Es ist die Zeit der Hardliner im Nahen Osten. In Palästina und Israel
wird scharf geschossen. In Ägypten, Jordanien und sogar im fernen
Marokko protestieren Menschen mit Parolen, unversöhnlich wie lange nicht
mehr: "Tod den Juden!"
Eine "Kriegserklärung an Israel"
verlangt Libyens Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi von der zur
Krisensitzung nach Kairo einberufenen Arabischen Liga. "Gebt uns ein
Stück Land an der Grenze zu Israel. Dann werdet ihr sehen, wie schnell
wir den Zionismus ausradieren", tönt Saddam Hussein und lässt schon
einmal Panzer an der Grenze zu Jordanien aufmarschieren, so als könnten
sie morgen bis Jerusalem rollen. Tatsächlich soll der Aufmarsch wohl
eher den irakischen Diktator wieder ins Gespräch und den jungen, dem
Friedensabkommen seines verstorbenen Vaters verpflichteten
Haschemitenkönig Abdallah in Verlegenheit bringen.
Noch beschränkt sich Abdallah
darauf, palästinensische Opfer der israelischen Soldaten in jordanischen
Krankenhäusern behandeln zu lassen. Ähnlich vorsichtig gibt sich Syriens
Präsident Baschar al-Assad. Er weiß, dass er sein von seinem
verstorbenen Vater Hafis al-Assad in die internationale Isolation
getriebenes Land nur durch friedliche Töne in die Weltgemeinschaft
reintegrieren kann. Priorität hat für ihn die Rückgewinnung des seit
1967 von Israel besetzten Golan, und dieses Ziel kann er nur durch
Verhandlungen erreichen.
Doch je länger die als moderat
geltenden arabischen Staatschefs wie Ägyptens Husni Mubarak, Marokkos
Muhammad VI. oder Jordaniens Abdallah und kühle Strategen wie Assad die
Contenance waren, desto größer ist die Chance für notorische
Kriegstreiber, die Sympathien vieler Araber und Muslime für sich zu
gewinnen. Die Anschläge auf ein US-amerikanisches Kriegsschiff vor der
jemenitischen Hafenstadt Aden und das Attentat auf die britische
Botschaft in der Hauptstadt Sanaa vor zwei Tagen sind Indizien dafür.
Noch kann nur darüber spekuliert werden, ob der exilierte saudische
Islamistenführer Ussama Bin Laden dahintersteckt oder eine andere
Terrortruppe.
Seit dem offiziellen Auftakt des
Nahost-Friedensprozesses in Madrid vor neun Jahren haben alle
Beteiligten übersehen - oder nicht sehen wollen -, dass der Übergang vom
Kriegs- zum Friedenszustand nicht allein von Regierungen oder "Führern"
geschaffen werden kann, sondern eine Sache der Bevölkerungen ist. Bei
denen ist die Nachricht vom Frieden nie angekommen - auf beiden Seiten.
In keinem arabischen Schulbuch ist bisher eine adäquate Darstellung der
Geschichte Israels nachzulesen. Und auch in israelischen Schulen gehört
es längst nicht zum Allgemeinwissen, dass die Zionisten einst mitnichten
ein menschenleeres Land besiedelten.
Im Bewusstsein vieler Araber ist
der Holocaust kein Thema. Die Israelis gelten ihnen als vor allem aus
Europa gekommener Fremdkörper. In der Wahrnehmung vieler Israelis sind
Palästinenser noch immer kameltreibende Araber, die ihre Heimat schon
irgendwann irgendwo zwischen Mekka, Medina und Riad finden werden.
Die Folge ist ein rein taktischer
Umgang miteinander. Regierungen, Führungen, Militärs und Geheimdienstler
verhandeln über rote Linien im Libanon, Arrangements auf dem Golan und
geheime Nichtangriffspakte sogar zwischen Israel und Irak sowie Israel
und Iran. Araber verschleppen Israelis und Israelis Araber. Anschließend
wird über den Austausch verhandelt - notfalls der Gebeine.
THOMAS DREGER
taz Nr. 6270 vom 14.10.2000,
Seite 4, 117 Zeilen TAZ-Bericht THOMAS DREGER
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