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Andreas Nachama

»Wir wollen uns nicht 
daran gewöhnen«

Anschläge auf Synagogen in Düsseldorf und Berlin, Schändungen jüdischer Friedhöfe in Potsdam und Schwäbisch Hall - all das geschah am und um den 3. Oktober herum. Damit setzt sich fort, was bisher jeden deutschen Nationalfeiertag seit 1990 begleitet hat. Antisemitismus ist in Deutschland zwar immer vorhanden, an manchen Tagen zeigt er sich aber noch aggressiver als sonst.

Andreas Nachama ist Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Mit ihm sprach Maik Söhler.

Ist der 3. Oktober ein idealer Anlass für Angriffe auf jüdische Einrichtungen, oder handelt es sich nur um eine zufällige Häufung antisemitischer Attacken?

Jedenfalls wollen wir uns nicht daran gewöhnen. Und wir wollen uns schon gar nicht daran gewöhnen, dass bisher die meisten dieser Übergriffe nicht aufgeklärt wurden. Am letzten 3. Oktober hat es ja die Schändung unseres Friedhofes in Weißensee gegeben, da sind 103 Grabsteine umgeworfen worden. Ich gehe davon aus, dass die Täter, die das machen, sich sowohl das Ziel als auch den Anlass sehr genau überlegen.

So ergänzen sich die Parolen »Deutschland, einig Vaterland« und »Juden raus«.

Nein. Hier soll auch die Bundesrepublik Deutschland und hier soll auch das Grundgesetz, die freiheitlich-demokratische Grundordnung, getroffen werden. Die Jüdischen Gemeinden sind ein prominenter Teil dieser bundesdeutschen Nachkriegsdemokratie und dieser Gesellschaft. Insofern beziehe ich die zerbrochenen Scheiben in der Synagoge von Kreuzberg auch weniger auf die Jüdische Gemeinde und mehr auf die Gesellschaft als Ganzes. Denn hier wird die gesamte Gesellschaft getroffen. Und die muss sich nun dieser Gefahren erwehren.

Das machen ihre gewählten Vertreter, indem sie, wie Kurt Biedenkopf, in ihren Reden zum Jahrestag der Deutschen Einheit auf den Anschlag von Düsseldorf nicht eingehen.

Ich halte es für zynisch, dass gestandene Politiker, die nicht darauf angewiesen sind, vom Blatt abzulesen, eine so erschütternde Nachricht, die sie sicher vorher bekommen haben, in ihrer Rede nicht erwähnen. Das ist mehr als ein Betriebsunfall.

In der deutschen Öffentlichkeit wurde vor dem 3. Oktober viel darüber gestritten, ob Helmut Kohl reden soll oder nicht und ob die SPD die Einheit wollte oder nicht. Nur darüber, wie man verhindert, dass wie so oft in den letzten Jahren an diesem Tag Juden, Jüdinnen und jüdische Einrichtungen angegriffen werden, wurde nicht diskutiert.

Die Jüdische Gemeinde in Berlin hat mit dem Senat ein Sicherheitskonzept ausgearbeitet. So gut es geht, hat man sich auf alle Eventualitäten vorbereitet. Dass das nicht flächendeckend, rund um die Uhr und an allen Stellen funktioniert, gehört zu den Risiken, mit denen eine offene Gesellschaft, zu der auch die Jüdischen Gemeinden gehören, leben muss. Aber mir geht es gar nicht so sehr um die Risiken. Es geht darum, dass hier endlich das Notwendige erkannt wird und dass gegen rechten Terrorismus mit der gleichen Konsequenz vorgegangen wird, mit der man einst den RAF-Terrorismus bekämpft hat.

Gesetzesverschärfungen würden zwar die extreme Rechte treffen, den Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft aber nicht berühren. Wäre nicht die Forderung nach UN-Blauhelmen zum Schutz von jüdischen Einrichtungen sinnvoller?

Man sollte nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Es reicht aus, entschlossen zu sein, an die Ursachen der rechten Gewalt heranzugehen und die Rädelsführer dingfest zu machen. Sie müssen gesellschaftlich so isoliert werden, dass allen, die an diesen Rändern aktiv sind, ein Zeichen gesetzt wird. Das ist die primäre gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Den gesamten Sommer über ist darüber gesprochen worden. Plötzlich waren von Edmund Stoiber bis Otto Schily alle Politiker Antifaschisten, die »die Gemeinschaft« aufgefordert haben, die extreme Rechte auszugrenzen. Konsequenzen sind weitgehend ausgeblieben, nicht aber rassistische und antisemitische Anschläge.

Hier in Berlin hat Klaus Landowsky, der CDU-Fraktionsvorsitzende, in einer Rede im Abgeordnetenhaus einiges benannt, auf das man sich im Kampf gegen den Rechtsextremismus beziehen könnte: vor allem Strafverschärfungen, besonders bei Delikten mit niederen Motiven. Als Berliner Initiative sind diese Vorschläge dann auch in den Bundesrat eingebracht worden. Das geht jetzt seinen Gang durch die Ausschüsse. So ist das Gesetzgebungsverfahren in der Bundesrepublik. Ich hoffe sehr, dass das nicht auf die lange Bank geschoben wird, sondern dass die Betroffenheit nach all den Anschlägen auch zu einer schnellen Umsetzung beiträgt.

Der jüdische Schriftsteller Richard Chaim Schneider hat letzte Woche in der Berliner Zeitung die deutsche Gesellschaft als »verdruckst, verschreckt, schweigend und verlogen« charakterisiert. Diese Beschreibung galt den Deutschen der fünfziger und sechziger Jahre. Wenn man aber die ersten beiden Attribute weglässt, gilt die Charakterisierung doch bis heute. Was sollen da Strafverschärfungen bringen?

Jede Gesellschaft betrügt sich zunächst einmal immer ein bisschen selbst. Das Bild, das eine Gesellschaft von sich selbst hat, entspricht in aller Regel nicht der Wahrheit. Darüber hinaus ist es aber natürlich so - das hat ja jüngst das Eingeständnis von Brandenburgs Ministerpräsident Stolpe gezeigt -, dass der Rechtsextremismus in Deutschland klein und schön geredet wurde. Dadurch hat man sowohl in der Politik als auch im Polizeibereich zehn Jahre verloren. Das muss jetzt erstmal eingeholt werden.

Es ist sicher kein Zufall, dass solche Eingeständnisse immer erst im Rückblick erfolgen und dann sofort mit der Diskussion um die so genannte Innere Sicherheit verknüpft werden. Gleichzeitig werden die ideologischen Fundamente für den Antisemitismus aber schon erneuert. Die Stadt Halle will den Schriftsteller Martin Walser für seine Paulskirchenrede demnächst mit dem Preis »Das unerschrockene Wort« auszeichnen. Und wieder einmal ist es fast allein der Zentralrat der Juden in Deutschland, der dagegen protestiert.

So eine Preisverleihung lehne ich rundweg ab. Das wird wohl dazu führen, dass es eine neue Bubis-Walser-Debatte mit neuen Beteiligten geben wird. Ein solcher Akt wäre genauso skandalös wie die Tatsache, dass es auch Staatsminister gibt, die dem rechten Blatt Junge Freiheit Interviews geben und es damit salonfähig machen. Das sind alles Dinge, die nach meinem Empfinden genauso schlimm sind wie die Steinwürfe auf die Kreuzberger Synagoge. Denn sie treffen diese Gesellschaft in ihren Grundfesten.

In wenigen Wochen, am 9. November, ist der Jahrestag des Mauerfalls. Und der Reichspogromnacht. Ein weiterer Tag, an dem nicht wenige Deutsche mal wieder ganz bei sich und damit auch völlig außer sich sind.

Ich will jetzt gar nicht über einzelne Daten sprechen. Es ist so, dass es jetzt eine Handlungslücke gibt. Die ist aber nicht von den Jüdischen Gemeinden zu schließen, sondern von der Gesellschaft. Nach dem Grundgesetz haben wir den Anspruch, unsere Religion frei ausüben zu können. Es ist die Aufgabe der Innenminister von Bund und Ländern, dafür Sorge zu tragen. Und jeder einzelne Übergriff belegt, dass sie ihrer Aufgabe nicht in vollem Maße gerecht werden. Manchmal gelingt das, wie am vorletzten Wochenende, als zwei nackte Skins vor der Synagoge abgefangen werden konnten. Man macht das, was möglich ist. Aber das reicht nicht immer aus.

haGalil onLine 11-10-2000


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