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Juden ohne Heimat

Angekommen in einem fremden Land:
Die Mauern können überwunden werden

RichardChaimSchneider
SZ / 16-06-01

Als 1946 rund 200.000 Juden als so genannte Displaced Persons in Bayern lebten, geschah das wahrlich nicht aus Begeisterung für dieses Land. Sie waren Heimatlose, die aus den Konzentrationslagern auf deutschem Boden befreit worden waren, oder Flüchtlinge aus Osteuropa, die vor dem Antisemitismus der unmittelbaren Nachkriegszeit in ihren Heimatländern in die amerikanische Besatzungszone geflohen waren. Den meisten gelang es, frühzeitig Deutschland wieder zu verlassen – sie gingen nach Palästina, in die USA. Doch mehrere Tausend blieben in den DP-Camps und konnten nicht weg. Denn sie erhielten keine Visa, oder sie waren krank, psychisch und physisch am Ende. Keiner von ihnen dachte ernsthaft daran, Deutschland zu seiner Heimat zu machen. Das Lebensgefühl dieser Menschen drückte ein Artikel von 1946 in der Münchner jiddischen Zeitung DP-Express treffend aus:

„Die erträumte Auswanderung nach Eretz Israel ist immer noch nicht Wirklichkeit geworden. Die verfluchte deutsche Erde hat sich in ein provisorisches Heim für die jüdischen Massen verwandelt. Was soll man tun? In deutschen Fabriken arbeiten, deutsche Häuser aufbauen, in deutscher Erde säen? Kein Jude hat das gewollt und will es auch heute nicht, weil jeder Jude es als ein Verbrechen ansieht, dem Volk dabei zu helfen, seine Wirtschaft aufzubauen, ... dessen bewaffnete Söhne ein Drittel des jüdischen Volkes ausgerottet haben. Es wäre absurd, wenn Juden Hand anlegen würden beim Wiederaufbau Deutschlands.“

Auf gepackten Koffern

Doch weggehen konnten sie auch nicht so ohne weiteres. Der soeben gegründete jüdische Staat holte vor allem junge, gesunde Männer ins Land, die geeignet waren, mit der Waffe in der Hand gegen den Feind zu kämpfen. Gleichzeitig drohte die zionistische Einwanderungsorganisation, dass jeder Jude, der nicht innerhalb einer bestimmten Frist nach Israel auswandere, danach nicht mehr als Jude angesehen werde. So war die Stimmung weltweit. Die jüdische Gemeinschaft im Ausland konnte nicht begreifen, wie Juden noch unter den Nazis leben konnten. Und nur wenige machten sich die Mühe, die Situation dieses armseligen Haufens von Überlebenden genauer zu betrachten.

Zu Beginn der Fünfzigerjahre gab es bereits Juden, die bewusst in Deutschland bleiben wollten: Manche waren sogar aus dem Ausland zurückgekehrt. Es gab wirtschaftliche und soziale Gründe dafür, bei deutschen Juden auch kulturelle, sprachliche. Doch die wenigsten dachten ernsthaft daran, dass Deutschland jemals ihre Heimat werden könnte. Man war zwar in Deutschland, doch man lebte auf „gepackten Koffern“, machte sich vor, dass man bald, ganz bald das Land verlassen werde. Und dieses Gefühl gab man seinen Kindern – uns, die wir bereits im Land der Täter geboren wurden – mit auf den Weg. Deutschland war unser Geburtsland, das Land, in dem wir zur Schule gingen, in dem wir studierten, aber es war auf keinen Fall unsere Heimat. Angesichts der Vergangenheit war diese Möglichkeit völlig ausgeschlossen. So wuchsen wir in einer Ambivalenz auf. Und erst die 68er-Revolution ermöglichte es uns, zumindest einen Teil Deutschlands doch als Heimat wahrzunehmen.

Verunsichert und irritiert

Der Kniefall von Willy Brandt in Warschau war wie eine Befreiung. Mit einem Mal schienen alle Fenster aufzugehen, ein frischer Wind wehte durch das stickige, muffige Deutschland. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass jeder Deutsche, der erfuhr, dass man Jude war, sofort verunsichert, irritiert oder aggressiv reagierte, weil er einfach mit der Tatsache, einem lebendigen Juden gegenüberzustehen, nicht fertig wurde. „Fremd im eigenen Land“ – so charakterisierten wir unser Lebensgefühl. Als wir schließlich merkten, dass unsere Bundesgenossen, die deutsche Linke, mit umgekehrten Vorzeichen dem gleichen Antisemitismus frönte wie ihre Väter, indem sie ihrem Kampf gegen den „zionistischen Aggressor“ Untertöne verliehen, die eindeutig aus der Kiste der antijüdischen Stereotypen stammten, da waren wir uns nicht mehr so ganz sicher, ob Deutschland nun wirklich „Heimat“ war.

Deutsche Gegenwart: Je gewalttätiger die rechtsextremistischen Anschläge werden, desto lauter wird die öffentliche Versicherung, wir Juden gehörten hierher, seien hier zu Hause. Wen will die „anständige“ Mehrheit das glauben machen? Uns? Oder vielleicht sich selbst? Die Unsicherheit, die jeden erfasst, wenn es darum geht, das Begriffspaar „Deutsche“/„Juden“ irgendwie sprachlich in den Griff zu bekommen, zeigt, dass unsere Anwesenheit in diesem Land noch lange nicht selbstverständlich ist.

Denn wie ist das jetzt nun: Spricht man von „nichtjüdischen Deutschen“ und „jüdischen Deutschen“? Oder sagt man „christliche“ und „jüdische“ Deutsche? Redet man von „jüdischen Deutschen“ oder „deutschen Juden“ oder gar vom „jüdischen Mit-Bürger“? Zumeist bleibt es doch einfach nur bei „Deutsche“ und „Juden“, und wenn auch dieses Begriffspaar politisch wie juristisch nicht korrekt ist, so entspricht es doch der allgemeinen Wahrnehmung und hat sogar eine gewisse Berechtigung.

Alle Aufklärung, alle Beteuerungen und selbst ein deutscher Pass bewahren Juden nicht davor, im Allgemeinen als Fremdkörper in Deutschland empfunden zu werden. Daran sind wir Juden nur teilweise selbst schuld. Die jahrzehntelange Unfähigkeit, dieses Land als Heimat annehmen zu können (und schließlich annehmen zu wollen), hat dazu geführt, dass es da eine Mauer zwischen „denen“ und „uns“ gibt. Und natürlich werden wir von gutmeinenden Deutschen dafür getadelt, wenn man uns entgegnet, dass man ja ganz nah an uns heran möchte, wir dies aber nicht zuließen.

Doch die Mauer ist gar nicht so hoch. Jeder, der es wirklich ernst und aufrichtig meint, kann sie überspringen und „dem Juden“ sehr nahe kommen. Doch dazu muss er bereit sein, den Graben, den Unterschied zwischen ihm und uns zu akzeptieren. Wollen wir uns in unserem Anderssein wahrnehmen? Oder wollen wir in den sauer gewordenen Einheitsbrei eines albernen Humanismus waten, der immer noch daran glaubt, dass alle Menschen „gleich“ seien?

Die Mauer kann überwunden werden. Aber wie viele Deutsche wollen das wirklich? Noch heute wird ihnen von Politikern ein Nationen- und Volksbegriff als Ideal vorgehalten, den es in der Realität längst nicht mehr gibt, der aber zwischen angestammten und hinzu gewanderten oder eingebürgerten „Deutschen“ unterscheidet, der die Deutschen in unterschiedliche Kategorien einteilt: Ganz oben steht der ethnische Deutsche, danach kommt der Rest.

Der Jude kann in diesem Wertigkeitskatalog gar nicht tief genug angesiedelt werden. Denn auch heute noch wird er als Metapher für das Kosmopolitische, für die Globalisierung angesehen – und dies steht in Deutschland immer noch in klarem Widerspruch zum gängigen „Volk“-Begriff des 19. Jahrhunderts. Die Unterscheidung in „Deutsche“ und „Juden“ zeigt die scharfe Trennwand, die wohl für Generationen festgelegt und durch nichts aufzuheben sein wird: Es ist die Trennwand der zwar komplementären, aber unterschiedlichen Geschichtserfahrung. Als Jude „deutscher Staatsbürger“ zu sein – das ist heute kein Problem mehr. Eine Identifikation mit der Demokratie in diesem Land, mit den ethischen Grundwerten, die wahrlich nicht mit „deutscher Leitkultur“ gleichgesetzt werden können –, diese Art der Identifikation ist für jeden Juden zu vollziehen.

Anders aber schaut es aus, wenn es um die Vergangenheit geht oder um die gegenwärtige und zukünftige Politik, die eng an die Vergangenheit dieses Landes gekoppelt ist. Die Erinnerung in diesem Land ist nicht die der Opfer. Die Diskussion um ein Holocaust-Mahnmal in Berlin war eine Diskussion des Tätervolkes, beziehungsweise der Nachkommen der Täter. Es ist nicht unser Problem, wie man sich der Schuld, der Scham, der Verantwortung erinnert und gedenkt.

Unabhängig vom wachsenden Antisemitismus und Rechtsextremismus kann Deutschland für Juden nicht „Heimat“ sein. Doch ist das so wichtig? Ist die Verantwortung für das Gemeinwesen, das Bekenntnis zum Grundgesetz, die Annahme der deutschen Sprache als einigendes Band zwischen den Menschen in Deutschland nur möglich, wenn man dieses Land als „Heimat“ begreift?

Es hat keinen Sinn, als Jude auf das richtige Verhalten, die richtige Reaktion, die richtigen Worte von Seiten der Deutschen zu warten, um sich endlich „daheim“ fühlen zu können. Manchmal kommen diese Worte, meistens kommen sie nicht. Na und? Viele Menschen in Deutschland haben nicht begriffen, dass die Angriffe auf Juden zuerst und vor allem Angriffe auf das demokratische Staatswesen sind. Im Zweifelsfall sind wir Juden längst weg und betrachten von außen, wie die Menschen, die Deutschland ihre „Heimat“ nennen, dieses Land zu Grunde richten. Warum also sollten wir Juden eine Heimat brauchen? Nach Auschwitz wird es nie wieder Heimat geben – für niemanden. Denn die Welt ist kein sicherer Ort mehr, doch der „Heimat“-Begriff will genau das suggerieren.

Was nach Auschwitz bleibt ist die demokratische Gemeinschaft. Das ist kein Verlust, sondern ein Fortschritt. Vielleicht wird dieses Land das eines Tages begreifen. Nicht allein aus Gründen der Geschichte. Aus Gründen der Gegenwart vor allem. Der Kniefall in Warschau war dafür nicht genug.

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