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Während Barak und Arafat in Camp
David über die Souveränität und die Grenzen Jerusalems diskutierten,
blickte ich hier in Tel Aviv auf meinen Hinterhof und dachte an
meine eigenen Grenzstreitigkeiten. Das ist etwas kleinkariert, ich
weiß, aber das Leben besteht nun mal auch aus den alltäglichen
Auseinandersetzungen - vor allem in Tel Aviv, wo Aggressivität
geradezu eine Kunstform ist, die an Freund und Feind wahrhaft
demokratisch praktiziert wird.
Jeder tut das! Es ist hier ganz
normal, dass die Leute schupsen oder sich vordrängeln und dann
erwarten, dass DU dich dafür entschuldigst, im Weg gestanden zu
haben.
Kürzlich habe ich mein 50 Jahre altes Apartment renoviert. Ich habe zwei Jahre
gebraucht, eine Erlaubnis dafür zu bekommen. Jeder beschwert sich über seine
örtlichen Bürokraten, aber in der Stadtverwaltung von Tel Aviv sind sie
besonders schlimm. Während anderswo die meisten Bürokraten einfach nur zu
gelangweilt sind oder keine Lust haben, einem zu helfen, scheint das Bauamt von
Tel Aviv ein paar Mitglieder der russischen Mafia engagiert zu haben - eigens,
um seinem Geschäft einen professionellen Anstrich zu verleihen, wenn auch einen
unterweltlichen.
Die Stadtverwaltung hat das perfekte System aufgebaut. Man macht uns dort
langsam, aber sicher fertig, indem man falsche Auskünfte gibt oder sonstwie
verwirrt. Jedesmal, wenn man glaubt, man habe alles Nötige beisammen, stellt man
plötzlich fest, dass man das Verkehrte getan hat und die ganze harte Arbeit
umsonst war. Früher verwirrte mich das, bis ich herausfand, dass das System
Methode hat: Irgendwann wird man den normalen Weg aufgeben und sich an einen so
genannten "Spezialisten" wenden - eine Art Eintragstechniker der
Stadtverwaltung, den man hier einen "Macher" nennt. Das ist natürlich eine
freundliche Umschreibung für Korruption.
Ich persönlich hatte immer Angst, mich an einen solchen Macher zu wenden. Die
Clinton-Lektion war mir noch gut in Erinnerung - das Wissen um das wahre
Vergehen: zuzugeben, dass man Sex hatte oder es unter Eid zu leugnen. So habe
ich mich mit meinen großartigen Moralvorstellungen immer geweigert, einen Macher
für mich arbeiten zu lassen.
Ich brauchte also zwei Jahre, um die Genehmigung zu bekommen - nicht gerade klug
von mir. Aber egal. Sobald ich die Genehmigung hatte, plante ich den nächsten
Schritt, nämlich, einen Bauarbeiter anzuheuern. Vom Bauen verstand ich nicht
viel, also konzentrierte ich mich auf meine humanpsychologischen Fähigkeiten.
Ich fand einen Bauarbeiter, der tatsächlich einen vollständigen Satz
herausbringen konnte, ohne zu schreien. Verglichen mit anderen, die offenbar
glaubten, ich wolle ein zweites Taj Mahal erbauen, hörte er sich wirklich sehr
vernünftig an. Natürlich lag ich damit falsch - er entpuppte sich als
Psychopath. Die sieben scharfen Dobermänner in seiner Wohnung hätten mich warnen
sollen; aber ich war zu sehr von seinen Redekünsten beeindruckt, als dass ich
die Killerhunde bemerkt hätte, die mich auf ein Wort von ihm in Stücke gerissen
hätten. Auch wurde mir nie bewusst, dass die Angst vor ihm und seinen Hunden
meine Streitbereitschaft gewaltig herabsetzen würde. Das war ein großer Fehler.
Und trotzdem war sein psychopathisches Wesen zu etwas nütze - die Nachbarn
verhielten sich eine Zeit lang sehr ruhig. Denn natürlich war jedem im Viertel
klar, dass man mir mit dem Umbau eine Gefälligkeit erwies. Außerdem waren sie
der Ansicht, ich schulde ihnen etwas, weil ich ja nun ein größeres Apartment
bekäme. Ich weiß nicht so recht, was genau der Zusammenhang ist, aber sie sahen
anscheinend einen. Jedenfalls bekamen sie alle Angst vor meinem Bauarbeiter, was
bedeutete, dass er tatsächlich etwas bauen konnte.
Am ersten Tag fragte ich ihn, ob er einen Schlüssel brauche, um hereinzukommen.
Er lächelte nur verständnisvoll und sagte, das sei nicht nötig. Und dann kam er
mit seinem Traktor und brach einfach durch die Wand. Im Ernst, ich mache keine
Witze, ich schicke Ihnen ein Foto.
Irgendwie merkte ich, dass die Sache nicht gut lief. Aber egal. Er wurde
schließlich fertig - sechs Monate zu spät und ein Drittel über den vereinbarten
Kosten. Aber er wurde fertig. Da steht also die Wohnung, renoviert, ein Moment
der Glückseligkeit, wie man sich denken kann. Aber vergessen Sie unsere treuen
Freunde von der Stadtverwaltung nicht, die sich über das entgangene Geld für die
Baugenehmigung ärgern. Eine Reihe von russischen Killer-Beamten entdeckte, dass
die Renovierung 17 Zentimeter zu groß ausgefallen war. Ich wiederhole: 17
ZENTIMETER ZU GROSS. Ich weiß bis heute nicht recht, wo die 17 Zentimeter
stecken sollen, vielleicht in der Breite oder in der Länge, niemand scheint es
zu wissen. Die Killer-Beamten sagen es mir nicht, obwohl sie es wissen.
Neuerdings vermute ich, dass die Zentimeter in der Höhe stecken. Was sind schon
17 Zentmeter, werden Sie aus sicherer Entfernung sagen. Ich will Sie nicht mit
den drei Gerichtsverfahren langweilen, die wegen dieser 17 Zentimeter laufen,
oder die Kosten für drei hochbezahlte Anwälte vorrechnen, die mit drei
verschiedenen Richtern in drei Gerichtssälen verhandeln.
Aber ich möchte ihnen das Gesetz nahebringen, das mich vor Gericht gebracht hat.
Dieses Gesetz besagt, dass man ohne Genehmigung nicht bauen kann und dass der
Bau dieser Genehmigung entsprechen muss. 17 Zentimeter sind darin nicht
vorgesehen - deshalb die drei unterschiedlichen Verfahren. Nach dem selben
Gesetz werden die Bulldozer der israelischen Armee (wahrscheinlich von Fahrern
der Stadtverwaltung gesteuert) in die besetzten Gebiete geschickt, damit sie
dort die Häuser niederreißen, die ohne Genehmigung gebaut wurden. Dasselbe
könnte mit meinem renovierten Apartment passieren, obwohl ich kein Palästinenser
bin. Nicht einmal mein psychopathischer Bauarbeiter kann sich gegen die
Streitkräfte des Verwaltungsrechts und ihre von der Armee beschützten Bulldozer
stellen.
Keines der Gerichtsverfahren ist bisher entschieden. Und wenn ich über meinen
Hinterhof hier in Tel Aviv blicke, dann habe ich für die Friedensgespräche nicht
viel Hoffnung. Wenn soviel Wirbel gemacht wird um lächerliche 17 Zentimeter,
welche Hoffung kann es da geben für einen Streit, der Leben gekostet hat, der
nun schon 52 Jahre andauert und angeheizt wird von religiösen Fundamentalisten,
die meinen, Land sei wichtiger ist Menschenleben? Nein, ich glaube, dass die
Auseinandersetzung um meinen Bau einen tiefen Einblick gibt in das Wesen des
Nahost-Konflikts: keine Toleranz, kein Nachgeben, kein Verstand.
Erschienen in der
Süddeutschen Zeitung vom 1. August 2000
haGalil onLine
03-08-2000
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