|
|
Argentiniens neuer Präsident, Fernando de la Rua,
nahm im vergangenen Monat an einer Zeremonie zum Gedenken an die Opfer der
Bombenanschlages auf die Asociación Mutual Israelita Argentina (AMIA) vor sechs
Jahren teil – der gegenseitigen Hilfsorganisation Argentiniens in Buenos Aires.
Es war dies das erste Mal, daß ein argentinischer Präsident an einer solchen
Gedenkfeier teilnahm.
Die moralische und politische Bedeutung, den die
für Argentiniens Viertelmillion von Juden besitzt, sollte nicht unterschätzt
werden. Diese Bedeutung jedoch – die vornehmlich auf der symbolischen Ebene zum
Ausdruck kam- ist das einzig Neue, das seit der Explosion der Bombe in einem
Lastwagen in dem Gebäude geschah, die 86 Menschen tötete und etwa 300 verletzte.
Was die Entdeckung der Schuldigen sowohl für die Bombardierung der AMIA als auch
für den 1992 stattgefundenen Bombenanschlag auf die israelische Botschaft in
Buenos Aires betrifft, so machte die Regierung de la Rua kaum mehr Fortschritte
als die des Vorgängers, Carlos Menem.
In Anbetracht der Tatsache jedoch, daß einige der
Verdächtigen, die bis jetzt noch nicht vor Gericht gestellt wurden, selbst
Polizisten und Polizeioffiziere sind, überrascht das Versagen der Polizei kaum.
Eines der von de la Rua im Verlauf seiner Wahlkampagne gemachten Versprechen war
die Auffindung der Verantwortlichen für die beiden Bombenanschläge. Die
Tatsache, daß der neue Präsident nicht aus der peronistischen Bewegung oder der
Armee stammt – die Argentinien mit Unterbrechungen in den Jahren vor den
Anschlägen regierte – erhöhte die Hoffnung auf eine Faire und gründliche
Untersuchung.
Dennoch sollte dieser Hoffnung nicht allzu viele
Gewicht beigemessen werden, denn obwohl der neue Präsident werde persönliche
noch politische Beweggründe zur Verheimlichung der Wahrheit besitzt, kann
angenommen werden, daß die vielen Jahre, die seit den Bombenanschlägen
verstrichen sind, die Indizien bis zu einem Grad verschleiert haben, daß sogar
bei einer ernsthaften Investigation kaum Resultate zu erwarten sind.
Die Verantwortlichen für die Bombenanschläge
stehen im Verdacht, faschistische Antisemiten zu sein – wenigsten ein Teil von
ihnen entstammt den Reihen der einheimischen Sicherheitskräfte – die eng mit
islamischen, scheinbar aus dem Iran kommenden Gruppen zusammenarbeiteten, wenn
nicht sogar in deren Namen. Das versprechen einer Untersuchung, das schon zur
Regierungszeit von Präsident Menem gegeben wurde – entwickelte sich zu einer Art
Mantra vor jedem jüdischen oder israelischen Publikum. Im Verlauf seines
Besuches in Washington versicherte de la Rua, alles in seiner Macht stehende zu
tun, um die Verantwortlichen ausfindig zu machen. Im Gegensatz zu seinem
Vorgänger entschuldigte er sich für die Unterstützung, die Argentinien den
Kriegsverbrechern der Nazis gewährte.
Darüber hinaus versprach de la Rua auch, die
Arbeit der "Nationalen Untersuchungskommission nazistischer Umtriebe", die 1997
von Menem ins Leben gerufen worden war, zu fördern. Eine der Aufgaben dieser
Kommission besteht in der Untersuchung des Einflusses, den die Nazis auf das
gesellschaftliche und politische Leben in Argentinien haben. Bisher
veröffentlichte die Kommission einen Zwischenbericht mit einer Liste von 180
Personen, die im Verdacht stehen, Kriegsverbrechen begangen und sich später in
Argentinien niedergelassen zu haben. Es bestehen jedoch keinerlei Anzeichen
dafür, daß die Regierung seit der Veröffentlichung des Berichtes etwas
unternommen hat, um den Frieden dieser auf der Liste stehenden Leute zu stören.
Die jüdische Gemeinde in Argentinien – welche die
größte in Südamerika ist – hat sich immer noch nicht von dem Schock und dem
Trauma der Anschläge erholt. Die Gemeindemitglieder sind über den langsamen
Fortschritt bei der Untersuchung und bei der Säuberung des Landes von den
verbleibenden Kriegsverbrechern der Nazis tief enttäuscht. "Um Vergebung zu
bitten, kostet nichts," meinte einer der Leiter von Memoria Activa, einer von
den Familienangehörigen der Opfer beider Bombenanschläge eingerichtete
Organisation. Sie treffen sich jeden Montag um 9:53 Uhr vor dem Gebäude des
Obersten Gerichtshofes in Buenos Aires - in dem genauen Augenblick, da der
Anschlag auf das Gebäude der AMIA am 18. Juli 1994 stattfand – um die Auffindung
und Bestrafung der Schuldigen zu fordern. Sie protestieren gegen das
"Verschwinden" wichtiger Dokumente aus den Akten der Staatsanwaltschaft und
dagegen, daß die Regierung die Weigerung staatlicher Beamter akzeptiert, sich
den Urteilssprüchen der Untersuchungsrichter zu beugen und die relevanten
Unterlagen auszuhändigen oder als Zeugen auszusagen.
In aller Öffentlichkeit zeigen die Mitglieder von
Memoria Activa mit einem anklagenden Finger auf die Regierungen Argentiniens,
während das offizielle jüdische Establishment nur von der "fehlenden
Professionalität" bei der Untersuchung spricht und sich mit der öffentlichen
Anklage, daß die Gerichte die Untersuchung mit Absicht sabotieren, zurückhält.
Der vom American Jewish Committee kurz vor dem
sechsten Jahrestag der Bombardierung des Gebäudes der AMIA veröffentlichte
Bericht stellte bei der Untersuchung umfassende Unregelmäßigkeiten fest,
darunter unter anderem das verschwinden von 66 Tonbändern und Disketten mit
Aufnahmen von Telefongesprächen, die von den Verdächtigen geführt wurden. Photos
und Listen mit Telephonnummern, die in den Häusern der verdächtigen
sichergestellt worden, sind ebenfalls verschwunden. Zudem stellte der Bericht
fest, daß Beamte der argentinischen Einwanderungsbehörden sich weigerten, den
Untersuchungsbeauftragten die Einsicht in die Listen zu gestatten, die an
Grenzübergängen geführt werden, um die Namen der Ein- und Ausreisenden zu
prüfen.
Eine in Argentinien vom American Jewish Committee
bei der argentinischen Bevölkerung kurz vor dem sechsten Jahrestag des
Anschlages durchgeführte Umfrage ergab, daß etwa die Hälfte der Befragten nicht
glaubten, daß sich der Anschlag gegen Juden gerichtet hätte. Die selbe Umfrage
ergab zudem, daß die meisten Argentinier von den Juden eine bessere Meinung
haben als von anderen ethnischen Gruppen. Der Anteil derjenigen, die
antisemitischen Gefühle zugaben, ist relativ gering, und der Wunsch, das
Andenken an den Holocaust zu bewahren, ist selbst unter Nichtjuden hoch. Etwa 72
Prozent glauben, daß es in Argentinien Gruppen gibt, welche die Ideologie der
Nazis unterstützen, und dies betrifft 65 Prozent. Demgegenüber gaben jedoch 60
Prozent der Befragten an, daß die Nazigruppen keinen ernsthaften Einfluß im Land
hätten.
Den anerkannten Einstellungen zu diesem Thema
zufolge ist der Antisemitismus in Argentinien nicht sehr verbreitet. Etwa 68
Prozent glauben, daß sich die Juden in Argentinien gut integriert hätten,
jedenfalls genau so gut wie die anderen ethnischen Gruppen. Etwa 8 Prozent
weigern sich, in der Nähe von Juden zu wohnen, und 65 Prozent unterstützen die
Behandlung der Geschichte des Holocaust in den Schulen, jedoch stimmten 27
Prozent mit der Behauptung überein, daß die Juden das Andenken an den Holocaust
für ihre eigenen Ziele ausnutzen.
Solcherart lautet die öffentliche Meinung, der
gegenüber der neue Präsident in Angelegenheiten der jüdischen Gemeinde handeln
muß. Wie gesagt sollte nicht angenommen werden, daß de la Rua irgendein
Interesse an der Verschleierung der unter früheren Regierungen begangenen Taten
besitzt, wie zum Beispiel die den rechtsgerichteten antisemitischen
Terrorgruppen geleistete Unterstützung. Jedoch will Argentinien auch –
vielleicht ermutigt durch den Wunsch in Washington, die Beziehungen zu Teheran
zu verbessern – seine wirtschaftlichen Verbindungen zum Iran auszubauen. Aus
diesem Grund ist es so wichtig, die Angelegenheit auch weiterhin im Blick zu
behalten, um sicherzustellen, daß dieses Interesse den erklärten Wunsch des
neuen Präsidenten nicht untergräbt, endlich die Wahrheit aufzudecken und die
Verantwortlichen für die Bombenanschläge auf die israelische Botschaft und das
Gebäude der AMIA in Buenos Aires ausfindig zu machen.
Keren Hayesod Communications
Division
Redaktion: Dr. Marvin Meital / Jerusalem
haGalil onLine 25-08-2000
|