Österreich:
Deklaration und Wirklichkeit
Von Karl Pfeifer
Noch nie zuvor hat sich ein
Bundespräsident genötigt gesehen, Koalitionspartner (Wolfgang
Schüssel und Jörg Haider) zu zwingen, eine "Präambel" zum
Regierungsprogramm unterzeichnen, in der sie sich zur Einhaltung
aller Werte verpflichteten, die eine Demokratie, Menschenrechte und
Rechtsstaatlichkeit auszeichnen.
Seit diesem 3. Februar 2000 wird Bundespräsident Thomas Klestil von
FPÖ-Politikern oft mit Kraftausdrücken und von einigen seiner früheren
Parteifreunden aus der konservativen ÖVP implizit angegriffen. Der blauschwarzen
Koalition ist die Wiederbelebung der österreichischen Lebenslüge, lediglich
Opfer (gewesen) zu sein, gelungen. Sie sprechen über die Wirkung und
verschweigen die Ursache: Die 14 EU Staaten haben die bilateralen Kontakte zum
offiziellen Österreich wegen der Teilnahme der rechtsextremen FPÖ an der
Regierung eingeschränkt. Wie zur Zeit Waldheims redet man den Medien und der
Mehrheit der Bevölkerung ein, es handle sich um "gegen Österreich gerichtete
Sanktionen". Doch unter Sanktionen leidet die Bevölkerung, während die Führer
davon in der Regel nicht betroffen sind; im Gegensatz dazu leidet unter diesen
Massnahmen der EU Staaten nur die Eitelkeit österreichischer Politiker, die
Bevölkerung ist aber davon nicht betroffen.
FPÖ: "Wenn Sie jetzt in diese Details hineingehen..."
Manche Kommentatoren erwarteten sich einen mässigenden Einfluss der
konservativen ÖVP auf die FPÖ, doch genau das Gegenteil davon ist eingetreten.
Der Bundeskanzler verteidigt die FPÖ und ihren wirklichen Führer gegen eine
angebliche "Jagd" auf ihn (APA 9.4.00) . Zum Vorwurf des "Rassismus" - der an
die FPÖ gerichtet wird - meint Schüssel: Rassismus sei strafbar, wer einen
solchen Vorwurf habe, solle zu Gericht gehen.(APA 12.5.00) Gegen von der FPÖ in
der Politik eingesetzten Fremdenfeindlichkeit und Rassismus kann man aber die
Gerichte und das Strafrecht nicht einsetzen. Tatsächlich hat die FPÖ eine
Wahlkampagne mit Plakaten: "Wir garantieren stop der Überfremdung" gewonnen und
die heute im Parlament vertretenen Parteien haben dazu geschwiegen. Das ist ein
politisches Problem, und so kann das "Wesen der FPÖ", das von den "drei Weisen"
beurteilt werden soll, nicht nach (formal)juristischen sondern nach politischen
Kategorien erfolgen. Die österreichische Außenministerin Benita Ferrero-Waldner
wurde vom deutschen Journalisten Norbert Mappes-Niediek gefragt: Ist Ihnen
bewusst, dass nach dem Statut der FPÖ jedes einzelne Mitglied Weisungen des
Bundesparteiobmanns unterworfen ist und dass gewählte Organe in dieser Partei
von oben nach unten abgesetzt werden können? Das gibt es noch nicht mal bei Le
Pen. Benita Ferrero-Waldner: Wenn Sie jetzt in diese Details hineingehen...
(Sächsische Zeitung 13. Mai 2000) Die FPÖ passe - meinen die konservativen
Regierungspolitiker - doch in den Verfassungsbogen. Das ist wieder einmal eine
österreichische Lebenslüge. Das Wesen der FPÖ ist im Kern undemokratisch, und
ein großer Teil der FPÖ-Wähler stimmt in Umfragen autoritären Lösungsansätzen
zu.
Präambel und Wirklichkeit
Der Gegensatz zwischen Präambel und Wirklichkeit ist offensichtlich
Die Präambel: Die Bundesregierung tritt für Respekt, Toleranz und
Verständnis für alle Menschen ein, ungeachtet ihrer Herkunft, Religion oder
Weltanschauung. Sie verurteilt und bekämpft mit Nachdruck jegliche Form von
Diskriminierungen, Intoleranz und Verhetzung in allen Bereichen.
Die Wirklichkeit: Am 15. Mai erwägt die FPÖ Sanktionen gegen Österreichs
Volksvertreter, die entgegen ihrem Treuegelöbnis auf die Republik gegen die
Interessen des Staates verstossen Diese sollten bis zu einem Funktionsverlust,
auch für den Bundespräsidenten, gehen. Justizminister Dieter Böhmdorfer (F)
meinte in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Haider diese Idee sei
"sicherlich verfolgenswert". Auch das Plakat der FPÖ im Arbeiterkammer-Wahlkampf
in Wien - "SozialistischeÖsterreichBeschmutzer -
RoteArbeiterkammerPrivilegienBonzen" - widerspricht dem oben zitierten
"Präambel-Gelöbnis" gegen Verhetzung. Ähnlich "argumentierten" auch die Nazi
bevor man ihnen die Macht überreichte. Trotzdem stellen die konservativen
Politiker ihren Koalitionspartner fast täglich Persilscheine aus.
Die Präambel: Die Bundesregierung arbeitet für ein Österreich, in dem
Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus keinen Platz finden.
Die ORF Sprecherin zitiert Haider zur Bestellung des "Weisenrates" : "Man könnte
sonst glauben in Österreich wäre etwas vorgefallen, was zu untersuchen wäre,
außerdem..." Jörg Haider (Originalton): "Ja bei den drei Weisen muß man
vorsichtig sein, weil ja auch das Jesukind die Kreuzigung durch den Besuch der
drei Weisen nicht verhindern konnte. Sonst werden sie uns irgendwann auch ans
Kreuz schlagen, weil wir uns eingelassen haben auf dieses Spiel." (ZiB 2,
29.6.00) Nun könnte man einwenden, daß Haider dabei gar nicht an die Juden
gedacht hat. Doch lesen wir, was Friedrich Romig in der FPÖ nahen Wiener
Wochenzeitung "Zur Zeit" in einem anderen Zusammenhang schreibt: "Die Mehrheit
des jüdischen Volkes und seine Führer haben auf das Todesurteil über Christus
gedrungen und schließlich bei Pilatus seine Kreuzigung durchgesetzt."
Christliche Judenfeindschaft
Unmittelbar nach der päpstlichen "Entschuldigung" für die katholische
Mitverantwortung am Antisemitismus wärmt Romig jene Legende, die den Ursprung
der christlichen Judenfeindschaft markiert, wieder auf. In einem Artikel in "Zur
Zeit" (15/00) reitet Romig, eine Attacke gegen eine angebliche
antiösterreichische Verschwörung. Hinter dieser vermutet der ehemalige
"Europabeauftragte" von Bischof Kurt Krenn eine
"liberal-sozialistisch-kommunistisch-internationalistische Clique", die nicht
nur Bundespräsident Klestil die Präambel zur Regierungserklärung "in die Feder
diktiert" habe, "sondern die auf Knopfdruck auch die Großdemonstration in Wien
und die 'spontanen' Proteste in Brüssel, Paris, Lyon, London, New York, ja sogar
im fernen Sydney organisiert hat". Für alle, die noch nicht wissen, wer damit
gemeint ist, hat Romig noch einen Hinweis parat: "Es ist die gleiche Clique, die
schon beim Waldheim-Komplott aktiv war, nur jetzt noch massiver." Bei ihrem
neuerlichen Griff nach der Weltherrschaft bediene sich diese "Clique" der von
Romig so verachteten Werte wie "Humanität, Gleichheit, Brüderlichkeit,
Menschenrechte, Solidarität, Antinationalismus, Antifaschismus, Demokratie,
Toleranz, Pluralismus". Derartiger Weltanschauung entspricht auch die von Romig
betriebene Relativierung von NS-Verbrechen, bei welcher der "braune Holocaust an
den Juden" nicht nur mit dem "roten Masenmord an den Klassenfeinden und
Konterrevolutionären" verglichen wird, sondern auch mit dem "'demokratischen'
Massenmord an den Ungeborenen".
"Unsere Ehre heisst Treue"
Zu dieser "Form von menschenverachtendem Gedankengut und seiner Verbreitung" im
Dunstkreis seines Koalitionspartners schweigt die Regierung "konsequent".
Die Präambel: Die Bundesregierung bekennt sich zur kritischen Auseinandersetzung
mit der NS-Vergangenheit
Die Wirklichkeit: Zu der Kontroverse um die Verwendung des einstigen
SS-Mottos "Unsere Ehre heißt Treue" durch den niederösterreichischen
FPÖ-Vorsitzenden Ernest Windholz sagt die Außenministerin zu der Wiener
Wochenzeitung Falter (5.7.2000): Der junge Mann hat ja gesagt, er hat das nicht
gewusst. Falter: Haider meinte zwei Tage später, "es kann keine schlechte Sache
sein, wenn sich jemand zu Anständigkeit, Treue, Ehrlichkeit und
Leistungsbewusstein bekennt". Benita Ferrero-Waldner: Er meinte damit die
einzelnen Begriffe. Falter: Ist es wirklich nötig, nach so einem Sager die
einzelnen Begriffe zu goutieren? Benita Ferrero-Waldner: Also, auf so eine
Diskussion lasse ich mich wirklich nicht ein!
Die Präambel: Die Einmaligkeit und Unvergleichbarkeit des Verbrechens des
Holocaust sind Mahnung zur ständiger Wachsamkeit.... Die Regierung wird für
vorbehaltlose Aufklärung, Freilegung der Strukturen des Unrechts und der
Weitergabe dieses Wissens an nachkommende Generationen als Mahnung für die
Zukunft sogen.
Die Wirklichkeit: In der Wiener Wochenzeitung "Zur Zeit", deren
Chefredakteur Andreas Mölzer, Berater für kulturelle Angelegenheiten des
Kärntner Landeshauptmanns und Unterzeichner der Präambel Jörg Haider ist, wurde
vor einem Jahr (Nr.23/99, 4.- 10. Juni 1999) der Holocaust explizit geleugnet.
Ein Hans Gamlich behauptet u.a.: "Der Mythos der sechs Millionen wurde im
grössten Schauprozess der Weltgeschichte in Nürnberg institutionalisiert". Der
ehemalige Rechtsanwalt Haiders und jetzige Justizminister Böhmdorfer gab
bekannt, dass das Verfahren gegen Andreas Mölzer eingestellt wurde, denn man
kann ihm nicht nachweisen, dass er diesen Artikel gelesen hat. Was wieder ein
eigenartiges Licht auf die Schutzbehauptungen von Regierungspolitikern wirft,
wie streng unsere Gerichte diesbezüglich vorgehen.
Zwangsarbeit: "sachgerechte" Lösungen?
Die Präambel: Hinsichtlich der NS-Zwangsarbeit wird die Bundesregierung
(...) um sachgerechte Lösungen bemüht sein.
Die Wirklichkeit: Das österreichische Parlament beschloss tatsächlich
einstimmig ein "Versöhnungsfondsgesetz", das zur Entschädigung ehemaliger
Sklaven- und Zwangsarbeiter die Einrichtung eines mit sechs Milliarden Schilling
dotierten Fonds vorsieht. Doch im Gegensatz zu Deutschland erscheint es nicht
wahrscheinlich, dass diese Summe in nächster Zukunft von den Firmen und der
Regierung aufgebracht wird. "Bundeskanzler Wolfgang Schüssel wertete den
Gesetzesbeschluss als Akt der Befreiung, da Österreich nun vielleicht leichter
mit der Vergangenheit und dem Leid, das von Österreichern mitverursacht worden
sei, umgehen könne." Das bedeutet im Klartext, die österreichische Regierung
glaubt wieder einmal mit einem ungedeckten Scheck ihr Image aufbessern zu
können. "Gerade weil man das Fondsgesetz beschlossen habe, dürfe Österreich aber
darauf hinweisen, dass es auch andere Opfer, etwa die Vertriebenen, gegeben
habe. Auch für sie werde man Gerechtigkeit einfordern." So Österreichs
Bundeskanzler. Die FPÖ, ging im Parlament ausdrücklich auf die
"Vertriebenenfrage" ein und erklärte, Österreich erwarte sich nun "ähnliche
Schritte der Versöhnung von Slowenien, Tschechien, Ungarn und Kroatien".
(Salzburger Nachrichten 8.7.00). FP-Bundesrat John Gudenus, einer der
Herausgeber von "Zur Zeit", sieht das (profil 29.5.00) so: "Diese
Entschädigungen sind nichts anderes als Schutzgeld, das wir zahlen müssen....
Mit wem sollen wir uns versöhnen? Das hat nichts mit Moral, sondern nur mit
Schutzgeld was zu tun, denn wir Österreicher sind für die Zustände damals nicht
verantwortlich." Hoffentlich wird der Weisenrat den Wunsch der österreichischen
Regierung (und der FPÖ) erfüllen und sie anhand ihrer Taten - und dazu gehören
auch die Erklärungen ihrer Politiker - messen.
haGalil onLine 15-08-2000 |