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Wer einen Stein ins Wasser wirft,
darf erwarten, dass er zumindest Kreise zieht. In den Sendungen vom
28. Februar und 10. Juli 2000 warf das Politmagazin "Report" aus
Mainz (ARD) gleich zwei Steine - eine Protestflut und eine
Klagewelle waren die Folge.
Um weitestgehend antisemitische
Vorfälle an Waldorfschulen ging es in der ersten, um Rassismus im
Buch "Atlantis und das Rätsel der Eiszeitkunst" in der zweiten
Sendung - das Bändchen, vom ersten Waldorf-Lehrer Ernst Uehli
verfasst, stand auf einer Literaturliste, die Waldorflehrern zur
Vorbereitung auf den Geschichtsunterricht zur Verfügung gestellt
wird - inzwischen haben sich die Waldorfschulen von dem Buch
distanziert, nachdem das Bundesfamilienministerium einen Antrag auf
Indizierung gestellt hat. In dem Buch fand sich neben rassistischem
("Der heutige Neger ist kindlich, ist ein nachahmendes Wesen
geblieben") auch esoterischer Schwurbel ("Der Keim zum Genie ist der
arischen Rasse bereits in ihre atlantische Wiege gelegt worden").
Die "Report"-Sendung endete mit der ungewöhnlichen Bemerkung:
"Einschüchtern lassen wir uns nicht."
"Jüdische
Propaganda"
Welcher Natur diese
"Einschüchterungen" waren, erzählt Fritz Frey, Redaktionsleiter bei
"Report": "Der Bund der Freien Waldorfschulen überzog uns nach einer
früheren Sendung im Februar mit einer Vielzahl von
Gerichtsverfahren, Gegendarstellungsbegehren und
Unterlassungsansprüchen. Sie nutzen alle ihnen zur Verfügung
stehenden Mittel, um die eigenen Interessen durchzusetzen, so etwa
hunderte von Faxen und Briefen an die Redaktion."
Nun sind Klagen und Protestnoten
legitime Mittel, sich zur Wehr zu setzen - der Inhalt vieler dieser
Briefe ist es nicht, wie Eric Friedler berichtet. Dem Redakteur der
umstrittenen Sendung wurde schriftlich bzw. telefonisch bescheinigt,
er sei der "reinkarnierte Antichrist", er gehöre "hinter Gitter".
Selbst freundlichere Belehrungen lesen sich gruselig: "Wenn Sie dem
Steinerschen Gedanken der wiederholten Erdenleben folgen wollen,
dann sind die Seelen der Atlanter noch unter uns", heißt es da, und:
"Zu den Negern: Nennen Sie mir einen einzigen, der eine Universität
gegründet hat." Die Mutter einer Schülerin überraschte mit fataler
Logik: "Wir sind keine Rassisten, das ist alles jüdische
Propaganda!" Abgesehen von der Qualität vieler Reaktionen
überraschte auch die Quantität. Frey wittert hinter den stereotypen
und bis in die Wortwahl identischen Reaktionen eine konzertierte
Aktion: "Es gibt Indizien dafür, dass es an den Schulen Aufrufe
gegeben hat, sich bei uns zu beschweren."
Tatsächlich wird auf der Homepage
des Bundes freier Waldorfschulen (www.waldorf-schule.de)
nicht nur zum Protest aufgerufen, sondern auch die Niederlage in der
juristischen Auseinandersetzung mit der "Report"-Anstalt SWR als
Sieg verkauft. Gegendarstellungs- und Unterlassungsbegehren wurden
vom Landgericht Frankfurt und vom Oberlandesgericht Stuttgart
allesamt zurückgewiesen. Einzig die Behauptung, jüdische Eltern
nähmen "vermehrt" ihre Kinder von der Schule, darf laut
einstweiliger Verfügung nicht wiederholt werden - der SWR hat
Berufung eingelegt.
Für einen kostspieligen Rechtstreit
mag der SWR gewappnet sein. Nicht aber frei recherchierende
Journalisten wie etwa die Österreicherin Angelika Walser, die in der
christlich-konservativen Wochenzeitung Die Furche einen
kritischen Artikel veröffentlicht hatte: "Fünf Nummern lang gab es
einen Proteststurm, wie ihn die Furche noch nicht erlebt hat.
Mir wurde mit Prozessen gedroht und unterstellt, ich hätte heftig
gefälscht." Die Affäre wurde dann, wie es in Österreich so schön
heißt, "amikal gelöst": Ein an der Grazer Waldorfschule engagierter
Hofrat setzte sich, wie Walser berichtet, mit ihren Chefs ins
Benehmen. Die Journalistin gab das Thema notgedrungen ab: "Wenn Sie
da recherchieren, da brauchen Sie einen breiten Buckel."
Einen breiten Buckel bewies auch
der österreichische Fernsehjournalist und Regisseur Petrus van der
Let. In einer fünfteiligen Reihe zu den Wurzeln des
Nationalsozialismus ging er in der Folge "Erlöser" auch auf die
Rolle von Rudolf Steiner und das esoterisch-okkulte Heilsversprechen
der Anthroposophie ein. Wurde in einer anschließenden
Live-Diskussion noch "lebhaft und kontrovers" über das Thema
gestritten, hagelte es bald die üblichen offiziösen Briefe an van
der Lets Arbeitgeber. Ein Vorstandsmitglied der Dachvereinigung der
Waldorfschule, Raoul Kneucker, hatte den Film während der Diskussion
noch als "gelungene postmoderne Collage" bezeichnet - vier Wochen
danach, im Dezember 1996, aber erhob er beim Generalsekretär des
Europarates "Einspruch gegen die Förderung des Filmprojektes", und
zwar wegen "gröblicher Verletzung der Objektivitätsgrundsätze".
"Privater
Geheimdienst"
Ähnliches erlebte auch der
Psychologe und Publizist Colin Goldner. Eine konzertierte
Protestbrief-Aktion, anwaltliche Drohschreiben, einstweilige
Verfügungen, Beschimpfungen und Diffamierungen musste er über sich
ergehen lassen, weil er in einem Spiegel-Artikel auf die
rassistischen Passagen in Rudolf Steiners Werk hingewiesen hatte. Um
Goldner als unseriös zu diskreditieren, wurden "Texte herangezogen,
die ich vor über 20 Jahren geschrieben habe". Was für Goldner den
Schluss nahe legt, dass in Kreisen der Anthroposophen offenkundig
"Dossiers über unliebsame Journalisten" geführt werden: "Die
Anthroposophen sind sehr gut vernetzt und verfügen ganz offenbar
über eine Art privaten Geheimdienst zu Beobachtung von Kritikern.
Gerade dieser Umgang mit Andersdenkenden setzt die Anthroposophie in
Parallele zu totalitären Kulten."
Arnold Seul, heute in der
Fernsehredaktion des MDR tätig, hatte für das Magazin "Fakt" (vom
9. 9. 1996: "Mythos Waldorfpädagogik") über "ungewöhnliche
Disziplinierungsmaßnahmen" an einer Waldorfschule recherchiert.
"Schon vor der Ausstrahlung", erzählt er, "waren Gremien wie etwa
der Rundfunkrat involviert, es gab Briefe an Fernsehdirektoren vom
Westdeutschen bis zum Saarländischen Rundfunk. Die Dreharbeiten habe
ich fortgesetzt, aber keinen O-Ton mehr von Anthroposophen bekommen.
Stattdessen dutzende von Briefen und Beschimpfungen."
Auf einem Vortrag, der die Wogen
glätten sollte, sah er sich mit einem "Tribunal von dreißig bis
vierzig Leuten konfrontiert", die alle auf ihn einredeten. "Ich
mache keinen Schweinejournalismus", hatte Seul den aufgebrachten
Anthroposophen versichert - nur um diesen Satz später als Geständnis
in Rundbriefen an Eltern wieder zu finden: Gestrichen war das
Wörtchen "keinen", der "Schweinejournalismus" blieb.
"So was erlebt man normalerweise
nur, wenn man sich mit Scientology anlegt", sagt Seul - und hat doch
zwei Erklärungen für die bemerkenswerte Dünnhäutigkeit der
Anthroposophen parat. Zum einen sähe der Bund freier Waldorfschulen
handfeste finanzielle Interessen gefährdet: "Nach der Wende in der
DDR sind sie schnurstracks reinmarschiert, als freie Träger für
Schulen mit offenen Armen empfangen wurden. Man muss nur mal
hochrechnen, welche Gelder dort hineinfließen." Zur Sorge um
Zuschüsse, Subventionen oder Neu-Anmeldungen aber geselle sich ein
"Verfolgungswahn wie bei sektierischen Vereinigungen". Seul: "Sie
sind teilweise zu weltfremd, um zu wissen, wie auf Kritik zeitgemäß
zu reagieren ist. Sie haben keinerlei Erfahrung mit der
Medienkultur."
Der Anthroposoph Stefan Leber
dagegen hat sowohl Erfahrung als auch ein sehr plastisches Bild von
der Arbeit eines Journalisten: Sie erinnern ihn an "Hunde,
schnüffelnd von Duftmarke zu Duftmarke und jeweils ihre eigene
hinterlassend. Sie folgen einer Spur, sie riechen Urin und Kot;
Rosenduft und Veilchen interessieren sie nicht. Es besteht da ein
inniger Zusammenhang zwischen dem Erschnüffeln und der eigenen
Ausscheidung", so Leber, nachzulesen in den Flensburger Heften
(63/IV/98) - der Mann ist Vorstandsmitglied im Bund Freier
Waldorfschulen und Dozent für Waldorfpädagogik an der Freien
Hochschule Stuttgart.
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04-08-2000
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