Pressekonferenz des amtierenden
Außenministers Shlomo Ben-Ami
mit ausländischen Journalisten
Tel-Aviv, 1. Oktober 2000
Sehr geehrte Damen und Herren,
nichts hätte uns glücklicher machen können, als hier vor sie zu treten, um einen
Durchbruch im Friedensprozeß bekanntzugeben, anstatt auf die traurigen
Ereignisse der letzten Tage zurückzublicken. Wie sie alle und tatsächlich auch
die gesamte internationale Gemeinschaft wissen, ist die israelische Regierung an
die äußersten Grenzen eines Kompromisses - zu einem beträchtlichen politischen
Preis - gegangen, um die Bedingungen für ein Friedensabkommen mit unseren
palästinensischen Nachbarn zu schaffen. Solch ein Abkommen bleibt weiterhin
möglich.
Die Friedensgespräche, heute den letzten Momenten vor der Entscheidung nahe,
bleiben unser größtes und Hauptziel.
Wir dürfen weder zulassen, daß die tragischen Zusammenstöße der letzten Tage den
Prozeß zum Entgleisen bringen, noch sollten wir Extremisten ein Vetorecht über
den Friedensprozeß einräumen, besonders, wenn dieser an einem solchen
empfindlichen Punkt steht.
Lassen Sie mich klarstellen: die Ereignisse am Tempelberg sind als direktes
Resultat eines massiven und gefährlichen Angriffs eingetreten, verübt durch eine
moslemische Versammlung auf dem Berg, die versucht hat, jüdische Beter an der
Westmauer am Vorabend des jüdisches Neujahrsfestes gewaltsam zu konfrontieren.
Wenn an einem solch heiligen Ort sich Beter und Beter gegeneinander stellen,
sind wir alle auf der falschen Fährte. Es ist wesentlich entscheidend, solch
einen Zusammenstoß zu verhindern.
Das jüdische Volk hat keinen Grund zum Streit mit dem Islam. Wir haben den
tiefsten Respekt vor der großen islamischen Zivilisation. Unsere weitreichende
Antwort gegenüber Initiativen, die nach einer Aussöhnung zwischen den
rechtmäßigen religiösen Bindungen von Juden und Moslems zum Haram el Sharif
beziehungsweise dem Tempelberg suchen, sollte hierfür Beweis genug sein.
Bezüglich der Zusammenstöße in den Gebieten haben wir handfeste Gründe
anzunehmen, daß diese zum großen Teil von oben konzertiert waren. Wahrscheinlich
in der Hoffnung, daß ein bestimmtes Maß an Gewalt einem kurzfristigen
politischen Zweck dienen könnte. Es ist eine traurige Reflektion der Situation,
daß Israels Vermögen, die Weltmeinung mit dem Mut seiner Friedenspolitik zu
beeindrucken, mit einer Einstellung abgewehrt werden soll, die solche
Zusammenstöße wie wir sie in den letzten Tagen gesehen haben für eine
Möglichkeit hält, die Verhandlungspositionen zu verbessern. So ein Kurs ist so
gefährlich wie der Ritt auf einem Tiger. Wir haben unsere palästinensischen
Verhandlungspartner gewarnt, daß wir alle Opfer werden können, wenn das außer
Kontrolle gerät. Der Friedensprozeß ist zu kostbar, um als Geisel gehalten zu
werden im Wunsch für kurzfristige politische Errungenschaften.
Die gute Neuigkeit ist, daß wir trotz allem Nachbarn und Partner bleiben.
Premierminister Barak und der Vorsitzende Arafat haben über Wege gesprochen, die
Situation unter Kontrolle zu bringen, und die Vorsitzenden unserer zuständigen
Sicherheitsorgane trafen sich, um die Anstrengungen zu koordinieren. Wir sehen
jedoch, daß eindeutige Instruktionen nicht hinunter zu allen palästinensischen
Kräften vor Ort gelangen, um die Gewalt zu stoppen. Die Tansim in der Westbank
stellen einen solchen Fall dar. Ich möchte an den Vorsitzenden Arafat
appellieren, seine fraglose Autorität über sein Volk und seine Polizeikräfte -
die überall aktiv in die Zusammenstöße involviert waren auszuüben, um zur
Normalität zurückzukehren. Israel hat nicht und kann nicht irgendein Interesse
daran haben, daß solch eine Situation der Gewalt anhält. Unsere
Friedensinitiativen sind die ultimative Rechtfertigung unserer Bestrebungen,
eine Realität der Koexistenz mit dem palästinensischen Volk zu erreichen.
Und schließlich möchte ich mein tiefstes Bedauern ausdrücken über die Toten und
die Verletzungen, die Arabern und Juden gleichermaßen zugefügt wurden. Wir sehen
das palästinensische Volk nicht als unseren Feind. Vielmehr sehen wir es als
unseren Partner in der Friedensunternehmung. Laßt uns die Waffen niederlegen.
Laßt uns unsere brandstifterische Rhetorik beerdigen. Laßt uns dem Frieden eine
Chance geben. Frieden ist definitiv möglich.
Generalmajor Giora Eilan (Leiter der IDF Operations Abteilung): Der Kreis der
Gewalt begann letzten Dienstag, als eine Straßenmine nahe der Siedlung Netzarim
ausgelöst und ein israelischer Soldat getötet wurde. Diejenigen, die diese
Handlung durchgeführt haben, kamen aus den Gebieten, die von der
palästinensischen Autonomiebehörde kontrolliert werden, und sie flohen dahin
zurück. Es gab keinerlei Zusammenarbeit zwischen Israelis und Palästinensern bei
dem Versuch, diesen Vorfall zu untersuchen. Einen Tag später passierte in der
Nähe etwas ähnliches glücklicherweise ohne Opfer. Am Freitagmorgen hat ein
palästinensischer Polizist, der zu einer gemeinsamen Patrouille gehört,
plötzlich die israelische Soldaten angegriffen, die mit ihm zusammenarbeiten
sollten. Er tötete den Offizier der Patrouille und verletzte einen weiteren
Soldaten durch Schüsse.
Seit gestern stehen wir einem hohen Ausmaß von Gewalt in allen Gebieten des
Gazastreifens und der Westbank gegenüber. Tatsächlich ist das Ausmaß der Gewalt
dem sehr ähnlich, dem wir im September 1996 gegenüberstanden, wenn nicht sogar
schlimmer.
Letzte Nacht wurde ein Versuch gestartet, diese Art der Gewalt zu kontrollieren
und zu stoppen. Es gab ein Treffen zwischen israelischen Offizieren und dem
Befehlshaber des israelischen Zentralkommandos und den Leitern der
Sicherheitsorgane der Palästinenser. Dieses Treffen wurde einberufen, um einen
Versuch zu unternehmen, die Region zu kontrollieren und zu versuchen, diese Art
der Gewalt zu eliminieren. Wir hatten das Gefühl, daß der gute Wille hierfür
vorhanden war, aber unglücklicherweise ist das Level der Gewalt in allen
Bereichen dem gestrigen Geschehen bisher sehr ähnlich ich spreche speziell von
den vergangenen zwei Stunden. Wir hoffen inständig, daß dieser Versuch
aufrichtig und entschieden sein wird; nur ein wirklich entschiedener Versuch
kann diese Art der Gewalt beenden, denn wenn sie nicht aufhört und weitergeht,
kann der Konflikt natürlich ein noch höheres Ausmaß erreichen; etwas das wie wir
glauben beide Seiten nicht wollen.
Frage: Erstens: in Ihren einleitenden Anmerkungen haben Sie gesagt, daß Sie
Hinweise haben, daß diese Vorfälle von oben konzertiert wurden. 'Von oben“ kann
nur die Palästinensische Autonomiebehörde meinen. Beschuldigen Sie demnach die
Palästinensische Autonomiebehörde oder Teile von ihr, diese Vorfälle zu
konzertieren? Die zweite Frage zielt auf den Friedensprozeß selber: Im Grunde
schließen Sie Frieden mit den Menschen, die in der Westbank und im Gazastreifen
leben, und nicht nur mit einer kleinen Gruppe von Repräsentanten verschiedener
Organisationen. Zeigt nicht das Ausmaß dieser Gewalt und die Zahl der beim
Werfen von Steinen und Molotovcocktails Involvierten, daß die Bevölkerung der
Westbank und des Gazastreifens augenscheinlich nicht so sehr am Friedensschluß
interessiert ist wie Sie?
Ben-Ami: Zu Ihrer ersten Frage: tatsächlich haben wir, wie ich schon sagte,
handfeste Gründe anzunehmen, daß zu einem großen Teil die Störungen, die Unruhen
und die Zusammenstöße von oben konzertiert und wahrscheinlich sogar von oben
überwacht wurden. Ich kann nicht genau auf die Person deuten, aber unsere
Quellen sind diskrete und neutrale Quellen. Deshalb glauben wir, daß Personen
aus der Palästinensischen Autonomiebehörde wahrscheinlich dachten, daß dies
politischen Zwecken und eventuell sogar Zwecken der Öffentlichkeitsarbeit diene.
Aus welchem Grund auch immer, sie müssen gestoppt werden. Israel wird seine
Positionen im Friedensprozeß nicht ändern die, wie ich schon sagte, bis an
unsere äußersten möglichen Grenzen für einen Kompromiss gehen , nur weil wir vor
eine solche Herausforderung von Zusammenstößen und Unruhen überall in den
Gebieten gestellt werden.
Hinsichtlich Ihrer zweiten Frage werde ich natürlich kein Urteil fällen über die
Bereitschaft des palästinensischen Volks zu einem Friedensschluß mit Israel. Ich
vertraue darauf, daß unser Gesprächspartner Arafat, unser Gesprächspartner die
palästinensische Autonomiebehörde ist. Wir werden nicht über jeden einzelnen
oder jede einzelne Gruppe im palästinensischen Lager urteilen. Wie ich schon
sagte, ist der Friedensprozeß den letzten, entscheidenden Momenten sehr, sehr
nahe. Tatsächlich befinden wir uns, so wie bisher, in der letzten Etappe des
Prozeßes. Einige der Personen, denen wir gegenüberstehen, zum Beispiel Mohammed
Dahlan, sind Mitglied des Teams, und ich rufe ihn auf, seine Energien zu bündeln
in den Kanälen, die wir entwickelt haben und seine Instruktionen, oder die der
politischen Führung tatsächlich zu geben, um zu verhindern, daß Gewalt durch
alle Ebenen der palästinensischen Gesellschaft hindurchsickert.
Frage: Herr Minister, zwei miteinander verbundene Fragen: Die wirklichen Unruhen
wurden offensichtlich durch den Besuch von Herrn Sharon auf dem Tempelberg
entzündet, der als Provokation betrachtet wurde. Hätten Sie nicht aus
Sicherheitsüberlegungen heraus sagen können: nein, dies ist kein guter Zeitpunkt
für einen Besuch dieser Art auf dem Tempelberg jedes Kind konnte wissen, was die
Konsequenz dieses massiven Besuchs mit massivem Polizeiaufgebot sein würde. Und
die andere Frage: anscheinend wussten Sie, was zu erwarten war, weil Sie
Heckenschützen auf dem Tempelberg und den Dächern rundherum positionierten. Und
Menschen dort wurden von scharfer Munition der Heckenschützen getötet.
Befürchten sie nicht, daß diese Fakten und natürlich der schreckliche 'Overkill'
dem guten Willen sehr schaden könnte, der Israel zuletzt in Europa
entgegengebracht wurde selbst ihre besten Freunde in Europa werden dies nicht
verstehen?
Ben-Ami: Mit Ariel Sharons Besuch sieht es in Wahrheit so aus, daß der Besuch an
sich friedlich endete, und die Ereignisse, die wir jetzt besprechen, fanden
einige Tage später statt. Also braucht man keine direkte Verbindung zwischen
beiden Ereignissen zu sehen. Das zweite Ereignis, d.h. der Ausbruch der Gewalt
auf dem Tempelberg und in seiner Umgebung und der Versuch, das Westtor des
Berges zu durchbrechen, um zur Klagemauer herunterzugelangen, wo sich während
des jüdischen Feiertages eine massive Konzentration von Gläubigen befand dies
war eine echte Gefahr, die wir verhindern mußten. Also, ich hoffe, daß dies ein
Mißverständnis beendet.
Wir haben wiederholt gesagt, daß unsere Polizei versuchen muß, bezüglich des
Tempelberges eine Lösung zu finden. Wie ich bereits gesagt habe, haben wir alle
möglichen Initiativen, die zwischen den legitimen Interessen der Juden und der
Moslems auf dem Berg vermitteln, untersucht und überdacht und tun dies immer
noch. Wir sollten für unsere mutige Friedenspolitik beurteilt werden sie spricht
für sich. Wir bedauern selbstverständlich Todesopfer und Verletzte, und deshalb
rufen wir unsere palästinensischen Partner dazu auf, an den Verhandlungstisch
zurückzukehren, ihre Waffen niederzulegen, die brandstifterische Rhetorik zu
begraben und zum Geschäft zurückzukehren. Dies ist jetzt die wichtigste
Botschaft.
Was unsere Freunde etc. angeht wie ich bereits sagte, können wir der Gewalt
nicht nachgeben. Der Friedensprozeß ist eine sehr ernste Angelegenheit. Wir
verhandeln jetzt die Zukunft unserer Beziehungen zu den Palästinensern, die
Grenzen des Staates Israel, die Art der Beziehungen, die wir hier in diesem Teil
der Welt etablieren werden. Wir werden uns nicht einschüchtern lassen von den
Steinen, die auf unsere Zivilisten und auf unsere Sicherheitskräfte geworfen
werden. Der einzige Ort, wo wir unsere Differenzen behandeln sollten, ist der
Verhandlungstisch.
Frage: Wie sieht es mit der Frage des 'Overkill“ aus den Europäern fällt es sehr
schwer zu verstehen, warum es so viele Tote geben mußte unter größtenteils, zu
90 Prozent unbewaffneten Palästinensern? Hat es nicht eine Art 'Overkill“
gegeben?
Ben-Ami: Ich habe keine operative Antwort, die ich Ihnen geben könnte. Das
einzige, das ich Ihnen raten würde, ist zu versuchen, sich selbst in eine Lage
hineinzuversetzen, in der Sie von einem Mob umgeben sind, der Sie mit Steinen
bewirft und Ihr Leben in Gefahr bringt. Dies ist keine einfache Situation für
einen normalen Menschen, und es auch keine einfache Situation für
Sicherheitskräfte. Aber ich werde Herrn Brigadegeneral David Tzur auf diese
Frage antworten lassen.
Brigadegeneral Tzur (Oberbefehlshaber, Ministerium für Innere Sicherheit): Ich
werde versuchen, auf Ihre Frage zu antworten. Der Einsatz der Kräfte auf dem
Tempelberg fand in verschiedenen Stufen statt. Zu Beginn, als sie begannen,
Steine zu werfen, reagierte niemand. Als sie wie der Minister schon sagte
versuchten, aus dem Tor herauszugelangen und zur Westmauer zu rennen, war ein
Limit erreicht, das wir nicht tolerieren können. Zu diesem Zeitpunkt warfen sie
große Steine es geht hier nicht um kleine Steine, nicht um etwas, in dessen Nähe
Sie sich leisten können zu kommen. In diesem Moment mußten sie hineingehen. Die
Konfrontation war sehr eng, aus sehr kurzer Distanz. Die meisten Verletzungen
wurden durch Gummigeschosse hervorgerufen, nicht durch scharfe Munition. Aus
dieser Entfernung sind Gummigeschosse und Tränengas etwas, das die Soldaten
benutzen können, das Teil der Ausrüstung ist, die sie bei Demonstrationen,
besonders bei dieser Art Demonstration, benutzen dürfen.
Ich möchte eine andere Sache betonen. Wir wissen, daß die meisten Demonstranten
nicht aus Ostjerusalem waren. Wir haben sehr gute Kenntnis und Grund zu glauben,
das dies etwas war, was vorher und währenddessen konzertiert wurde ich betone,
daß es einen Tag später stattfand. Der Besuch lief sehr gut, abgesehen von
verbalen Anschuldigungen. Sie haben den Minister zudem gefragt, warum wir diese
Art Besuch nicht vermeiden können. Dies ist ein freies Land, ein demokratisches
Land. Wir können weder als Polizei noch durch eine politische Entscheidung eine
solche Sache verhindern, es sei denn, wir wissen in derselben Minute, daß etwas
passieren kann. Wir können nicht mit Sicherheit davon ausgehen, daß einen Tag,
zwei Tage oder einen Monat später noch Gewalt daraus resultieren sollte. Daher
glaube ich, daß Sie dies nicht uns fragen sollten, sondern diejenigen, die
Gewalt ausüben.
Ben-Ami: Es gibt vielleicht eine Sache, die erläutert werden müßte. In allen
Gebieten einschließlich Jerusalem natürlich, aber ich spreche hauptsächlich über
die Westbank und den Gazastreifen sieht die Situation so aus, daß die Entfernung
zwischen israelischen Positionen, israelischen Siedlungen, israelischen Straßen
und den Orten, an denen Palästinenser leben und operieren, manchmal nur einige
Meter beträgt. Wir sind sehr stark miteinander verwoben und einander sehr nahe.
Unter solchen Umständen beschützen wir nur drei Arten von Orten: wir verteidigen
israelische Siedlungen, natürlich; wir verteidigen unsere Positionen; und wir
verteidigen ausschließlich die lebenswichtigen Hauptstraßen, die von einem Ort
zum anderen verlaufen. Alle anderen Regionen versuchen wir zu meiden, um die
Zahl der Konflikte zwischen ihnen und uns zu reduzieren.
Wenn etwas wie dieses passiert, und es passiert zwischen den Menschen, dann wird
es nicht auf offenem Feld ausgetragen, sondern im Volk. Und wenn die
Palästinenser freiwillig eine Menge Zivilisten, einige davon junge Menschen, zum
Demonstrieren bringen, und nicht um ruhig zu demonstrieren, sondern um Steine zu
werfen, und nicht nur Steine, sondern Molotovcocktails, und um scharfe Munition
zu benutzen und ich spreche von Zivilisten, nicht nur von Polizisten dann führt
dies zu einer Situation, in der das einzige, was wir tun können, um unser Leben
zu schützen, ist, zurückzuschlagen. Wir haben versucht, dies sehr vorsichtig zu
tun. Die Regeln, nach denen vorgegangen wird, sind sehr streng. Natürlich haben
wir es vermieden, schwere Waffen zu benutzen, und wir haben versucht, zielgenaue
direkte Waffen nur zu benutzen, wenn es zum Schutz von Leben wirklich nötig war.
Natürlich haben wir Verletzte, haben auch wir verwundete Leute wir haben
mindestens fünfzehn Soldaten, die verletzt wurden, mindestens sechs davon durch
scharfe Munition, die von jemandem aus nächster Nähe abgeschossen wurde. Also
gibt es unter solchen Umständen keinen klaren Weg, Personenschäden gänzlich zu
vermeiden, auch wenn einige der Betroffenen unschuldige Zivilisten sein mögen,
die zufällig in das Geschehen geraten sind.
Frage: Was ist die Reaktion der israelischen Regierung auf die Unruhen, die
jetzt in den nördlichen Teilen Israels stattfinden?
Ben-Ami: Die arabischen Bürger des Staates Israel sind völlig frei, ihre Gefühle
auszudrücken und zu protestieren. Nichtsdestotrotz ist es unsere Verpflichtung,
alles zu tun, um Gesetz und Ordnung zu bewahren. Daher werden wir im Rahmen
unserer Verpflichtung operieren, die Möglichkeit zur freien Äußerung von Protest
und gleichzeitig Gesetz und Ordnung zu garantieren.
Frage: Wir wissen nicht, ob das, was im Moment in den Gebieten passiert, eine
Art neue Intifada ist. Aber was in Israel selbst passiert, ist das nicht eine
neue Dimension?
Ben-Ami: Es ist nicht etwas, das nur aus der Perspektive der aktuellen
Ereignisse beurteilt werden muß. Wir stehen vor Problemen. Die arabische Frage
ist augenscheinlich eines von ihnen. Die israelische Gesellschaft ist eine
multiethnische, multikulturelle, pluralistische Gesellschaft, und die Menschen
haben Differenzen und unterschiedliche Bestrebungen. Wir müssen zwischen diesen
Unterschieden in einer kaleidoskopischen Struktur der Gesellschaft vermitteln.
Wir tun unser Bestes. Wie ich bereits sagte, sind sie volle und freie Bürger in
einer demokratischen Gesellschaft, und sie haben das volle Recht zu
demonstrieren. Es ist nichtsdestotrotz unsere Pflicht, Gesetz und Ordnung zu
wahren, soweit es in unser Macht steht.
Frage: David Tzur erwähnte, es habe am Tag nach Sharons Besuch eine
Konzertierung von außerhalb gegeben. Wer hat konzertiert?
Brigadegeneral Tzur: Es gibt zwei Wege, von denen wir wissen, daß konzertiert
wurde. Erstens war die Mehrheit der Gewalttäter, die Steine warfen, von
außerhalb Jerusalems die jungen Leute die dazu kamen. Zweitens: das Timing. Wir
sprechen hier von einem Tag, an dem es keinen Grund gab, eine Demonstration zu
beginnen. Alles war ruhig, der Besuch war bereits einen Tag vorüber. Es war wie
ein willkommener Anlaß oder ein guter Grund, anzufangen es war nicht etwas, das
spontan begann.
Frage: Wenn Sie sagen: 'von außerhalb“, meinen Sie
Brigadegeneral Tzur: Von außerhalb Jerusalems, aus den Gebieten, aus den
Regionen unter palästinensischer Autonomieverwaltung.
Frage: Herr Minister, ich würde Ihnen gerne eine Folgefrage stellen bezüglich
Ihrer Einschätzung des Sharon-Besuches. 1996, als der Tunnel geöffnet wurde, hat
Ihre Partei der damaligen Regierung vorgeworfen, sie hätte die Geschehnisse
vorhersehen sollen. Sind Sie heute nicht in der gleichen Situation hätten Sie
nicht vorhersehen sollen, was passieren würde, und vielleicht Herrn Sharon
bitten sollen, den Ort nicht zu besuchen? Die zweite Frage ist: wenn Sie
einerseits den Sharon-Besuch als Handlung eines demokratischen Landes ansehen,
das seinen Bürgern oder Parlamentsmitgliedern erlaubt, den Ort zu besuchen, und
andererseits das, was von der Palästinensischen Autonomiebehörde ausgeht,
rhetorische 'Brandstiftung“ nennen, denken Sie nicht, Sie messen mit zweierlei
Maß? Vielleicht haben die Palästinenser ihre eigene Demokratie, die Sie nicht
wirklich verstehen.
Ben-Ami: Dies ist eine etwas verwirrende Art, eine Frage zu stellen. Wie soll
eine Demokratie durch Unruhen und Steinewerfen ausgedrückt werden? Warum sollten
Sie dies vergleichen?
Bis auf weiteres ist Jerusalem die Hauptstadt Israels, und der Tempelberg
befindet sich unter israelischer Hoheit. Ich möchte damit nicht sagen, daß sein
Besuch besonders hilfreich war. Wie auch immer, unsere Regierung ist eine
souveräne Regierung, und Jerusalem ist unsere souveräne Hauptstadt. Das muß ich
eindeutig klarstellen. Wir verhandeln über sehr schwierige Vorschläge. Was immer
auch entschieden wird, sollte am Verhandlungstisch entschieden werden. Weder
Ariel Sharon noch seine Widersacher sollten über die Resultate dieser Gespräche
entscheiden. Darum appellieren wir an unsere palästinensischen Nachbarn, an den
Verhandlungstisch zurückzukehren und die Rhetorik sein zu lassen. Wie ich
bereits gesagt habe, ich bin nicht sicher, daß der Besuch besonders hilfreich
war. Wie dem auch sei, er ist vorüber, er ist friedlich vorübergegangen. Was
David Tzur gerade gesagt hat, ist, daß es möglicherweise, wirklich nur
möglicherweise eine gewisse Frustration gab bei Leuten, die sich im
entsprechenden Moment nicht in der Lage sahen, den Besuch abzukürzen, zu
unterbrechen, um die ganze Angelegenheit ein paar Tage später erneut in Angriff
zu nehmen. Das ist eine Möglichkeit.
Wie auch immer, das Ganze ist ein sehr unglücklicher Vorfall, wenn man sieht,
welche Hürden wir in diesem Friedensprozeß zu überwinden haben. Wir werden durch
Beschuldigungen und Vorwürfe keinen Schritt weiterkommen bei der Lösung unserer
Probleme. Meine zentrale Botschaft ist heute: machen wir uns ein Bild von dem,
was passiert ist. Nehmen wir die letzten Versuche wieder auf, ein
Friedensabkommen zwischen uns und den Palästinensern zu erreichen. Hier liegt
das Heil für beide Seiten, und nicht in Unruhen und Gewalt.
Frage: Bedeutet dies, daß die unverzichtbare Bedingung für eine Wiederaufnahme
der Verhandlungen ein Ende der Gewalt ist, oder sind Sie zu der Ansicht gelangt,
daß an diesem Punkt, auf der letzten Etappe der Verhandlungen, gewisse
kriegerische Aktivitäten einerseits und Verhandlungen andererseits gleichzeitig
möglich sind, ausgehend von der Erkenntnis, daß Jerusalem nicht nur ein Rezept
für friedliche Gespräche ist, sondern auch das Kernproblem, das es dringend in
Angriff zu nehmen gilt, ganz egal, wie die Bedingungen im Umfeld sind?
Ben-Ami: Wie ich bereits in meinen einleitenden Bemerkungen gesagt habe, sollten
wir Extremisten kein Vetorecht in einem sehr komplizierten Friedensprozeß
einräumen. Darum haben wir nicht die Absicht, die gegenwärtige Situation als ein
Alibi zu nutzen, um nicht mit dem Prozeß fortzufahren. Dies ist das eine. Das
andere: Sie haben die letzte Etappe oder die letzte Chance der Verhandlungen
angesprochen. Wir haben kürzlich einige Tage in Washington mit unseren
palästinensischen Gesprächspartnern verbracht. Wir haben das palästinensische
Team getroffen, wir haben das amerikanische Team getroffen. Die amerikanische
Regierung ist im Moment damit beschäftigt, ausgehend von den Positionen, wie sie
beide Seiten auf den Tisch gelegt haben, einzuschätzen, ob es eine hinreichende
Basis für eine amerikanische Initiative gibt, die eine Plattform für ein kurzes
und umfassendes Endspiel bilden könnte. Wir hoffen definitiv, daß eine solche
Möglichkeit besteht. Ich vertraue darauf, daß auch die palästinensische Seite
versteht, daß der politische Weg der einzig gültige ist. Darum sollten wir all
unsere Energien in dieser letzten Etappe des Prozesses konzentrieren.
Frage: Aber ist es eine unverzichtbare Bedingung für die Fortsetzung der
Gespräche, daß die Gewalt aufhört? Außerdem, gibt es in der israelischen
Regierung ein Verständnis dafür, daß die Gewalt einen gewissen politischen
Vorteil gebracht hat? Gibt es die Möglichkeit, daß die US-Plattform, die Sie
erwähnt haben, modifiziert werden könnte?
Ben-Ami: Ich denke nicht. Ich habe gerade gehört, daß das State Department beide
Seiten aufgerufen hat, sich auf die Friedensgespräche zu konzentrieren. Ich sehe
keine Veränderung der Positionen, d.h. unserer Positionen. Ich denke nicht, daß
die Amerikaner Positionen haben sie versuchen lediglich, zwischen den Positionen
der beiden Seiten zu vermitteln. Ich sehe keine Veränderungen unserer
traditionellen Positionen in diesem Prozeß kommen. Wie ich bereits gesagt habe,
sind wir mit unseren Kompromißangeboten an die äußersten Grenzen gegangen, und
jetzt warten wir auf Bewegung der Amerikaner und wahrscheinlich auch der
Palästinenser.
Bezüglich Jerusalem: Jerusalem ist auf dem Verhandlungstisch. Es war auf dem
Tisch vom ersten Tag an. Es braucht keine Gewalt, um uns klar zu machen, daß
Jerusalem Teil der Friedensgespräche ist. Wir haben über Jerusalem gesprochen in
Camp David, wir haben nach Camp David darüber gesprochen. Es gibt also keinen
Grund, diesen Punkt zu betonen. Es gibt keinen Grund, ihn mit Gewalt zu
betonen.
Frage: In Ihrer Eigenschaft als Minister für innere Sicherheit möchte ich Sie
bitten, die Rolle der palästinensischen Polizei zu erläutern. Nach einigen
israelischen Berichten war deren Verhalten unangemessen, nach anderen
israelischen Berichten waren gar einige israelische Polizisten involviert in
Gewaltakte. In Ihrer Eigenschaft als amtierender Außenminister möchte ich Sie
fragen, wie Sie das Zustandekommen einer solchen Situation nach sieben Jahren
Friedensprozeß erklären können. Zeigt das nicht, daß entweder der Friedensprozeß
schlicht nicht funktioniert, oder aber daß der Weg Ihrer Regierung, mit dem
Friedensprozeß umzugehen, erfolglos war?
Ben-Ami: Ich möchte die die Polizei betreffende Frage an General Eiland
weitergeben.
Eiland: Wenn wir die palästinensische Seite betrachten, können wir drei
verschiedene Gruppen unterscheiden. Eine Gruppe ist die palästinensische
Polizei, die in den meisten Fällen an den Ausschreitungen nicht beteiligt war,
die in den meisten Fällen nicht auf uns geschossen hat. Andererseits hat sie
nicht getan, was von ihr zu erwarten war: die Gewalt aufzuhalten. Tatsächlich
war sie in den meisten Fällen ziemlich indifferent, stand daneben und hat
lediglich die Situation beobachtet. Manchmal hat sie versucht, Zwischenfälle zu
verhindern, manchmal hat sie gar nichts getan, und an einigen, nicht an vielen
Stellen hatte sie tatsächlich Teil an der Situation. Was wir erwarten von der
palästinensischen Polizei, ist, daß sie ihre Arbeit macht, die Situation unter
Kontrolle behält und nicht einfach zuschaut und abwartet, was geschehen wird.
Die zweite Gruppe ist die Tansim-Organisation. Die Tansim ist die ursprüngliche
Fatah-Bewegung. Das ist eine Art von Jugendorganisation oder Miliz, gut
ausgerüstet mit einer großen Menge Waffen, die sie eigentlich nicht haben
sollte. Sie hat ihre eigene Agenda. Sie macht nicht exakt das, was die lokale
Polizei ihr vorschreibt. Tatsächlich gibt es nur einige wenige Leute in der
Palästinensischen Autonomiebehörde, die ihr direkte Order geben können, ihren
Kurs zu ändern und die Gewalt zu stoppen. Solange nichts dergleichen geschieht,
müssen wir leider erwarten, daß diese Art von Gewalt weitergeht.
Die dritte Gruppe, die wir bisher nicht erwähnt haben und diese ist
möglicherweise die gefährlichste Gruppe sind die oppositionellen Organisationen,
und wir sprechen hier über Gruppen wie die Hamas oder den islamischen Jihad, die
in den vergangenen Monaten ziemlich passiv waren. Sie hatten verstanden, daß die
Zeiten für sie nicht günstig waren, aber jetzt mögen sie die Situation für eine
gute Möglichkeit halten, sich wieder einzumischen etwas, das sehr gefährlich
werden kann, nicht nur für uns, sondern auch für die Palästinenser selber. Die
Situation ist also im Moment sehr sensibel, und die einzige ganz klare Bedingung
ist, daß die Palästinensische Autonomiebehörde und die palästinensische Polizei
nicht einfach neutral oder gleichgültig bleiben, sondern ernsthafte Schritte
unternehmen.
Ben-Ami: Die Anwort von General Eiland betont nur, wie komplex das Problem ist,
mit dem wir es hier zu tun haben. Wir erwarten tatsächlich, daß der Vorsitzende
Arafat seine Autorität in einer Weise geltend machen wird, daß alle
palästinensischen Kräfte und die palästinensische Gesellschaft sich an das
halten werden, wovon wir hören, daß es sein Wille ist: die Gewalt zu stoppen.
Wir haben die Schwierigkeit niemals unterschätzt, zu einem Friedensabkommen mit
der palästinensischen Gesellschaft in einer Übergangsphase zu gelangen Übergang
von einer Phase der Rebellion und des Kampfes zu einer Gesellschaft, die in
Souveränität, Stabilität und Kooperation mit Israel lebt. Wir haben sie niemals
unterschätzt. Nichtsdestotrotz glauben wir nicht, daß wir mit einem
Friedensabkommen warten sollten, bis die palästinensische Gesellschaft diesen
Übergang vollendet haben wird.
Wie Sie vielleicht wissen, gibt es einige konzeptionelle Diffierenzen in der
politischen Szene Israels. Es gibt die, die meinen, daß wir Frieden mit der
arabischen Welt erst dann machen sollen, wenn die arabische Welt demokratisch
sein wird. Es gibt diese Linie. Die andere Linie, die ich hier repräsentieren
möchte, ist, daß wir nicht so lange warten können und den Friedensprozeß eher
nutzen sollen als einen Weg, die Situation zu stabilisieren, statt auf die
Stabilisierung der Situation zu warten etwas, das vermutlich nicht passieren
wird ohne Frieden , um zu einem Abkommen mit unseren Nachbarn zu gelangen. Sie
haben hier also zwei verschiedene Ansätze, und ich fürchte, ich repräsentiere
hier den Ansatz, der Frieden als einen Weg sieht, die Situation zu
stabilisieren.
haGalil onLine
08-10-2000
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