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Mit dem Aufruf an die Juden in
Deutschland, sich nicht einschüchtern zu lassen, hat Charlotte Knobloch,
Vizepräsidentin des Zentralrats und Vorsitzende der Israelitischen
Kultusgemeinde München, auf die jüngsten Entwicklungen reagiert. "Die Zeit, da
Juden auf gepackten Koffern saßen, ist vorbei - und die Koffer werden auch nicht
wieder hervorgeholt".
Sie sagte der "Frankfurter Allgemeinen
Sonntagszeitung": "Die Juden müssen Flagge zeigen und dürfen sich nicht von
antisemitischen Rabauken in die Ecke stellen lassen". Die jüdischen Deutschen
sollten offensiv klarstellen, dass sie hier lebten und zu diesem Land gehörten.
"Viele hier in München machen sich große
Sorgen, auch im Hinblick auf den kommenden Sonntag, denn dann sind die Synagogen
am Jom-Kipur gerappelt voll", so die Inhaberin einer
koscheren Feinkosthandlung am Münchner Viktualienmarkt, gegenüber der
Nachrichtenagentur Reuters.
Die NS-Terroraktionen sind derzeit
beherrschendes Thema in ihrem Geschäft. "Ich mache mir zwar keine Sorgen um
meinen Laden, aber meine Kinder in der Jüdischen Schule München müssen von der
Polizei geschützt werden", sagt sie. Von der Bevölkerung wünscht sie sich ein
aktiveres Vorgehen gegen alle Formen der Ausländerfeindlichkeit.
Die Juden in München haben den
Brandanschlag mit Bestürzung aufgenommen. Reuters zitiert Jan Mühlstein von der
Liberalen Jüdischen Gemeinde: "Die 8000 Leute sind sehr besorgt". Er macht sich
Gedanken darüber, ob die Sicherheitsvorkehrungen für Synagogen noch ausreichen.
"Bisher hat die Polizei versichert, dass es genügend Sicherheitsmaßnahmen gibt -
jetzt muss man wohl noch einmal darüber nachdenken", sagt der zweite Vorsitzende
der Gemeinde und fügt hinzu: "Wir geben die Adressen unserer Treffpunkte ohnehin
nur an Vertrauenspersonen raus."
Ein Kunde macht in der Gemeinde zwei
Lager aus: "Viele Juden hier erkennen das Bemühen der Politiker an und glauben
an die Stärke der deutschen Demokratie, mit der rechten Gefahr fertig zu
werden", sagt der etwa 50 Jahre alte Mann, der nur nach der Zusicherung erzählt,
dass sein Name nicht genannt wird. "Manche Familien sehen aber für ihre Kinder
in diesem Land immer weniger eine Zukunft und wandern vor allem nach Israel,
Großbritannien und in die USA aus". Für viele Juden sei Deutschland aber immer
noch die bessere Alternative, weil es hier bessere Berufschancen gebe. Andere
störe in Israel der Fundamentalismus orthodoxer Juden.
Die Äußerungen des Vorsitzenden des
Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, wonach er sich frage, "ob es richtig ist,
dass Juden in Deutschland leben", findet der Mann allerdings zu scharf
formuliert und eher kontraproduktiv: "In Deutschland bin ich schließlich groß
geworden."
Unterdessen meldete die «Welt am
Sonntag», nicht nur der Präsident des
Zentralrates der Juden, Paul Spiegel, habe Drohbriefe erhalten. Auch "bei
anderen Angehörigen oder Repräsentanten jüdischer Gemeinden oder Einrichtungen
im gesamten Bundesgebiet" seien solche Sendungen eingegangen. Die Zeitung berief
sich auf das Düsseldorfer Innenministerium. Nähere Einzelheiten waren zunächst
nicht zu erfahren.
Der Vizepräsident des Zentralrats der
Juden in Deutschland, Michel Friedman, verlangte eine Bannmeile in Berlin, um
auch das Holocaust-Denkmal zu schützen.
haGalil onLine
08-10-2000
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