Menschenrechtler
wollen an der EU-Außengrenze gegen die Asylpolitik protestieren. Für
ihr Grenzcamp verweigert die brandenburgische Stadt Forst aber die
Genehmigung. Die Stadtoberen fürchten Auseinandersetzungen mit
rechten Gruppen.
Toleranz hat ihre Grenzen. In der deutsch-polnischen Grenzstadt Forst werden sie
derzeit ausgetestet. "Die Förderung von Toleranz und Solidarität,
Internationalität und Begegnung genießt einen hervorragenden Stellenwert",
formuliert das Brandenburger "Handlungskonzept gegen Fremdenfeindlichkeit".
Jährlich 2,5 Millionen Mark gibt das Land aus, um sich sich mit dem Beinamen
"Tolerant" zu schmücken. Aber ein "Grenzcamp 2000", das ab Samstag in Forst für
mehr Toleranz im Umgang mit Flüchtlingen werben will und uneingeschränkte
Bleiberechte für Asylbewerber einfordert, hat noch keine Aufenthaltsgenehmigung
erhalten.
In der Auseinandersetzung um die Platzgenehmigung treffen zwei Politikkonzepte
aufeinander. Der Staat begegnet Fremdenhass mit Zuckerbrot und Peitsche.
Einerseits gibt er sich als Werbeagentur für das Produkt
"Fremdenfreundlichkeit". Ausländer haben lediglich das falsche "Image", sie
brauchen PR-Berater an ihrer Seite.
Rechte Jugendliche will man mit "akzeptierender" Sozialarbeit einbinden - den
Freizeittreffs "normaler" Jugendlicher wird allerdings schon mal der Geldhahn
zugedreht. Andererseits reagiert der Staat mit der Härte klassischer
Ordnungsmaßnahmen: mehr Kontrollen, mehr Polizeibefugnisse.
Gezielte Regelverstöße
Die Initiative "Kein Mensch ist illegal" hingegen verfolgt eine Politik der
gezielten Regelverstöße. Wo Ausländerfeindlichkeit als alltägliche Ordnung
betrachtet wird, setzt sie auf Unordnung. Staatliche Verordnungswut sei nicht
Lösung, sondern Teil des Problems. Was sie schon ein ordnungswidrig angebrachter
Aufkleber auf einer Bushaltestelle gegen die "knochenharten Maßnahmen eines
Grenzregimes?" Seit Änderung des Asylrechts 1993 hätten schließlich mehr als 60
Menschen bei dem Versuch, die deutsche Grenze zu überwinden, ihr Leben verloren.
Die Initiatoren der Kampagne "Kein Mensch ist illegal" hatten die
Stadtverwaltung von Forst an der Neiße um die Genehmigung für ein einwöchiges
Zeltlager in der Grenzstadt gebeten. Vom 29. Juli bis 6. August wollen
Menschenrechtsgruppen mit verschiedenen Aktionen für offene Grenzen und
rechtliche Gleichstellung der Asylbewerber werben und Fremdenhass
entgegentreten.
Ihre ablehnende Haltung begründen die Stadtbehörden damit, dass die
Camp-Veranstalter über kein schlüssiges Sicherheitskonzept verfügen würden. "Die
Sicherheit der Forster Bevölkerung steht für uns an erster Stelle", so Jürgen
Goldschmid, stellvertretender Bürgermeister im Ort.
Holger Lührig, Pressesprecher im Innenministerium, teilt diese Bedenken: "Es ist
bekannt, dass es auf den Camps in den vergangenen Jahren zu gewalttätigen
Auseinandersetzungen kam. Toleranz heißt eben, keine Gewalt hinzunehmen."
Schwimmende Grenzen
1998 fand das erste "Grenzcamp" bei Rothenburg/Görlitz statt, im Jahr darauf im
Dreiländereck bei Zittau. Dabei kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen mit
der Polizei, unter anderem weil die Camper schwimmende Grenzübergange nach Polen
eröffneten oder Farbanschläge auf Neonazi-Treffpunkte verübten.
Goldschmidt fürchtet denn auch gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen den
Linken und "der anderen Seite des Spektrums". Der Kreisverband Löbau-Zittau der
NPD ruft im Internet bereits zum "nationalen Widerstand" gegen das Zeltlager
auf. Polizei und Bundesgrenzschutz haben für die Woche Urlaubssperre erhalten.
Die "Rosenstadt" Forst im Südosten von Brandenburg fürchtet um Ruf und Ruhe.
Ein sicheres Umfeld
Auf Veranstalterseite versucht man, die Bedenken der Stadtoberen zu zerstreuen.
"Wir haben Forst ausgewählt, weil die Stadt nicht von rechten Trupps dominiert
wird", erläutert eine Sprecherin der Forschungsstelle für Flucht und Migration
(FFM) Berlin. Immerhin erwarten die Organisatoren über 1.000 Teilnehmer im Camp,
darunter viele Asylbewerber, die sich mit ihren Familien angemeldet haben.
"Wir tragen Verantwortung für die Sicherheit dieser Flüchtlinge, die mit ihren
Kindern kommen", so die FFM-Sprecherin weiter, schon daher müsse man für ein
möglichst sicheres Umfeld sorgen. Mit der Forster Bevölkerung will man in den
Dialog treten, schließlich gehe es auch darum, gerade an der EU-Außengrenze
Vorurteile und falsche Ängste vor Flüchtlingen und ihren Helfern abzubauen.
Ein anderer Schwerpunkt betrifft die Bewertung des "institutionellen Rassismus",
vor allem die Bekämpfung der Residenzpflicht. Die Menschenrechtler wollen nicht
hinnehmen, dass Behörden die Bewegungsfreiheit von Flüchtlingen in vielfacher
Weise einschränken. So ist es Asylbewerbern in Deutschland nicht gestattet, den
Landkreis, dem sie zugewiesen sind, ohne Ausnahmegenehmigung zu verlassen. Jede
Zuwiderhandlung wird als Straftatbestand gewertet. So wird ein einfaches
Überschreiten der Kreisgrenze zum kriminellen Akt.
Politische Ausflüge
Den Protest gegen die deutsche Flüchtlingspolitik wollen die Veranstalter von
Forst aus in die Umgebung tragen. Geplant sind unter anderem Besuche des
Flüchtlingsheimes in Cottbus. und der Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber
(ZABH) in Eisenhüttenstadt. Dort müssen alle Flüchtlinge ihren Erstantrag
stellen. Nach Auskunft von Flüchtlingsgruppen bekommen sie dafür in der ZABH
keinerlei Beratung oder anwaltliche Hilfe, eine Situation, wie sie sonst
nirgendwo anzutreffen sei.
Auch nach Guben wollen die Menschenrechtler, wo im vergangenen Jahr der Algerier
Farid Guendoul bei einer Hetzjagd von rechten Jugendlichen tödlich verletzt
wurde. Der Prozess gegen die neun Angeklagten dauert immer noch an. Ein
Gedenkstein, der an den Tod Guendouls erinnern soll, wurde seit seiner
Aufrichtung immer wieder geschändet oder gestohlen.
Für den Fall, dass das Camp bis Freitag von den Behörden nicht genehmigt wird,
wollen die Veranstalter ersatzweise am Forster Wasserturm gegen die Nichtvergabe
von öffentlichem Raum protestieren.
Erwartet zu diesem "Plan B" sind unter anderem der Berliner Abgeordnete Hartwig
Berger und die Europaparlamentarierin Ilka Schröder (beide Grüne) sowie der
PDS-Bundestagsabgeordnete Carsten Hübner und Vertreter der IG Metall. Dann
wollen die Verfechter einer unbegrenzten Aufenthaltsgenehmigung für ihr eigenes
Bleiberecht kämpfen. Zur Not, so heißt es, müsse man sich eben im Forster
Rosengarten niederlassen.
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26-07-2000
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