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Kampf für Normalität

Vor 50 Jahren wurde der Zentralrat der 
Juden in Deutschland gegründet: 
Ein Rückblick und Ausblick
auf Aufgaben und Probleme
von PAUL SPIEGEL

Manarah

Fünfzig Jahre sind mehr als ein halbes Menschenleben, reich an Erlebnissen und Erfahrungen. Im Leben einer Organisation ist dies jedoch eine relativ kleine Zeitspanne. [...] Die Aufgaben und Ziele des Zentralrats wurden von den Gründungsvätern präzise formuliert: das jüdische Gemeindeleben zu fördern, die jüdische Identität zu festigen und nach außen eine Art Wächterfunktion auszuüben - alles zusammen unter der Wahrung des Prinzips der absoluten Souveränität jeder einzelnen Mitgliedsgemeinde.

Betrachtet man die Lebensumstände, unter denen der Zentralrat aufgebaut wurde, so wird sein beispielloser Erfolg trotz mancher Kritik und manchen Misserfolgs deutlich. Der Aufbau jüdischen Lebens nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Terrorregimes war ein "Aufbau aus dem Nichts", belastet mit dem Schmerz aus dem millionenfachen Verlust von Eltern, Geschwistern, Verwandten und Freunden.

Rufen wir uns in Erinnerung: 1946 lebten auf dem Gebiet der ehemaligen Bundesrepublik Deutschland und in Berlin rund zweihundertfünfzigtausend Juden. Diese Gruppe jüdischer Menschen war ganz anders zusammengesetzt als die jüdische Gemeinschaft in Deutschland vor 1933. Es waren vor allem Schoah-Überlebende, die versteckt oder in Lagern vor der Ermordung gerettet werden konnten. Die meisten stammten aus Osteuropa, nur wenige von ihnen waren deutsche Juden. In den ersten Jahren wanderten hunderttausend in die USA und weitere hunderttausend nach Israel, Kanada und Australien aus. Die wenigen Verbliebenen waren oft krank und zu schwach, um Deutschland zu verlassen. In rasch einberufenen Komitees versuchten sie, gemeindeähnliche Einrichtungen aufzubauen. Die Hauptaufgaben bestanden darin, soziale und medizinische Hilfe zu leisten, Altenbetreuung durchzuführen, Auswanderungswillige zu beraten und Gottesdienste durchzuführen. Die ersten gemeindeähnlichen Gebilde waren allerdings eher "Liquidations-Gemeinden" als Gemeinden im heutigen Sinn. Viele von uns wussten nämlich noch nicht, ob sie tatsächlich in Deutschland bleiben sollten - es waren die Zeiten des "Sitzens auf gepackten Koffern".

Heute, fünfzig Jahre nach Gründung des Zentralrats, sind die Koffer ausgepackt, die Gemeinden sind lebendige Basis jüdischen Lebens in Deutschland. Mithin ist der Zentralrat die Plattform kollektiver Willensbildung und das Instrument zur Durchführung konkreter und vitaler Aufgaben, die zwischenzeitlich über den Interessenkreis der in Deutschland lebenden Juden weit hinausgehen. Besonders deutlich wurde dies bei der Wahl von Ignatz Bubis sel. A. zum Präsidenten des European Jewish Congress.

Wie sehr sich der Zentralrat um die Bewahrung und Förderung eines lebendigen jüdischen Lebens in Deutschland bemüht und verdient gemacht hat, zeigt eine Vielzahl von Projekten, von denen hier nur einige wenige beispielhaft erwähnt werden können. So wurde mit Beginn des akademischen Jahres 1979/80 in Heidelberg die Hochschule für Jüdische Studien eröffnet. Kandidaten, die das Rabbinerdiplom erwerben wollen, werden eine akademische Vorbildung, Kantoren, Sozialarbeitern und Verwaltungskräften für Jüdische Gemeinden eine akademische Ausbildung geboten. In diesem Jahr wird ein Rabbinerseminar und die Einrichtung des Ignatz-Bubis-Lehrstuhls folgen. Die Bedeutung dieser Hochschule aus historischer Sicht kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Mit ihrer Gründung hat der Zentralrat ein Zeichen gesetzt, kontinuierlich jüdisches Geistespotenzial in Deutschland zu sichern und weiter aufzubauen.

Hinsichtlich des Aufbaus sozialer Strukturen und vor allem der Gewährung dringend benötigter Hilfen für die bedürftigen Flüchtlinge und ehemaligen Schoah-Überlebenden gründete der Zentralrat fast zeitgleich mit sich selbst die Zentralwohlfahrtsstelle (ZWSt). 1945 war von der "alten ZWSt" nichts und niemand mehr übrig geblieben, und trotzdem entstanden relativ rasch neue Strukturen eines sozialen Netzes, die bis heute unverzichtbarer Bestandteil des jüdischen Lebens in Deutschland sind.

Auch der stetig wachsenden Aufgabe einer umfassenden Information über das jüdische Leben in Deutschland, im Ausland und auch in Israel hat der Zentralrat von Anfang an Rechnung getragen. Die 1946 erstmals erschienene Allgemeine Jüdische Wochenzeitung (AJW) diente zunächst als Kontakt zwischen den wenigen jüdischen Überlebenden und den Gemeinden. [...]

Die Vielfalt der Aufgaben des Zentralrats zu beschreiben, ohne dabei auf die Beziehungen zu den gesellschaftlich relevanten Kräften in Deutschland einzugehen, wäre ein höchst unvollständiges Bild. Vielen Betrachtern bleibt eher vorborgen, dass der Zentralrat eine Vielzahl von intensiven Kontakten zu politischen Parteien, Verbänden, Kirchen, Jugendorganisationen und anderen relevanten Gruppen des öffentlichen Lebens unterhält. Trotz Öffentlichkeitsarbeit und trotz des stetigen Kampfs gegen Antisemitismus und Diskriminierung musste der Zentralrat immer wieder bittere Niederlagen einstecken. Zum Katalog dieser Enttäuschungen gehört die Bagatellisierung des millionenfachen Mordes, die Glorifizierung von Taten des Nazi-Terrorregimes und die - auch heute noch vorhandene - Neigung, alte antisemitische Klischees in zahlreichen Publikationen wieder zu beleben. Auch die Walser-Bubis-Debatte gehört in diese Kategorie. Der Zentralrat sieht es als eine seiner wesentlichen Aufgaben an, die relevanten politischen Kräfte für den Kampf gegen die Ewiggestrigen zu gewinnen. Am Erfolg dieser Bemühungen und der Bereitschaft der nicht jüdischen Bevölkerung, darauf zu reagieren, wird sich zukünftig messen lassen, ob jüdisches Leben in Deutschland wieder zur Normalität geworden ist.

Neben dem Kampf gegen Antisemitismus und Diskriminierung hat sich der Zentralrat aber stets auch in den Fragen der Entschädigung von Schoah-Überlebenden engagiert. Der Zentralrat kann daher mit Recht für sich in Anspruch nehmen, dass er über die Jahre maßgeblich, zusammen mit anderen jüdischen Organisationen, an der Gesetzgebung des Deutschen Bundestages im Bereich der materiellen Entschädigung von nationalsozialistischem Unrecht beteiligt gewesen ist und so ein beispielloses Gesetzgebungswerk geschaffen werden konnte. Auch die in den letzten Jahren erreichten Entschädigungsprogramme für die Überlebenden in Osteuropa, wie die Einrichtung der Stiftung zur Entschädigung von ehemaligen Zwangsarbeitern, wären ohne die oft unauffällige Beteiligung des Zentralrats und seiner führenden Persönlichkeiten nicht vorstellbar gewesen.

Die letzten zehn Jahre seit der Vereinigung Deutschlands und vor allem unsere Gegenwart sind von einer neuen Epoche geprägt. Die Zahl der Gemeindemitglieder hat sich durch die Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion verdreifacht. In den kommenden Jahren erwarten wir nach den vorliegenden Zahlen weitere dreißigtausend Zuwanderer. Dies stellt die Gemeinden und damit den Zentralrat und die ihm angeschlossenen Landesverbände und Gemeinden vor die große Herausforderung der Integrationsarbeit.

Eine weitere und nicht weniger wichtige Herausforderung stellt die stärkere Einbeziehung der jüngeren Generation in die Arbeit der Jüdischen Gemeinden und der jüdischen Gremien dar. Dabei spielt vor allem die Attraktivität der Gemeinden für potenzielle Gemeindemitglieder und der Anreiz zur Teilnahme am religiösen Leben eine besondere Rolle. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Frage, ob wir eine praktikable Antwort zur Anerkennung und Garantie der religiösen Vielfalt nach dem Modell der Einheitsgemeinde finden. Die Kontinuität des jüdischen Lebens in Deutschland findet nur dann eine Garantie, wenn wir trotz aller Unterschiede einen Weg finden, alle Kräfte und religiösen Richtungen gleichberechtigt nebeneinander einzubinden.

Im Rückblick lässt sich trotz einiger kritischer Stimmen feststellen, dass sich der Zentralrat als Institution in den vergangenen fünfzig Jahren bewährt hat. Mein besonderer Dank gilt dabei meinen Vorgängern im Amt, die ich hier namentlich nennen möchte: Heinz Galinski, Herbert Lewin, Werner Nachmann und ganz besonders Ignatz Bubis. Sie alle haben den Weg der letzten fünfzig Jahre mit ihrem Engagement und ihrem intensiven Einsatz maßgeblich geprägt und den Zentralrat stets unterstützend begleitet.

Zitate:
Im Kampf gegen den Antisemitismus musste der Zentralrat bittere Niederlagen einstecken
Wir erwarten weitere 30.000 Zuwanderer - eine große Herausforderung für die Integrationsarbeit

taz-Debatte
taz Nr. 6196 vom 19.7.2000
Kommentar PAUL SPIEGEL

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haGalil onLine 19-07-2000


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