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In ihrer neuen Eckpunkte-Erklärung zur Zuwanderung verlangt die CDU von den
Einwanderern, "dass die Werteordnung unserer christlich-abendländischen
Kultur, die vom Christentum, Judentum, antiker Philosophie, Humanismus,
römischen Recht und der Aufklärung geprägt wurde, in Deutschland akzeptiert
wird ... In diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn die Beachtung dieser
Werte als Leitkultur in Deutschland bezeichnet wird."
Verschwiemelte Nullaussagen, nicht der Auseinandersetzung wert? Ideologische
Rückzugsgefechte einer verspäteten Partei in einer verspäteten Multikultination?
Einerseits ja. Andererseits aber setzt die CDU damit gleich in mehrfacher
Hinsicht höchst unselige Denktraditionen fort. Der Zentralrat der Juden hat das
sofort gespürt und die CDU-Führung in einem langen Gespräch vom Begriff der
"deutschen Leitkultur" abzubringen versucht. Vergeblich. Am Ende wurde nur die
Syntax geändert - zu "Leitkultur in Deutschland".
Und diese Leitkultur soll also geprägt sein vom "Christentum, Judentum, antiker
Philosophie, Humanismus, römischen Recht und der Aufklärung"? Jetzt wissen wirs:
Die Kriege mit Frankreich, der Erste Weltkrieg, der Zweite Weltkrieg, der
Holocaust, all das hat nie stattgefunden. Unsere Leitkultur war stets
ausgeglichen christlich-jüdisch, gastfreundlich zu allen Fremden, friedlich mit
allen Nachbarn, humanistisch und aufgeklärt abgeklärt. Eine einzige Frechheit
ist dieses Papier, eine Geschichtsklitterung sondergleichen. Wenn sich
Humanismus und Aufklärung in Deutschland historisch hätten durchsetzen können,
wie viel Leid wäre der Welt erspart geblieben!
Stattdessen kam Luther, der Gehorsam als erste Bürgerpflicht predigte. Das
Luthertum, dem es nur auf die solitäre Beziehung zwischen Mensch und Gott ankam,
habe "Weltferne und Weltfremdheit in ihrer den Politiker gewähren lassenden
Gleichgültigkeit gegen die Welt" gefördert, schrieb Helmuth Plessner in seinem
1935 im Exil verfassten Werk "Die verspätete Nation". Mit Luther kam die
deutsche Innerlichkeit, Kachelofen, Kerzenschein und ewige Dämmerstunde statt
des hellen Lichts der Aufklärung. Mit der deutsch-lutherischen "Weltfrömmigkeit"
(Plessner) kam die Abwehr von Politik und allem Fremden. "Gemütlichkeit", ein
urdeutsches Wort, entstand erst dann, wenn die Außenwelt systematisch
ausgeschlossen wurde.
Es kamen in Deutschland auch Aufklärer, aber die waren staatsfromm wie sonst
nirgends: Kants Lieblingsthema waren nicht die Freiheiten der Bürger, sondern
ihre Pflichten. Hegel brachte es gar fertig, im militaristischen Preußenstaat
die Verkörperung des Weltgeistes zu sehen.
Dann kamen auch noch die Romantiker und mit ihnen das Gefasel vom deutschen
Volkstum, das eine quasi biologische, "organische" Nation herstelle. Feindselig
grenzten sich die deutschen Romantiker von den französischen und britischen
Vorstellungen vom Gesellschaftsvertrag zwischen autonomen Individuen ab. Sie
sahen sich als die einzigen legitimen Erben der ursprünglichen
"christlich-abendländischen Kultur", denen sie die nahe an Barbarei grenzende
"Zivilisation" Frankreichs und Englands gegenüberstellten. Was in der
CDU-Programmatik von heute in eine Suppe gerührt wird, war historisch scharf
getrennt und führte zu barbarischen Kriegen.
Und dann kamen noch die Treitschkes und all die anderen Antisemiten. Die Juden
wurden zu "Schmarotzern" und "Parasiten" am "sauberen" deutschen "Volkskörper"
erklärt und der Vernichtung preisgegeben. In der CDU-Lyrik aber hat die
Vernichtung niemals stattgefunden, Europas fast gänzlich ausgerottete Juden sind
im Nachhinein auf wunderbare Weise ein Teil unserer Kultur geworden.
Ganz im Gegensatz zum Islam. Die morgenländischen Gelehrten, die im Mittelalter
den Abendländern Medizin, Mathematik und anderes beibrachten, hat es für die CDU
nie gegeben. Dafür aber den schnauzbärtigen Islami von heute, der nur an unser
Geld will. Bevor so einer in unser Land darf, muss er erstmal ein Bekenntnis zur
unserer christlich-jüdisch-humanistisch-aufgeklärten Leitkultur ablegen.
In Wahrheit aber sind nicht die Werte, sondern ist das Bekenntnis selbst Teil
der Leitkultur der Staatsfrömmigkeit. Der Staat will tief in das Innere eines
Individuums eindringen. "Deutsch werden bis ins Mark", hieß das früher.
taz 8.11.2000 UTE
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10-11-2000
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