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VON ANNETTE
RAMELSBERGER
Dessau
– Jede Nacht um halb drei Uhr verlässt Juliao Dosse seine tief
schlafende Frau Elisa, streichelt dem sechsjährigen Albert übers
Haar, packt die Tasche und tritt auf die Straße. Dann wartet er.
Wartet da in der kühlen Nachtluft auf einen Kollegen, der ihn im
Auto zur Frühschicht in den Schlachthof mitnimmt. Oft sind es nur
fünf Minuten, die Juliao Dosse da steht, auf dieser nächtlichen
Straße mitten in Dessau.
Manchmal sind es auch zehn,
wenn sich der Kollege verspätet. Und dann steigt in ihm ein Gefühl
hoch, das schwer zu ertragen ist. Es ist etwas, das sich dieser
große, kräftige Mann nur ungern eingesteht. „Da habe ich Angst“,
sagt er. „Wirklich Angst. “ Seit jenem Tag, als es geschah.
Der kleine Albert würde nie
sagen, dass er Angst hat. Dafür ist er viel zu munter. Macht aus
Bierfilzen kleine Frisbees und lässt sie über den Tisch sausen.
Grinst übers ganze Gesicht. Doch seit jenem Tag geht er nicht mehr
auf den Spielplatz. Ganz lange kuschelt er sich jetzt an seine
Mutter. „Albert kommt jetzt in die Schule, Ende August“, sagt Elisa
Dosse. „Ich weiß nicht, wie es werden soll. Vielleicht soll er sich
mit anderen Kindern zusammentun und nur in der Gruppe gehen. “ Die
Dosses leben seit 1988 in Dessau, und sie
lebten dort zufrieden. Der Vater arbeitet im Schlachthof, die Mutter
als Aushilfe. Ein ganz normales Leben. Mit einem Unterschied: Elisa,
Juliao und Albert Dosse sind schwarz.
Vor acht Wochen haben die
Dosses eine Grillparty gegeben. Auch ihr Freund Alberto Adriano war
dabei und seine Familie. Adrianos Frau brachte die Kinder schon
früher nach Hause, ihr Mann wollte nachkommen. Es sind keine
zweihundert Meter zwischen Dosses Wohnung und der von Adrianos. Man
könnte sich zuwinken. Es war ganz still, nachts um ein Uhr. Nur auf
einer Parkbank fläzten sich drei junge Männer, grölten betrunken.
Und als Adriano zu ihnen sagte, sie sollten doch ruhig sein, die
Leute wollten schlafen, da packten sie ihn, schlugen ihn zusammen,
zogen ihm die Kleider aus, schleiften ihn auf den Rasen und traten
ihn so heftig und ausdauernd, dass er drei Tage später starb.
„Überlegen, wo man
langgeht“
Wenn Juliao Dosse morgens um
halb drei vor seiner Haustür steht, kann er die kleine Stele sehen,
die zur Erinnerung an seinen Freund Adriano im Park errichtet wurde.
Gar nicht weit entfernt, im
Revier an der Wolfgangstraße, sitzt Polizeidirektor Gerald Kohl. Was
er für Herrn Dosse tun könne? „Nichts. “ Das kommt direkt, ohne
Girlanden, ohne gedrechselte Worte. Ein paar Tipps könne er geben,
sicher. Aber nichts, auf was die Leute nicht auch selber kämen.
„Überlegen, wo man langgeht, nicht direkt an Alkoholisierten
vorbeigehen, sie nicht ansprechen, nicht allein gehen. “ Das
Vertrauen der Ausländer zur Bevölkerung müsse man eben aufbauen,
sagt Kohl. Zu einer Bevölkerung, von der Kohl weiss, „dass teilweise
Deutsche weggucken, wenn Ausländern was passiert“.
Familie Dosse hat viele
deutsche Nachbarn. Und die wissen, dass die Familie mit der des
getöteten Adriano befreundet ist. Hat einer der Nachbarn angeboten,
dass sie klingeln könnten, wenn sie Angst haben? Dass sie zu ihnen
kommen könnten, wenn sie bedroht würden? Elisa Dosse guckt erst so,
als wenn sie die Fragen nicht verstünde. Dann wird klar, dass sie
ihr nur unglaublich weltfremd vorkommen. Sie schüttelt den Kopf.
Sher Shah Akbari hat einen
Computerladen in Dessau, drei deutsche
Angestellte und eine deutsche Ehefrau. Der gebürtige Afghane hört
manches, was so geredet wird in Dessau. Auch
dass man jetzt gefälligst nicht mehr so viel Theater um den Mord am
Stadtpark machen solle. Das sei ja nun mal erledigt. Und Akbari hat
natürlich auch die Fernsehsendung gesehen, in der ganz normale
Dessauer sagten, für einen ermordeten Deutschen hätte es sicher
keinen Gedenkstein gegeben. Nur für so einen Ausländer. Und
außerdem: Was hatte der denn nachts im Stadtparkt verloren?
Gleichzeitig aber sind die Dessauer stolz auf den Direktor des
weltbekannten Bauhauses, Professor Omar Akbar, auch ein gebürtiger
Afghane. Von dessen Können, von seinen Aktivitäten erhofft sich die
Stadt internationalen Glanz, von ihm lässt sie Wissenschaftler und
Architekten in die Stadt lotsen – Seminarsprache: Englisch.
Um Arbeitsplätze geht es
nicht
Auch Sher Shah Akbari ist ein
sehr nützlicher Ausländer – immerhin hat er drei Arbeitsplätze
geschaffen, für Deutsche. Aber um das geht es nicht. Wenn Akbari
ausgeht, muss er überlegen, wohin und wohin nicht. Wo Glatzen sein
könnten, wo Bier fließt und wo sie zuschlagen könnten. Da steht dann
ein großer, selbstbewusster Mann von 25 Jahren und sagt: „Man geht
nicht einfach auf ein Fest, man passt auf, ob das gefährlich werden
könnte. Das tut mir für meine Frau leid, deren Leben ist ja auch
beschränkt dadurch. Und der Seele tut es nicht gut. “
Razak Minhel trägt die
Verdienstmedaille der Bundesrepublik Deutschland. Verliehen für
seine Verdienste um das Verständnis zwischen Ausländern und
Deutschen. Er ist Ausländerbeauftragter der Stadt
Dessau. Seine Frau Sharifa ist schon seit 20 Jahren in
Deutschland, sie hat in Jena Jura studiert. Neulich kam ihre kleine
Tochter aus dem Kindergarten und fragte: „Mama, was ist ein
Ausländer?“ „Warum?“ fragte Sharifa. „Weil meine Freundin sagt: Sie
hasst alle Ausländer. “ Die Freundin ist vier.
Auch Tatjana Schewtschenko
lebt seit 20 Jahren in Dessau. Die Russin ist
hier verheiratet, sie fühlt sich verantwortlich für ihre Stadt.
Deswegen ist sie in die 10. Klassen der Schulen gegangen und hat
versucht, über Ausländer zu sprechen, über die Geschichte. „Die
haben mich nicht einmal zu Wort kommen lassen. Die haben nur gesagt,
dass wir Ausländer einen Haufen Geld bekommen von der Regierung,
dass wir unsere Kleider von oben kriegen, unsere Wohnungen. Die
haben das Gefühl, da seien Tausende, die ihnen auf der Tasche
liegen. Die wissen überhaupt nicht, dass wir arbeiten, dass wir
Unternehmer sind, Wissenschaftler, Künstler. “ Am Schluss ist ein
Junge aufgestanden und erklärte Schewtschenko, Hitler sei ein guter
Politiker gewesen, unter ihm seien Autobahnen gebaut worden und es
habe für alle Arbeitsplätze gegeben. „Ich war so deprimiert“, sagt
die Russin. „Die fühlen sich so stark. “
John Greene fällt nicht auf,
wenn er in Dessau durch die Straßen
schlendert. Ein freundlicher Herr, zurückhaltend, belesen.
Psychotherapeut. Er hat auch keinen Grund, abends Angst zu haben –
so weiß wie er ist. Und dennoch hat selbst er sein Verhalten
geändert. Seitdem er in der Gaststätte angesprochen wurde, weil er
sich mit Freunden auf englisch unterhielt. „Schon wieder Ausländer“,
riefen ihm ein paar Jugendliche nach. Seitdem verstaut der
Amerikaner seine englischsprachigen Zeitungen in der Tasche.
Im Stadtpark von
Dessau
steht eine Frau mit Kinderwagen. Das Kleine darin ist vielleicht ein
halbes Jahr. Die Frau steht nur da. Und schaut. Auf die Stele, das
Bild mit dem Trauerstreifen und die fast schon verwelkten Blumen.
Dann schiebt sie den Kinderwagen weiter und geht heim in die
Plattenbauwohnung mit Blick auf den Park. Frau Adriano ist seit acht
Wochen Witwe.
haGalil onLine
07-08-2000
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