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Ende September
tagte der 43. deutsche Historikertag in Aachen. Auf einer rasch
eingeschobenen Extraveranstaltung diskutierten die Teilnehmer das
aktuelle Thema Rechtsradikalismus. Allerdings wurde dabei nicht
klar, welche gesellschaftlichen Möglichkeiten die Wissenschaft hat,
gegen die Gewalttäter vorzugehen.
"Man muss nichts vom Dritten Reich verstehen,
um zu wissen, dass man keine Wohnungen von Türken anzündet," betonte der
Freiburger Historiker Ulrich Herbert. Allerdings sehe er die
Geschichtswissenschaft nur begrenzt in der Lage, rechtsradikale Auswüchse
abzuwehren, denn wo kein ethisches Wertesystem vorhanden sei, könnten Historiker
erzählen, was sie wollen. Wenn auch Ausländerfeindlichkeit keine ostdeutsche
Besonderheit ist, gebe es hier jedoch "spezielle Dynamisierung". Die DDR sei im
Gefolge der Wiedervereinigung gedemütigt worden. Zudem habe es im
wiedervereinigten Land seit den frühen 90er Jahren eine "protorassistische
Zuspitzung" gegeben.
Die wohl markanteste Stellungnahme gab Barbara
John, die Ausländerbeauftragte des Berliner Senats, ab. Es gebe "elementare
Spielregeln des Zusammenlebens", die auch nicht in Umbruchsituationen oder bei
einer persönlichen existenziellen Krise der Täter außer Kraft zu setzen seien:
"Wenn wir zu feige sind, diese Spielregeln durchzusetzen, dann nützen sie uns
auch nichts. " John betonte, dass es eben die Aufgabe des Staates sei, für die
unveräußerlichen Rechte jedes hier lebenden Menschen einstehen: "Egal, wie viele
Ausländer hier sind - wir
müssen sie schützen wie unsere eigenen
Staatsbürger, und wenn es das halbe Bruttosozialprodukt kostet. " Es komme,
sagte Barbara John, auch nicht so sehr auf die Einstellung, sondern aufs
Verhalten an: "Man muss andere Menschen nicht lieben; aber man muss ihre Nase
und ihre Unversehrtheit akzeptieren."
Die konkreten Empfehlungen an die eigene
Disziplin fielen bei den Wissenschaftlern des Historikertages sehr
unterschiedlich aus. Die Braunschweiger Historikerin Ute Daniel wollte sich
nicht der häufig geäußerten Kritik anschließen, die Wissenschaft stelle zu wenig
Wissen bereit. Es sei aber notwendig, in Zukunft beispielsweise das Thema Gewalt
stärker zu untersuchen, um das Phänomen "Extremismus" zu verstehen. Weitere
Forschung sei aber noch keine Präventionsmaßnahme gegen rechtsextremistische
Gewalt.
Die provokante Aufforderung von Ulrich Herbert,
sich auch einmal im eigenen Verband und im eigenen Fach umzusehen, inwiefern
dort an den "Randzonen nach rechts" mit extremistischem Gedankengut umgegangen
werde, blieb relativ unbeachtet. Kein Wunder, denn auch im universitären Alltag
wird das Thema Rechtsextremismus so gut wie gar nicht diskutiert. Bedauernswert,
denn von den Studenten selbst scheint auch nur geringes Engagement zu bestehen.
Zu recht forderte der Berliner
Sozialwissenschaftler Michael Kohlstruck, dass die Geschichtswissenschaft in
Bezug auf die die Provokationen von rechts politisch deutlich Stellung beziehen
sollte.
Neben den tagespolitischen Geschehen hatte der
Verband der Historiker Deutschlands übrigens einen ganz und gar hausgemachten
Grund, sich in Aachen mit dem Thema zu beschäftigen: Der Werbeauftritt des
rechtsextremistischen Grabert-Verlags überschattete den Historikertag im
Vorfeld.
Der Verlag hatte im Programmheft mit einer
ganzseitigen Anzeige für seine Titel geworben. Nach Auskunft des scheidenden
Vorsitzenden des Historikerverbandes, Johannes Fried, geriet die Anzeige durch
eine "technische Panne" in das Programmheft. Der Grabert-Verlag stand auf einer
Liste mit knapp 200 anderen Verlagen, die das Aachener Organisationsbüro auf der
Suche nach Anzeigenkunden "routinemäßig" angeschrieben hatte. Erst die
kritischen Hinweise aus der Fachwelt, nach dem Verschicken von 8 000 Exemplaren,
machten auf den peinlichen Vorfall aufmerksam. Die Einnahmen aus der Anzeige
wurden dem Verein für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Aachen gespendet.
Der Verfassungsbericht Baden-Württemberg stuft
den Grabert-Verlag als organisationsunabhängigen rechtsextremistischen Verlag
mit dominierender Marktstellung im "rechten Lager" ein.
Johannes Fried betonte, dass die
Geschichtswissenschaftler unfreiwillig Zeugen wurden, wie rechtsextremes
Gedankengut in die Gesellschaft eindringen kann. Zur Abwehr und Aufklärung
empfahl er eine Kooperation seines Faches unter anderem mit Pädagogen oder
Psychologen, mit Justiz und Medien.
haGalil onLine
16-10-2000
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