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Das Telefon
klingelte kurz vor dem Abendessen, die Botschaft war
unmissverständlich. „Cem“, rief die Anruferin wütend in den Hörer,
„bist du völlig übergeschnappt?“ Der grüne Bundestagsabgeordnete Cem
Özdemir gab sich arglos. „Wieso?“, fragte er zurück. „Weil du mit
dieser unsolidarischen Aktion unsere ganze Arbeit kaputt machst. “
Eher
unerfreulich verlief auch der Rest des Gesprächs, das Özdemir am
Mittwoch Abend mit seiner alten Bekannten Anetta
Kahane führen musste. Sie koordiniert 17 regionale
Arbeitsstellen für Ausländerfragen und Jugendarbeit in Berlin und
den neuen Bundesländern und hat 1999 die
Amadeu-Antonio-Stiftung gegründet. Die Institution, die nach
dem ersten Todesopfer rechter Gewalt nach der Wende benannt ist,
fördert den Aufbau demokratischer Strukturen in Ostdeutschland, wird
als zukunftsweisendes Netzwerk im Kampf gegen Rechts gelobt – aber
bislang kaum mit staatlichen Mitteln gefördert. Nun, so befürchtet
die Chefin, droht ihrem Laden das Wasser abgegraben zu werden, von
unerwarteter Seite.
Glatzenpflege
auf Staatskosten
Ausgerechnet der
türkischstämmige grüne Bundestagsabgeordnete
Cem Özdemir, der selbst im Kuratorium der Stiftung sitzt,
will eine eigene Stiftung gegen rechte Gewalt einrichten. „Die
Fraktionen von Bündnisgrünen und SPD haben sich geeinigt, einen
zweistelligen Millionenbetrag aus Bundesmitteln für eine Stiftung zu
beantragen“, bestätigte Özdemir gestern. Neben den 75 Millionen
Mark, die die Bundesregierung für Jugendarbeit im Osten zugesagt
hat, will er „rund zehn Millionen Mark“ für eine Stiftung im Umfeld
des regierungsnahen „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ locker
machen. Das Bundesinnenministerium habe den „Überlegungen auf
Staatssekretärsebene“ zugestimmt. „Ich bin stolz, dass uns das
gelungen ist“, so Özdemir. „Wir wollen nicht warme Worte, sondern
Taten. “
Solche
Phrasen stoßen auf wenig Begeisterung bei denen, die sich seit
Jahren daran abarbeiten, die Öffentlichkeit gegen den Rechtstrend zu
mobilisieren. Sie fürchten nun, die wenigen privaten Spender,
die sie gewinnen konnten, an die Konkurrenz zu verlieren. Schon
erwägt die Hamburger Illustrierte Stern
an, eine geplante Spenden-Kampagne zugunsten der
Amadeu-Antonio-Stiftung so lange einzufrieren, bis klar ist, wohin
die Regierungsgelder gehen. Neben Cem Özdemirs 10-Millionen-Tanker,
so sorgen sich kleinere Projekte, könnten sie ganz einfach absaufen.
Doch es geht
nicht nur um Verteilungskämpfe, versichert Anetta
Kahane
von der Amadeu-Antonio-Stiftung (Grundkapital 200 000 Mark) . „Wir
reden uns seit Jahren den Mund fusselig, dass Geld allein keine gute
Jugendarbeit garantiert“, sagte sie. „Um das kommunale Klima
nachhaltig zu ändern, muss man systematisch vorgehen. “ Statt nur
durch die Jugendämter zu tingeln – etwa bei der bevorstehenden
Kanzlerreise durch den Osten – und womöglich „Glatzenpflege auf
Staatskosten“ zu fördern, sei es sinnvoller, einen Wettbewerb
auszuschreiben: „Die Kommunen sollen selbst Konzepte entwickeln, die
nicht nur Jugendclubs, sondern auch Schulen und die Polizei
einschließen. “ Beratend müsse denen zur Seite gestanden werden, die
sich um die Betreuung von Ausländern kümmern. „Vor allem muss darauf
geachtet werden, dass nur Projekte mit deutlichen Positionen für
Demokratie und Menschenrechte unterstützt werden. “
Dass die
Berliner Stiftung und das dazugehörige Zentrum für Demokratische
Kultur jahrelang Erfahrungen gesammelt habe und die Bundesregierung
nun versuche, „das Rad neu zu erfinden“, treibt auch den
Rechtsextremismus-Experten Bernd Wagner zur Verzweiflung. Aus Wut
über den Özdemir-Vorstoß schaltete er seinen
Internet-Nachrichtendienst für zivilgesellschaftliche Initiativen
kurzerhand ab. Wer Hilfe brauche, hieß es, möge sich künftig an die
zuständigen Parteien wenden. „Jetzt suchen die wieder neue
Leute, alles edle Menschen die Edles wollen, aber leider keine
Ahnung haben“, schimpfte Wagner. „Die Regierung führt ihre Debatte
über den Rechtsextremismus auf Grund unserer Analysen. “ Er stehe
für solche Beratungstätigkeiten in Zukunft nicht mehr zu Verfügung,
„es sei denn, die rücken auch mal Kohle rüber“.
Großes
Durcheinander
Bei den
Bündnisgrünen hat sich der Zorn der Basis-Initiativen inzwischen
herumgesprochen. „Wie unsere Stiftung konkret aussehen soll, ist
noch gar nicht klar“, sagte Özdemir besänftigend. „Die praktische
Arbeit in den Kommunen wird die Bundesstiftung sowieso nicht
leisten. “ Das könne man „erfahrenen Leuten von der
Amadeu-Antonio-Stiftung überlassen“. Geld für derlei Dienstleitungen
mochte der Grüne allerdings noch nicht zusagen. „Der Konflikt wird
so schnell wie möglich entschärft“, versicherte er. „Es soll auf
keinen Fall ein Konkurrenzprojekt entstehen.
Um die Wogen zu
glätten, meldete sich gestern auch Grünen-Chefin Renate Künast zu
Wort. „Es ist ein großes Durcheinander entstanden“, räumte sie ein.
Die geplante Stiftung sei nur als „rechtliche Konstruktion“gedacht.
„Bei der Verteilung der Gelder wird die Amadeu-Antonio-Stiftung
sicher eine herausragende Stellung einnehmen. “ Anetta
Kahane hört solche Töne gern. „Ich verschließe mich der
Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen nicht“, sagt sie.
„Voraussetzung ist allerdings, dass der Dialog auf Augenhöhe geführt
wird.“
haGalil
onLine 22-08-2000
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