten in diesem
Land gemacht hat, denen nicht reflexhaft aus historischen und aus
Gründen des schlechten Gewissen die gleiche Aufmerksamkeit geschenkt
wird wie den Juden.
Es ist eben dieses Verhältnis der
Presse zum Zentralratsvorsitzenden, der deutlich macht, dass es nach wie
vor keine Normalität zwischen jüdischen und nichtjüdischen Deutschen
gibt. Es ist die nichtjüdische Mehrheit, die dafür sorgt, dass das auch
so bleibt: weil der Glaube an die eigenen Demokratiefähigkeit
offensichtlich so schwach ausgeprägt ist. Es müssen die einstigen Opfer
sein, die den Deutschen die Absolution erteilen oder verweigern. Nur
dann weiß man offensichtlich hierzulande, woran man ist.
Die Sonderbehandlung, welche den
Juden in Deutschland dadurch erneut zuteil wird, diese Aufmerksamkeit
ist ein Verweis auf den Zustand der Gesellschaft. Idealerweise dürfte
die jüdische Stimme nur eine von vielen sein. Doch soviel Normalität ist
noch lange nicht. Die Medien spüren das und reagieren entsprechend.
Das Jahr fängt schlecht an
Paul Spiegels sympathischer
Versuch, sich diesem Druck auch heute noch, ein Jahr nach Amtsantritt,
immer wieder zu entziehen, in dem er seine öffentlichen Auftritte
sparsamer einsetzt als Bubis, wird ihm nichts nützen. Seine mediale
Präsenz hängt nicht von ihm ab, sondern von den Verhältnissen in
Deutschland. Und die sehen im Jahr 2001 so aus: Brandattentat auf den
jüdischen Friedhof in Potsdam, ein tätlicher Angriff auf einen Rabbiner
in der Berliner U-Bahn. Das alles lässt ahnen, dass das öffentliche
Interesse an den Äußerungen des Zentralratsvorsitzenden eher noch
steigen wird. Schließlich sind es ja nicht Kirchen, sondern Synagogen,
die in Deutschland angezündet werden. Die Journalistin hatte schon
recht.
RICHARD CHAIM
SCHNEIDER
SZ / FEUILLETON / Dienstag, 16.
Januar 2001
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